Trüb sind unsere Tage
Fünf weitere Tagesritte durchstreifen wir ohne Erfolg die Höhen und fortwährend bietet sich uns das gleiche betrübliche Bild. Gras, Hügel, Felsen, einige knorrige Büsche und kahle Bäume hier und dort, die dem porösen, Regenwasser nicht lange speichern könnenden Boden trotzen im immer grauen Dämmerlicht. Schließlich wagen wir uns an einem erste sommerliche Schwüle verheißenden Morgen vom Tor aus erstmals nach Norden. Gefährlicher noch ist diese Richtung, denn die meisten der Grabhügel dort wurden vor langer, langer Zeit angelegt, sind weitläufig und voller Bosheit anziehender Schätze. Beklemmender als anderswo in diesem Land voll Tod fühlt es sich an zwischen ihnen als Lebender zu wandeln. Riesige eiserne Tore mit schweren Riegeln und Schlössern versperrt führen in sie. Alte Runen, die von den Heldentaten derer die in ihnen ruhen erzählen, wurden in die breiten Zargen gekratzt. Aber auch Bannsprüche beschwören sie. Sollen Übelwollendes von den Grabstätten großer Könige fernhalten ... oder in ihnen.
Zur Mittagszeit und bevor wir den Rückweg antreten, rasten wir auf einer kleinen flachen Anhöhe. Hoch steht die Sonne und scheint ungewöhnlich warm, wenn auch getrübt von der immerwährenden Dämmerung und damit sehr viel drückender, auf uns herab. Wenig Schutz vor ihrer Gewitterschwere finden wir und so schmerzt und pocht es bereits den ganzen Tag dumpf in meinem Kopf. Zudem noch mehr als sonst legt sich die belastende Umgebung und immer hoffnungsloser werdende Stimmung auf die Gemüter.
Nachts beobachte ich heimlich voller Traurigkeit und Sorge Thorin wir er während seiner Wache am Tor steht und den Blick suchend über das dahinter liegende Ödland schweifen lässt. Kaum ein Wort sprach er die letzten Tage. Kaum mehr als ein paar Bissen aß er. Kaum eine ruhige Minute Schlaf fand er. Und auch jetzt steht er unerreichbar für uns, obwohl nur wenige Schritte entfernt, mit hängenden Schultern an den Stamm eines windschiefen, unbestimmbaren, da vollkommen blattlosen Baumes, gelehnt und betrachtet die Umgebung. Nicht auf Wacht, sondern auf Suche.
Kurz überlege ich, sehe in die ebenso besorgten Gesichter meiner Gefährten ringsherum und nehme schließlich seine sonst sicher unberührt bleibende Schüssel mit dem Tagesbrei und gehe auf ihn zu. „Bitte Herr, Ihr müsst etwas essen", flüstere ich ruhig und mit demütig gebeugtem Kopf, da ich die Unverfrorenheit besaß ihn unerlaubterweise zuerst anzusprechen. Ich spüre, wie sein Blick zu mir schweift. Schwer ist er und trüb wie die Unwetter verheißende Witterung. Voller Kummer und drohender Resignation vor dieser zum Scheitern verurteilten Mission. Das Herz beginnt unter ihm zu stocken. „Setzt Euch zu uns ans Feuer und ruht Euch ein wenig aus, ich kann solange die Wache übernehmen und Ausschau halten." Wenig Hoffnung hege ich, dass er meinen Vorschlag annimmt. Aber dann schließt er sanft die Hände um die meinen, die noch immer die Schüssel halten und nach wenigen Momenten in denen das Herz befreiten Lebensmut empfing um weiter zu schlagen, schließlich an sich. Ich blicke auf und helle Dankbarkeit die wohltut nach all dem Grau der letzten Tage, strahlt mir entgegen. Und als er geht und einen Platz neben Dwalin am Feuer findet, wende ich mich endlich wieder ein wenig Glück empfindend der schon nicht mehr ganz so düster und trüb erscheinenden Landschaft zu und lasse den Blick über sie schweifen.
Gras ... Gras ... Gesträuch ... Grabhügel ... ein komisch aussehender spitzer einzeln stehender Stein, der einer Landmarke gleich aufragt ... Gras ... Gestrüpp ... Gras ... Moment ... Genauer spähe ich zurück zu dem nahen Dickicht, verenge die Augen, fixiere etwas das sich darin verfing und im Wind, der durch die Senke fegt, flattert. Grell leuchtet die rote Farbe in der sie umgebenden Farblosigkeit, geradezu bettelnd um Beachtung.
Ich sehe zu meinen Gefährten. Ein leises Gespräch führen einige, während andere schweigend essen. Auch Thorin. Mahal hab Dank für diese geschenkte Einsicht. Ich will sie ungern aufschrecken und vielleicht wegen Nichts aus der dringend benötigten Rast reißen. Also schleiche ich mich hoffentlich unbemerkt davon um meine Entdeckung genauer zu erkunden.
Nicht lange muss ich laufen und je näher ich der Entdeckung komme, umso schneller pocht das Herz vor Aufregung. Als ein zerrissenes Stück Stoff entpuppt sie sich letztendlich. Unmöglich existierend in dieser Einsamkeit. Vorsichtig löse ich es von dem dornigen Ast, an dem es sich verfing. Betrachte es ungläubig, schneller atmend und mit aufsteigenden Tränen der Fassungslosigkeit in den Augen, denn darauf prangt das Emblem Thráins.
„Astâ!" Thorins Ruf braust plötzlich über den Kopf hinweg und zerschneidet die bleierne Luft. Ich drehe mich um und entdecke ihn mit besorgtem Blick und gezogenem Schwert auf dem Hügel von dem ich herunter kam stehen. „Ich habe etwas gefunden!", informiere ich ihn schnell und schäme mich der brechenden Stimme.
Alarmiert wohl auch von ihr hastet er stolpernd und strauchelnd den Hang hinunter und die Anderen folgen ihm fast sofort mit den Ponys. Zittern präsentiere ich Thorin den Fetzen Hoffnung, kaum, dass er mich erreichte. Er betrachtet ihn, nimmt ihn mir letztlich ab, streicht schweigend über die sich mehrfach kreuzenden Linien aus kostbarem Silberfaden. Schließlich erreichen uns auch unsere Gefährten, allen voran Balin. Er starrt das Stoffstückchen ebenfalls an. Ungläubig, hastig atmend vor Unruhe. „Ein Wunder", keucht er und sieht sich nach weiteren Anhaltspunkten suchend um. Plötzliche Aufregung bewegt uns alle, vertreibt die verzweifelnde Lethargie, in die wir verfielen. Wir rufen nach unserem König. Laut. Lauter. Gellend. Neuer Glauben, neue Hoffnung glüht heiß in unser aller Herzen.
Aber auf einmal flaut der schwüle Hauch, der eben noch wehte, trockene Erde aufwirbelte und das Gras wogen ließ ab. Still wird es. Unheimlich still und dämmrig-düster trotzdem es gerade erst früher Nachmittag sein sollte. Und zwischen den nahen Hügeln kommt unerwartet und ohne erkennbaren Anlass Nebel hervorgekrochen. Schwerer, dicker, grauer Nebel. In keiner Weise vergleichbar mit dem außerhalb der Einfriedung.
„Wir müssen zurück!", sagt Bruni, Warnung und berechtigte Furcht zugleich in der wackelnden Stimme. „Nein!", entgegnet Thorin bestimmt, aber auch er kann das heraufziehende eiskalte Entsetzen in seinem Herzen nicht verhehlen, das den gerade erst entzündeten Hoffnungsfunken zu ersticken droht.
Ich trete einen Schritt zurück, als der Nebel fortwährend immer dichter herankriecht. Nähere mich unbewusst Dwalin, der sofort eine beruhigende Hand auf meinen Rücken platziert. Wenig überraschend beginnen die Pferde zu scheuen, steigen aus Angst vor der grauen Wand und nicht länger halten können wir sie trotz aller Anstrengungen. Unaufhaltsam galoppieren sie davon. Voller Verzweiflung rufe ich Khajmel hinterher, aber der Instinkt eines Tieres ist stark, stärker noch als der anderer Wesen, und vernünftiger sind sie allemal und folgen ihm ohne lange zu zögern.
Wir weichen weiter, wünschend Thorin würde seinen Befehl endlich zurücknehmen und ich spüre, dass er durchaus kurz davor ist. Er schluckt schwer die Verbissenheit herunter, öffnet bereits den Mund, aber dann hallt ein Ruf aus dem Grau des Nebels und lässt ihn Stillschweigen. Wie ‚Hilfe!' hört er sich an ... und wie die Stimme von Thráin. Wir starren zu erschrocken um uns weiter bewegen zu können in die Undurchdringlichkeit. „Adad!", schreit Thorin und noch nie klang er angsterfüllter. Die Stimme antwortet. Krächzt nun seinen Namen, als würde irgendetwas Entsetzliches sie betäuben. Thorin macht einen Schritt nach vorn ... und noch einen ... und noch einen ... beginnt schließlich zu rennen.
„Ihr dürft nicht in den Nebel gehen!", mahnt Bruni, reißt uns aus der Apathie und nun schreien auch wir, wollen ihm folgen, ihn aufhalten, aber es ist bereits zu spät. Vor unser aller Augen verschluckt der Nebel unseren Anführer. Schließt sich dick und grau hinter ihm wie ein schweres, gusseisernes Tor. Und als würde er durch ihn frische Nahrung erhalten, wallt er unvermittelt auf, wirkt wie eine lebendig gewordene Kreatur, knurrt sogar, obwohl es nicht naturalistisch ist, und kommt zielgerichtet und vor allem mit einer solchen Geschwindigkeit auf uns zu, die es nun schier unmöglich macht zu fliehen.
Grabeskälte durchzittert Körper und Herz, als die dunstige Nässe auf die Haut trifft. Bitterlich ist sie. Boshaft. Unheimlich. Schmerzender als alles was ich bislang spürte. Tief gräbt sie sich mit schneidenden Klauen in jedes Organ und in die Gedanken, versteift Knochen und gefriert das Blut. Lähmt. Nimmt für einen Moment den Atem. Erhärtet jedwedes schöne Gefühl und alle wohligen Erinnerungen.
Ich hebe die Hand dicht vor mein Gesicht, aber selbst sie kann ich nur schemenhaft erahnen, so dicht und grau ist er. Ich zittere vor Angst. Unbewusst, ungewollt, aber noch nie empfand ich solch Verzweiflung und Schrecken. Ich spüre das Herz unerträglich trotz der Kälte in meiner Brust schlagen, höre, wie es das Blut zum Rauschen bringt und aufblitzende Sterne gaukelt mir der panische Sinn im Nebeldunst vor. Ich wage nicht mich zu bewegen, wüsste sowieso nicht, ob der womöglich von Furcht gelähmte Körper überhaupt einen Schritt tätigen könnte.
Aber plötzlich berührt mich etwas am Arm. Ich zucke zurück und ziehe instinktiv mein Schwert, obwohl ich aufgrund der Blindheit noch nicht einmal einen Drachen erschlagen könnte. Da schließen sich unvermittelt und ohne mir eine Chance zum Angriff zu lassen zwei warme Hände um mein Gesicht und eine Stirn legt sich an die meine. „Beruhige dich", flüstert eine ebenso glühende Stimme und ich schluchze auf vor Glück und Erleichterung. Fest kralle ich die Hände in Dwalins Mantel, verzweifelt darum bemüht ihn nicht erneut zu verlieren. Lange verweilen wir so. Ich zitternd, er mich dabei ohne Vorwurf haltendend. Inmitten des unheimlichen Nebels der verdammten Hügelgräberhöhen, dessen Kälte weiterhin auf der Haut brennt, aber es nun nicht mehr vermag unsere vereinten Herzen in der Tiefe zu erreichen.
„Wir müssen die anderen finden", sagt er schließlich und trennt nur spürbar ungern die Nähe auf. Allerdings gestattet er, dass ich nach wie vor Halt und Sicherheit in dem gefassten Ärmelstoff seines Mantels finde. Er ruft nach seinem Bruder und Oin und Bruni und mit solch einem Ärger in der Stimme nach Thorin, dass ich befürchte, sollten wir ihn freilich schnell wiederfinden, er ungeachtet der Stellung von ihm eine derartige Standpauke erhält, die furchterregender wird und weitreichendere Nachfolgen in sich trägt als dieser Nebel.
Ich getraue mich nicht ebenfalls nach ihnen zu rufen, wähne ich doch, dass die Stimme vor Angst zittert und gebrechlich schwach wirkt. Und auf einmal hören wir Balin. Nah scheint er bereits zu sein und als wir seinen Rufen folgen und ich meine Hand ausstrecke, berühre ich endlich seine Schulter. Auch Oin und Bruni scheinen bei ihm zu sein, denn wenn ich sie auch nicht sehen kann, so höre ich sie zumindest. Von Thorin allerdings, wissen auch sie nichts.
Dicht beieinander drängen wir uns um zu beratschlagen und ich kralle erneut die Hände in Dwalins Mantel, kuschle mich in seine schützende und wärmende Umarmung, ganz ohne Bedenken oder Scham, denn sehen können es die anderen sowieso nicht und zumindest etwas nimmt es Angst und Kälte vom schnell schlagenden Herzen.
„Wir sollten hier warten", schlägt Balin in seiner Weisheit vor, „vielleicht sucht er uns bereits oder möglicherweise lichtet sich der Nebel bald." Ich schließe gequält die brennenden Augen. Warten ... zum Nichtstun verbannt zu sein während Thorin womöglich mitten in sein Unglück läuft. Einsam. Ohne Beistand und Sicherung. Wie verletzt allein der Gedanke den gegebenen Schwur ihm immer zur Seite zu stehen, und noch viel schlimmer das Empfinden. Seufzend lehne ich die Stirn an Dwalins Brust, labe mich selbstsüchtig an dem langsam-ruhigen Schlag seines Herzens. Er drückt mich noch fester an sich, bettet die Hand schützend und ermutigend in die Mulde zwischen die Schulterblätter.
Als ich nach etlichen Minuten (oder waren es Stunden) wieder aufblicke, erscheint mir der Nebel tatsächlich geringfügig weniger grau und dicht, denn die breitschultrigen Schemen der anderen sind nun zumindest zu erahnen. Langsam löse ich mich von Dwalin, sehe mich suchend um, aber dennoch vermutlich kaum einen Meter weit gelingt es mir. Und dann höre ich plötzlich ein Geräusch. Wie ein Scharren von sich in den Boden bohrenden Krallen und Schleifen von hinterdrein gezogenen Gliedern im knisternd-trockenen Gras, das erst fern ist, aber sich schnell von ringsherum zu nähern scheint. Die anderen können es ebenfalls hören, denn sofort ziehen sie Schwerter und Äxte. Auch ich mache mich kampfbereit, aber der Griff um das Heft ist weniger fest und tapfer als sonst, zu sehr bereitet mir das was ich nicht sehen kann herzklopfende Angst.
Auf einmal legt sich etwas Kaltes um eines meiner Beine, versenkt sich spitz und schmerzhaft in die Haut und zieht ruckartig mit einer so ungeheuren Kraft daran, dass ich nicht verhindern kann umgerissen zu werden. Mit sich schleift mich etwas durch den Nebel und ich schreie und trete mit unbändigem Willen und einer ungeahnten Kraft um mich. Tatsächlich und unverhofft lässt sich dieses Etwas davon beirren und von mir ab, als ich es wohl recht schmerzhaft mit den massigen, stahlbesetzten Stiefeln treffe.
Ich richte mich auf, sehe an mir herunter und durch den Dunst schießt blitzartig ein scheußliches Wesen auf mich zu. Grau wie der Nebel ist seine schuppig-hornige Haut, die sich über grotesk deformierten und ausgebeulten Leib und überlange, hagere Glieder spannt. Fahl aber hungrig und wütend leuchten die blinden, kleinen und lidlosen Augen die tief in einem bis auf wenige feuerrote strähnige Haare kahlen Kopf liegen. Schwarze Krallen, so lang und spitz wie Dolche, greifen hastig nach mir, ritzen Stoff und Haut des Beines auf und seine in einem sich von einem Ohr zum anderem reichenden und weit aufgerissenen Maul befindlichen Zähne, bei Mahal, als wären sie die eines Hais so grässlich sind sie, wollen erbarmungslos zuschnappen.
Geistgegenwärtig schwinge ich mein Schwert und treffe es tatsächlich. Heißes, dickes, rotes und bereits bestialisch nach Tod stinkendes Blut quillt aus einer Wunde an seiner Brust, dort wo ich die Haut aufritzte und das Monster jault auf, so ohrenbetäubend laut und hoch, dass der Schrei bis ins Mark vordringt und das Herz einen erschrockenen Schlag aussetzen muss. Ungeachtet dessen und der Schmerzen die dabei aufflammen, trete ich nach ihm, schleudere es so erneut von mir, drehe mich um und will aufstehen, aber das verletzte Bein trägt das Gewicht nicht und ich knicke ein, falle erneut mit einem zischenden Laut der Qual auf das Gras. Noch immer heult die Kreatur hinter mir vor Schmerz und Wut und ich versuche ihr nun zu entkommen, indem ich vorwärts krieche. In die Verborgenheit des Nebels, dorthin, wo ich meine Gefährten vermute.
Plötzlich erreiche ich etwas. Eine Hand, die suchend nach mir tastet und mich schließlich am Mantelärmel zu fassen bekommt. Balins Gesicht taucht nach ihr aus dem Nebelschleier und ich will ihm noch zurufen, dass etwas hinter mir her ist und wir schnell fliehen müssen, als die trockene Erde unerwartet bröselnd unter uns nachgibt.
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