Das sind die Jungs
Das sind sie", steht Tua auf, als es einige Wochen später an der Tür klingelt. Ich bleibe auf dem Sofa sitzen und zögere. Sollte ich ihm jetzt treudoof hinterhertrotten? Tiefes, lautes Männergelächter dringt an mein Ohr. Es gab eine Zeit in meinem Leben, in der ich ständig nur Männer lachen hörte. Unterschiedliche natürlich, welche, mit denen ich nie etwas zu tun hatte, weil sie Carries Bettgeschichten waren, Mamas schreckliche Dates … Aber mir schießen vor allem Erinnerungen an verlorene Freunde durch den Kopf; an Timmi, an Lille. An Harvey, denn obwohl wir zwei Jahre zusammen waren, waren wir davor befreundet, bis ich sogar dem ein Ende bereitet habe.
Meine Knie fühlen sich butterweich an, als die Schritte der Menschen im Flur sie hörbar ins Wohnzimmer führen. Mein Make Up von heute Morgen ist fast gänzlich verschwunden, meine Wangen glühen und ich spüre, dass sie wissen werden, wie hibbelig ich bin; da ist es völlig egal, dass man es mir vor lauter Melanin nicht ansieht, wenn ich rot anlaufe. Der V-Ausschnitt meines schwarzen Longsleeves ist nach unten gerutscht, während Tua und ich auf der Couch lagen. Schon möglich, dass ich nuttig rüberkomme. Ich zupfe notdürftig an meiner Kleidung. Das Warten auf Tuas Freunde, seit er das Treffen initiiert hat, war furchtbar genug, aber diese letzten Sekunden jetzt, bevor ich ihnen zum allerersten Mal gegenüberstehe, sind das Grauen. Meine Hände sind schwitzig, ich fühle mich als hätte ich Fieber. Tua kommt mit meinen Freunden aus, aber gelingt mir das auch bei seinen?
Vor mir ragen nun unmittelbar die drei Kerle auf, von denen alles abhängt.
"Iara, das sind Vadim, Momo und Hannes", stellt er sie mir von links nach rechts vor. Tua selbst hat sich zwischen Momo und Hannes eingereiht. Purer Zufall oder ist Vadim nur Momos Anhängsel? Er sieht blass aus und dünn, aber nicht schmächtig oder ungesund. Die Ringe unter den grünbraunen Waldaugen sind tief. Die Farben darin leuchten mystisch, fast wie in einem verzauberten Feenhain; seine Haare sind hell wie prickelnder Champagner und an den Seiten feiner. In der Hand hält er ein zerfleddertes Buch, dessen Titel ich nicht lesen kann. Einerseits, weil seine Hand ihn halb verdeckt, andererseits, weil es eine andere Sprache ist, Russisch vermutlich. Die Schrift identifiziere ich als kyrillisch. Vadim sieht freundlich aus, er scheint bloß schüchtern zu sein.
Momo ist der Einzige, dessen Lippen ein mildes Lächeln umspielt. Dabei sieht er wie der Grobschlächtigste von Tuas Freunden aus. Er ist groß, breit und muskelbepackt, bestimmt bringt er um die hundert Kilo auf die Waage. Wenn ich raten müsste würde ich auf türkische Wurzeln tippen. Seine Gesichtszüge sind ungeahnt sanft im Vergleich zu seiner auffälligen Statur.
Hannes, der Letzte im Bunde, hat blaugraue Augen, die von ihrer Mandelform her stark denen meines Freundes ähneln. Volles, glattes Haar, gestutzt und minimal frisiert, nicht zu ordentlich; irgendwas schwankend zwischen dunklem Blond und kühlem Braun, je nachdem, wie das Licht auf sie fällt. Sein Gesicht wirkt härter, als das der anderen, was auch daran liegen wird, dass es kantiger und markanter ist. Ausgeprägte Kieferlinie, definierte Nase, die schonmal gebrochen war, hervorstehende Wangenknochen, gerade Augenbrauen an der Grenze zu buschig. Er sieht gut aus, ist ein paar Zentimeter kleiner als Tua und … Er ist unnahbar. Jemand, der offensichtlich niemandem auf Anhieb vertraut. Seine Körperhaltung ist ablehnend, seine Arme sind vor der Brust verschränkt.
"Jungs, das ist Iara, meine Freundin." Ursprünglich hatte ich mich immer darauf gefreut, dass Tua diesen Satz einmal zu seinen Jungs sagen würde. Nichtsdestotrotz fühlt es sich komisch an.
"Hey", richte ich mich auf und schüttle allen die Hand. Momo traue ich mich dabei sogar anzulächeln, was er mit einem breiten, wohlwollenden Grinsen quittiert.
"Wollt ihr was trinken?", spielt Tua sich als Gastgeber auf.
"Ich hab was mitgebracht." Hannes seilt seinen Rucksack von der Schulter ab. Glasflaschen reiben darin aneinander, das Geräusch kenne ich.
"Trinkst du, Iara?", fragt er mich. Ich werte es als gutes Zeichen, dass er sich meinen Namen gemerkt hat und nicke. "Wenn es darum geht, bin ich simpel gestrickt. Wodka gemischt mit Saft und ich bin dabei."
"Trifft sich fantastisch", präsentiert er mir eine Flasche meiner Lieblingsspirituose. "Das Hindernis ist eher der Saft."
"Es ist Orangensaft da. Ich hole Gläser", sagt Tua.
"Ich helfe dir", laufe ich ihm schnell hinterher. Er legt einen Arm um meine Taille und küsst mich auf die Schläfe. Vermutlich fragt er sich, ob ich hiermit einen Fluchtversuch starte.
"Alles okay?", erkundigt mein Freund sich, während er mir vier Schnaps- und fünf der typischen Pokalgläser von Ikea reicht.
"Ja", küsse ich ihn selbstsicher auf die Wange, dann kehre ich zurück zu den anderen. Tua ist mir dicht auf den Fersen. Er will eine Erklärung, warum ich ihm gefolgt bin. Ich halte es für nicht besonders ratsam, jetzt davon anzufangen. Es würde mir nur vor Augen führen, wie aufgeregt ich wirklich bin. So aufgeregt, dass ich mich kurz daran erinnern wollte, wie unangebracht meine Nervosität ist. Sowas kann ich nicht gebrauchen, sonst steigere ich mich in eine ausgewachsene Panik rein. Außerdem sind das verdammt nochmal Tuas Freunde und das aus gutem Grund. Ich habe die Gelegenheit an diesem Abend drei neue, interessante Menschen kennzulernen, versuche ich mich kläglich zu motivieren.
"Wünsche?", fragt Hannes mich, als wir die Gläser verteilt haben.
"Nope", lasse ich ihm freie Hand.
Er schenkt uns allen, abgesehen von Tua, einen Whiskey ein. "Cheers", prostet er mir zu, bevor er ihn runterkippt.
"Ich kenne Tua vom Boxen und er ist mehr als ein Freund, er ist mein Bruder. Entschuldige also, dass ich dir kritisch auf den Zahn fühlen werde. Dafür der Alkohol. Damit du lockerer wirst", gestikuliert Hannes zu den Flaschen, die er vor sich auf dem Couchtisch aufgereiht hat.
Er will mir kritisch auf den Zahn fühlen? Na, das kann ja heiter werden. Konsterniert räuspere ich mich. "Und ihr? Woher kennt ihr ihn?", wende ich mich an Momo und Vadim. Es könnte ein Fehler sein, Hannes zu übergehen, aber ich gerate schon ins Schwitzen, wenn ich ihn nur anschaue. Ich kann mir nicht helfen, ich finde, er ist wirklich unangenehm. Tua hatte Recht.
"Aus dem Kindergarten", antwortet Vadim auf meine Frage. Sein osteuropäischer Akzent ist ausgeprägt, aber die Grammatik korrekt. Seiner kurzen Bemerkung fügt er nichts hinzu. Er ist also nicht schüchtern, sondern bloß wortkarg. Er kennt Tua schon fast sein ganzes Leben lang, als Außenseiter der Gruppe kann man ihn also kaum bezeichnen, er ist einfach um einiges in sich gekehrter als der Rest.
"Ich bin Türsteher, musste ihn mal aus einer Schlägerei rauszerren", erzählt Momo seine Geschichte.
"Worum ging's?" Ich schaukle den Whiskey in meinem Glas.
"Ein paar Typen haben rumgepöbelt", antwortet Tua anstelle seines Kumpels. "Haben Hannes damalige Freundin und Mascha beleidigt und einen auf dicke Hose gemacht. Vollidioten."
"Da kenne ich noch ein paar", wirft Momo schmunzelnd ein.
"Halt doch dein Maul, Dicka", lacht Hannes. "Wir haben dir mit Mehmet geholfen, du uns mit den Drecksäcken. Es war fair."
"Stimmt. Kaum vorzustellen, ich weiß", wendet er sich an mich, "aber mein kleiner Bruder Mehmet ist noch größer und schwerer als ich. Er ist zu jung für den Club, bei dem ich arbeite. An dem Abend als ich Tua und Hannes kennengelernt habe, wollte er unbedingt rein. Mein Kollege hat seine Raucherpause gemacht, ausgerechnet da fing Mehmet an zu randalieren. Er hasst mich, weil er pubertiert und deshalb gerade so ziemlich alles hasst. In zwei Jahren ist es vorbei, verspricht meine Mutter mir immer, weil's angeblich bei mir so war. Jedenfalls: Mit zwei Boxern auf deiner Seite stehst du nicht mehr ganz so scheiße da."
"Du bist familienbewusst?", frage ich ihn und sie grinsen mich frech an.
Momo schüttelt lachend den Kopf über das plötzliche Aufstöhnen seiner Freunde. "Wer ist das denn nicht? Ja, kann man so sagen, ich bin familienbewusst."
"Du übertreibst maßlos, Dicka", meint Hannes, wofür Tua ihm die Ghettofaust hinhält.
"Ich habe eine Frau, einen Sohn und eine kleine Tochter, sieben und vier", erklärt er, "und ich könnte den ganzen Tag von ihnen reden, aber wir sind hier, um dich unter … die Lupe zu nehmen?", schaut er fragend zu Vadim rüber, der bedächtig nickt.
"Seid gnädig mit mir, ich muss mich erst akklimatisieren", kichere ich. Um Himmels Willen, ich klinge wie eine von Bastians Püppis. Der Whiskey haut rein, das muss starkes Zeug sein, was Hannes da mitgebracht hat. Tua bemerkt es ebenfalls und mustert das Etikett der Flasche.
"Jo, Bruder, hör auf diesen billigen Fusel zu kaufen, ernsthaft", rügt er Hannes und verpasst ihm eine Kopfnuss.
"Verträgt sie?", zeigt der auf mich.
"Mittelmäßig. Füllst du sie ab, breche ich dir jeden Finger einzeln", droht Tua.
"Okay, kein Whiskey mehr für mich", hebe ich die Hände. Einen Streit wegen mir und meiner Trinkgewohnheiten zu entfachen, würde bestimmt keinen positiven Eindruck bei ihnen hinterlassen - Doch genau um den geht es mir.
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