3| Treffpunkt
Als wir aus dem Zug stiegen und in einem anscheinend völlig verwahrlosten, ausgestorbenen Bahnhof ankamen, blieb mir dann doch kurz die Luft weg.
Nirgends sah man auch nur einen Menschen, geschweige denn überhaupt etwas außer diese Ruine, was wohl das Bahnhofsgebäude sein sollte.
Sofort zückte ich mein Handy aus dem Rucksack und fing fleißig an zu googeln, ob wir hier richtig waren, aber leider funktionierte das Internet nicht gut.
»Du bist völlig verrückt«, hörte ich Mary, die mit Jule diskutierte und anscheinend genauso empört über diese Gegend war wie ich.
Und während sie sich über was auch immer stritten, stand ich an dem einzigen Gleis und sah zu, wie sich der alte, klapprige Zug quietschend und knarrend wieder in Bewegung setzte.
Mit dem Rucksack auf meinem Rücken und dem Handy in der Hand sah ich dem letzten Waggon hinterher, bis er zwischen den Bäumen verschwand und augenblicklich absolute Stille herrschte.
Jule und Mary hatten ihre kleine Auseinandersetzung auch wieder beendet und standen jetzt neben mir.
»Verdammte Scheiße. Wo sind wir hier bloß gelandet?«, fragte Jule mit einem ungläubigen Lächeln und starrte genau wie Mary und ich auf die nicht enden wollenden Berge und Wälder, welche direkt vor uns lagen.
»Tja, es war deine blöde Idee hierherzukommen«, giftete Mary augenblicklich zurück.
»Konnte keiner ahnen, dass wir hier mitten im nirgends landen«, meinte sie nur mit den Schultern zuckend.
»Du hättest dich mal ein klein wenig besser informieren können! Wozu gibt es das Internet?«, begann Mary erneut zu diskutieren, was mich seufzend die Augen rollen ließ.
Um nicht noch mehr Öl ins Feuer zu gießen, teilte ich meine Gedanken nicht mit den beiden. Aber ich fragte mich ernsthaft, warum hier weder Leute ein- noch ausstiegen. Dies war doch alles recht seltsam.
Und so standen wir mit unseren Rucksäcken noch eine Weile unter dem Vordach, welches bei Regen definitiv nicht viel Schutz bot und hatten keinen Plan, wie es weitergehen sollte.
»Könnt ihr euch mal bitte etwas zusammenreißen«, wurde auch ich jetzt etwas lauter und bekam sofort die volle Aufmerksamkeit, was wahrscheinlich daran lag, dass ich nur selten meine Stimme hob.
»Ich würde vorschlagen, wir sehen uns mal auf der anderen Seite des Bahnhofs um. Vielleicht sieht es da ja besser aus«, beruhigte ich die beiden, obwohl ich innerlich selbst ein mulmiges Gefühl hatte. Aber einer von uns sollte jetzt definitiv die Nerven behalten.
Dann schlenderten wir durch die stickige Eingangshalle und wurden mit jedem Schritt sprachloser. Die Wände dieses heruntergekommenen Gebäudes waren übersät mit Graffiti und es stank widerlich nach Alkohol, Zigaretten und Urin. Das waren zumindest die ersten Gerüche, die ich identifizieren konnte, bevor ich mir die Nase zuhielt.
Die Glasscheibe, des einstigen Ticketschalters war zerbrochen, aber Strom schien es hier noch zu geben, denn das Licht in der Anzeige darüber flackerte immer mal wieder auf.
Erst jetzt fiel mir auf, dass es hier weder Fahrpläne noch Automaten gab, an dem wir unsere Rückfahrkarten kaufen konnten, und ich fragte mich, ob wir hier je wieder wegkommen.
Der gesamte Bahnhof machte einen vollkommen unwirklichen Eindruck, ich hatte das Gefühl zu träumen, vielleicht saßen wir ja noch immer im Zug und ich bin eingeschlafen. Ich kniff mich vorsichtshalber in den Arm. Der kurze Schmerz nahm mir allerdings jegliche Hoffnung.
Auf der anderen Seite angekommen atmeten wir mehrmals tief ein, bevor wir erneut völlig entgeistert die Luft anhielten, da es hier nicht viel anders aussah. Es gab nur ein Weg, der derart viele Schlaglöcher besaß, dass ich mich fragte, ob jemals ein Auto hier vorbeifahren könnte.
»Und was machen wir jetzt? Ich dachte, wir werden abgeholt?«, sprach Mary vollkommen entmutigt, während wir nun schon zum zweiten Mal absolut planlos hier herumstanden.
»Vielleicht sollten wir einfach dem Weg folgen, bis zu einer richtigen Straße«, schlug Jule daraufhin vor, und ich verstand nicht, wie sie immer noch so sorglos bleiben konnte.
Aber das war Jule, immer erst mal machen und dann denken. So stürzte sie sich schon seitdem ich sie kannte kopfüber in jegliche Arten von Abenteuer.
»Und in welche Richtung, bitteschön?«, meinte Mary daraufhin mit verschränkten Armen und wir drehten unsere Köpfe gleichzeitig in alle Richtungen.
»Ich würde sagen, da entlang«, erwiderte sie und zeigte in eine Richtung, während ich erneut versuchte Google Maps zu öffnen. Allerdings war das Internet hier ausgesprochen schlecht, sodass die Seite nur mühselig lud.
»Und warum sollten wir nach links und nicht nach rechts gehen?«, begann eine erneute Diskussion zwischen den beiden. Wenn das so weitergeht, werde ich noch verrückt, bevor wir ankommen.
Wir brauchten dringend eine gute Idee, denn die Sonne hing bereits tief und wenn es dunkel wird, möchte ich definitiv hier weg sein.
Und so vergingen weitere Minuten, in denen Jule und Mary sich mit Worten bombardierten, während ich mit dem Handy in der Hand hin und her lief, um nach Empfang zu suchen.
»Leute, könnt ihr bitte mal kurz aufhören zu streiten. Da vorn kommt ein Auto«, unterbrach ich die beiden und war mir unsicher, ob ich das auf uns zukommende Fahrzeug als positiv oder negativ einordnen sollte.
»Meinst du, das sind die, die uns hier abholen wollten?«, hörte ich Mary mit bebender Stimme leise sagen.
»Ich hoffe doch, wer sollte sich sonst hierher verfahren?«, flüsterte ich, während wir regungslos mit unseren Blicken dem Fahrzeug folgten.
Dann stoppte es wenige Meter vor uns und ich atmete tief ein. Mein Puls raste und meine Hände fingen an zu schwitzen, trotzdem versuchte ich mir nichts anmerken zu lassen, obwohl ich spürte, dass es Mary genauso ging.
Nur Jule sah das Ganze wieder absolut locker.
»Na los, kommt schon«, meinte sie nur und spazierte freudestrahlend auf den weißen Transporter zu, aus dem jetzt zwei Typen ausstiegen, welche nicht unbedingt vertrauenswürdig aussahen.
Sie waren vollständig in Schwarz gekleidet und schienen ziemlich häufig in einem Fitnessstudio zu sein. Ihre Arme waren mit unzähligen Tattoos übersät und der Schmuck, den sie trugen, wog mit Sicherheit ein paar Kilo.
»Hello. You are the guys from the Escaperoom?«, sprach Jule in ihrem besten Englisch. Man sah geradezu in ihren Augen, wie sehr sie sich auf dieses Abenteuer freute, während Mary und ich weniger begeistert und mit Abstand hinter ihr standen.
Doch außer einem Zucken der Mundwinkel bekamen wir keinerlei Reaktion von den Muskelprotzen. Wortlos öffneten sie die hintere Tür. Doch als Jule gerade einsteigen wollte, hielt einer der beiden sie an der Schulter fest. Dann holte er ein schwarzes Tuch aus seiner Hosentasche und band ihr dieses um die Augen, bevor er ihr ins Auto half.
Meine Nervosität machte mich völlig sprachlos und so ließ ich es, genau wie Mary über mich ergehen.
Anschließend fuhren wir los. Aus dem Radio ertönte eine slowakische Musik, während ich die gesamte Zeit versuchte unter der Augenbinde hindurchzuschauen, denn sie abzunehmen traute ich mich nicht.
Das Ganze wurde immer unheimlicher und ich wünschte, wir wären in diesem zugemüllten Bahnhof geblieben.
Während Jule immer noch absolut begeistert war, spürte ich Marys Hand, wie sie ängstlich nach meiner tastete. Und so fuhren wir noch eine gefühlte Ewigkeit – wohin auch immer.
Plötzlich stoppte der Wagen und wenige Sekunden später öffneten sich die Hintertüren.
»You can take off the blindfolds!«, sagte einer der beiden mit slowakischem Akzent.
Danach starrten wir auf ein riesiges, altes Gebäude, das gänzlich verlassen auf einem kleinen Hügel mitten im Wald stand.
Wir folgten diesen beiden Typen durch eine Eisentür, beschritten einen langen Gang, gingen durch Räume und noch mehr Gänge, sodass ich am Ende absolut keine Orientierung mehr hatte.
Bis wir in einen büroähnlichen Raum geführt wurden, in dem ein attraktiver Typ ungefähr Mitte zwanzig uns mit seinen dunklen Augen anfunkelte.
»So you are Mary, Jule and Tessa, right?«, meinte er mit einem Grinsen und stand von seinem Schreibtisch auf.
Er trug eine schwarze Hose und ein schwarzes Hemd, das so weit aufgeknöpft war, dass man nicht mehr viel Vorstellungskraft bedurfte, um zu erahnen, was sich darunter befand. Und in Jules Augen konnte man förmlich die Herzchen sehen, als er auf sie zukam, um jede von uns mit einem Handschlag zu begrüßen.
»So than, let's start the game!«, waren seine letzten Worte, bevor er sich mit einer Hand durch seine dunklen Haare fuhr.
Dann folgten wir ihm zur Tür hinaus ...
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1353 Wörter geschrieben von LucieLu0214
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