Wenn das Leben vergeht
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Durch einen erschreckten Atemzug tief in die Lunge eindringender Steinstaub bringt mich zum Husten, während ich die schützend über den Kopf gelegten Arme vorsichtig wage zu entfernen. Zum Glück kein Brocken fiel auf mich, aber dennoch, versperrt ist nun mein Weg durch viele von ihnen. Bis hinauf zur eingestürzten Decke stapeln sie sich und sind mitunter so gewaltig, dass ich sie niemals bewegen könnte.
Thorins panisches Rufen nach mir sickert gleichwohl durch jeden noch so kleinen Spalt. „Es geht mir gut!", informiere ich meine Gefährten sofort und versuche mich erneut aufzurichten. Nicht mehr ganz so stark brennt der Schmerz in meinem Fuß, aber dennoch kaum kann ich ihn belasten. „Schafft die Steine fort!", befiehlt Thorin und unvermittelt höre ich Poltern und Kratzen von der anderen Seite. Schnell können Zwerge arbeiten, sogar wenn sie dabei die größten Lasten stemmen müssen. Selber beginne ich einige wenige, die ich vermag zu heben, vorsichtig beiseite zu räumen, um ihnen dabei zu helfen.
Plötzlich aber streicht ein kalter Hauch über meinen verschwitzten Nacken. Ich drehe mich hoffnungsvoll um. Vielleicht gibt es am Ende des Tunnels einen weiteren Ausgang, der mich wieder ans Tageslicht bringt! Grabesschwarz und still liegt er vor mir. Kaum einen Umriss kann ich selbst mit geschärften Zwergenaugen erkennen. Doch dann blitzt auf einmal etwas in der fernen Dunkelheit auf: Zwei blutrote Punkte, verschwommen, dämmrig, kaum zu erkennen, aber dennoch erschrecken sie mich zutiefst. Erneut lässt mich ein eisiger Luftzug erschaudern. Wie das lange Ausatmen von etwas Schrecklichem fühlt er sich an.
„Irgendetwas ist hier!", rufe ich und ziehe trotz der Angst, die sich langsam in mich schleicht wie das Gift einer Schlange, mein Schwert. Unheimlich klirrt das Geräusch an den Wänden entlang und breitet sich entsetzlich laut in dem Gang aus. Die Lichtpunkte beginnen sich daraufhin zu bewegen, schwanken hin und her, werden heller und wieder dunkler.
Ein um seine Hilfe flehender Name kommt vom aufkommenden Entsetzen getrieben über meine Lippen. Fürchterlich dünn hört sich die Stimme an, nicht mehr als ein geflüsterter Hauch, der restlos von Steinwänden und Kälte verschluckt wird. „Wir kommen!", antwortet der Gerufene dennoch, so als schauderte ihn die Beklommenheit des Hilferufs, und treibt die anderen zur Eile an.
Ich begebe mich in Kampfposition, obwohl ich nicht weiß, was ich eigentlich bekämpfen muss ... ob ich es überhaupt kann. Noch immer schweben die beiden Punkte in der Dunkelheit. Starrend, unheimlich und kalt trotzend dem Feuer, das verderbend in ihnen lodert, als stamme es aus den lavaspeienden Bergen tief im Süden. Ein uralter, schrecklicher Hass auf alles was gut und schön ist, flutet den Gang, kriecht schwarz wie Pech in jede noch so kleine Ritze und legt sich schwer auf die Seele. Ich denke an Grabunholde, an Geister, Ghule, Dämonen, Nachtalben und anderes Grässliches und Monströses, das auf dieser Welt in Finsternis existiert, aber nichts von denen über die ich bislang las oder hörte oder die ich mitunter bereits erleben musste, pflanzte eine solche Furcht in mein Herz. Sie ist grauenvoll, quälend und hässlich. Wie eine eiserne Kette legt sie sich um mich, bannt mich, schneidet tief hinein in den zitternden Körper. Bei allem was mir bislang widerfuhr, noch nichts rief solch ein beengendes Gefühl des Entsetzens und der Hilflosigkeit hervor.
Und dann plötzlich, rasen sie schnell und scheinbar ungehindert von Schutt und Geröll auf mich zu. Eine gewaltige, harte Woge trifft mich und schleudert den darauf unvorbereiteten Körper gegen die Steinbarrikade. Der Schwertgriff entgleitet dadurch allzu leicht der erschlaffenden Hand. Verzweifelt ringe ich um Luft, denn die eisige Macht dieser Erscheinung lastet bitterlich schwer auf der Brust. Mit spitzen Klauen gleich gräbt sie sich langsam in mich. Tiefer und immer tiefer. Eisig kalt und hart und unbarmherzig. Unbehelligt von Stahl, Haut, Fleisch und Knochen. Blut quillt hervor. Heiß brennt es auf der langsam erfrierenden Haut.
Trotz meiner Angst und den Schmerzen blicke ich auf. Sehe diese rot glühenden Punkte direkt vor mir und den nebulösen Schatten, der sie in sich birgt. Augen ... es sind Augen, wird mir plötzlich bewusst. Lidlos. Flammend. Voller Hass und Zorn und dämonischer Leidenschaft, die mein Leben fordert. Ein namenloses Grauen. Keine Gestalt besitzt es, kein Angesicht, ist aber dennoch voller Bosheit. Nun bereits bis in mein tiefstes Innerstes drang seine krallenbewehrte Macht vor, ergreift das Herz, umschließt es mit einer Kälte, die bitterer nicht sein kann. Ein Schrei bildet sich in meiner Kehle, will mit aller Kraft hinaus, aber nurmehr ein klägliches Wimmern ist es letztendlich, denn Angst und Schmerz schnürte sie.
Voller Verzweiflung bete ich zu unserem Schöpfer, dass er mir einen Gedanken schicken soll, der mich rettet. Und tatsächlich. Die Erinnerung an eine Waffe, die ich noch bei mir trage und bislang nie gebrauchen musste, durchfährt mich. Mit zitternden Händen taste ich an meine Seite, umfasse den glatten Griff des Dolchs, den mir Dwalin einst schenkte, bevor wir aufbrachen. Aus Damast wurde er gefertigt. Ein ganz besonderes Material zusätzlich zu Edel- und Federstahl benutzen wir Zwerge zur Herstellung, die viel Geschick sowie Zeit erfordert. Tilkal findet sich in unscheinbar kleinen Mengen darin, eine eigentlich unmögliche Legierung aus Kupfer, Silber, Zinn, Blei, Eisen und Gold. Aulë erschuf es einst mit seiner Zauberkunst und verbarg wenig davon als besonderes Geschenk an seine Kinder im blauen Gestein der Ered Luin. Mühsam lässt es sich finden und abbauen und so voller magischer Kraft ist es, dass es selbst dem größten Feind, dem Ursprung alles Bösen, viele Jahrhunderte nicht gelang die darauf geschmiedeten Fesseln, mit dem die Valar ihn bannten, zu zerbrechen.
Schnell ziehe ich die Waffe - schwach grün leuchtet die Klinge in der Dunkelheit - und stoße sie nach vorne. Der Schatten beginnt daraufhin zu zittern, rot und heiß entflammt der Dolch, lässt das kalte Feuer der Augen verblassen, sodass es schwindet zu der allgegenwärtigen Finsternis des Ganges. Ein schriller, in seiner Schrecklichkeit kaum auszuhaltender Schrei hallt sich entfernend durch den Tunnel. Die Bitterkeit in meiner Brust aber bleibt, denn wenn auch die Klauen sich überhastet zurückzogen, tiefe, blutige, kalt brennende Spuren hinterließen sie.
Ich sinke hart zu Boden. Überall schmerzt es. Der Kopf ist leer und doch voller grässlicher Gedanken an Qual und Tod. Ich sehe Schlachtfelder. Zerfetzte Banner unbekannter Häuser wehend im Wind, der Rauch und die Geräusche des Sterbens in sich trägt. Lichtlose Minen. Elben, Menschen und Zwerge, mehr tot als lebendig, übersäht von eiternden Wunden und entsetzlich abgemagert, müssen in ihnen Zwangsarbeit verrichten. Überfälle. Grässliche Schmerzen. Quälende Verletzungen. Brechende Bande. Verrat, Schändung und Mord. All dieses Grauen auf der Welt. Es legt sich über mich. Sickert tief. Vergiftet den Körper. Das Herz schlägt verschwelend schwer in der Brust. Dunkelheit umschließt mich allmählich und alles wird dumpf ... verschwommen ... fern.
Aber dann sehe ich plötzlich wie der rot-gelbe Schein einer Fackel beginnt zu tanzen auf den schartigen Wänden. Thorin beugt sich über mich. Er sagt etwas, aber nicht verstehen kann ich seine Worte. Dennoch erkennen wie durch Nebelschleier, dass beispiellose Angst ihn heimsucht. Schließlich fühlen, wie er mich aufhebt. Seine starken Arme warm und beschützend. Mich ihnen vollkommen hingeben für die letzten Minuten meines Lebens möchte ich. Frieden in ihnen finden. All diesem Schrecken entkommen. Seine Brust an die er mich drückt hart. Der Herzschlag schnell, der Atem flach.
Hinaus aus dem Gang trägt er mich. Das Licht des Tages schmerzt trotz des bedeckten Himmels in den Augen, denn an es gewöhnen können sie sich nicht so schnell. Die Gänge zurück aus dieser verfluchten Festung rennt er mit mir entlang. Die Ranken, die an den Mauern kletterten, beginnen plötzlich zu zucken, lösen die Dornen die sich in Spalten und an Vorsprüngen festkrallten und schlagen um sich. Versuchen uns den Weg zu versperren. Ich lasse den schmerzenden Kopf an Thorins Schulter sinken, sehe über sie zurück und Dwalin direkt hinter uns. Voller Wut und Verzweiflung bekämpft er die zum Leben erweckten Zweige die Schlangen gleichen mit meinem Schwert, dass er aus Hoffnung nicht zurücklassen wollte, während ich seinen Dolch noch immer mit zitternder Hand umklammert halte.
Schließlich gelingt ihnen der Durchbruch und schnell hastet Thorin über die Brücke. Weg, nur weg von diesem Ort. Kaum den weichen Waldboden erreicht, lässt er sich mich noch immer in starken Armen haltend darauf sinken. Der schockgebeutelte Körper beginnt zu zittern, als die Wärme der Frühlingssonne auf ihn fällt. Erschrecken zeichnet Thorins Blick, während er mit ihm nun ob des, wenn auch schummrigen Lichts, vollkommen zu erfassen vermag, was alles an mir gemartert wurde. In Dunkelheit fallen seine Augen. Das Eiswasser nurmehr ein aufgewühlter Tümpel voller Trübsinn.
Ich spüre, wie Blut mich heiß und klebrig verlässt, über die eisigkalte Haut rinnt, aufgesogen wird von Stoff oder in dicken Tropfen fällt. Die Frische der Luft, wie sie bei jedem schweren, kaum ausreichenden Atemzug in mich strömt. Die Wärme seines Körpers. Seine Stärke, die es dennoch nicht vermochte mich zu retten. Langsam wird der Herzschlag, beruhigt sich, stimmt Leib und Seele milde, nimmt die Angst so wie ich erhoffte.
Oin beugt sich über mich, drückt die Hände auf das klaffende Loch in meiner Brust, versucht mit seinem unerschütterlichen Glauben das Unausweichliche zu stoppen. Er schreit nach Verbänden und getrockneter Schafgarbe, um die Blutung zu stillen. Bekannte Schritte entfernen sich schnell, Balin bewahrt einen klaren Kopf, selbst in dieser Situation. Noch immer sehe ich auf zu Thorin. Vollkommen Schwarz erscheinen seine Augen, so voller Schmerz, Angst und Kummer. Meinen Tod erkenne ich in ihnen. Quälend ist er. Unabwendbar. Nicht mehr fern. Eine neue tiefe, grässliche Wunde wird er vermutlich reißen in sein Herz. Gewichtige Schuld laden auf seine ohnedies bereits übermäßig belasteten Schultern.
Er legt eine blutige Hand an meine Wange, sagt etwas. Seine Stimme entflieht. Ist nurmehr ein verzerrtes, dumpfes Wispern. Bleib bei mir, fleht sie. Wie gern würde ich es. Wie gerne würde ich sehen, wie er eines wunderschönen Tages König wird. Stattlich gekleidet in Ornat, Gold und Silber. Wie er unser Volk in neue, glückliche Zeiten führt. Wie er sein Lachen wiederfindet. Irgendwann einmal, denn nicht auf immer wird sein Leben getrieben sein von Kummer und Verlust. Aber verwehrt bleibt es mir.
Ein darüber trauriges Lächeln ist es, was ich ihm einzig zum Abschied schenken kann ... dann, wird alles schwarz und still ... und so friedlich im Angesicht des Totenwächters, der wie ein wohltuender Dämmerungsschatten nach einem schwülen Sommertag über mich kommt und mit sich nimmt in das Land der Unsterblichkeit ... dort wohin alle gelangen, wenn ihr Leben verging.
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