Wenn es Abend wird
Nach unserem Gespräch hat Tarik mich heimgeschickt, ohne Bier. Auf dem Weg zur Bahn kontrolliere ich ein paar Mal mein Handy, aber Tua hat mir nicht geschrieben, also antworte ich bloß Bastian, den ich nach seiner heutigen Therapiesitzung gefragt habe. Irgendwie kann ich noch immer nicht so wirklich fassen, dass er sein Drogenproblem echt angeht.
Bastian: Schon jetzt kein Bock mehr. Der Psychodoktor, zu dem sie mich geschickt haben, ist hart überarbeitet. Ich hab ihm gesagt, er soll mich weitervermitteln, wenn er keine Platz in seiner Scheiß-Kartei hat. Jetzt lande ich wahrscheinlich bei 'ner Tante, die mir die Haare von Kopf frisst. Ist dir schon mal aufgefallen, wie abgefuckt das ist? Du bist krank und gibst diesen Nutten mit ihrem geilen Doktortitel großzügig Geld, damit sie dich nicht deinem Leiden überlassen.
Iara: Ja, das System ist behämmert. Aber diese Nutten mit Auszeichnung sind wenigstens ausgebildet, um zu dir durchzudringen. Ich hab's versucht, Bastian.
Bastian: Ich hab dir auch keinen Vorwurf gemacht, was geht denn bei dir?
Statt ihm zu antworten, packe ich mein Handy weg. Ich habe keine Lust, mich in einer Nachricht bei ihm über meine Beziehungsprobleme zu beschweren, zumal seine Frage vielleicht rhetorisch gemeint war. Bastian und ich sind gute Freunde, er interessiert sich für mein Leben wie ich mich für seins, aber er übertreibt, sobald er das Gefühl bekommt, ich bringe mich durch irgendwas - oder irgendwen - in Gefahr. Eigentlich kann Bastian Tua ganz gut ab, und doch sehe ich seine heftige Reaktion schon vor mir, wenn er erfährt, dass mein Freund unsere Beziehung zurzeit so sträflich vernachlässigt, dass es mich belastet. Für ihn zählt einzig und allein, wie andere mich behandeln. Ich schätze seine klare Sicht auf diese Dinge oft, nur glaube ich kaum, dass er sich in Tua je so hineinversetzen könnte wie in mich. Allgemein ist das nicht seine Stärke. Wenn ich Stress mit jemandem habe, dann fragt Bastian nicht erst kritisch nach: Er positioniert sich direkt auf meiner Seite, völlig instinktiv, weil er mich beschützen will. Ich hole mein Handy wieder raus.
Iara: Danke, dass du gefragt hast. Ich erzähle dir, was los ist, wenn wir uns das nächste Mal sehen, okay?
Bastian: Klar, Kleine. Lass dich nicht unterkriegen.
Iara: Sowieso nicht. Bis bald :)
Eine dreiviertel Stunde später betrete ich die WG. Mika steht sofort vor mir, beide Arme ausgebreitet, und wir sehen einander einen Moment lang nur stumm in die Augen, dann lasse ich meine Tasche fallen, laufe auf ihn zu und umarme ihn fest.
"Da hängen jetzt überall Mehl- und Kuchenteigreste auf deinen Sachen", nuschelt er in meine Locken. Er riecht tatsächlich nach Kuchen, aber auch nach seinem herben Parfüm. Mich erinnert der Geruch an früher. Ich bin zu Hause, kommt mir schleichend die Erkenntnis.
"Hey Mika-Pika", ignoriere ich seinen Warnhinweis und löse mich von ihm.
"Wir haben heute gar nicht mehr mit dir gerechnet." Paris Stimme erklingt rechts von mir. Sie lehnt im Türrahmen unserer Küche, trägt ein Kleid aus fliederfarbenem Stoff, das ihr vorzüglich steht, und leckt Teig von ihrem Zeigefinger. "Wolltest du nicht die Woche noch bei Tua bleiben?", fragt sie, hüpft auf mich zu und umarmt mich ebenfalls.
"Tua organisiert den Geburtstag von Hannes, einem seiner Jungs", kläre ich meine Mitbewohner auf. Mika grinst.
"Hey, trifft sich perfekt, dann kannst du uns gleich helfen mit dem Kuchen für meinen Geburtstag." Da schießt es blitzartig durch meinen Kopf. Ich habe tatsächlich Mikas Geburtstag vergessen durch den ganzen Trubel seit unserer Reise nach Reutlingen. Pari räuspert sich leise.
"Der Kuchen ist erstmal bereit für den Ofen, um die Deko kümmern wir uns später", informiert sie das baldige Geburtstagskind.
"Das machen wir dann zu dritt", betone ich. Während ich meine Jacke ausziehe, sind meine Augen nach wie vor auf Mika gerichtet. "Du willst nur mit uns und Kitty feiern?", überspiele ich, dass mir das immer näherrückende Datum durch die Lappen gerutscht ist.
"Ich kann mir morgen auf jeden Fall nichts Besseres vorstellen, als 'ne entspannte Runde mit euch drei Hübschen. Groß feiern kann ich später, wenn mir danach ist." Er guckt mich schief an. "Iara, passt das morgen wirklich für dich? Wenn du lieber bei Tua bleiben willst, dann versteh ich das voll. Oder lad ihn ein, er könnte auch dabei sein, kein Ding." Das Thema zieht mich derart runter, dass Pari mein Unbehagen direkt bemerkt und mich vorsichtig an der Schulter berührt.
"Essen hätten wir genug", versichert sie mir. Ich überlege und streife mir die Schuhe von den Füßen.
"Ich möchte nicht, dass er kommt", spreche ich es letztlich aus. Mein Herz zieht sich schmerzhaft zusammen. "Er würde uns nicht aktiv den Abend vermiesen, aber er würde auch keine gute Stimmung mitbringen." Ich sehe Mika in die Augen. "Du sollst dich amüsieren."
"Du willst aber schon mitfeiern?", hakt er nochmal nach.
"Wenn ich nicht bald was Fröhliches erlebe, gehe ich ein", murmle ich. "Braucht ihr noch Hilfe beim Aufräumen?" Pari schüttelt den Kopf.
"Setzt ihr beide euch doch auf die Hollywoodschaukel, ich schiebe den Kuchen in die Röhre und mache kurz sauber." Sie wendet sich explizit an mich. "Möchtest du einen Tee?"
"Gern", nicke ich und ringe mir ein Lächeln ab. Pari nickt ebenfalls, dann verschwindet sie in die Küche. Zeitgleich schlingt Mika seinen Arm um meine Taille.
"Los, komm", fordert er mich auf. Draußen hüllt mich die kühle Luft ein, weshalb ich mir sofort die Decke schnappe, die auf der Hollywoodschaukel liegt und sie über Mika und mir ausbreite. "Wie geht's ihm denn so?", fragt mein Mitbewohner und bezieht sich dabei auf Tua.
"Scheiße", antworte ich trocken.
"Und dir?"
"Na ja, dito." Mika fährt sich mit den Fingern durch seine blonden Haare.
"Iara, ich weiß, du liebst ihn, aber du lässt das zu nah an dich ran", meint er und schlägt dabei einen ernsten Tonfall an. "Es ist seine Trauer, lass sie bei ihm."
"Ich kann nicht", hauche ich schwach.
"Du kannst", widerspricht Mika mir sofort. Ich schließe die Augen, atme tief ein und lausche dem leisen Miauen der Nachbarskatze im Innenhof. Mir ist schlecht, ich habe keinen Hunger, obwohl ich nach der Arbeit noch nichts gegessen habe, und ich will keinen Tee, ich will Alkohol trinken. "Habt ihr gekocht zum Abendbrot?", lenke ich das Gespräch in eine andere Richtung. Pari, die zu uns auf den Balkon tritt und mir eine dampfende Tasse reicht, bejaht.
"Ich habe vorhin Bouletten und Kartoffelsalat gemacht, davon ist was übriggeblieben." Sie verschränkt die Arme vor ihrem Körper, offenbar friert sie. Mika zieht seine Kapuzenjacke aus und reicht sie ihr. Meine beste Freundin wickelt sich darin ein. Sie bedankt sich bei ihm und wendet sich dann wieder an mich.
"Ich hol dir rasch was zur Stärkung, Süße."
"Hast du 'nen Timer gestellt?", ruft Mika ihr noch nach und Pari bestätigt es. Ich lehne mich an meinen Kumpel an, aber sehe Tua vor mir, verliere mich in den Bildern und Eindrücken der letzten Zeit. "Es wird alles wieder gut", verleiht Mika meinem letzten Gedanken eine echte Stimme.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro