We can do better
Mir dröhnt der Schädel vom ganzen Alk, den ich letzte Nacht in mich reingekippt habe, und ich bereue jeden Schluck. Zwar bin ich keine zierliche Person, ich vertrage schon mehr als zwei Bier, aber offensichtlich haut mich ein halber Liter Wodka dann doch um. Bevor ich die Augen öffne, lasse ich das gestrige Gespräch mit Tua in meinem Kopf Revue passieren und befürchte sofort, in betrunkenem Zustand völlig überreagiert zu haben. Es ist natürlich nur eine Vermutung, denn ich entdecke keinerlei Belege in meinem Hinterstübchen, um sie zu untermauern. Anstelle eines aufgeräumten Aktenschranks voller detaillierter Erinnerungen gleicht mein Gedächtnis momentan doch eher einem schwarzen, alles verschlingenden Loch. Gott, ich muss auf ganzer Linie übertrieben haben, mein letzter Filmriss dieser Art ist lange her. Alles, was ich noch weiß, ist dass ich letzte Nacht irre viel geweint habe, genauso wie Tua - und dass wir trotzdem noch zusammen sind.Er hält mich im Arm, ich atme den Geruch nach Regen ein, der ihm anhaftet, drehe mich, sodass ich ihm zugewandt auf dem Bett liege und vergrabe mein Gesicht an seiner Brust. Im Schutz der Dunkelheit, öffne ich die Augen. Tua küsst mich auf den Scheitel.
"Bist du wach?", fragt er mich zu meinem Glück besonders leise. Jedes Geräusch nehme ich gerade doppelt so laut wahr, deswegen verstehe ich meinen Freund auch einwandfrei. Zur Bestätigung gebe ich ein kaum hörbares Brummen von mir. Meine Stimmbänder hat der Alkohol ausgetrocknet. Wobei, na ja ... Ich glaube, ganz so funktioniert das nicht. Jedenfalls klinge ich alt und eingerostet. Tua zieht mich noch ein Stück näher zu sich und obwohl ich verkatert bin, oder vielleicht gerade wegen des Restalkohols in meinem Blut, schießt mir in diesem Augenblick durch den Kopf, dass er mich nicht mehr so angefasst hat, seit sein Vater gestorben ist. Ich vermisse die körperliche Intimität zwischen uns.
"Kopfschmerzen?", will er knapp von mir wissen.
"Geht. Aber ich fühl mich wie neunmal überfahren und dreimal bespuckt", krächze ich.
"Du hast durchgeschlafen, und der Eimer neben dir ist leer. Ich dachte eigentlich, dass du kotzen musst, du bist aber nicht einmal wachgeworden zwischendurch."
"Ich war müde", sage ich und ziehe den Umlaut in die Länge.
"Dein Körper holt sich die Energie zurück, die ihm entzogen wurde." Wieder küsst er mich auf den Haaransatz und ich schaue zu ihm auf.
"Wie lang hast du geschlafen?"
"Drei Stunden", antwortet er.
"Wir machen Fortschritte", seufze ich, auch wenn drei Stunden natürlich viel zu wenig sind. "Ich warte auf den Tag, an dem du sechzehn Stunden schläfst oder sowas Abgefahrenes. Lass dir am Montag was gegen Schlafstörungen verschreiben, wenn du eh beim Arzt bist."
"Hm-mh", macht er wenig überzeugend.
"Klappt alles mit der Location für Hannes' Geburtstag?", wechsle ich das Thema. Immerhin ist es ziemlich offensichtlich, dass Tua gerade nicht über seinen kommenden Arztbesuch sprechen möchte.
"Wir reden jetzt nicht über Hannes", legt er fest. Ich schaue skeptisch zu ihm auf.
"Und worüber reden wir dann?"
"Darüber, dass du für mich das Wichtigste bist, momentan und für immer." Diese Aussage jagt mir einen wohligen Schauer über den Rücken. "Wenn's dir schlecht geht, kannst du nicht auf Alkohol zurückgreifen", fährt er jedoch fort. "Wieso kriegst du den Mund nicht auf, wenn du ein Problem hast, Iara? Du darfst mir ruhig alles ins Gesicht sagen, ich verkrafte das schon. Bevor du dich aus Frust so kaputt machst wie gestern, ist es mir deutlich lieber, du machst mich zur Schnecke." Aus funkelnden Augen sehe ich ihn an.
"Was denkst du denn, weshalb ich auf Alkohol zurückgreife? Ich will kein Fass aufmachen. Du sagst teilweise echt unangenehme Sachen, wann immer ich dich auf irgendwas Schwerwiegendes hinweise. Und es raubt mir jede Energie, denn natürlich will ich mir das nicht von dir gefallen lassen. Es kostet mich Kraft, immer für mich einzustehen, spaßig ist das nicht, das kannst du mir glauben", rede ich mich rasch in Rage. "Überhaupt: Was kann ich dafür, wenn du nicht begreifst, dass es mir alles andere als gut geht? Wenn du das nicht von allein checkst, werde ich immer davon ausgehen, dass es dich nicht interessiert." Tua seufzt tief.
"Ich hätte dich drauf ansprechen sollen", gibt er nach und küsst mich auf die Stirn. "Es tut mir leid."
"Dich plagt doch irgendeine absurde Angst", spreche ich meine Vermutung aus.
"Ich rede nicht über den Tod meines Vaters, weil ich mein Gesicht nicht verlieren will", beichtet er.
"Das ist total dumm", fluche ich, richte mich auf und schiebe mir ein Kissen hinter den Rücken, damit ich es einigermaßen bequem habe. Tua dreht sich von der Seite auf den Rücken und bleibt liegen. "Du warst bis gestern kühl und reserviert mir gegenüber, seit wir zurück in Berlin sind, weil du den starken Mann vor mir spielen wolltest? Dein Ernst?", frage ich ihn. "Ich weiß, dass du stark bist -"
"Wieso schonst du mich dann?", schneidet er mich scharf.
"Wozu soll ich dich verletzen?", murre ich. Er verdreht die Augen.
"Ich kann die Momente, in denen du mich ernsthaft verletzt hast, an einer Hand abzählen."
"Schön für dich", keife ich und gehe dabei mit der Stimme hoch, sodass meine Worte einen leicht hysterischen Touch bekommen. "Für die Momente, in denen du mich verletzt hast, gilt das aber leider nicht." Er blinzelt, dann sagt er: "Du bist übersensibel und lässt vieles näher an dich ran, als du müsstest." Empört schnappe ich nach Luft. "Raste nicht gleich aus", bremst er mich, noch bevor ich etwas sagen kann. "Hör mir erstmal zu. Ich lieg hier wie auf der Schlachtbank. Gestern sagst du mir, du willst einfach nur mit mir zusammen sein, um jeden Preis, und jetzt klingt es wieder, als wäre das alles gelogen gewesen. Entscheide dich und trag die Konsequenzen. Sei dir aber vorher bitte im Klaren darüber, dass du nicht ewig vor den Konflikten davonrennen kannst, die sowieso entstehen werden. Ich streite mich lieber früher als später mit dir", bekennt er.
"Gar nicht zu streiten wäre mir immer noch am liebsten", schmolle ich.
"Das ist absolut kindisch", holt er erneut mit Worten aus und trifft mich damit wie mit einen Hieb in die Magengrube. Tränen treten mir in die Augen. "Es ist menschlich, sich in einer Beziehung zu streiten, Iara. Glaub mir, ich möchte genauso wie du, dass es harmonischer zwischen uns wird." Er streicht mir eine Locke hinters Ohr. "Aber in diese Richtung können wir uns erst weiterentwickeln, wenn du anfängst, mich für mein Fehlverhalten in die Mangel zu nehmen und umgekehrt. Ich lerne ständig durch dich, wir lernen beide. Zum Beispiel, dass stark zu sein nicht automatisch heißt, nie schwach zu sein."
"Aber - ... Wieso machst du mir dann was vor? Ich dachte, damit hätten wir längst abgeschlossen."
"Es ist nun mal ein langwieriger Prozess, sein Denken umzukrempeln", erläutert er. "Ich gebe, was ich geben kann. Aber gelegentlich wirft mich das Leben um hundert Jahre zurück, und ich werde wieder beziehungsunfähig."
"Du musst das in den Griff kriegen", rege ich mich auf. Er hält den kleinen Finger hoch und ich hake mich kapitulierend mit meinem bei ihm ein. Als ich meine Hand wegziehen will, lässt Tua das nicht zu. Bestimmt blickt er mir in die Augen. "Wehe du greifst nochmal auf Drogen zurück, um meine Aufmerksamkeit auf dich zu lenken. Du spielst mit dem Feuer, Iara. Alk ist kein Spaß, sondern Rauschgift."
"Aber wenn nur das funktioniert ...?", gebe ich zurück. Mein Freund lässt meinen Finger los und setzt sich nun ebenfalls auf.
"Du hast genug Leute um dich, mit denen du reden kannst, wenn ich mich in Zukunft nochmal wie ein ignoranter Eisklotz benehmen sollte. Mika hat gestern deinen Job übernommen und mir 'ne Standpauke gehalten, Pari hat sich genauso große Sorgen gemacht. Wenn du dich nicht mal den beiden öffnest, wenn du das immer nur bei mir machen willst, ist das richtig mies. Es ist belastend für mich, und vor allem auch für dich selbst, wenn ich dein einziger Support bin."
"Aber diese Dinge betreffen uns, am wichtigsten ist noch immer, dass wir darüber reden", verteidige ich mich.
"Ja, das stimmt. Das heißt trotzdem nicht, dass du nicht auch mit deinen Freunden darüber sprechen solltest. Ich rede meist mit Jenn, wenn's mir beschissen geht und ich schon drüber reden kann. Du solltest dich auch an irgendwen wenden in so 'ner Situation. Es gibt noch mehr Leute außer mir, die dich wirklich lieben ... Und eine Flasche zu öffnen ist nicht dasselbe, wie sich einem anderen Menschen zu öffnen. Versprich mir, dass du aufhörst, dich so volllaufen zu lassen." Ich schweige. Er mustert mich ernst. "Komm schon, mach mir wenigstens ein Zugeständnis, wenn du dich aus Stolz schon nicht bei mir entschuldigen kannst."Moment mal ...
"Entschuldigen wofür?", zische ich sauer.
"Für deine Uneinsichtigkeit vielleicht?", erwidert er verständnislos. "Du machst mich für diese gesamte Beziehungskrise verantwortlich, aber dass es soweit kommen konnte, liegt nicht allein an mir. Du musst andere Lektionen lernen als ich, aber du bist keine Heilige, also gib nicht mir die Schuld für alles."
"Hör mir mal zu, du Arschloch, ich habe mich in den letzten zwei Wochen für dich aufgeopfert -"
"Hab ich dich darum gebeten?"
"Nein, aber dass du mir gerade diese Vorwürfe machst, zeigt mir, dass du ein undankbarer Mensch bist, Tua", werde ich aus Reflex persönlich. Mein Freund ballt die Hand zur Faust und atmet mit geschlossenen Augen langsam aus.
"Du kannst mich beschimpfen wie du lustig bist, Iara, aber ich werde es dir nie danken, wenn du dich zerstörst und dann auch noch so dreist bist, mir zu erzählen, du hast das für mich getan. Ende der Diskussion."
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