Verdrängung
Völlig gerädert sitze ich am nächsten Morgen auf den Fliesen im Badezimmer. Die Tür ist verriegelt und ich habe nicht vor am heutigen Tag meine Position zu ändern, vor allem deshalb nicht weil ich mich unsagbar schäme.
Matt ist bereits schon wieder auf den Beinen und werkelt im Hotel herum, kommt aber fast im Stunden Takt um nach mir zu sehen. Er fragt nicht mehr was los ist oder wovon ich geträumt habe... Auch wenn ich das Bedürfnis hier und da verspüre es jemandem zu erzählen, denke ich doch das Matt nicht unbedingt der beste Ansprechpartner dafür ist. Wir kennen uns kaum und die Vergangenheit mit Connor ist so schmerzhaft, daß ich alles wieder und wieder durchleide, selbst wenn ich nur darüber nachdenke.
Das leise Klopfen an der Tür reißt mich für einen Moment aus meiner apathischen Haltung, doch mehr als meinen Kopf etwas anzuheben schaffe ich nicht.
» Hey, äh.. Ich hab Frühstück mitgebracht. «
Ich antworte ihm nicht. Ich wüsste nicht, was ich sagen sollte... Ein Danke wäre alles andere als ausreichend für das, was er für mich getan hat und immer noch tut. Noch nie hat ein Mensch sich wirklich um mich gekümmert oder gesorgt und die Aufmerksamkeit die mir Matt entgegen bringt ist völlig neu für mich.
Als ich nicht reagiere verläßt er mein Zimmer wieder, taucht aber 5 Minuten später wieder auf. Ich höre das Geräusch eines Stuhls, der über den Boden schleift.
» Okay also... Ich hab gerade alle Arbeiten für heute verschoben... Ich bleibe hier sitzen, nur für den Fall... «
Es rührt mich das er alles stehen und liegen lässt, nur um bei mir zu bleiben. Gleichzeitig habe ich ein unglaublich schlechtes Gewissen. Durch mich verzögert sich alles, was er sich für sein Hotel vorgenommen hat.
Plötzlich höre ich etwas. Es klingt wie... Wie eine Gitarre?
Gary Jules "Mad World" ertönt leise und für einen Moment halte ich den Atem an. Ich bin mir sicher noch nie zuvor etwas schöneres, aber gleichzeitig auch traurigeres gehört zu haben als das, was Matt gerade spielt. Langsam raffe ich mich auf, öffne für einen Spalt die Tür und sehe ihn. Mit gesenktem Kopf sitzt er da, die Gitarre fest auf seinem Schoß und vollkommen vom spielen eingenommen, sodass er mich gar nicht wirklich wahrnimmt. Es gibt mir die Gelegenheit ihn genaustens zu betrachten und gleichzeitig zu bestaunen wie gut er dieses Instrument beherrscht.
Erst als das Lied endet hebt er den Kopf und lächelt.
» Ich hoffe es ist okay, daß ich gespielt habe. «
Langsam taue ich auf. Ich erwidere sein Lächeln und nicke bloß als Antwort. In diesem Moment bin ich dankbar hier gestrandet zu sein.
Matt erhebt sich vom Stuhl und zeigt auf den kleinen Tisch in der Nähe.
» Frühstück? «
Mit einer Hand auf meinem Rücken führt er mich zum Tisch, schiebt meinen Stuhl näher heran und lässt sich dann gegenüber von mir nieder.
Der frische Kaffeeduft, gepaart mit dem rauchigen Aroma des Specks und all den anderen Köstlichkeiten steigt mir in die Nase. Ich habe gar nicht gemerkt wie hungrig ich bin und mich stört es auch nicht das Matt mir beim essen zusieht. Hier und da begegnen sich unsere Blicke und wir lächeln, ansonsten bleiben wir in dieser Blase des angenehmen schweigens.
-
Etwas später bin ich nicht nur absolut gesättigt - durch Matt's Fürsorge ist es mir auch gelungen die finsteren Gedanken und Erinnerungen wieder zurück in eine kleine Schachtel zu packen und in die hinterste Ecke meines Gedächtnisses zu schieben.
Voller Enthusiasmus will ich nach den Plänen fürs Hotel greifen, doch Matt hält mich auf.
» Heute nicht. Komm. «
Er hält mir eine Hand hin und wartet geduldig bis ich sie ergreife. Wir verlassen das Hotel, schlendern durch die Straßen, an Bars die um diese Uhrzeit geschlossen haben vorbei, bis wir eine kleine Grün Anlage erreichen. Inmitten eines plätschernden Teiches steht ist eine schattige Sitzgelegenheit, die wir für uns beanspruchen.
Hazel ist friedlich, ruhig. Hier kann man sogar die Vögel zwitschern hören. Kinder, die in der Nähe spielen, Sandburgen bauen oder das Kletter Gerüst erklimmen ziehen meine Aufmerksamkeit auf sich. Das bleibt Matt nicht verborgen.
» Hast du Kinder? «
» Nein. Ich... Ich hab meines durch einen Unfall verloren. «
Sein mitleidiger Ausdruck tröstet mich, obwohl ich sonst immer gern darauf verzichte. Mitleid hat noch niemandem etwas gebracht.
» Darf ich fragen was passiert ist? «
Ich erinnere mich...
「 Ich kam total aufgewühlt von einer Routine Untersuchung nach Hause. Gerade hatte ich erfahren das ich schwanger bin. Ich hatte Angst vor Connor und vor seiner Reaktion, also verheimlichte ich es... Bis es nicht mehr zu leugnen war. Je weiter mein Bauch anschwoll, desto misstrauischer wurde er... Eines Tages fand er, nachdem er all meine Sachen durch wühlt hatte, den Mutterpass. Wütend klatschte er ihn auf den Tisch und schrie mich an... Er wollte nie Kinder denn das würde seine Karriere nur ruinieren. Außerdem gab er mir die Schuld daran, daß ich überhaupt schwanger wurde. Für ihn war es Aufgabe der Frau für die Verhütung zu sorgen...
Ich weigerte mich darüber zu streiten und legte schützend meine Hände über meinen Bauch, wollte das Baby welches in mir heran wuchs vor ihm schützen... Was mir auch gelang. Ich fing die Schläge mit Händen und meinem Kopf ab, ließ ihn aber nie in die Nähe des Babys...
Bis er mich unerwartet und unvorbereitet erwischte.
Ein Stoß genügte und ich fiel 30 Stufen hinab. Als ich auf dem harten Asphalt vor unserem Heim aufschlug wurde ich sofort ohnmächtig und wachte erst im Krankenhaus wieder auf. Ich war in der 25. Schwangerschaftswoche, das Baby bei weitem noch nicht lebensfähig...
Da verlor ich es. 」
» Ich... Ich bin gestürzt. Ich habe nicht aufgepasst und bin eine lange Beton Treppe hinunter gefallen. «
Ich kann Matt nicht die ganze Wahrheit sagen, selbst wenn ich das möchte. Zu groß ist die Gefahr das er in all das mit hinein gezogen und am Ende womöglich verletzt wird. Das kann ich auf keinen Fall riskieren.
Schuldbewusst ergreift er meine Hand und drückt sie sanft. Ich sehe ihm an, wie leid es ihm tut, obwohl er keine Schuld daran hat.
» Tut mir leid, das ich es angesprochen habe. Das muss sehr hart gewesen sein. «
Ich bemühe mich zu lächeln.
» Schon gut. Es ist eine Weile her und ich habe gelernt damit zu leben. Es war nicht einfach, aber... Es wird jeden Tag leichter. «
Das ist gelogen. Ich leide jeden Tag darunter. Jeden Tag frage ich mich, wie mein Leben verlaufen wäre, wäre das nicht passiert... Hätte ich den Absprung aus der Beziehung zu Connor früher geschafft!?
Matt steht auf und zieht mich an der Hand mit sich. Er bemüht sich wirklich mich um jeden Preis abzulenken, schleppt mich Kreuz und Quer durch die Straßen und zeigt mir hier und da ein paar Sehenswürdigkeiten.
Seine Nähe ist angenehm und ich fühle mich wohl, vergesse sogar die schrecklichen Dinge die mir widerfahren sind, wenn auch nur für eine kurze Weile.
-
Später im Hotel liefert er mich an meiner Tür ab. Ich öffne sie, will eintreten und ihm Einlass gewähren, doch Matt bleibt stehen. Mit gerunzelter Stirn drehe ich mich zu ihm um, sehe ihn an.
» Ich weiß das klingt jetzt vielleicht total verrückt, aber... Ich mag dich, irgendwie. Ich mag dich Alex. «
Die Lücke zwischen uns verschwindet als er etwas näher kommt. Er hebt langsam eine Hand, führt sie an meine Wange und ist dabei so vorsichtig wie möglich - wohl weil er Angst hat, daß ich ihn abweisen könnte... Aber ich bin wie gelähmt, unfähig etwas zutun. Mein Herz rast.
» Ich mag dich. «
Auch wenn er es nur flüstert, klingt es für mich als würde er schreien. Als würde er es in die Welt hinaus posaunen.
Seine Lippen kommen näher und fast bin ich versucht meinen Kopf weg zu drehen, doch dann berühren sie sanft meine Wange. Für einen quälend langen Moment verweilen sie genau dort, ehe er sich vollständig von mir löst.
» Bitte bleib. Bleib hier in Hazel. «
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro