Dec, 4th: Who are you?
Taehyung
04.12; 20:17 Uhr
Irgendwie war ich den ganzen Tag schon geladen. Nervös. Abgelenkt. Unkonzentriert. Ich konnte mir das eigentlich nicht leisten, denn ich hatte ein Konzert vor mir. Als Pianist kam ich überraschend gut über die Runden ohne zu viel Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen. Ich stand nicht so gerne im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, doch ich spielte für mein Leben gerne Klavier und ob nun jemand zuhörte oder nicht war für mich mehr oder weniger belanglos. Es zeigte sich irgendwann, dass eine Menge Leute mir gerne zuhörten und dafür auch noch Geld bezahlten, also machte ich wohl irgendetwas richtig hinter den Tasten.
Innerhalb der Szene war ich so etwas, wie ein kleiner Star, was für volle Hallen und ein gutes Einkommen sorgte. Doch außerhalb der Klassik wusste niemand, wer ich war, was mir eine komfortable Anonymität verschaffte. Ich konnte mich also wirklich nicht über meinen Job beschweren, im Gegenteil, ich war echt dankbar das Yongguk, mein Manager mich einst in einer schummerigen Bar entdeckt hatte. Umso mehr verbot ich mir bei irgendeinem Auftritt zu versagen. Ich hatte unglaubliches Glück gehabt, also waren Halbherzigkeit und Misserfolg keine Option.
Ich riss mich zusammen, und dafür, dass ich den ganzen Tag vor Nervosität über meine eigenen Füße stolperte und unvermittelt Sachen fallen ließ, bekam ich das sogar ganz gut hin. Vielleicht sollte mich das nicht mal wundern. Zu spielen hatte für mich schon immer etwas Tröstendes gehabt. Solange meine schlanken Finger über die Tasten gleiten konnten, konnte ich mich in meiner eigenen kleinen Welt flüchten in der es nur mich und die Musik gab. Eine Welt aus Klängen und deren Farben. Ich blendete die Zuschauer völlig aus und gab mich ganz der Musik hin.
Alles war friedlich, wie immer ... bis es das plötzlich nicht mehr war.
Von jetzt auf gleich hatte ich das Gefühl, dass ich angestarrt wurde. Ich versuchte die Empfindung abzuschütteln und mich zurück in die Musik zu flüchten. Es war so albern. Natürlich wurde ich angestarrt. Die Blicke des ganzen Saales waren auf mich gerichtet. Doch ich wurde das Gefühl nicht los, dass einer dieser Blicke mich förmlich durchbohrte.
Ich betete innerlich, dass es nicht war, weil sich wieder eine dieser Psychosen anbahnte. Während eines Konzerts wäre das fatal. Meine letzte Psychose war keine drei Tage her, bitte Hirn, gib mir eine Pause. Nach der Psychose in der Bibliothek hatte es keine Woche gedauert, bis die nächste gekommen war. Am ersten Dezember hatte es mich mitten am Tag erwischt, als ich grade mit dem Auto nach Gangnam fahren wollte. Ich war nun auf Bus und Bahn umgestiegen. Nicht nur, dass mein Auto total Schrott war, ich war auch noch offensichtlich eine Gefahr für meine Mitmenschen, wenn ich mich ins Auto setzte.
Auch jetzt rechnete ich wieder mit den Schlimmsten, doch tatsächlich passierte nichts weiter, als dass ich mich beobachtet fühlte. Also tat ich etwas, dass ich sonst nie tat: Ich ließ meinen Blick über die Menge gleiten. Eine dumme Idee, wie sich herausstellte, denn die Aktion machte mich ziemlich nervös. Hier waren echt viele Menschen drin. Schnell senkte ich den Blick wieder auf meine Klaviertasten und versuchte zu vergessen, dass ich hier gar nicht allein war, bevor meine Finger der Meinung waren, dass sie jetzt anfangen wollen zu zittern.
Ich musste mich konzentrieren, doch der übliche Frieden, den ich zu Beginn des Auftrittes noch gehabt hatte, wollte sich einfach nicht wieder einstellen. Ich hatte noch nie so viel Stress während des Spielens gehabt und es ärgerte mich fast, dass ich mich so fühlte. Was war nur verdammt noch mal los mit mir?
Wieder hob ich meinen Blick, unbewusst diesmal. Es passierte einfach, bevor ich mich stoppen konnte. Es war, als ob mein Blick diesmal angezogen wurde und nun flog er nicht über die Menge, sondern wanderte vom meinem Platz am Flügel aus, zu dem schweren, samtigen Vorhang, der sich zuzuziehen würde, sobald ich das Konzert hinter mich gebracht haben würde. Hinter diesem entdeckte ich die Gestalt eines jungen Mannes.
Er stand an der Innenseite, sodass keiner der Zuschauer ihm im Schatten des roten Stoffes sehen würde und starrte mich an. Er war es gewesen, der mich mit seinem durchdringenden Blick aus meiner eigenen Welt gezogen hatte. Ich konnte meinen Blick nicht mehr von ihm abwenden, schon gar nicht, als er seinen Blick einen Deut hob und mir damit direkt in die Augen sah.
Ich verspielte mich.
Tatsächlich bekam ich es vertuscht, indem ich improvisierte. Es war ein eigenes Stück und es war neu, niemand würde es bemerken, denn verspielt hatte ich mich noch nie, dementsprechend würde niemand den gewagten Griff für eine Notfalllösung halten. Zumindest glaubte ich das, doch mein stiller Beobachter ließ mich zweifeln, denn eine seiner Augenbrauen wanderte nur einen Deut nach oben.
Er wusste es. Er durchschaute mich.
Wer zu Geier war er? Und warum hatte ich das Gefühl, dass ich zu ihm musste? Er sollte mir Angst machen. Er gehörte nicht zum Personal und stand doch hinter dem Vorhang, starrte mich nieder mit Augen, so schwarz, dass ich mich wunderte, wie er überhaupt sehen konnte und trug eine Mine, kalt wie Eis, zur Schau. Seine Anwesenheit sollte mich wirklich beunruhigen, aber alles woran ich denken konnte war, dass das vage Gesicht meiner Träume mit einem Mal Realität war. Ich träumte von diesem Mann.
Unter Anstrengung riss ich meinen Blick von ihm los, ich wollte zu ihm, am liebsten sofort. Ich musste wissen, wer er war. Mich ergriff die Erkenntnis, dass ich, wenn ich je eine Chance haben wollte mich endlich vollständig zu fühlen, ich mit ihm reden musste, weil er der Schlüssel dazu war. Doch ich konnte hier nicht alles stehen und liegen lassen, ich musste wenigstens noch durch dieses Stück. Eigentlich sollten danach noch zwei kommen, aber das würde ich heute nicht mehr schaffen, dazu war ich viel zu abgelenkt und gestresst. Mir war schlecht vor Aufregung.
Also beendete ich das Stück und verabschiedete mich, die Hände zu Fäusten geballt, damit niemand sah, wie sehr meine Hände zitterten und eilte von der Bühne, zu der Seite, auf der ich den jungen Mann grade noch im Schatten des roten Vorhangs hatte stehen sehen, auch wenn der reguläre Abgang auf der anderen Seite gewesen wäre. Es war mir egal. Alles, was ich wollte, war diesen Mann zu sprechen.
Ich ging hinter die Bühne und sah mich gehetzt um. Wo war er hin? Fast schon fürchtete ich, dass er einfach verschwunden war, da entdeckte ich ihm am Ende des Ganges, der zum Notausgang führte. Er war vielleicht drei Meter von mir entfernt, was mir die Chance gab ihn zu mustern. Eine Vielzahl von Gefühlen überflutete mich, die ich mir nicht erklären konnte, aber was konnte ich mir überhaupt schon erklären, diese Tage? Ich sah Wände bluten, also warum sollte ich nicht auch eine überwältigende Liebe für einen Typen verspüren, den ich bisher nur in meinen Träumen gesehen hatte? War er überhaupt real? Was wusste ich schon noch?
Alles, was ich wusste, war, dass es Balsam für meine kaputte Seele war, ihn vor mir stehen zu sehen.
Er war das fehlende Teil meines Selbst, nach dem ich mich immer gesehnt hatte, dem entsprechend machte es mich überglücklich ihn zu sehen. Es war verrückt. Auf mich prasselte so viel Glück ein, dass es beängstigend war und fast schon schmerzte. Ich drehte durch, eindeutig. Diese ganzen Gefühle ergaben keinen Sinn. Wahrscheinlich war nicht eines dieser Gefühle auch nur ansatzweise real. Ich war einfach nur verrückt und projizierte was auch immer auf diesen armen Typen.
Total durchgeknallt. Ich hatte meinen Verstand verloren.
Trotz dieser Zweifel gab ich mich dem süßen Gefühl der Zufriedenheit hin. Ich hatte in meinem Leben nichts Vergleichbares gefühlt und ich wollte die Empfindung nicht einfach so wieder loslassen. Lieber lächelte ich dem Fremden, den mein Hirn mir als so vertraut vorgaukelte, zaghaft zu und ließ meinen Blick über sein schönes Gesicht wandern.
Ich hatte noch nie einen so schönen Menschen gesehen. Sein Gesicht war symmetrisch, seine auch waren groß und dunkel und hatten einen geheimnisvollen Glanz und das schwarze Haar umrandeten sein Gesicht nahezu sanft, obwohl einen so starken Kontrast zu seiner hellen, feinen Haut bildeten.
Du musst zu ihm, flüsterte eine Stimme in meinem Inneren, du musst ihn retten. Ich stolperte über den Gedanken. Retten wovor? Ich wollte gerade zu ihm rüber, als ein scharfes "V!" mich zusammenzucken ließ. Yongguk schloss zu mir auf. "Was sollte das bitte?", fragte er aufgebracht. "Wieso beendest du das Konzert so plötzlich? Wie soll ich das erklären?" Ach. Das hatte ich völlig vergessen. "Entschuldige. Mir geht es nicht gut", ließ ich ihn leise wissen und das war nicht mal gelogen, vor allem, als ich zurück zu dem geheimnisvollen, jungen Mann sah und nur noch sah, wie die Notausgangstür ins Schloss fiel.
Mir wurde augenblicklich schlecht. Ich fühlte mit einem Mal verlassener denn je. Mit schnellen Schritten rannte ich zu der Tür und riss sie auf. Yongguk folgte mir auf dem Fuß. "Tae?", fragte er irritiert. Langsam ging ihm wohl auch auf, dass irgendwas mit mir ganz und gar nicht stimmte. Ich ignorierte ihn. Verzweifelt sah ich mich in der schäbigen Gasse um, die hinter dem Ausgang lag. "Wo ist er hin?", fragte ich den Tränen nahe und fing mir einen besorgten Blick von meinem Manager ein. "Wer?", wollte er wissen. "Jeongguk", antwortete ich mechanisch und ließ meinen Blick weiter durch die Gasse fliegen, in der Hoffnung ihn doch noch irgendwo zu entdecken.
"Wer ist Jeongguk?"
Die Frage riss mich förmlich aus meiner Trance. Ja, wer in aller Welt ist Jeongguk? Ich fuhr mir fahrig durch die Haare. "N-Niemand", stotterte ich und Yongguk legte mir seine Hände auf meine Schultern. "Tae, was ist nur los mit dir?", wollte er wissen und der scharfe Tonfall, mit dem er mich eben noch angesprochen hatte, war einem besorgten gewichen. "Du wirkst völlig durch den Wind. Erst verspielst du dich, dann brichst du ab und jetzt zitterst du, wie Espenlaub." Er seufzte leise. "Dir geht es echt nicht gut was?"
Ich schüttelte den Kopf. Wie sollte es mir auch gut gehen, wenn Jeongguk wieder verschwunden war? Dass ich weinte, bemerkte ich erst, als ich aufschluchzte und Yongguk mich tröstend an sich drückte. Yongguk wirkte etwas überfordert mit mir und ich konnte es ihm nicht mal verübeln. So kannten wir beide mich nicht. Yongguk drückte mich einfach und gab damit offensichtlich den Versuch, mich verstehen zu wollen, auf. Stattdessen seufzte er nur.
"Komm, ich fahr dich nach Hause."
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro