Sorgenvoll sind meine Träume
Dumpf halt das Klopfen an Thorins Zimmertür in dem einsamen Flur wieder. Keine Antwort erhalte ich von ihm. Wie erwartet ... dennoch betrübend. Erneut klopfe ich. „Hoheit, ich habe Euch etwas zu Essen gebracht." Abermals bleibt es still auf der anderen Seite. Sonst die Tage gab ich nun bekümmert auf. Wollte ihn nicht weiter stören. Ihn nicht verärgern. Aber nicht heute. Wiederholt erfüllt das Klopf, Klopf den ansonsten lautlosen Korridor. „Herr, bitte, Ihr müsst etwas essen", beschwöre ich mit inständiger Stimme. Jedoch die Stille bleibt. „Herr, wir machen uns Sorgen um Euch ... ich mache mir Sorgen. Nur vermuten kann ich, welch Gedanken und heraufbeschworene Gefühle Euch plagen, welch Verzweiflung in Eurem Herzen herrscht. Wahrscheinlich wenig Trost und vor allem neuen Mut kann ich Euch schenken ... aber dennoch ... bitte, bitte, öffnet mir die Tür." Auf einer Salzflut von Tränenfeuchte schwimmt das kummervolle Flehen. Der Körper zittert. Die Augen brennen. Das Herz schmerzt. Der Mund ist ganz trocken und der Kloß im Hals wird größer und zäher und der Atem stockt und dann ... dreht sich der Schlüssel im Schloss und die Tür öffnet sich einen kleinen das Eintreten erlaubenden Spalt.
Schummrig erhellt von nur einem nahezu vollkommen heruntergebrannten Kaminfeuer ist sein Zimmer. Das größte und schönste, mit einem riesigen runden Fenster, das denn Blick in den Garten erlaubt und einem Bett, das weich und bequem ist, wurde ihm standesgemäß zugestanden. Dennoch kaum etwas von der wohlig-warmen Gemütlichkeit eines Hobbitzuhauses erkennt und fühlt man durch den Schatten hindurch, der hier mit eisern-eiskaltem Griff regiert.
Rasch trete ich gänzlich ein und als das Kerzenlicht des Flures mit dem leisen Schließen der Tür ausgesperrt wurde, muss ich erst einige Male den Zwergenblick schärfend blinzeln, um ihn in der rot glühenden Dunkelheit zu finden. Mit dem Rücken an das hohe Fußteil des unberührten Bettes gelehnt und die Knie dicht an den Körper gezogen, kauert er inmitten dieser. Das Gesicht starr ab in Richtung des kaum flackernden Feuers gerichtet.
Ich zögere. Bemerkt wird er mich unzweifelhaft haben, die Sinne eines Kriegers sind allzeit und selbst im größten Kummer scharf, aber nicht ohne anregende Handlung ist mir ein Näherkommen gestattet. Noch immer bin ich Dienerin. Trotz allem was geschah. Trotzdem unsere Herzen im Einklang schlagen. Dennoch, als auch nach gefühlten Stunden noch keine Reaktion von ihm mich erreichte außer ein tiefes, unruhig-zitterndes Atmen, trete ich näher an ihn heran, stelle das Tablett mit dem noch dampfenden Tee und den wohlriechenden Pasteten ab und kaure mich vor ihn.
Düster ist sein Gesicht. Überschattet von Sorgen und Verzweiflung, trotzdem der verblassende goldene Schein der Flammen darauf tanzt. Ich hebe die Hand und lege sie an seine Wange, zwinge ihn mich anzusehen. Nicht eine Sekunde an Ungebührlichkeit und die sich mir sicher aus dieser unverschämt-übergriffigen Handlung einhandelnden Konsequenzen denkend.
Trocken sind seine Lippen. Zusammengepresst zu einem schmalen Strich, zwischen denen lange schon keine Worte mehr hindurchgelangten. Worte, die doch so wundervoll von ihrer Fülle geformt werden. Worte, die vergelten, die befehlen, die aber auch loben, ehren und bezaubern können.
Trüb sind seine Augen. Keinerlei klarer Funke findet sich in den Eisflächen, die in ihrer Tiefe so schwarz wirken, als wären alle Bürden und all der Kummer, die sich im Laufe der letzten Jahrzehnte am Grund des Sees absetzten, zu einer schlammigen, langsam dahinmodernden Wolke aufgewirbelt wurden.
„Thorin ...", hauche ich. Sein Name brennt auf den im Lufthauch zitternden Lippen. Wenig schert mich der ungeheuerliche Verstoß ihn mit diesem anzusprechen. Keine Furcht habe ich nunmehr er würde mich deswegen schelten, denn weit ab von einengender, höfischer Etikette und ihren in diesem Moment mehr als unsinnigen Regeln befinden wir uns, einzig eingehüllt in Dunkelheit. Es ist ein Ausdruck des Schmerzes, den sein Anblick mir bereitet. Ein Beklagen seines Kummers. Aber auch ein Versuch, ihn zu heilen. Und vor allem, ein Zeichen meiner Liebe zu ihm, einer Liebe, die längst weit über das Dienstliche hinausgeht. Mehr als jede der hohen Stellung gebührende Anrede es jemals kann, drückt die Nennung seines Namens meine mit dieser fest verwobenen Ergebenheit und Verehrung aus.
Seine Augenwinkel zucken und erst jetzt scheint er mich wirklich wahrzunehmen. Sieht vermutlich die kaum getrockneten Tränenspuren auf den Wangen glitzern und das Beben der Lippen und die Sorgen im trüben Blick. „Du siehst erschöpft aus", flüstert er schließlich und die Stimme hört sich so ausgedorrt an, dass sie zerbröselt unter dem stillen Hauch der Luft. Ich lache auf trotz der bitteren Last der Umstände. „Ich sehe müde aus? Herr, seit Tagen verweilt Ihr in dieser Kammer ... ohne Essen, ohne Trinken, ohne Schlaf. Erschöpfung liegt wohl eher auf Euch", sage ich und sehe über ihn hinweg zu den noch ordentlich geglätteten Laken, die ohne Zweifel aufkommen zu lassen bezeugen, dass er sie niemals berührte. „Wir haben uns große Sorgen um Euch gemacht, bangten, dass Ihr unrettbar vergeht in Trauer und Verzweiflung."
Er senkt geradezu schuldbeladen-verschämt den Blick. „Dunkel waren meine Gedanken ... man nahm mir etwas, an das sich all meine Hoffnungsfreuden banden. Zu groß war der Wunsch etwas zu finden, dass wohl niemals gefunden werden wird. Und der Verlust ist quälender als all die tiefen Wunden, die mir jemals zugefügt wurden. Wie der klauenbewährte Schatten eines Drachen bohrte er sich in mein Herz. Ließ mich vergessen, was mir viel wichtiger sein sollte: Geschöpfe und Dinge, die meine Zukunft erst lebenswert gestalten, mir beistehen werden, egal, welche Prüfungen, Rückschläge oder Freuden auf mich warten. Bitte vergib mir, dass ich euch beunruhigte."
Ich lächle verständnisvoll, verzieh ich ihm jedweden bereiteten Kummer doch bereits lange bevor er darum bat. „Ich habe Euch Pilzpasteten mitgebracht, sie sind noch warm und so, wie Ihr sie mögt", sage ich schließlich in der Hoffnung, auch sein Appetit befreite sich von dem Schatten. Und tatsächlich, ein Lächeln stiehlt sich auf die nicht mehr schmalen Lippen und das Leuchten kehrt in die Augen zurück und lässt die Eisseen freudig erstrahlen.
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Allnächtlich ist der Anblick nun bereits, dennoch nicht weniger an Ehrfurcht und Bewunderung wie beim allerersten Illusionieren flößt er dem schnell schlagenden Herzen ein. Drei Gipfel, glitzernd von Schnee, ein in der untergehenden Sonne rot wie ein Flammenmeer glühender Hang. Aber dennoch ... etwas ist in dieser Nacht anders. Dunkel ist die Finsternis, die sich über alles legt. Kein Stern funkelt in nachtschwarze Seide gebettet, kein irrlichternder Mond kriecht über die Gebirgskämme. Nur das zauberische Leuchten des roten Berghanges bescheint meine traumwandelnde Gestalt. Heller und feuriger als jemals zuvor.
Aber dann plötzlich, erscheinen dort sieben Sterne über dem höchsten der Gipfel. Groß und rund sind sie. Funkelnd wie Diamanten. Sie wirken in ihrer Anordnung wie eine Krone aus reiner Makellosigkeit. Ihr Aufgehen fühlt sich wie etwas Großes, Bedeutendes an. Wie der Beginn einer neuen Zeit. Voller Leben und Liebe und Licht. Tröstend gar für die sorgenvolle Dunkelheit, in der meine Welt liegt.
Und dann betäubt mich ohne Vorwarnung ein Schmerz. Er brennt und ätzt sich durch alle Adern und Venen, als hätte allein der Anblick der Sterne tödliches, Körper und Geist zersetzendes Gift in mich geflößt. Ich krümme mich, sinke zu Boden, kann aber bei allen Qualen den Blick nicht von ihnen trennen. Plötzlich flackern sie wild und vier von ihnen lösen sich unerwartet in Nichts auf. Die verbliebenen werden größer, färben sich blutrot, überstrahlen den nächtlichen Himmel, wandeln sich zu etwas Schrecklichem, dem aber weiterhin der Trost einer Veränderung innewohnt. Ich kenne das verursachte Leid und die Wärme des Lichtblickes. Schon einmal musste ich diese Unvereinbarkeit spüren während eines Traumes. Aber noch immer erkenne ich ihre Bedeutung nicht ... will sie dennoch wissen ... schreie gegen die Qual ... flehe bitterlich um Aufklärung.
Jedoch lediglich das Erwachen gestattet mir Irmo in seiner Weisheit. Schrecklich ist es, verwirrend, angsterfüllt und dunkel. Dennoch wohlbekannte Wärme hüllt mich ein und schnell vermag sie die panische Atmung zu regulieren und das heftig schlagende Herz zu beruhigen. „Du hast schlecht geträumt." Es schaudert mich erneut, denn nun erst erkenne ich den Verursacher der Vertrautheit. Schnell fahre ich auf aus seinem Schoß, in den ich den Kopf während des Schlafes bettete. Die Decke, die er wohl voller Fürsorge über mich legte, rutscht dabei von den Schultern. Das spät am Abend noch einmal von mir angefachte Kaminfeuer glüht auf seinem Gesicht. Augen, als wären sie zwei der hellsten der im Traum gesehenen Sterne, leuchten mir entgegen. Aber kein Vorwurf, kein Tadel lodert wütend in ihnen.
„Verzeiht mir, Herr", stammle ich dennoch. Aber er schüttelt fast unscheinbar mit dem Kopf. Nicht, um die Annahme der Entschuldigung zu verweigern, sondern um zu verdeutlichen, dass sie nicht nötig ist. „Du hast im Traum gesprochen", offenbart er auffallend bang klingend, so als ob ich ihm das Mithören übel nehmen könnte. „Von Durins Krone und Feuer und dem schmerzhaften Leuchten von Lichtern, so unerträglich klagend, dass ich die Qual selbst tief in meinem Herzen spürte und dich einfach wecken musste." Unangenehm ist mir die so offensichtliche Zurschaustellung der Illusion, dass er teilhatte an dem Alb und sich deswegen sorgte. Aber unerklärlicherweise fordert der sich mit aller Macht in die Gedanken schleichende Wille, ihm diese vollumfänglich zu offenbaren.
„Seit einigen Nächten verfolgt mich dieser Traum", beginne ich und erzähle von den schneeglitzernd-feurigen Bergen und der Pracht in den weitläufigen Hallen voller Kostbarkeiten und Leben. Dem König, der ihm so ähnlich scheint und den schattigen Flammen und dem Blut, in denen schließlich alles zugrunde geht. Zuletzt auch von den Sternen und den Leiden heraufbeschwörenden Lichtern, verschweige auch nicht, dass ich sie nicht das erste Mal erdulden musste. Als ich schließlich Ende, quält sich Thorin schweigend aus der unbequem-kauernden Haltung auf. Sichtlich ungestört den durch die Schilderung heraufbeschwören Gedanken nachgehen wollend, stellt er sich an den Kamin, stützt die Hände auf den Sims und starrt in die Flammen.
„Barazinbar ... Zirak-zigil ... Bundushathûr", murmelt er schließlich. Wohlbekannt sind mir diese Namen. Caradhras ... der Grausame; Celebdil ... die Silberzinne; Fanuidhol ... der Graue, wie sie in der elbischen und gemeinen Sprache auch genannt werden. Mächtige und bedeutsame Berge inmitten des sagenumwobenen Nebelgebirges sind sie für uns Zwerge. Wie tadle ich mich, dass ich sie nicht erkannte. Sah ich ihr Abbild nicht zur Genüge in alten Büchern und inmitten von Wandgemälden, die von dem großen Reich Khazad-dûm, das unter ihnen ruht, erzählen?!
Aber warum nur träume ich von ihnen? Sie sind fern, unerreichbar, gefährlich zu bezwingen und jenseits ihrer Hänge befinden sich Orte, die vor allem schreckliche Erinnerungen in sich bergen. Verlangen sie einmal nur in meinem Leben zu sehen mag mich dennoch treiben, aber welch Beweggrund sollte ich dazu haben.
Unerwartet wendet sich Thorin mir zu, fasst mich an den Schultern. „Hast du sonst noch etwas gesehen ... einen Passweg ... dunklen Wald ... langen See oder gar einen Berg, einsam inmitten einer Einöde stehend?" Ich schüttle den Kopf, „nur in ihr Innerstes ließen mich die Berge blicken." Dennoch, plötzlich strahlen seine Augen, so hell und leidenschaftlich, wie nur Hoffnung es vermag zu entfachen. „Natürlich ... warum bin ich nicht sehr viel früher darauf gekommen!", ruft er aus und der selbst gemachte Vorwurf glüht heiß, allerdings kein Vergleich ist er zu dem plötzlich brennenden Enthusiasmus.
Ich verstehe nicht, „denkt Ihr, Euer Vater hat die Mienen von Moria betreten?" Ein eiskalter Schauer des Schreckens allein schon bei der Aussprache dieser Befürchtung überkriecht die Haut. Er verneint jedoch. „Eindringlich war die Warnung meines Vetters Dáin, damals nach der Schlacht vor ihren Toren. Er sah etwas durch sie hindurch, ein Wesen, dass unser Sterben mit hämischer Gefälligkeit beobachtete, Schatten und Flamme zugleich, so wie du ihn ebenfalls erträumtest ... Durins Fluch ... der Schrecken unseres Volkes. Nein, mein Vater würde trotz alldem Machthunger den er zuletzt verspürte nicht wagen dort alleine hineinzugehen und sich ihm zu stellen."
Nur noch viel verwirrter bin ich nun. Welch Schlüsse zieht er nur aus meinen nichtssagenden Träumen und vor allem warum sieht er sie in ihnen? Sind sie doch nur Hirngespinste eines unerfahrenen Mädchens, fantasiert aufgrund alter erinnerter Bilder und dem Erlebten der letzten Tage. Aber dennoch, die neu entfachte Hoffnung und die plötzliche Aufgeregtheit vertreiben all die Sorgen, die wir in den letzten Tagen um ihn hatten. Wie wärmen sie mein Herz. Wie die Seele. Wie gerne würde ich ihn vor Glück umarmen und wie steif werde ich für einen Augenblick vor Überraschung, als er mich unverhohlen in eine solche zieht. Fest ist sie, Dankbarkeit drückt sie aus, Freude, Erleichterung und eine Verbundenheit, die schöner und gleichzeitig schauderhafter nicht sein könnte.
„Meine Annahme, er wäre bereits diesseits des Nebelgebirges und auf den Weg zu uns zurück, war völlig falsch", murmelt er in meine Halsbeuge. Der Atem warm, der Herzschlag schnell. „Wir müssen ihn dort suchen, wo er verloren ging. Östlich des Gebirges, innerhalb des Düsterwaldes, in der Nähe des Berges, der sein Ziel von Anfang an war." Ich weiche erschrocken zurück, löse die Umarmung, so sehr sie mir auch zusagte. Nur zu gut erinnere ich mich Dwalins Schilderungen über den mühevollen, kalten Weg über das Nebelgebirge, die Trauer, die sie alle belastete, als der Pfad in einem Tal voller Andenken endete. An die Gefahren, die Feinde, an all das Leid und die Angst, die den bereits erlittenen in Schrecklichkeit in nichts nachsteht. Dennoch, als ich in seine Augen sehe, in diese Seen aus Eis, die ich ob ihrer klirrenden Klarheit so heiß glühend liebe, da mahne ich mich meines Versprechens ihrem Besitzer bedingungslos und treu überall hin zu folgen. Egal in welche Gefahr. Egal welcher Feind uns gegenübersteht. Ich werde an seiner Seite stehen. Als Kriegerin. Als Dienerin. Als Waffenschwester. Als Gefährtin.
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