17. Kapitel
Meridea kniete vor der Feuerstelle und fegte die Asche zusammen.
Niemand hatte sie darum gebeten, aber es erschien ihr irgendwie falsch, dass sie nicht arbeiten sollte wie alle anderen auch.
Karosh war mit den Männern auf die Jagd gegangen und hatte Makuc mitgenommen. Sie nahm an, dass er seinen ältesten Enkel besser kennen lernen wollte.
Makuc hatte sie nur kurz gesehen und er war nicht erfreut darüber gewesen, dass sie ihn kaum mit ihr haben sprechen lassen. Sie selbst hätte sich gerne wieder an ihn geschmiegt, aber das wäre dann doch zu viel für die Familie gewesen. So hatten sie sich damit begnügen müssen, sich nur gegenüber zu stehen und zu reden. Und selbst das war schwierig, da immer eine Tante oder Eleve bei ihnen gestanden hat.
Sie seufzte frustriert auf.
Am liebsten hätte sie die Pferde und Makuc genommen und wäre wieder fort geritten. Und sie wusste, dass Makuc auch so dachte.
„Es ist nicht leicht, wenn man den Mann nicht nahe kommen darf, von dem man weiß, dass er derjenige ist, der für einen bestimmt ist. Habe ich Recht?"
Erschrocken plumpste Meridea auf ihren Po.
Sie hatte nicht bemerkt, dass Tori sich hinter sie auf einen Schemel gesetzt hatte.
Tori lachte leise.
„Mir ging es genauso."
Meridea blieb einfach auf dem Boden sitzen.
„Aber du und Karosh habt bestimmt nicht..."
Tori lachte nun lauter.
„Oh, Neva! Natürlich haben wir uns im Heu gewälzt. Ich war die Tochter eines angesehenen Kaufmanns und Karosh der zukünftige Großkönig. Jede Frau wollte ihn. Ich hingegen nicht. Das hat ihn geärgert!"
Meridea riss die Augen auf.
„Und trotzdem? Warum das?"
Tori holte einen Krug Milch und goss zwei Becher ein.
„Komm, meine Kleine. Setze dich zu mir. Ich denke, wir zwei sollten uns unterhalten. Und dann sehen wir, wie wir das Problem mit meinem Enkel angehen. Weißt du, ich kann dich gut verstehen. Er sieht verdammt gut aus. Diese dunkle Haut und dazu diese blauen Augen. Da kann man schon schwach werden!"
Meri setzte sich zu ihr an den Tisch.
„Ich habe mich nicht in sein Aussehen verliebt, meine Königin! Es war ganz anders."
Tori schnaubte.
„Da ich denke, dass du meinen Enkel heiraten willst, kannst du mich auch jetzt schon Nana nennen. Außerdem führen wir ein Gespräch unter Frauen, nicht von Königin zu einer Untergebenen." Sie beugte sich gespannt nach vorne. „Und nun erzähle es mir. Wie hast du Makuc kennen gelernt?"
Sie erzählte es ihr und Nanas Augen wurden nach einer Weile verträumt. Aber auch manchmal ärgerlich, besonders als sie ihr erzählte, wie es ihr als Sklavin ergangen war. Doch sie wurde friedlicher, als sie erfuhr, wie fürsorglich ihr Enkel gewesen war.
Sie trank einen Schluck Milch.
„Wenn du mich fragst, solltest du diese Geschichte deinem Vater erzählen!"
Meri seufzte.
„Wenn ich überhaupt die Tochter bin, die er sucht!"
Nana strich ihr über die Hand.
„Oh, Kindchen. Tulutt und Liva werden es wissen. Und erst dein Zwillingsbruder..."
Sie starrte Nana an.
„Zwillingsbruder?"
Nana nickte.
„Ja, aber das wirst du erfahren, wenn sie da sind. Es ist nur seltsam, dass du dich an gar nichts erinnerst. Aber ich habe auch darüber nachgedacht. Du warst nur einmal hier und damals warst du noch jung! Sehr schade, dass wir dir nicht gleich bestätigen können, ob du die Tochter von Tulutt und Liva bist. Selbst dein Zwillingsbruder...er ist mittlerweile ein Mann. Du siehst ihm zwar ähnlich, aber man kann es schlecht einschätzen!"
Meridea nickte.
Sie konnte sich noch nicht mit dem Gedanken anfreunden, dass sie wirklich zu dieser Familie gehören sollte. Sie hatte angenommen, dass ihr Vater ein normaler Bürger war, aber nicht der König eines nordischen Landes. Aber auch ihr machte immer noch Sorgen, dass sie sich nur an Fragmente erinnerte.
Um sich abzulenken brachte sie ein anderes Thema zur Sprache,
„Wie ist es gekommen, dass du Karosh doch geheiratet hast? Du hast gesagt, dass du ihn gar nicht wolltest!"
Nana lachte.
„Das war eine seltsame Geschichte. Wie gesagt, war ich nicht an ihm interessiert, obwohl er mir den Hof gemacht hat. Mein Vater war deshalb böse mit mir, denn er versprach sich viel von einer solchen Verbindung. Aber ich war stur. Karosh schickte mir jeden Tag Geschenke. Doch ich weigerte mich ihn überhaupt zu sehen. Ich habe ihn auch zuvor nur von weitem gesehen, aber habe ihn nicht erkannt. Besser gesagt, ich habe ihn mir nicht richtig angeschaut. Ich habe gehört, dass er arrogant sein sollte. Und rechthaberisch. Wie ein Prinz eben. Und ich war nicht daran interessiert ein nettes Beiwerk für einen arroganten Gockel zu werden. Deswegen ließ ich die ganzen Geschenke wieder in den Palast zurückschicken und weigerte mich auch, seine Einladungen anzunehmen. Eines Abends war ein Fest im Palast. Meine Familie und ich gingen natürlich dorthin, weil wir eingeladen wurden. Ich hatte wirklich viel Spaß und war froh, dass Karosh nicht in der Nähe war. Sonst wäre ich auch nicht hin gegangen. Es hieß aber, dass er auf der Jagd war und erst einige Tage später wieder kommen sollte. Deswegen war ich beruhigt. Ich tanzte mit vielen jungen Männern. Dann, nach einer geraumen Zeit, kam ein junger Mann und forderte mich freundlich zum Tanz auf. Er war schüchtern und er gefiel mir sofort. Er trug nur einfache Kleidung und sprach mit mir über alles Mögliche. Die anderen hatten nur über sich erzählt und gaben an, was sie doch für gute Männer wären, doch er wollte viel über mich wissen. Er erzählte kaum etwas von sich. Ich war geschmeichelt, weil er sich wohl wirklich für mich interessierte. Er wollte wissen, was mir gefiel. Ob ich Schmuck mochte. Oder schöne Kleider. Ich verneinte alles, denn das wollte ich alles nicht. Ich erzählte ihm, dass ich gerne malte, aber mein Vater mir kein Papier oder Kohlestifte gab, weil er der Meinung war, dass es ein unnötiger Zeitvertreib sei. Ich erzählte so einiges und er hörte mir zu. Als der Tanz beendet war, fragte er, ob ich noch einmal mit ihm tanzen würde. Da sich seltsamerweise kein anderer Mann anstellte, sagte ich zu. So tanzten wir den ganzen Rest des Abends. Es war sehr schön einmal nicht nur als künftige Braut angesehen zu werden, sondern als gleichberechtigte Partnerin."
Meridea konnte sich schon denken, wer der Fremde gewesen war, aber sie hörte weiter zu.
„Das Fest ging vorüber und ich hatte erwartet, dass er mich fragt, ob er mich wieder sehen durfte. Aber er fragte nicht, was mich etwas enttäuschte. Am anderen Tag fand ich allerdings ein kleines Päckchen vor der Haustür mit meinem Namen darauf. Als ich es öffnete, fielen mir schon die Kohlestifte entgegen. Und Pergamentpapier. Ich wusste natürlich sofort, dass es von dem Fremden war, obwohl ich immer noch nicht seinen Namen wusste. Jeden Tag fand ich nun so eine Kleinigkeit. Eine Blume, einen Keks, nicht so viel, wie es mir der Prinz geschickt hatte, aber etwas, was mir persönlich am Herzen lag. Und immer war ein kleiner Zettel dabei, auf den er wirklich liebe Worte geschrieben hatte. Ich verliebte mich in den jungen Mann, obwohl ich nicht einmal wusste woher er kam oder wer seine Familie war. Ich erwischte mich immer wieder, wie ich nach Frauen Ausschau hielt, die seine Mutter hätten sein können, doch niemand passte zu ihm. Keiner hatte solche blauen Augen. Schon damals hätten mir die Augen auffallen müssen, aber ich tat es als Zufall ab. Wie sagt man so schön? Ich war blind vor Liebe! Ich fing sogar an, ihm kleine Geschenke zu machen, die ich am Abend vor die Tür legte. Ich zeichnete ihm verschiedene Tiere, schenkte ihm ein Tuch von mir und nähte ihm sogar ein Hemd."
Nana seufzte leise.
„Eines Tages sagte ich meinem Vater, dass ich diesen Mann heiraten wollte. Ich hatte damit gerechnet, dass mein Vater wütend werden würde, denn der Prinz hatte seinen Heiratsantrag noch nicht zurückgezogen, aber er lachte nur und war damit einverstanden. Er versprach mir, dass er den jungen Mann, dessen Namen ich immer noch nicht kannte, aufsuchen würde und ihm meine Absichten erklären würde. Mein Vater schien ihn zu kennen. Auch das machte mich nicht stutzig."
Meri legte den Kopf auf die Tischplatte und hörte weiter zu. Das war so eine schöne Geschichte.
„Eines Abends klopfte es an mein Fenster. Ich schaute heraus und da war der junge Mann. Er legte einen Finger auf den Mund und nahm mich mit. Erst als wir in einer verlassenen alten Scheune waren, redete er mit mir. Er sagte mir, dass er glücklich war, dass ich ihn heiraten wollte. Nun ist es der Brauch, dass sich die Brautleute eine Woche nicht sehen durften. Aber er würde das nicht aushalten. Wir trafen uns jede Nacht in dieser Scheune."
Sie zwinkerte Meri zu.
„Die gibt es immer noch! Ich erkläre dir später den Weg!"
Meri schnappte nach Luft. Wollte Nana etwa, dass sie Makuc...nein...das konnte nicht sein.
Nana erzählte unbeirrt weiter.
„Dann kam der Hochzeitstag. Wie du weißt, werden alle Hochzeiten im Palast gefeiert. Deswegen machte ich mir keine Gedanken, als ich dorthin gebracht wurde. Was mich stutzig machte, war, dass die königliche Familie anwesend war. Die Zeremonie begann und ich lief zu dem Altar und dem Druiden, der uns trauen sollte. Dann sagte er den Namen meines zukünftigen Mannes und ich erstarrte. Der Fremde war niemand anderes als Karosh. Als ich seinen Namen erfuhr, ohrfeigte ich ihn und lief davon. Natürlich lief er mir hinterher. Er fragte mich, ob ich ihn nicht mehr lieben würde, nur weil er der Prinz ist. Ich war wütend, weil er mich herein gelegt hatte. Ich erklärte ihm, dass ich ihn lieben würde, ich den ganzen Rummel aber nicht wollte. Weißt du, was er da gemacht hat?"
Meri schüttelte den Kopf.
„Er holte sein Pferd und nahm mich mit zu einem alten Druiden, der weit weg von der Stadt lebte. Dort ließen wir uns trauen. In aller Stille. Und unsere erste Nacht verbrachten wir in der Scheune. Erst am nächsten Tag erklärte Karosh, dass ich nun seine Prinzessin war und dass ich wünschte, dass alles normal verlief. Es war wohl die ungewöhnlichste Hochzeit, die das nordische Königshaus bis dahin erlebt hatte, aber nun war ich Karoshs Frau und er liebt mich bis heute. Und soll ich dir was sagen? Noch heute finde ich kleine Geschenke in meinem Bett. Besonders, wenn er nicht hier sein kann! Und meine Ohrfeige ist so etwas wie eine Tradition geworden. Jede Frau, die einen Prinzen oder König heiratet, gibt ihm vor dem Druiden eine Ohrfeige."
Beide Frauen lachten. Dann nahm Nana ihre Hand.
„Mädchen, ich weiß, wie du dich fühlst. Du willst mit Makuc zusammen sein, wie ich damals mit Karosh. Sein Großvater wird es ihm wahrscheinlich auch erzählen. Und wenn ich mich nicht irre, solltest du heute Nacht auf Makuc warten. Denn ich denke, die Scheune wird ab heute Nacht wieder in Benutzung sein. Ich habe zumindest veranlasst, dass frisches Heu bereit liegt. Außerdem noch ein paar Decken. Aber seit morgen in der Frühe wieder da. Tulutt kann nun jeden Tag kommen. Und auch wenn er damals über seinen Bruder Witze machte, findet er es bestimmt nicht so lustig, dass seine Tochter dasselbe erlebt! Und vor allem erzähle dem Großkönig nichts. Er hatte sich zwar selbst nicht an die Traditionen gehalten, aber er will es sich mit seinem Bruder nicht verscherzen."
Sie zwinkerte Meridea zu und verließ die Küche.
Meri seufzte.
Eine Nacht mit Makuc?
Das wäre zu schön um wahr zu sein!
Makuc führte seinen Hengst zum Haus seines Großvaters. Der hatte ihm heute eine Geschichte erzählt, die er zwar nicht ganz glauben konnte, aber diese Scheune, die interessierte ihn. Er wusste sogar, wo sie war.
Heute Nacht würde er mit Meri verbringen.
Als Orrav ihn schelmisch fragte, wo er denn jetzt noch hinwollte, sagte er nichts. Orrav hatte nur gegrinst und ihm viel Glück gewünscht.
Und nun war er vor dem Haus seines Großvaters.
Verdammt.
Welches Zimmer hatte Meri? Alles war dunkel. Vermutlich schliefen schon alle.
Er ging um das Haus herum, aber er fand keinen Hinweis.
„Pst!"
Er drehte sich um und meinte, sein Herz würde stehen bleiben. Sein Großvater stand an der Haustür und winkte ihn zu sich.
„Großvater! Ich...ich...", stammelte er, doch der Großkönig grinste ihn an und zeigte auf ein Fenster.
„Dort ist ihr Zimmer! Aber verrate deiner Nana nichts. Ich glaube nicht, dass sie damit einverstanden ist!"
Makuc versprach es ihm und kletterte zu dem Fenster hinauf. Gut, dass es nicht ganz so hoch war.
Er klopfte leise an und sofort sprang das Fenster auf.
„Du hast dir ja verflucht viel Zeit gelassen!"
Makuc starrte sie verblüfft an.
„Du wusstest, dass ich kommen würde?"
Sie zwinkerte ihm zu.
„Nana hat mir da heute eine Geschichte erzählt...."
Makuc hob seine Hand.
„Wahrscheinlich dieselbe, die mir der Großkönig erzählt hat. Willst du mit?"
Sie lachte leise und schwang ihre Beine nach draußen.
„Das fragst du noch?"
Sie hüpften beide vom Fensterbrett herunter und rannten zum Pferd.
Die Wachen nickten ihnen nur müde zu, als sie die Stadt verließen und zu der Scheune ritten.
„Destraw!"
Destraw stöhnte leise auf und drehte sich um.
Es war mitten in der Nacht und er hatte immer noch Schmerzen. Ihm kam es vor, als ob er gerade erst vor ein paar Minuten eingeschlafen wäre.
Hatte ihn wirklich jemand gerufen?
Er sah zu der Pritsche, auf der Humar und seine Frau lagen.
Salea schlief tief und fest, aber Humar war nicht auf der Pritsche. Destraw setzte sich auf und schaute sich in der Zelle um.
Der alte Mann saß unter dem kleinen vergitterten Fenster und starrte in den roten Himmel.
Nun war Destraw ganz wach. Humar konnte sich eigentlich kaum bewegen vor Schmerzen. Wie hatte er es geschafft, alleine bis ans Fenster zu kommen?
„Humar? Was machst du hier unten? Bist du von der Pritsche gestürzt?"
Humar schüttelte den Kopf.
„Nein, mein Junge! Oh, das sollte ich nicht sagen, da du ein Mann bist! Aber bei dir und Makuc rutscht es mir immer wieder hinaus!"
Destraw versuchte auf zu stehen. Er schaffte es erst beim zweiten Anlauf.
„Das macht mir nichts. Komm, ich bringe dich wieder ins Bett!"
Der alte Mann lachte. Es war kein fröhliches Lachen.
„Ich hatte mir immer einen Sohn wie dich oder Makuc gewünscht. Aber leider war es uns nicht vergönnt eigene Kinder zu haben!"
Destraw ging zu ihm und Humar zog ihn zu sich hinunter, so dass Destraw neben ihm hockte. Es dauerte eine Weile, weil Destraw sich immer noch nicht richtig bewegen konnte, ohne Schmerzen zu haben.
„Hör zu! Ich habe den passenden Augenblick abgewartet und es tut mir leid, dass ich deinen Schlaf gestört habe. Aber ich muss dringend mit dir reden. Und zwar ohne das Salea zuhört!"
Destraw fragte sich, was es war, das Salea nicht wissen durfte.
Humar atmete schwer.
„Ich weiß seit langem, dass ich die Krönung unseres wahren Königs nicht mehr miterleben werde. Es wundert mich, dass ich jetzt noch lebe. Ich bin schon sehr alt und war schon krank, bevor ich in dieses Loch kam."
Destraw nickte.
Das war ihm durchaus bewusst gewesen, schon als er Humar im Kerker gesehen hatte.
„Wahrscheinlich habe ich es nur Makuc und nun Kazur zu verdanken, dass ich immer noch unter den Lebenden weile. Aber ich will das jetzt nicht weiter vertiefen. Ich werde bald sterben, doch ich will noch etwas Gutes tun. Deshalb habe ich dir einen Vorschlag zu machen."
Destraw sah ihn verblüfft an. Was meinte er damit?
„Ich habe mit dem Kerkermeister gesprochen, als er dich mal wieder zum Foltern abholen ließ. Ich habe ihm gesagt, dass ich bald nicht mehr da sein werde. Er hat mir zugesichert, dass Salea meinen Leichnam in einen Sack nähen darf."
Destraw nickte. Das war die übliche Vorgehensweise.
„Nun, sie hat auch die Erlaubnis, meinen Leichnam in die Wüste zu begleiten. Ich denke einmal, dass einige annehmen, sie wird es nicht überleben."
Destraw hob verblüfft eine Augenbraue.
„Sie darf dich begleiten?"
Humar nickte und lächelte dann.
„Und jetzt kommt mein Vorschlag. Wenn ich sterbe und sie den Leichensack hier her bringen, soll Salea dich einnähen. Legt meinen Körper auf deine Pritsche und polstert mich aus, so dass die Wärter meinen, du liegst noch dort. Du wirst nach draußen getragen und Kazur wird dich und Salea empfangen!"
Destraw schluckte hart.
„Das kann ich nicht annehmen!"
Humar packte ihn an den fadenscheinigen Kittel.
„Du musst! Du weißt selbst, dass du sonst hier nie lebend heraus kommst. Aber du musst Makuc erzählen, was hier los ist. Kazur weiß, wo er hin ist! Du musst zu ihm. Und du musst Salea mitnehmen."
Destraw atmete heftig.
„Aber wird es Salea auch tun? Wird sie dich zurücklassen?"
Er konnte es sich nicht vorstellen.
„Natürlich werde ich es machen! Es ist der Wunsch meines Mannes und ich werde ihn befolgen!"
Die beiden Männer erschraken, als Salea sich aufrichtete.
„Ich dachte mir schon, das Humar so etwas plant. Und ja, ich werde Destraw retten."
Humar atmete tief ein.
„Ich wusste, was für eine gute Frau du bist. Ich will, dass du Destraw begleitest und dort bleibst, wo er dich hinführt!"
Er wandte sich wieder an Destraw.
„Wie ich schon gesagt habe, wir haben keine Kinder! Wirst du mir versprechen, dass du auf Salea aufpasst, als wäre sie deine Mutter?"
Destraw nickte.
„Das werde ich! Egal, wo Kazur uns hinschickt, werde ich sie nicht aus den Augen lassen und sie ehren!"
Humar atmete tief ein.
„Gut! Dann kann ich in Ruhe sterben!"
Zwei Tage später verstarb Humar friedlich und sie führten seinen letzten Willen so aus, wie er es mit ihnen besprochen hatte.
Destraw war frei!
Fanfaren erklangen!
Makuc saß bei der königlichen Familie und erwartete das Eintreffen des Bruders von Karosh. Er hatte befürchtet, dass es Tulutt war, aber ein Bote war schon vor einer Stunde angekommen und hatte die Ankunft von Teslak gemeldet. Er musste zugeben, dass er so etwas wie Erleichterung verspürte.
Sie hatten sich alle in den Palast begeben und waren platziert worden, wie es ihrem Rang entsprach.
Makuc saß neben seinem Onkel Katur. Obwohl er gesagt hatte, dass er nicht der Thronfolger werden wollte, hatten Katur und Ognar darauf bestanden, dass er neben ihnen sitzen sollte. Warum das so war, hatte er nicht verstanden. Es hatte ihm auch keiner erklärt.
Jetzt beugte sich Katur zu ihm.
„Du wirst sehen, dass Onkel Teslak ein guter Mann ist. Aber seine Familie ist schrecklich. Seine Frau Side ist die eigentliche Herrscherin. Sie wird sich auch gleich beschweren, wegen was auch immer. Risac, sein Sohn, ist meiner Meinung nach zu ehrgeizig. Er hatte es auf den Posten von Orrav abgesehen, deswegen wird er ihn auch immer wieder niedermachen. Dass du jetzt hier bist, wird ihm nicht gefallen. Aber wir wollen, dass er gleich erkennt, wo dein Rang ist und ihm damit den Wind aus den Segeln nehmen! Und Ravley, die Tochter, nun, du wirst sehen, warum man sich vorsehen muss. Sie ist ein verwöhntes Ding, das immer alles bekommt, was es will."
Makuc hob eine Augenbraue.
„Ich glaube beinahe, dass es in jeder Familie so jemanden gibt."
Katur nickte.
„Ich bitte dich nur darum, dass du auf Orrav aufpasst. Er neigt dazu, sich von Risac provozieren zu lassen. Und dann muss ich ihn bestrafen, wie Side darauf besteht. Aber ich weiß, dass Risac ein Mistkerl ist und Orrav nur zu jung ist, um die Provokationen zu ignorieren."
Makuc nickte.
„Ich werde auf ihn achten!"
Er meinte das ernst. Orrav war kein übler Kerl, auch wenn er manchmal ein Großmaul war. Aber Makuc konnte ihn mittlerweile gut leiden und seit Orrav ihn deckte, wenn er Meri in die Scheune brachte, hatte Makuc das Gefühl, dass er ein richtig guter Freund werden könnte.
Wieder wurden die Fanfaren geblasen. Es war laut und es nervte Makuc.
„Ist das immer so?"
Ognar schnaubte.
„Nur wenn Onkel Teslak mit der gesamten Familie auftaucht. Ist er alleine, dann besteht er nicht darauf."
Die Tore wurden geöffnet und was Makuc erst sah, waren eine Menge Fahnen.
Er hörte kollektives Aufstöhnen und verärgertes Brummen von seiner Familie, bis sein Großvater schnaubte.
„Seid ruhig. Ich weiß, dass es zu viel ist, aber ich kann es niemanden verwehren, so auf zu tauchen."
Aber man sah ihm auch an, dass er diese Zurschaustellung verachtete.
Endlich kamen vier Leute nach vorne.
Der erste war wohl der besagte Onkel Teslak. Er war etwas kleiner als sein Großvater und auch rundlicher, um es nett aus zu drücken. Er hatte aber ein freundliches Gesicht und kam mit ausgestreckten Armen nach vorne. Etwa fünf Schritte hinter ihm lief eine Frau. Makuc konnte sie von dem ersten Augenblick an nicht ausstehen. Side war vielleicht mal eine gut aussehende Frau gewesen, aber nun war das nicht mehr so. Sie war dürr und ihr Gesicht war von Falten durchzogen, obwohl sie noch nicht so alt sein konnte. Ihre Kleidung war edel, aber nach Makuc Geschmack etwas übertrieben. Genau wie der ganze Schmuck, den sie um sich gehängt hatte. Sie blickte sich verkniffen und arrogant in der Halle um. Ihr Mund verzog sich, als ob sie Ekel verspüren würde, nur weil sie hier sein musste. Side sah aus wie die Unzufriedenheit in Person.
Dahinter liefen die Kinder.
Risac war in Orravs Alter. Er war nicht so groß, wie man es von der Familie eigentlich gewohnt war, aber er hatte die typischen eisblauen Augen, die aber auch diesen arroganten Ausdruck hatten, den auch seine Mutter innehatte. Kaum erblickte er Orrav begann er hämisch zu grinsen. Orrav, der hinter Makuc saß, schnaubte und wollte schon aufstehen, aber Makuc hielt ihn zurück, in dem er nur den Kopf schüttelte.
„Du kennst ihn nicht!", flüsterte Orrav.
Makuc nickte.
„Das ist wahr. Aber ich werde ihn bald kennen lernen. Und zwar wahrscheinlich näher, als mir lieb ist!"
Neben Risac lief seine Schwester. Sie war etwas jünger und im ersten Moment meinte man, sie wäre freundlich. Aber dann sah sie Makuc und ihre Augen wurden groß. Makuc stutzte, als sie sich über die Lippen leckte und ihn verwegen anlächelte.
„Oh je. Es sieht so aus, als ob Ravley dich begehren würde!", stöhnte Orrav.
Makuc schüttelte den Kopf.
„Ich will sie aber nicht und das weißt du!"
Orrav nickte.
„Ich weiß es! Aber sie wird alles versuchen, um dich zu bekommen."
Teslak war endlich bei Karosh angekommen und umarmte ihn herzlich.
„Bruder! Als ich deine guten Neuigkeiten gehört habe, kam ich sofort hier her. Aber es ist auch traurig, dass meine geliebte Nichte Sucatrap nicht mehr unter uns ist." Er senkte den Kopf. „Ich betrauere deinen Verlust, der nur durch die Ankunft deines Enkels gemildert werden kann!"
Er sah sich um und sein Blick blieb an Makuc haften.
„Das ist er? Ich muss sagen, ich habe etwas anderes erwartet, als einen so stattlichen Mann!"
Er lächelte Makuc zu und winkte ihn zu sich.
„Komm, Junge und begrüße deinen Onkel Teslak!"
Makuc stand auf und kam auf Teslak zu.
Er hörte, wie Side zischte.
„Ein Südler! Wie konnte sie es wagen, sich mit einem Südler einzulassen!"
Katur stand empört auf, doch Karosh hielt ihn zurück.
„Hast du etwas gegen meinen Enkel vor zu tragen? Meines Erachtens kennst du ihn nicht einmal!"
Side trat nach vorne.
„Das ist wahr! Aber ist es sicher, dass er auch wirklich dein Enkel ist?"
Makuc atmete tief ein! Das war eine Beleidigung gegen ihn und vor allem seine Mutter!
Er nestelte an seiner Tunika und legte sein Muttermal frei.
„Ich denke, das wird Beweis genug sein!", brummte er verstimmt.
Side keuchte auf, zog sich aber dann wieder zurück und neigte ihren Kopf. Risac wurde bleich.
Teslak kam auf ihn zu und umarmte ihn herzlich.
„Verzeihe bitte meiner Frau. Sie ist in der Hinsicht...nun ja...schwierig!", flüsterte er ihm ins Ohr.
Makuc nickte, obwohl ihm wirklich nicht danach zumute war. Nicht sein Onkel, sondern Side hätte sich bei ihm entschuldigen müssen. Aber er sah am Nicken seines Großvaters, dass er wohl richtig gehandelt hatte.
Karosh machte eine Handbewegung und Tische wurden aufgestellt.
„Wir wollen feiern! Die Ankunft meines Bruders und die Ankunft meines Enkels."
Makuc verkniff sich ein Grinsen, als er die sauertöpfische Miene von Side sah, weil Karosh weder sie noch ihre Kinder erwähnt hatte. Sein Großvater hatte es wirklich geschafft ihre Beleidigung zu erwidern, ohne dabei ausfällig zu werden. Auch wenn er vorher schon hoch in Makucs Gunst stand, so nahm er sich jetzt vor, seinen Großvater als Vorbild zu nehmen.
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