Versperrte Pfade
Je höher wir über geschlungene Pfade hinauf in die Berge gelangen, umso gefährlicher werden sie. Oft führen sie an schroffen Klüften, deren Gründe man nicht sehen kann, entlang und bieten gerade einmal so viel Breite, um die Pferde zu führen. Jeder noch so kleine Fehltritt von ihnen oder uns könnte der Letzte sein. Gesteinsbrocken poltern zum Glück immer vor oder hinter uns mit viel Getöse und begleitet von Geröll die steilen Hänge hinab. Ab und an kommen wir an Höhlen vorbei die sich tief hinein schlängen in die Bergflanke, aber Thorin verbietet uns in ihnen Unterschlupf zu suchen, denn selten sind sie unbewohnt. Allerdings kein anderes Geschöpf sehen wir, außer Steinböcke die weit entfernt auf begrünten Hochebenen grasen und flink über den Fels kriechende Salamander mit schwarz-glänzender Haut.
Karg sind die Mahlzeiten am Ende eines Tages, denn für viele Wochen auch nachdem wir die Berge verließen, müssen die Vorräte noch reichen, und bitterlich kalt die Nächte. Häufig erinnere ich mich wie ich es vorausahnte an die wohlig warmen Stuben von Luisannes und Brunis Hobbithöhle, in denen es immer nach Essen duftete und Heimeligkeit wohnte. Mit knurrenden Magen rufe ich mir den Geschmack von süßen Apfelkuchen mit Zimt und herben Pilzpasteten und zuckerbunten Naschereien in Gedanken und verzweifle daran, sobald ich den faden Brei betrachte, der in meiner Schüssel vor sich hin klumpt.
Fast einen halben Monat bereits durchqueren wir die Mulde die einst eine gewaltige Fläche aus reibenden Eis zwischen Caradhras, der hoch und rot links von uns aufragt und Celebdil, dessen graues Gestein wie Silber in der Höhensonne glänzt, gefurcht hat. „Seht, dort oben ist Durins Turm!" Balins Stimme zittert gepackt von Ehrfurcht und unsere erwartungsvollen Blicke folgen seinen weisenden Finger hinauf zu einem Gebilde am Gipfel der Zirak-zigil. Die Mittagssonne blendet mich und nachdem ich sie mit der Hand abschirmte, erkenne ich das aufragende Bauwerk klar und deutlich trotz der Entfernung sich von dem blauen Himmel absetzen. Eindrucksvoll ist der ehemalige Wachturm, der obwohl eindeutig von Zwergenhand geschaffen, sich mit seinen kantigen Säulen und Scharten vollkommen in den spitz-gewundenen Gipfel des Berges bettet. Weit über die Welt wird der Blick von dort oben schweifen können, wenn Wolken ihn nicht verhängen.
„Nur einmal möchte ich die Endlose Treppe nehmen, die sich schlängelt hinauf von der tiefsten Halle Morias nach dort oben." Oin hinter mir blinzelt gegen die Helligkeit, murmelt den Wunsch scheinbar nur für sich selber und oh wie kann ich seinen Traum nachvollziehen und erhoffe, dass er sich diesen irgendwann einmal zusammen mit Balin erfüllen kann. Plötzlich aber durchzuckt den Körper ein bekannter Schmerz und unversöhnliches Grauen erfüllt mich. Schatten und Flammen vernebeln die Sicht und bitterliche Kälte ergreift das Herz. Schreie erklingen schrill, erfüllen eine tiefe Kammer mit ihrem Schrecken. Unendlich viele Pfeile surren. Lichter blitzen auf. Dreimal. Kurz und dennoch schrecklich-schön. Erst eine Hand an meiner Schulter vermag die unerklärliche Erscheinung verlöschen zu lassen. Balin sieht mich sorgenvoll an. „Alles in Ordnung, Mädchen?", fragt er und ich bejahe erstickt, obwohl das Gefühl des Grauens bleibt. Wieso nur auf einmal herrscht und bettelt der Drang in mir eindringlich, dass ich ihn und Oin anflehen möchte die Träume die sie haben und dessen Erfüllen ich eben noch so inniglich wünschte, aufgeben mögen.
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„Und nun?", fragt Dwalin und steht schulterzuckend vor Ratlosigkeit einer hohen Wand aus roten und grauen Felsbrocken gegenüber. Keinesfalls wie das Ergebnis eines Hangabganges scheint mir die Anordnung der Steine, eher wie willentlich mit Arglist dort hindrapiert von großen, außerordentlich starken Händen. Über die gesamte Breite der Schlucht in die wir zu Beginn des Tages hinabstiegen, scheint sie zu gehen und so hoch ragt sie hinauf in den blauen Himmel, dass wir auch nicht darüber klettern können, schon gar nicht mit den Pferden und dem vielen Gepäck.
Thorin reibt sich verzweifelnd über die Augen. Schneller als gedacht kamen wir bislang voran, haben vermutlich nur noch wenige Tagesmärsche bis zum Schattenbachsteig vor uns ... und jetzt das. „Wir sollten hier rasten", sagt er schließlich und blickt sich noch einmal um, „vielleicht sehen wir morgen früh mehr." Schlecht finde ich diesen Einfall. Unerklärliche Unruhe herrscht in mir, ganz so, als wären wir überall sicherer als hier. Zurück schweift mein Blick, aber bereits im aufziehenden Nachtschatten liegt der ferne Steig, den wir hinabkamen und zurückgehen könnten, um einen anderen Weg zu suchen. Sowieso bald hätten wir ein Lager aufschlagen müssen.
In dieser Nacht schlafe ich nicht viel. Immer wieder obwohl meine Wache bereits vorbei ist, richte ich mich auf, horche in die Dunkelheit, spähe mit den Zwergenaugen durch sie hindurch und beobachte die Umgebung. Aber nichts höre und sehe ich. „Macht dir keine Sorgen", murmelt Dwalin plötzlich neben mir, den Rücken aber weiterhin mir zugewandt, „weit weg sind wir von den bekannten Mundlöchern der Orks und so weit nach Osten gehen sie nicht." Er will mich beruhigen, mir die Angst nehmen, die er wohl nur allzu deutlich spürt. „Dennoch habe ich ein ungutes Gefühl ... nenne es weibliche Intuition ... irgendetwas ist hier eigenartig. Hast du nicht gesehen, dass die Steine sorgfältig aufeinandergestapelt wurden, ganz so, als hätte jemand diese Mauer absichtlich gebaut!" Dwalin schnaubt verzweifelnd an dem ihm wohl kindisch vorkommenden Gespür und dreht sich zu mir um. „Und wer soll das gemacht haben? Orks sind zwar kräftig, aber so etwas würden sie niemals gestemmt bekommen." Ich senke überlegend den Blick. „Ich weiß auch nicht ... aber es gibt doch Trolle in dieser Gegend." Dwalin dreht sich wieder um, ganz so, als wolle er sich nicht länger von den Fantastereien eines kleinen, unerfahrenen Mädchens den Schlaf stehlen lassen. „Die sind zu dumm dafür ...", nuschelt er und ist im nächsten Moment schon wieder (scheinbar) eingeschlafen.
Kaum ist der neue Tag mit einer hellen Spätsommersonne angebrochen, stehe ich bereits wieder vor der Mauer und untersuche sie eindringlicher. Schroff sind die Steine, aber auch an manchen Stellen scheinbar glatt. Erosion kann so etwas hervorrufen, in langen Jahren immer wieder einwirkende Winde, Regen- oder Schmelzwasser, aber leicht schartig fühlt sich die Oberfläche bei genaueren befühlen an, als wären sie mit gutem Werkzeug aus dem Felsen herausgestemmt wurden und nicht gebrochen.
„Mir ist es auch aufgefallen." Thorins tiefe Stimme erschreckt die konzentrierten Gedanken und ich frage mich, wie lange er mich wohl schon mit locker verschränkten Armen gelehnt an die Steine beobachtete. „Aber weder Ork noch Troll hat diese Felsen behauen und aufgestapelt, dafür ist die Arbeit zu fachkundig ausgeführt." Während er mir näherkommt, lässt er die Finger den glatten, roten Andesit befühlen, horcht nach einer Auskunft, die er ihm geben könnte. „Meint Ihr, Menschen oder gar Zwerge haben diese Barriere aufgeschichtet?" Er schüttelt verneinend den Kopf und blickt die Mauer empor, über die die Strahlen der Sonne in den Bruch fallen. Blutrot und silbern erglühen die Berghänge von Barazinbar und Zirak-zigil unter ihrem Wirken. „Menschen kennen diesen Pass nicht mehr und Zwerge meiden ihn, sollte sie kein Grund treiben, das Gebirge zu überqueren. Nein, irgendwer anderes hat dies getan und ich weiß noch nicht, ob mit guten oder schlechten Absichten."
Ich blicke den Wall entlang zu seinem vermutlichen Ende, denn es liegt verborgen hinter mehreren Anhöhen. „Vielleicht sollten wir erkunden, ob es nicht doch einen Durchgang oder eine niedrige Stelle gibt, die wir überwinden können", schlage ich vor und sehe zu ihm zurück. Ein verschlagenes Lächeln zieht unvermittelt an seinen Mundwinkeln. „Glückwünsche an die erste Freiwillige...", sagt er und ich schlucke begeistert und besorgt gleichermaßen über die unverhoffte Aufgabe.
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„Thorin?", brummt Dwalin, nachdem er mir half einen Hang hinaufzuklettern, aber unser Anführer der vorausging beachtet ihn nicht und stapft weiter. „Thorin, was gedenkst du eigentlich zu finden?" Noch immer hält er nicht an, während er eher beiläufig die Frage seines Waffenbruders beantwortet, „einen Durchgang oder zumindest Grund, warum dieser Wall gebaut wurde." Dwalin sieht zu mir zurück und oh wie belustigend ist doch der erstaunt-fragende, leicht entsetzte Blick. Unverfroren überheblich lächelnd stolziere ich an ihm vorbei und Thorin hinterher, übersehe dabei fast, dass er auf der kleinen Anhöhe angekommen abrupt anhielt und laufe beinahe in ihn hinein.
Froh darüber, dieser Peinlichkeit gerad noch einmal ausgewichen zu sein, spähe ich interessiert über den Anlass seines Einhaltens um ihn herum. Eine große, dunkle Öffnung im endlich die andere Seite der Schlucht abgrenzenden Berghang liegt vor uns. Die Mauer endet genau dort, ganz so, als wolle sie uns in diese leiten.
Dwalin tritt schließlich neben uns und ich merke sofort, wie argwöhnisches Unbehagen beim Betrachten aufkommt. Äußerst selten trügt ihn dieses Gefühl. Ich bin mir sicher, auch Thorin lässt es am Weitergehen zweifeln, aber dennoch, die einzige Möglichkeit wird es uns bieten einen neuen Weg zu finden, denn weder einen Spalt noch niedrige Stelle um den Wall zu überwinden fanden wir bisher den langen Weg an ihm entlang. So setzt er sich erneut in Bewegung und wir folgen ihn mit schnell schlagenden Herzen.
Kaum ein Lichtstrahl vermag in die Höhle vorzudringen, denn hoch am Himmel steht die Sonne bereits. Das Gestein jedoch schimmert rötlich in einer für unsere Zwergenaugen angenehmen Intensität, ganz so, als verberge sich eine kalte Flamme in ihm. Hier und da glitzert es und verströmt eine äußerst starke anziehende Kraft. Metalle und Mineralienkristalle wird er bewahren, so viele, dass ihr Rufen zu vernehmen ist, obwohl wir (momentan) kein Interesse daran haben sie zu finden. Gold und Silber mit ihren dunklen und hellen Stimmen, Diamant und Pyrit, die altehrwürdig murmeln, Achat und Bernstein und Rosenquarz, die hingegen klingen wie unbeschwerte Kinder, und noch so viele andere, die Jauchzen und Singen und sich ihres Daseins in diesem uralten Gebirge voller Wunder Erfreuen. Thorin der vorausgeht, schüttelt immer wieder den Kopf, versucht ihr Flüstern aus ihm zu verbannen, denn lenkt es uns doch ab von den Gefahren, die in dieser Höhle lauern könnten.
Plötzlich, wir sind schon tief vorgedrungen in die rot glühende Dunkelheit, hören wir ein Poltern. Herabfallende Steine könnten es sein, eine vom Nagen der Zeit brüchig gewordene Säule, die das Gewölbe stützte, und nun in sich zusammenfiel, aber kurz darauf erklingt zusätzlich ein Murmeln, wie Wasser, das an eine schroffe Klippe schwappt, aber dennoch Wörter bildet, die für uns unverständlich sind. Nah scheint es zu sein und so schmiegen wir uns versteckend an eine Felswand, die an einem abschüssigen Bruch endet. Unverkennbarer Feuerschimmer lodert unvermittelt aus ihm empor und erneut poltert etwas Schweres auf den steinernen Boden. Schnell und so leise wie möglich ziehen wir unsere Waffen.
Dennoch mein Herz pocht so laut, dass ich befürchte, sein Klopfen breitete sich unlängst als Echo in der ganzen Höhle aus. Die krampfhaft das Heft umschlingende Hand zittert vor Anspannung. Thorin hingegen scheint ruhig, während es sich vorbeugt, um über die schroffe Felskante zu spähen. Sofort aber schnellt er zurück, jetzt deutlich aufgerüttelter. „Hûne", murmelt er, „zwei." Ich sehe Dwalin fragend an, „was sind Hûne?", denn noch nie hörte oder las ich von einem Wesen mit solch einem Namen. „Eine Art der Riesen, nur etwas kleiner. Eigentlich sollten sie nicht mehr existieren, denn soweit man sich erzählt, wurden sie lange schon nicht mehr gesehen." Thorin dreht sich zu uns um. „Seid still!", zischt er und deutet an, dass wir umkehren sollen. Er weiß wohl, dass wir ihnen zumindest zu dritt nicht viel entgegenhalten können. Aber kaum, dass wir uns von der feuchten Wand lösten, erstarren wir, denn den Weg zurück versperrend, erhebt sich ein riesiges Ungetüm wie ein bedrohlicher Schatten gegen das Gestein.
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