☽32« ωнσ ι αм☾
Nur zwei Wochen später wurden Liam und ich kurze Zeit hintereinander volljährig und konnten deshalb nicht mehr in das Heim zurückgebracht werden. Nun konnten wir uns also wieder ungestört in der Öffentlichkeit zeigen, ohne Angst haben zu müssen.
Logan und Eliza hatten uns oft gedeckt, wenn es nötig gewesen war. Eigentlich war das nicht selbstverständlich gewesen, da wir sie anfangs kaum gekannt hatten. In den letzten Tagen waren sie uns allerdings richtig ans Herz gewachsen. Sie hatten mich mitsamt meiner Vergangenheit akzeptiert, obwohl unsere ersten gemeinsamen Tage ziemlich turbulent gewesen waren.
Eine Woche später hatte ich eine Antwort von meinen Eltern erhalten: Sie waren einverstanden damit, dass ich sie zusammen mit Liam besuchte. Ich begann zu grinsen und erzählte Liam von dem Brief, den ich geschrieben hatte, und von der Antwort, die ich in meinen Händen hielt.
Er war nicht wirklich verunsichert, ganz im Gegenteil. Er freute sich darauf, meine Pflegeeltern kennen zu lernen, von denen ich so viel erzählt hatte.
Diejenigen, die mein Problem, genau wie er, hautnah miterlebt hatten und genau wussten, wie kompliziert ich sein konnte.
Nur einige Tage später saßen wir also in einem Zug nach London, um meine Eltern für einige Tage zu besuchen. Vermutlich ahnten sie längst, welches Verhältnis Liam und ich zueinander hatten. Aber sie sagten nichts. Sie empfinden ihn freundlich, genauso wie sie es getan hätten, wenn ich ihnen ein Mädchen vorgestellt hätte.
Und als sich die Tür zu unserem alten Haus am Rande Londons öffnete, fielen wir uns gegenseitig in die Arme und ließen uns lange Zeit nicht mehr los. Ich blendete alles um mich herum aus, fühlte mich so unendlich erleichtert. Ich hatte meine Familie nicht verloren, sie war noch immer hier. Nach all dieser schweren Zeit war sie noch immer an meiner Seite, ohne mich zu verlassen.
Mit einem Mal war ich tatsächlich unendlich froh. Ich fühlte mich geliebt, ich fühlte mich angenommen.
Selbst meine Geschwister freuten sich, mich zu sehen. Meine Zwillingsschwestern grinsten mir zusammen mit meinem kleinen Bruder entgegen, sahen mich aus strahlenden Augen an und fragten mich, wie es mir ginge.
Sie sagten mir, sie freuten sich mich wiederzusehen.
Sie hatten uns eingeladen, einige Tage lang zu bleiben. Liam und ich teilten uns mein altes Zimmer, in dem ich früher gewohnt hatte. Alles war noch genau so, wie ich es vor fast einem Jahr zurückgelassen hatte.
Er sah sich erstaunt um. „Das war dein Zimmer?"
Ich nickte.
„Ordentlicher als ich erwartet hätte", er grinste mich an, schien es mit seiner Äußerung allerdings nicht sonderlich ernst zu meinen.
Einerseits machte es mich glücklich, hier zu sein. Ich hatte mein zu Hause vermisst, meine Eltern, meine Geschwister, meine gewohnte Umgebung. Andererseits erinnerte mich all das an meine dunkelste Zeit. Ich hatte mir hier, genau in diesem Raum, oft einen Druck gesetzt oder irgendwelche Pillen eingeschmissen. Ich hatte mich hier oft betrunken.
Damals hatte mich nicht interessiert, wie ekelhaft Alkohol für mich eigentlich geschmeckt hat. Ich habe ihn trotzdem getrunken, weil ich diesen dämmernden Zustand nicht verlassen wollte. Immer etwas weggetreten zu sein, immer nicht ganz da zu sein. Das war doch das, was ich gewollt hatte.
Ich sah mich um, während ich neben Liam auf meinem Bett saß und konnte nicht begreifen, dass ich tatsächlich hier war. Dass ich wirklich wieder zu Hause war und all das sehen konnte, das mir damals so viel bedeutet hatte.
Kleine Dinge, die anderen vielleicht niemals aufgefallen wären, fielen mir sofort ins Auge: Da war eine kleine Lampe an der Wand neben meinem Bett, die ich von meinem Vater bekommen hatte, als wir mein Zimmer eingerichtet hatten. „Damit du nachts nicht immer im Dunkeln tappen musst, wenn du irgendetwas brauchst", hatte er gesagt, während er sie mir gegeben hatte.
Ich musste lächeln bei den Erinnerungen daran.
Am nächsten Morgen wachte ich um Einiges früher auf als Liam. Also machte ich mich schon gegen sieben Uhr auf den Weg nach unten, wo meine Eltern gerade dabei waren, jeweils eine Tasse Kaffee zu trinken.
„Niall", mein Vater lächelte mir breit entgegen, als ich verschlafen die Treppe nach unten schlurfte und das Shirt, das ich mir gerade noch angezogen hatte, glatt strich.
„Hast du gut geschlafen?", meine Mutter sah mich fragend an, und ich nickte.
„Sicher."
„Hast du Hunger?"
Ich schüttelte meinen Kopf.
„Durst?"
Wieder schüttelte ich meinen Kopf.
„Setz dich."
Ich nickte.
„Weshalb bist du so still?", mein Vater warf mir einen irritierten Blick zu.
„Ich möchte gern mit euch reden", verkündete ich, als ich mich auf einem der freien Stühle niederließ.
„Worüber denn?"
„Über damals", antwortete ich. „Ich weiß nur nicht, was ich sagen soll."
„Warum hast du damals nicht mit uns darüber gesprochen?"
„Weil ich nicht wusste, wie."
„Dann versuch es jetzt nochmal", mein Vater sah mich eindringlich an.
Ein Seufzen drängte sich aus meiner Brust. Ich hatte gar keine Ahnung, was ich sagen soll.
„Es tut mir leid", drängte es sich schließlich aus mir, „Es tut mir so leid."
„Was tut dir leid?", meine Mutter zog fragend beide Augenbrauen nach oben. Ich musste den Kopf schütteln, weil ich plötzlich spürte, wie Tränen in mir aufstiegen.
„Die ganzen Sorgen, die ich euch gemacht habe", gab ich zur Antwort, „Die ganze Mühe die ihr mit mir hattet. Die ganzen Dinge, die ich getan habe und die Schwierigkeiten, in die ich euch gebracht habe. Mein Verhalten. Meine Worte. All das tut mir so schrecklich leid, und ich weiß gar nicht, wie ich euch das sagen soll."
Meine Eltern sahen sich für einen Moment regelrecht verwundert an. „Das hast du doch gerade eben."
„Ja", stimmte ich zu, „Aber das fasst noch nicht einmal ansatzweise in Worte, wie weh es mir tut zu sehen, was ich angerichtet habe."
„Niall", mein Vater sah mich an, als würde er mich ausbremsen wollen. „Du hast gerade alles gesagt, was nötig war um zu zeigen, dass dir all das mehr als nur leid tut."
„Ich kann euch gar nicht sagen wie sehr."Ich spürte, wie ich den Tränen nah war. Das hier, das waren meine Eltern. Und das waren sie noch immer, obwohl ich ihnen so weh getan hatte, obwohl ich sie in so viele Schwierigkeiten gebracht hatte. Ich war unendlich froh darüber, sie zu haben. Mein Vater schob mir seine Tasse zu. Erst jetzt bemerkte ich, dass in ihr gar kein Kaffee, sondern mein Lieblingstee war.
„Wir hatten um ehrlich zu sein schreckliche Angst um dich", meine Mutter stieß ein kurzes Seufzen aus. „Wir waren richtig verzweifelt. Deshalb haben wir dir diese Briefe geschrieben, damit du trotzdem weißt, dass wir dich lieben und damit es dir leichter fällt, die Finger von Heroin und all den anderen Drogen zu lassen."
„Ich weiß", ich blickte für einen Moment zu Boden. „Ich habe wohl einige Anläufe gebraucht, um damit aufzuhören."
„Hast du denn wirklich damit aufgehört?"
„Ich hatte seit meinem Klinikaufenthalt nur einen kleinen Rückfall", gab ich zu, „Aber das ist eine Art Rekord. So lange habe ich noch nie durchgehalten."
Obwohl ich ihnen gerade von meinem Rückfall erzählt hatte, mussten sie beide lachen. „Wir sind unendlich stolz auf dich, Niall."
„Ehrlich?", ich zog verwundert beide Augenbrauen nach oben.
„Ehrlich."
„Es gibt da noch etwas, das ich euch gerne sagen möchte", ich sah abwechselnd zwischen beiden hin und her. „Es geht um Liam."
Mein Vater musste grinsen. Irgendetwas sagte mir, dass er wusste, was jetzt kam. Ich hatte allerdings keine Angst davor, mich meinen Eltern anzuvertrauen und ihnen reinen Wein einzuschenken. Ich wusste, dass sie gelassen reagieren würden, und dass sie mich für nichts auf dieser Welt ausgrenzen würden. Ich liebte sie für all das, was sie in dem vergangenen Jahr für mich getan hatten.
„Schieß los", mein Vater grinste mich genau so an, wie er es früher immer getan hatte, wenn wir beide zusammen irgendetwas unternommen hatten. „Es ist schwer zu beschreiben, was Liam für mich ist", begann ich schließlich. Das war noch nicht einmal gelogen, das war wirklich so. „Als ich Ende Herbst in dieses Heim gekommen bin, war er der Erste, der sich für mich interessiert hat. Er war derjenige, der mich in die Gesellschaft der anderen Bewohner brachte, was ich ansonsten vermutlich nie getan hätte. Er war derjenige, der mich ohne zu zögern in eine kleine Band aufgenommen hatte, obwohl er noch gar keine Ahnung hatte, ob mein Gitarrenspiel überhaupt gut war, oder grottenschlecht. Er hatte einfach Vertrauen in meine Fähigkeiten, und das war etwas, das ich lange Zeit wirklich vermisst hatte. Vertrauen in das, was ich tue. Nach einiger Zeit hat er mir ein Buch ausgeliehen. Das war ziemlich genau um Mitternacht. Wir waren zusammen auf dem Dachboden, und er hat mir dieses Buch in die Hand gedrückt und gesagt: ‚Dieses Buch hat mir in meiner ersten Zeit hier unendlich viel geholfen. Es ist wie ein Wegweiser.' Und er hatte recht. Ihr wisst, dass ich eigentlich nie sonderlich gerne gelesen habe. Genau genommen, habe ich in meinem ganzen Leben erst ein einziges Buch gelesen. Aber dieses Buch, war wie eine Therapie für mich. Ich habe es innerhalb weniger Tage komplett durchgelesen. Und als ich es ihm zurückgeben wollte, da ist irgendetwas in uns gefahren, das wir irgendwie nicht mehr loswerden. Und von diesem Tag an haben wir uns fast jede Nacht, um Punkt Mitternacht getroffen. Um Mitternacht, wenn niemand dich suchen und finden kann, weil alles schläft. Irgendwie hatte das etwas Magisches."
Ich machte eine kurze Pause, während ich in meinen Erinnerungen versank und all die Bilder noch einmal in meinem Kopf durchging.
„Liam und ich haben also festgestellt, dass wir uns ineinander verliebt haben. Aber das wusste natürlich niemand. Das sollte auch so bleiben, zumindest solange wir noch in diesem verdammten Heim leben mussten. Aber nach einigen Monaten, als es draußen langsam wieder wärmer wurden, hat Bob, der Heimleiter, erklärt, er habe eine neue Pflegefamilie für Liam gefunden. Erst war ich wahnsinnig traurig darüber, wollte ihn dann allerdings gehen lassen. Immerhin war es seine erste und vermutlich auch letzte Chance auf eine richtige Pflegefamilie. Immerhin weiß ich, wie es in Heimen abläuft: Wenn man fast erwachsen ist, hat man ausgesprochen schlechte Chancen, von irgendwem adoptiert zu werden. Eigentlich sind die Chancen gleich null. Aber weder Liam noch ich konnten die ganze Sache wirklich aufgeben. Also sind wir in der Nacht, bevor Liam das Heim verlassen sollte, kurzerhand weggelaufen. Nach einem ganzen Tag im Zug sind wir schließlich mit lächerlichen fünfzig Pfund in Southport gelandet - wo auch immer das ist."
Ich nippte kurz von meinem Tee.
„Dort haben wir schließlich Logan und Eliza kennengelernt. Logan war der Autor des Buches, das Liam mir ausgeliehen hatte. Das war natürlich Zufall, aber es war ein schöner Zufall. Ich hätte das niemals erwartet, genauso wenig wie Liam. Er hat sich gut und gerne mit Logan unterhalten."
Von meinem Rückfall erwähnte ich an dieser Stelle besser nichts.
„Und irgendwann, als wir beide volljährig wurden und nicht mehr zurück in das Heim gezwungen werden konnten, sind wir hier her gekommen. Das war erst vor wenigen Tagen", schloss ich meinen Bericht.Meinen Eltern war deutlich anzusehen, dass sie absolut keine Ahnung hatten, was sie dazu sagen sollten - verständlicherweise.Ich an ihrer Stelle würde vermutlich ganz genau so ratlos dasitzen, wie sie es in diesem Moment taten.
„Ihr seid aus dem Heim weggelaufen und bis nach Southport gefahren, was - wenn ich mich nicht irre - gute fünfzig Meilen von hier entfernt ist", wiederholte mein Vater, und ich nickte. „Das ist ziemlich verrückt, ich hoffe das weißt du."I
ch musste lachen, weil er es auch tat. Er nahm die ganze Sache mehr mit Humor, als dass er sich darüber aufregen würde.
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Auch hier tut es mir unendlich leid, dass ich so spät erst update. Ich hatte so wenig Zeit, weil ich in London war und die Schule es mir auch nicht gerade einfach macht. Ich hoffe, ihr seid mir nicht allzu böse.
Ich hoffe, das Kapi hat euch gefallen :)
Love always,
Demi. xxx
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