Teil 6 - Maurice
Maurice' Herzschlag trommelte heftig gegen seine Rippen, das Blut rauschte in seinen Ohren und sein hektisches Atmen erfüllte die stille Nacht. Der Blonde rannte, was seine Beine hergaben, er rannte bis seine Oberschenkel brannten und noch weiter. Die Jeans war nicht zum Rennen gemacht, der raue Stoff scheuerte seine empfindliche Haut wund, doch stehen bleiben war keine Option.
Der eigene Herzschlag hallte von innen gegen seinen Schädel, das Adrenalin trieb ihn weiter, bis es dann irgendwann nicht mehr ging. Längst hätten sich die Muskeln an seinen Seiten verkrampft, er konnte kaum noch laufen, nur noch taumeln, doch stehen bleiben war keine Option. Erst nach zwei , fast drei Kilometern musste er dann doch stehen bleiben, sackte mit dem Rücken an eine Hauswand und rutschte daran herunter auf den Boden, wo er sich ganz klein machte.
Mit aller Macht versuchte er seinen lauten, Keuchen den Atem unter Kontrolle zu bringen, seine Hand schloss sich fest um das Handy in seiner Tasche. Maurice hatte Angst. Er hatte eine Scheißangst.
Da war jemand vor seinem Haus gewesen. Jemand, der ein Foto von ihm gemacht hatte, jemand, der allen Anschein nach nur auf ihn, Maurice Dario, gewartet hatte. Nein, es war nicht irgendjemandd, ein Gesichtsloser Niemand gewesen, sondern wieder der Junge mit den braunen Haaren.
Angespannt biss Maurice sich auf der Unterlippe herum, merkte kaum, dass er mit den Fingern seine Hände rieb. "Verdammte Scheiße" zischte er leise, während er überlegte, wen man jetzt am Besten anrief. Um das herauszufinden wäre es nötig zu wissen, was denn überhaupt los war. Maurice wusste nur, dass er es nicht wusste.
Da war ein Junge, der zwei Mal nachts bei ihm in der Straße gestanden und einmal ein Foto von ihm gemacht hatte. Der junge gehörte zu einem Mann, der Mittags langsam durch seine Straße fuhr und dabei laut Musik hörte. Das war nichts mit dem Maurice etwas anfangen konnte.
Irgendwie wurde dem Teenager jetzt gerade in diesen angstvollen Momenten zum ersten Mal klar, dass er gar nichts von der Welt wusste. Emily hätte gewusst, was das hier bedeuten könnte. Vielleicht hätte das sogar Milo. Nur er selbst, Maurice, er wusste es nicht.
Wenn er in einem Film gewesen wäre, dann würde es auf das Genre ankommen, was das hier zu bedeuten hatte. In einem Action Film waren die beiden Typen definitiv seine Feinde, die ihn und seine Familie umbringen wollten, doch wenn es eine Komödie war, dann wäre es zweifelsohne nur ein sehr peinliches Missverständnis, das ihm, dem Hauptharakter, passierte und dann in einer tiefen Freundschaft endete.
Und im echten Leben? Das wusste Maurice beim besten Willen nicht. Das einzige das er wusste war, dass es jetzt, Minuten später, immer noch still war. Sein Atem hatte sich etwas beruhigt, die verkrampfte Muskeln hatten sich etwas gelockert und das Brennen in den Beinen und der Lunge hatten etwas nachgelassen und es war immer noch still. Er hatte seinen Verfolger und Fotografen wohl erfolgreich abgehängt.
Maurice musste unwillkürlich Lächeln.
Ein paar Minuten, so nahm er es sich vor, wollte er noch bleiben, dann würde er sich wieder auf den Rückweg machen. Nicht weil er Angst hatte, die hatte das Adrenalin aus seinem Körper heraus gepeitscht, sondern weil er auf Nummer sicher gehen wollte und vor allem weil sein Körper diese Anstrengung nicht kannte. Ein bisschen mehr Pause würde ihm gut tun, am nächsten Tag würde er sich dafür danken.
Doch seinen Plan verwarf er schon nach ein paar Momenten wieder, weil er nämlich jemanden sah. Jemanden, der an seinem Versteck vorbei trottete, ohne ih n zu bemerken und dabei vor sich hinsang.
"And now something
Has kept me here too long
And you can't leave me
If I'm already gone"
Irgendwie kam es Maurice so vor, als merkte der andere gar nicht, dass er sang. Er wusste nicht genau woran er das fest machte, vielleicht daran, dass der Junge generell abwesend wirkte, wie er dort so entlang trottete, die Hände in den Taschen und den Blick gesenkt, vielleicht waren es die Kopfhörer, die er trug oder die Tatsache, dass er Maurice nicht bemerkte, vielleicht war es auch etwas ganz anderes.
Als der andere nun in das Licht der nächsten Straßenlaterne trat, zuckte Maurice trotzdem ganz schön zusammen, weil er die braunen Haare und den zusammen gesunkenen Gang nun erst so richtig einordnen konnte. Das war wieder dieser Typ!
Doch der Gesang nahm dem Jungen irgendwie auch das bedrohliche . Fast hätte Maurice gelacht - das war nur ein Teenager, so wie er selbst auch. Fast verdrängte er, dass der andere von der Polizei aufgegriffen worden war, die Neugierde überwog.
Maurice erhob sich, als der andere gut fünfzig Meter von ihm entfernt war und folgte ihm vvorsichtig. Irgendwas ließ ihn vermuten, dass der andere es nicht bemerken würde und er lag damit verdammt richtig.
Nicht iein einziges Mal drehte der kleinere sich um, er trottete immer weiter, schien gar nichts von seiner Umgebung mit zu bekommen.
Maurice folgte ihm einige Minuten lang, ein paar Häuserblocks und er wäre ihm auch noch weiter gefolgt, doch sein Handy vibrierte in seiner Hand und erinnerte ihn daran, dass in einer Stunde die Sonne aufging, er also dringend nach Hause musste.
Etwas enttäuscht ließ er von dem Fremden ab , ohne ihn zur Rede gestellt zu haben und ging schnellst möglich zurück dahin, wo er her gekommen war.
~
"Maurice?" Der Blonde sah irritiert hoch. "Was summst du denn da?" Emily sah ihn aus ihren klaren Augen aufmerksam an. "Was?" das Mädchen kicherte, während Maurice sich über das Kinn rieb und versuchte zu ergründen, was sie von ihm wollte. "Du summst. Und du schläfst fast. Hast du nicht gut geschalfen?" Maurice schüttelte den Kopf und stand langsam auuf. Sein Körper protestierte mit einem kräftigen Schmerz in den Beinen.
"Ne...hab nur wenig geschlafen." den Großteil der Zeit hatte er sich seinen Kopf zerbrochen und sich über sich selbst geärgert. Er hatte keinen Plan, was hier vor sich ging, er war ratlos. Und er Dummkopf hatte denjenigen, der es wusste einfach so gehen lassen, ohne zu wissen, ob er wieder kommen würde.
"Das tut mir Leid für dich. Soll ich dir einen Tee kochen, damit du dich noch ein bisschen hinlegen kannst, bevor Mama wieder kommt und ihr weiter lernt?" Maurice rieb sich die müden Augen. "Das wäre lieb von dir...Du bist ein Schatz." Sie lächelte ihn an und küsste ihn auf die Wange. "Geh schon mal in dein Zimmer, ich bring dir gleich die Tasse."
Der ältere lachte. "Kann es sein, dass du mich loswerden willst?" eigentlich hatte es nur ein Witz sein sollen, doch daran dass die Röte auf Emilys Wangen sich verstärkte, merkte Maurice, dass er recht hatte. "Was ist los?" fragte er. "Klavier war doch die Woche schon, nicht?" sie nickte und nuschelte "Dennis kommt gleich vorbei."
"Dennis? Meinst du Kröten-Dennis?" der Kopf seiner kleinen Schwester wurde zu einer sehr ernsthaften Konkurrenz für die Tomaten in der Obstschale. Maurice grinste und wuschelte ihr durch die Haare. "Keine Angst, ich bleibe in meinem Zimmer und verzichte darauf, peinlich aufzufallen."
"Danke. Du weißt doch, dass ich..?" Emily konnte es nicht aussprechen und Maurice wusste das. "Keine Angst. Ich weiß, dass du nur einen guten Eindruck hinterlassen willst und das ist in diesem Haus schon schwer genug. Dennis wird schon genug fragen stellen, da muss ich nicht auch noch mitten drin hocken und von allen bemuttert werden. Wenn du willst, dann lasse ich Milo an meinen PC während ich schlafe, dann seid ihr ungestört. Oder ich leihe dir was Geld, damit ihr Eis essen gehen könnt."
Er selbst brauchte sein Taschengeld eh nicht wirklich . Seine Krankheit machte nahezu jedes Hobby, jede Aktivität unmöglich. Er konnte nicht mit Freunden essen oder ins Schwimmbad gehen und das scheiterte nicht nur an dem nicht Vorhandensein der Freunde sondern auch daran, dass nichts offen hatte , wenn er raus konnte.
"Du bist der Beste." der muskulösen Körper seiner Schwester drückte sich kurz an seinen, dann lief das Mädchen los, um Tee zu holen und Maurice verzog sich vorsorglich in sein Zimmer, um dort die nächsten paar Stunden auszuharren.
~
Maurice hätte sich am liebsten geschlagen. Er wartete schon seit Stunden im Schutz seines Zimmers, saß hinter dem offenen Fenster im Dunkeln und wartete, doch bis auf Shadow regte sich da draußen gar nichts. Der Junge war nicht da. Er war verdammt nochmal nicht wieder gekommen und dabei hatte Maurice so stark damit gerechnet, dass er diese Möglichkeit voll und ganz vergessen hatte.
Ärgerlich runzelte er die Stirn und starrte ins Dunkle. Und nun fiel ihm zum ersten Mal seit Stunden etwas auf. Da lag ein Stein. Ein Stein, mitten auf dem Gehweg und der gehörte da ganz definitiv nicht hin und er hatte da in der letzten Nacht auch nicht gelegen. Irgendwie wusste Maurice sofort, dass der von dem anderen kam.
Ohne nach zu denken schnappte er sich sein Handy und verließ sein Zimmer, dann das Haus. Er humpelte so schnell er konnte zu dem Stein und stellte fest, dass unter diesem ein Zettel klemmte.
Ein Zettel? Nein, es war ein Foto. Und es zeigte ihn, Maurice, wie er vor seinem Haus stand und den roten Pulli trug, den er in der letzten Nacht getragen hatte. Das war cder ultimative Beweis dafür, dass das hier eine Nachricht für ihn war und dass sie von dem anderen Nachttwandler kam. Doch...Was hatte das ganze zu bedeuten? Maurice kauerte Dort und starrte Minuten lang auf das Foto, bis er es schlussendlich ratlos umdrehte.
"Bingo." murmelte er leise, denn dort stand etwas. In feiner, ordentlicher Handschrift war dort eine Adresse aufgeschrieben.
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