Teil 7 - Michael
"It kills me not to know this
But I've all but just forgotten
What the color of her eyes were
And her scars or how she got them"
Es war Michael, der mal wieder leise vor sich hin sang, doch er hörte die Stimme seines Vaters.
Eine einsame, stumme Träne mogelte sich aus seinem Auge, bei dem Gedanken daran, wie sein Vater ihm das Lied erklärt hatte.
Es ging um eine zerbrochene Liebe, eine Beziehung die nicht funktionieren konnte, weil beide Teile zu kaputt waren, um zu funktionieren.
Trotzdem war es keiner dieser schnulzigen Liebessongs, die immer im Radio liefen und Michael in den Wahnsinn trieben. Es war ein rauer Song, ein Lied das einem das Leid nur so entgegen brüllte und einem Steine hinterher warf, wenn man sich abwendete.
Ein bisschen fühlte Michael sich wie dieses Lied, auch wenn ihm bewusst war, dass es eigentlich gar nicht zu seiner Situation passte. Trotzdem... Er fühlte sich von dem Lied verstanden.
"As the telling signs of age rain down
A single tear is droppin'
Through the valleys of an aging face
That this world has forgotten"
Viel zu gut erinnerte sich an seinen Vater. Alles verschwamm vor seinen Augen, Erinnerungen und Erlebnisse, alte Träume und Halluzinationen, Filme und Erzählungen, alles vermischte sich in Michaels Kopf und sorgte dafür, dass der Teenager nur noch in seiner eigenen Realität lebte, nur noch in ihr Leben konnte, weil sich die Welt vor ihm verschloss.
Doch die Erinnerungen an seinen Vater, die hielten ihn fest, bewahrten ihn vor dem Wahnsinn. Michael konnte nicht mehr sagen, was er am Vortag gegessen hatte, er wusste nicht mehr was er heute beim Abendessen mit seiner Mutter besprochen hatte und er wusste auch nicht, wie er sie dazu gebracht hatte, eine Adresse auf die Rückseite des Fotos zu schreiben, doch er konnte genau sagen, welche Städte er mit seinem Vater in den Sommerferien besucht hatte, wenn dieser herum getourt war, er konnte sagen in welcher Reihenfolge dieser ihm CDs und verschiedene Kleidungsstücke geschenkt hatte, er wusste welche Lieder sie gemeinsam gesungen hatten und vor allem hatte er hunderte von Lyrics im Kopf.
"So, tell me now, if this ain't love
Then how do we get out? 'Cause I don't know"
Oh, er wusste so viel nicht. Doch das hier gab ihm halt. Sein Vater gab ihm jetzt, drei Jahre später, immer noch Halt.
Michael schluckte schwer und bemerkte jetzt erst, dass er mal wieder vor sich hin gesungen hatte. Kurz war der Teenager versucht, sein Handy heraus zu holen und doch Musik zu hören, doch er wusste jetzt schon, dass er, selbst wenn er einen Song ausgewählt bekommen würde, es niemals aushalten könne.
Es hielt ihn ohnehin etwas, oder besser jemand, davon ab, auch nur sein Handy hervor zu holen.
Eine Hand legte sich auf Michaels Schulter, trotz dessen, dass die Berührung so sanft war, schrak der Teenager zusammen und sprang fluchtartig auf, um sich ein paar Schritte in Sicherheit zu bringen.
Sein Herz raste und in der Dunkelheit brauchte es ein paar Momente, bis er sich orientiert hatte, doch dann erkannte er, wer da vor ihm stand.
Trotz der Tränen in seinen Augen musste er lächeln.
Der blonde Mann war tatsächlich gekommen. Und jetzt, da sie sich so nahe waren, stellte Michael auch fest, dass der andere kaum älter als er sein konnte.
Der Blonde hatte ein etwas rundes, ziemlich blasse Gesicht, dazu große grüne Augen und eine Stupsnase, volle rosige Lippen und kleine Grübchen.
Irgendwie sah er niedlich aus, auch wenn ein ziemlich ernster Zug in sein Gesicht eingebrannt schien und er die Augenbrauen ärgerlich zusammen gezogen hatte.
"Hast du dich erschreckt?" fragte der Blonde mit einer Stimme, die viel zu hoch für die beachtliche Körpergröße erschien. "Das wollte ich nicht. Ich hab dich angesprochen, aber du hast nicht reagiert und deswegen.... Sorry." eine leichte Röte legte sich auf die blassen Wangen und Michael wusste, dass der andere auf eine Antwort wartete, doch er konnte nur etwas überfordert zu ihm hoch sehen und nicken.
"Ähm... Ich bin Maurice. Also... " der andere schien auch nicht so recht zu wissen, wie es weiter ging, doch Michael war immer noch nicht richtig in der Lage, die Hand vor sich zu greifen. Und das lag dieses Mal ganz sicher nicht nur an seinen üblichen Problemen.
Ein paar Mal klappte er den Mund hilflos wie ein Fisch auf und zu, dann brachte er ein "Ähm" hervor.
'Maurice' musterte ihn mit hoch gezogenen Augenbrauen und wirkte nun doch etwas verärgert.
"Du hast ein Foto von mir gemacht."
Michael konnte nur stumm nicken. Ja, das stimmte. Er hatte ein Foto gemacht. Und eben dieses wurde ihm gerade unter die Nase gehalten.
"Du hast mich zu Tode erschreckt. Und du hast das Foto ausgedruckt und dann eine Adresse drauf geschrieben und mich hier hin gelockt."
Wieder nickte Michael. Das stimmte zwar nicht ganz, er hatte die Adresse da ganz sicher nicht drauf geschrieben, doch man musste ja nicht so kleinkariert sein.
Der braunhaarige wartete darauf, dass Maurice weiter redete, doch von dem Blonden kam nichts mehr. Er hatte wohl offensichtlich sein Pulver verschossen und so blieb es einige Momente, die sich viel zu lange anfühlten, still zwischen ihnen.
Schlussendlich brachen sie das Schweigen fast gleichzeitig. "Ich bin Michael." stellte Michael sich vor und "... Ich hab mich blamiert, oder?" fragte Maurice.
Die beiden Teenager sahen sich kurz verwirrt an, dann begann Maurice verlegen zu kichern. Michael stieg mit ein, auch wenn mehr aus dem Gefühl heraus das zu müssen und nicht weil er sich danach fühlte.
"Setz dich doch... " forderte er Maurice auf, während er sich selbst wieder auf die Bank setzte und sturr gerade aus auf das Wasser starrte.
Die Sterne und der volle Mond spiegelte sich in den ansonsten tief schwarzen Fluten und kurz war Michael versucht nach einem der Sternbilder zu schauen, aber er wollte nicht, dass ihm auch noch das Sterne Gucken durch tanzende und spottende Sterne kaputt gemacht wurde und so ließ er es.
Fast hätte er gar nicht bemerkt, dass Maurice sich neben ihn gesetzt hatte, doch der andere holte ihn mit einem leichten Räuspern und einer Hand auf Michaels Schenkel in die Realität zurück.
Mit bestimmter Miene schob der Brünette die Hand weg und rückte erstmal einige Zentimeter ab. Was fiel dem Fremden ein, sich so aufzudrängen? Da hätte er sich ja gleich auf ihn setzen können. Michael war in Gedanken schon wieder so zornig, dass es wieder eine Berührung brauchte, um ihn darauf aufmerksam zu machen, dass Maurice mit ihm geredet hatte.
"Was?" motzte Michael, was den anderen sichtlich zusammenzucken und ebenfalls etwas abrücken ließ.
"Nichts." Maurice sah, während er so leise redete, auf seine Finger. "Ich wollte nur wissen... Wozu das ganze?"
Michael zuckte mit den Schultern und musste feststellen, dass er keine Idee hatte, was er nun machen sollte. Er hatte nicht damit gerechnet, dass der Blonde kommen würde und hatte sich dementsprechend auch nichts ausgedacht.
"Michael?" ob es Maurice überhaupt auffiel, dass er sich überwiegend mit sich selbst unterhielt? Michael wusste es nicht. Doch jetzt blinzelte er energisch und wischte sich verstohlen die Tränenspuren weg.
"Ich wollte nur wissen, ob ich dich mir einbilde." erklärte er dann, woraufhin Maurice ziemlich verwirrt aussah. "Weil du mir nicht geholfen hast." erklärte Michael schnell und schob dann noch eine Frage hinterher, damit Maurice bloß nicht nachfragte. "Warum bist du hergekommen? Du bist gestern vor mir weg gerannt."
Maurice' Gesicht färbte sich noch dunkler. "Ja... Da dachte ich auch noch, dass du aus der Psychiatrie ausgebrochen bist und mich umbringen willst. Aber... Naja. Du wirkst nicht gefährlich und... Ich.... Ich wollte wissen, was du so spät draußen machst. Und warum du mich fotografiert hast, aber das weiß ich ja jetzt... Naja. Was machst du denn draußen?"
Michael zuckte mit den Schultern und drehte sich ein bisschen weg von ihm, bevor er sogar die Arme vor der Brust verschränkte." Einen Spaziergang. " Brummte er, vielleicht etwas mürrischer als nötig. Maurice zuckte auf jeden Fall wieder zusammen und traute sich bis auf ein weiteres Nicken wohl nicht zu antworten.
Wieder war es ein paar Momente still, in denen die Jungen raus auf das Wasser sahen und vor sich hin grübelten, dann riss ein Geräusch Michael aus den Gedanken.
Er sah zu Maurice, der hektisch das Handy aus einer Tasche zog und aufstand, den Alarm dabei wohl ausmachte, immerhin wurde es still.
"Ich... Ich... War nett dich kennen zu lernen, Michael. Ich muss jetzt wieder los, aber... Man sieht sich ja vielleicht noch mal.... Und mach keine Fotos mehr von mir!"
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