
No, I know, I'm no Superman
Auf Tuas Couch ist die Welt noch in Ordnung. Während ich munter Schokopops in mich hineinschaufle, flackert eine alte Folge Scrubs über den Fernsehbildschirm. Es ist früh am Morgen, aber mein Biorhythmus hat sich an meine Arbeitszeiten angepasst. Gegen sieben wache ich auf, und zwar meist mit knurrendem Magen. Es beruhigt mich, dass mein Hungergefühl zurückgekehrt ist und ich dadurch endlich wieder in der Lage bin, dieses überlebenswichtige Grundbedürfnis allein zu erfüllen, ohne dass mich dauernd jemand daran erinnern muss. Dem Alkohol habe ich bis auf Weiteres abgeschworen. Die Worte, die mein Freund gefunden hat, um mich aus diesem Loch rauszuholen, haben sich gründlich bei mir eingeprägt. Ich bin Tua dankbar, weil er klare Kante gezeigt hat und ich dasselbe tun durfte. Keine Schlammschlacht, keine miesen Konsequenzen. Die Auseinandersetzung war unangenehm, aber mehr auch nicht. Vor allem glaube ich, dass sie uns ein beachtliches Stück vorangebracht hat.
Ich grinse über eine von Carlas beißenden Bemerkungen, als Tua den Raum betritt und sich gähnend die Augen reibt.
"Bom dia", begrüße ich ihn.
"Oi, doçura", erwidert er und ich schaue ihn überrascht aus großen Augen an.
"Desde quando falas português?"
"Hä?"
"Guck nicht so verloren, du bist reingekommen und hast angefangen, Portugiesisch mit mir zu sprechen." Schulterzuckend wende ich mich erneut dem morgendlichen Fernsehprogramm zu und stelle den Ton aus. Es läuft jetzt eh gerade Werbung. Tua nimmt mir die leergegessene Schale aus der Hand und stellt sie auf dem Tisch ab, bevor er sich zu mir auf die Couch legt. Seinen einen Arm schlingt er um meine Schultern, den anderen legt er über meinen Bauch. Sanft holt er mich zu sich und ich lege meine angewinkelten Beine über seine ausgestreckten. "Woher weißt du, was 'Süße' auf Portugiesisch heißt?", frage ich ihn möglichst unschuldig und streiche den Stoff des anthrazitfarbenen T-Shirts über seiner Brust glatt.
"Studentin aus Lissabon, hab sie in 'nem Club getroffen." Ich verdrehe die Augen und seufze.
"Wenigstens bist du ehrlich", sage ich und muss lachen, weil es kitzelt, als er mein Ohr küsst. Ich lege meinen Kopf auf seiner Brust ab, lausche eine ganze Weile seinem Herzschlag. "Raus mit der Sprache", fordere ich ihn auf. "Was hat dich um den Schlaf gebracht? Wieso bist du überhaupt schon wach?"
Tua küsst mich auf den Scheitel, bevor er antwortet: "Ich hab nachgedacht."
"Oh, das ist neu", necke ich ihn und schenke ihm ein Lächeln. Er lacht. Das leichte Beben seines Körpers und der Klang - beides ist mir vertraut. Und es ist schön, seine Nähe endlich wieder zu spüren. Tua fährt sich mit der Hand über den Mund, verdeckt ein Gähnen, bevor er eine Grimasse zieht, die jetzt wiederum mich zum Lachen bringt. Doch der Laut, den ich von mir gebe, wird bald erstickt von einem gefühlvollen Kuss, bei dem ich unerwartet so weiche Knie bekomme, wie ganz am Anfang unserer Beziehung.
"Worüber hast du nachgedacht?", versuche ich zu überspielen, dass es ein bisschen ist, als wären mir gerade Schmetterlingsflügel gewachsen. Auf Tuas Lippen liegt das lässige Grinsen der Gewissheit. Er weiß genau, was in mir vorgeht und dass er mich in Verlegenheit gebracht hat. Und er genießt es. "Sag was", meine ich. "Sonst hast du gleich keine Gelegenheit mehr, in drei, zwei, eins ..." Ich küsse ihn, sinke dabei mit dem Rücken aufs Sofa und meine Hände gleiten unter sein Shirt, über seine warme Haut - Er stoppt mich.
"Nochmal wegen Hannes' Geburtstag ..." Automatisch nehme ich meine Hände von ihm weg.
"Okay, Stimmungskiller", murmle ich. Tua gibt mich frei und ich setze mich im Schneidersitz aufrecht hin, mustere ihn. Er sieht mir ernst in die Augen.
"Du musst nicht hingehen, wenn du nicht möchtest." Obwohl ich ihn verstehe, verschränke ich gelangweilt die Arme vor der Brust.
"Ach, komm. Wir hatten das doch geklärt, ich werde dort mit dir auflaufen und wenn er pöbeln sollte, dann pöble ich halt zurück. Oder ist es das, was du vermeiden willst?"
"Hauptsächlich werd' ich das Gefühl nicht los, dass ich dich bei deiner Entscheidung in eine bestimmte Richtung gedrängt habe."
"Was spielt das für eine Rolle?", frage ich ihn gleichgültig.
"Iara, ich hab Angst, dass ich dich manipuliere." Mir gefriert das Blut in den Adern, langsam drehe ich ihm den Kopf zu, inspiziere sein Gesicht bis ins letzte Detail. Er meint es bitterernst.
"Du glaubst, du kannst mich manipulieren?", hake ich kühl nach. "Du hast ja 'ne ziemlich hohe Meinung von dir, wenn du glaubst, dass du das hinkriegst. Keine Sorge, so gerissen bist du nicht."
"Weißt du das?"
"Weiß ich's nicht? Wer kennt dich denn besser als ich? Jenn vielleicht?"
"Ich kenne mich", antwortet er.
"Sowas Dummes hab ich dich ja noch nie sagen hören", rutscht es mir vor lauter Erstaunen raus und ich beiße mir auf die Zunge. Tua legt die Stirn in Falten. "Ich meine -" Ich schnaube kurz. "Niemand kennt sich so gut, wie er sollte. Du bist nicht befugt, über dein Handeln zu richten. Überlass das den anderen."
"Wenn du's so viel besser weißt, dann sag mir, dass ich dich nicht manipuliert habe, als wir über den Geburtstag gesprochen haben", fordert er mich heraus.
"Nein. Wir werden gemeinsam zu dieser Party gehen. Es spielt keine Rolle, inwiefern du mich vielleicht manipuliert hast. Die Würfel sind gefallen. Hör auf, dir den Kopf darüber zu zerbrechen." In meiner Stimme schwingt deutlich mit, wie stark es in meinem Inneren brodelt.
"Gib wenigstens zu, dass dir die Möglichkeit auch Angst macht", beharrt er dennoch und ich fahre mit den Fingern durch meine Locken.
"Tua, ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Ich bin an einem Punkt, an dem du mein Vertrauen in dich mit einem imaginären Baseballschläger dem Erdboden gleichmachen könntest und ich trotzdem zu dir zurückrennen und dir helfen wollen würde. Und bevor du was dazu sagst: Mir ist bewusst, dass das nicht gesund ist. Aber es ist nicht deine Schuld. Die Verantwortung dafür liegt allein bei mir. Ich versuche, mich von dieser Einstellung zu befreien. Seit dem Tod deines Vaters trage ich mich inzwischen damit, und daran wird sich erst etwas ändern, wenn entweder du aus deiner persönlichen Hölle rauskriechst, oder ich es schaffe, deine Probleme bei dir zu lassen. Im Idealfall natürlich beides."
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