Uzfakuh
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Zweifelnd trete ich von einem Fuß auf den anderen und zaudere wie schon einmal mit mir und meinem Gewissen, um die Hand mit dem Ziel sie gegen das dunkle Holz seiner Tür klopfen zu lassen zu erheben. Thorin schickte nach einer Flasche Wein und verlangte ausdrücklich, dass ich persönlich diese bringen soll. Eine ungewöhnliche Anweisung, die nicht nur bei Fenna misstrauisches Stirnrunzeln hervorrief.
Seit der Offenbarung meines Wissens vor nun schon einer Woche und auch wenn er mir die folgenträchtige Heimlichkeit über all die Jahre letztendlich verzieh, suchte ich ihn abends nicht wieder auf. Zum einem, da er seinen Befehl nicht wiederholte und zum anderen, da mich seit einiger Zeit bereits ein eigenartiges Unwohlsein überkommt, wenn ich mich in seiner Nähe befinde. Kaum beschreiben lässt es sich. Eine Verwirrung aus kalter Furcht, trotz alledem noch immer belastenden Schuldgefühlen, wenn ich den lichtlosen Kummer über den Verlust in seinen Augen sehe, obgleich auch dieses uneingeschränkte, wohlig-warme Vertrauen, das er vorher bereits besaß und etwas anderem, völlig neuem und unbekannten und dennoch schönen. Atemlos lässt mich seine Kraft werden, sobald lediglich die Anwesenheit des Prinzen den Raum erfüllt.
Tief ziehe ich daher die Luft in die eingeengten Lungen und finde schließlich doch noch den Mut um Einlass zu bitten. Die Gemächer sind überwärmt und ungewöhnlich hell erleuchtet, so als wolle er alle dunklen, trüben Gedanken und bitteren Sorgen, die womöglich seinen Geist martern, mit dem flackernden Schein unzähliger Kerzen vertreiben. Die plötzliche Lichterflut blendet mich nach dem Halbschatten des Ganges, aber als sich die Augen schließlich daran gewöhnten, wünsche ich mir augenblicklich die im Vergleich idyllische Blindheit zurück. Denn erschreckend düster ist das Bild, dass sich mir im hellen Feuerschein offenbart.
Pechschwarze und abgrundtief hässliche Schemen mit rot-glühenden Augen und bizarr-weitaufgerissenen Mäulern bedrohen die sonst so stattlich-glänzende Gestalt, die bedrückt von Ängsten und Trauer in dem abnormal riesig erscheinenden Sessel kauert. Gewänder schmucklos, Haar matt, Haut fahl. Die Schultern hängend, als würde eine Last auf ihnen liegen, die nur unter Schmerzen beschreibbar ist. Das Gesicht tief in den Händen vergraben, scheint Thorin mein Eintreten bislang nicht einmal wahrzunehmen.
Lange verweile ich an der Tür, darauf hoffend, dass allein meine Anwesenheit zumindest kurz den Schatten der Trostlosigkeit durchbrechen kann ... aber vergebens. „Hoheit?", flehe ich ihn schließlich zuerst an, auch wenn es gegen eine der wenigen Förmlichkeiten verstößt, die innerhalb dieser Räumlichkeiten noch immer ihre Gültigkeit haben. Jedoch, es funktioniert. Trüb sind die Augen, die mich daraufhin beachten und selbst das kleine echte Lächeln das er mir schenkt und sonst seinem Antlitz jegliche Schwermut beraubt, schafft es nicht den Geistern der Sorge die Schrecklichkeit zu nehmen, geschweige denn, sie zu verbannen.
Kraft- und wortlos streckt Thorin eine Hand nach mir aus, fordert, nein, bittet darum näher zu kommen, und selbstverständlich folge ich. Stelle das Tablett mit dem gewünschten Wein und vermutlicher Ausrede schnell auf dem Tisch ab und ergreife die zitternden und erschreckend eiskalten Finger. „Verzeih, dass ich dich so unverfroren offen zu mir bestellte, aber mehr noch als sonst benötige ich deine Anwesenheit, Uzfakuh", sagt er. Die Stimme schwach und gebrochen durch die Schwere unterdrückter Schluchzer. Kaum mehr als ein Flüstern. Gefahr laufend, sogar von dem leisen Knacken der verbrennenden Holzscheite übertönt zu werden.
Unbeschreiblich marternder Schmerz bereitet mir seine Trauer und demnach nur verschwommen nehme ich die Bedeutung und unvergleichliche Schönheit des erstmals gewählten Kosewortes wahr. „Bitte Herr, verzagt nicht, sie werden zurückfinden", versuche ich ihm und auch mir Mut zuzusprechen in der Verzweiflung, sinke auf die Knie und schmiege die von unbemerkt rinnenden Tränen feuchte Wange in seine Handinnenfläche. Rau ist sie und gleichwohl sanft, wie der weltenjunge Stein, aus dem Mahal uns einst erschuf. Ein Klagelaut entkommt mir dabei ungewollt. Das Bedauern dieser Pein, die ihn befallen hat und zu einem verzweifelnden Wesen verkommen ließ. Ebenso Ausdruck auch meines Kummers. Gefühlvoll sind die Finger, die daraufhin durch die goldenen Strähnen der Haare gleiten, geradezu, als beabsichtigten sie mich zu trösten, obwohl doch ihr Besitzer den größten Zuspruch in dieser unerträglichen Situation bedarf.
Und dann wird mir herzergreifend gewahr, was es bedeutet, als alleiniger Herrscher über das Leben eines ganzen Volkes zu bestimmen. Die schreckliche Last (er)tragen zu müssen verantwortlich zu sein für die Seinen. Immer stark, immer aufrecht, immer Hoffnung ausstrahlend, selbst in tiefster Verzweiflung niemals wahre Gefühle zeigend. Sich verpflichtend weiterhin gute und richtige Entscheidungen zu treffen, denn jeder Irrtum könnte den Untergang bedeuten.
Und es scheint, als würde sich Thorin dieser Bürde die seine Ahnherren allzeit hielten in diesem Moment der geteilten Trauer ebenfalls bewusst werden und sie ohne Zweifel und Angst annehmen. Denn tief und lang und befreiend ist sein Einatmen, bereits schmerzlich vermisste Wärme durchströmt den Körper und merklich vergehen die dunklen Schatten und geben den Blick frei auf gewohnte Glorie und Glanz, herrlicher und erhabener als vormals sogar.
Voller Ehrfurcht sehe ich auf, in blau-grün-klare Augen wie Winterseen, und erkenne den König darin ... unseren König ... meinen König, auch wenn er es zeremoniell noch nicht ist. Demut und Stolz ergreift mich, so glühend und bedingungslos wie ich sie niemals zuvor für ein Wesen empfand. Sanft ist der Kuss, den ich auf den silbernen Siegelring hauche, ihm somit verdeutliche, wie treu und ergebend ich folgen und dienen werde und genauso zart den Schwur annehmend der seine auf meiner Stirn.
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„Bei Durins Bart, wo treibt sich dieser lulkh nur herum!?" Thorins zorniger Ausruf grollt durch den Salon und lässt die Anwesenden erschaudern und nur mit viel Glück und Reaktionsvermögen verhindere ich das Fallen der Teetasse, die ich gerade auf dem kleinen Tisch abstellen wollte. „Verzeiht Hoheit, aber wir haben die nähere Umgebung erfolglos abgesucht. Auch innerhalb des Berges ist er nicht auffindbar. Niemand hat ihn gesehen, noch von ihm gehört", erklärt der blutjunge Soldat, der die zweifelhafte Ehre gewann die schlechte Nachricht zu überbringen in geduckter Haltung seinem Herrscher. Er kann wohl am wenigsten dafür, dass Dwalin auch nach drei Wochen noch immer verschwunden ist, aber dennoch scheint auch er sich Vorwürfe und Sorgen zu machen. Der Hauptmann wird geschätzt und verehrt, trotzdem er vor kurzem erst die Mündigkeit erreichte. Seine immense Stärke, der Mut selbst der schrecklichsten Gefahr unerschrocken ins hässliche Angesicht zu sehen und die unerschütterliche Loyalität gegenüber sogar einfachsten Soldaten brachte ihn diese Achtung nicht nur bei seinen Untergebenen ein. Bei Mahal, wie sehr ich mich doch um ihn sorge.
Trotz der brennenden Rage sehe ich diese schauderhafte Unruhe gleichfalls in Thorins Augen aufblitzen. Draußen toben seit einigen Tagen Herbststürme mit Regen und bereits einzelnen Schneegraupeln vermischt. Eiseskälte und Winternebel legten sich innerhalb kürzester Zeit über das Land und ließen auch noch die letzten Ahnungen des Spätsommers verglimmen. Zwerge sind unempfindlicher gegenüber Kälte als Menschen und sogar Elben, aber längere Zeit ohne Schutz können auch wir ihr nicht trotzen. An die Gefahren und Kreaturen, die in den Landen umherziehen und einsame Kämpfer anfallen, wage ich dabei noch nicht einmal zu denken.
Thorin lässt sich schwer in einem dem Feuer nahen Sessel fallen, nachdem er allen außer mir gebot das Zimmer zu verlassen, und vergräbt ächzend das Gesicht in den Händen. Müdigkeit und Trübsal sind seine ständigen Begleiter und schattieren mit ihrer Gnadenlosigkeit dann und wann noch immer das sonst so Herrliche, zumindest, wenn er alleine ist. Trotz des schlechten Wetters sendete er Raben aus, um Erkundungen über seinen Vater einzuholen. Die Wenigen die bislang zurückkehrten, brachten diese aber nicht und die Sorge um seinen Freund quält zusätzlich grausam und schmerzhaft das wunde Gemüt.
Langsam gehe ich nach kurzem Zögern unaufgefordert auf ihn zu, nehme die Tasse noch immer dampfenden und bislang unberührten Tees und reiche sie ihm. „Bitte ... trinkt. Es ist Zitronengras und Johanniskraut, heute früh erst auf dem Markt für Euch erworben. Er gewährt vielleicht ein wenig Ruhe", sage ich sanft, aber als er mich mit diesen traurig-trüben Augen wie wolkenverhangener Winterhimmel wahrnimmt, bezweifle ich, dass irgendetwas ihm Entlastung bringen wird, solange zumindest Dwalin nicht wieder zurückkehrte. Dennoch nimmt er mir die Tasse ab, streift dabei kurz die Finger und lächelt gequält. Flüchtig ist der Moment der geruhsamen Friedlichkeit im Salon, einzig durchbrochen von dem knackenden Auseinanderbrechen verbrennender Holzscheite und knisternd flackernder Kerzenflammen. Selbst die Wellen, die das bernsteinfarbene Getränk bei jeder noch so zaghaften Bewegung an das goldgeränderte Porzellan schlägt, scheinen unnatürlich laut zu brechen.
„Welch alles und jeden zerstörenden Sturm der Unruhe würde nur in Herzen und Gedanken wüten, würdest du ihn nicht ab und an mit deiner Zuneigung milde stimmen", flüstert er, so leise, dass es beinahe unhörbar ist. Oh wenn er nur wüsste, wie es tief in mir aussieht. Welch Orkan der Sorge und Schuld ebenfalls dort tobt und wie die erschöpfende Machtlosigkeit etwas an der ihm belastenden Situation und Dwalins Unsicherheit zu ändern zerrt und zehrt. Um ihn nicht noch mehr zu bedrücken, wende ich schließlich verbergend den Blick ab, denn nur allzu verräterisch merke ich sein stürmen in dem trüben Augenlicht.
Ein zaghaftes Klopfen erklingt plötzlich. Sofort weiche ich von Thorins naher Seite und stelle mich wie es sich für eine dienstbar Untergebene gehört mit gebührendem Abstand hinter ihn. Als er hereinbittet, betritt Jassin den Salon. Nervös spielt sie an den Bändern der Schürze und verbeugt sich tief und ehrerbietend zur Begrüßung. „Was gibt es?", fragt der Hausherr deutlich missgestimmt über die Störung der eben erst zaghaft einkehrenden Ruhe. „Verzeiht, Hoheit ...", stammelt die junge Zwergin nachvollziehbar eingeschüchtert und aufgeregt, "... aber soeben traf eine Besucherin ein." Ich schenke ihr ein aufmunterndes Lächeln. Thorin brummt verdrießlich. „Schick sie weg, wer auch immer sie ist und will, ich empfange heute niemanden mehr." Jassin senkt den Blick. Deutlich verunsichert tritt sie von einem Fuß auf den anderen. „Entschuldigt Herr, aber die Besucherin möchte gerne Astâ sprechen."
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Uzfakuh – Meine größte Freude
Lulkh – Dummkopf
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