Schwere Last auf leichten Herzen
„Darf ich dir eine Frage stellen?" Dwalin brummt zustimmend, besinnt sich allerdings sofort darauf, dass ich dieser Einsilbigkeit besonders bei ihm, der sie unbedacht in jeglicher Situation gebraucht, noch nie etwas abgewinnen konnte. „Natürlich ... immer." Eine kleine Schar schwer beladener Waschfrauen, die uns auf dem Weg durch den Berg hin zum herrschaftlichen Flügel entgegenkommt, tritt achtsam bei Seite und verbeugt sich ungeschickt ob der unhandlichen Last, die sie auf den Köpfen balancieren, mit einem demütigen Gruß vor uns, während wir sie nicht in unserem Gespräch innehaltend passieren. Kurz stutze ich dennoch. Keinesfalls beachtlich prunkvoll geschweige denn fürstlich erscheine ich in den eher praktisch-schlicht gehaltenen Gewändern, in denen ich die Reitstunden absolvierte. Der kurze Mantel lediglich mit Grauwolfspelzbesatz. Ebenfalls damit gefütterte Stiefel und lederne Hose schlammig verkrustet. Die Haare windzerzaust und schmucklos. Außerhalb des königlichen Hofes kennt mich kaum jemand, denn nur selten verlasse ich ihn. Dennoch, spüren kann ich, dass diese Frauen nicht nur Dwalins hohem Rang huldigten. Es erschreckt mich, muss ich Euch kleinlaut gestehen.
„Bofur ... der Stallknecht ... du hattest dich bei seinem Meister erkundigt, ob die ihn betreffende Empfehlung Balins gerechtfertigt war. Gab es einen Grund für diese?" Dwalin lächelt und es liegt eine besondere Art wohliger Wärme darin. So als würde Glück ihn durchströmen wie Sonnenstrahlen rauschende Baumwipfel. „Er, wie auch sein Bruder Bombur und sein Vetter Bifur, gehören einer Familie an, die dem Hause Durins bereits seit seiner Gründung dienen. Fenna ist ihre Großtante und sie bat Balin ihnen nach der erfolgreichen Kampfausbildung anständige, ihre Fähigkeiten fördernde Lehranstellungen zu suchen, damit sie die Familienpflichten weiterführen können." Ich senke überlegend den Blick, während wir durch den reich mit Gold und Schnörkeln verzierten Torbogen, der die zwei Welten - Elend und Punk - voneinander trennt, schreiten, denn zumindest einer der Namen kommt mir bekannt vor. „Bombur ... ich entsinne mich, er ist unser neuer Kochlehrling. Jassin erzählte mir von ihm und einmal sah ich ihn vollgepackt mit Töpfen und Pfannen und dennoch einen von Fennas Krapfen im Mund durch die Küche eilen."
Dwalin lacht leise, dennoch flattert der Ton bewegt tief in seiner Brust. Es ist mir das liebste Geräusch auf Erden, denn so selten wie den Gesang der Kirinke* hört man ihn. „Ja, genau das ist er. Bifur, der Älteste und handwerklich sehr begabt, fand bereits vor einigen Jahren als Geselle des königlichen Baumeisters Anstellung, Bofur, ebenfalls außerordentlich geschickt aber vor allem tierlieb, wird eines Tages Stallmeister und Bombur, nun ja, er kochte schon immer sehr gerne und vor allem reichhaltig. Fennas Krapfen gehören allerdings zu den wenigen Gerichten, die er sich backen lässt."
Nun lache auch ich und bleibe kurz vor der Tür zum Blauem Saal stehen, um unser Gespräch zu Ende führen zu können, ungeachtet der Dringlichkeit, mit der Thorin auf Dwalin wartet und nach mir rufen ließ. „Ich verstehe ihn. Keine besseren habe ich bislang in meinem Leben gegessen." Ein letztes schelmisches Lächeln gestattet sich der große Krieger, bevor er die finstere Maske der Grimmigkeit, die seine Stellung fordert, wiederaufsetzen muss. „Ich ebenfalls. Aber so wie ich hörte, konnte er ihr das Rezept dafür zumindest teilweise entlocken." Ein abschließendes Augenzwinkern, das leise Knarzen der sich durch seine Hand öffnenden Tür und unverzüglich vergangen ist Fröhlichkeit und freundschaftliche Atmosphäre zwischen uns. Ernst werden unsere beider Gesichter, nicht nur, weil es die Gesellschaft verlangt, sondern vor allem, da uns augenblicklich ein aus dem Saal quillender, tiefdunkler und bedrückender Schatten einem Leichentuch ähnlich umschließt.
Sorge und Angst die dieser heraufbeschwört lasten schwer auf den eben noch so leichten Herzen. Ich höre sie an Dwalins tiefer werdenden Atemzügen, sehe sie an sich verfinsternden Augen und den sich anspannenden Muskeln, als würde er sich einem Raubtier gleich zum Kampf bereit machen. Thorin steht mehr, als das er sitzt an seinem angestammten Platz, die Hände schwer und verkrampft auf die glänzende Platte des Tisches gestützt. Das Gesicht verzogen in Unruhe und ... Zorn ... einem solchen, den ich noch niemals in einer derartigen grausamen Schrecklichkeit an ihm sah. Er macht mir Angst. Fürchterliche Angst sogar. Noch mehr, als ich Balin neben ihm entdecke. In seinem Stuhl zusammengesunken, die Augen überdeckt von einer Hand, die Lippen so fest aufeinandergepresst, dass sie lediglich einem schmalen Strich entsprechen. Entsetzlicher und sorgenbereitender ist sein geplagter Anblick noch als der Thorins. Alles zusammen quält mein Herz und macht das Atmen schwer, als würde ein Schraubstock den Brustkorb zusammenquetschen.
Thorin bemerkt uns schließlich und sein Blick ist finster. Kein ach so geliebter Glanz schillert mehr in den Eisseen seiner Augen. Jeglicher freundliche Schimmer verlosch unter dem Einfluss der dunklen Einschlüsse. „Ihr kommt spät!" Die harsche Stimme aufgebrachter und dunkler noch als seine Physiognomie. Entschuldigend verbeugen wir uns vor unserem Herrn. Gefügig wie schon lange nicht mehr und in Dwalins Fall vielleicht noch nie.
Schnell nehmen wir die uns zustehenden Plätze ein, nachdem er gnädigerweise ohne weitere Rüge diese mit einem lapidaren Wink annahm. Dwalins Niedersinken auf seinen Stuhl ist schwer und der Blick, den er in die Runde wirft, fragend. Meine Hand, die ich hoffentlich unauffällig über Balins muskelverspannten Rücken gleiten lasse, während ich mich hinter ihn stelle ebenso und zugleich mit dem Versuch Trost zu spenden versehen. Verwundert schaut er auf, die Augen trüb und trauervoll. Aber noch bevor er dazu kommen kann zu erläutern, was ihn so bedrückt, beginnt der Meister des Berges zu sprechen, aufgebracht und ebenfalls wütender als ich ihn jemals erlebte. „Hoheit, es ist unverantwortlich, dass Ihr Euch in der herrschenden Situation und in Zeiten der Unruhe auf solch eine Reise begeben und für diesen Wahnwitz dem Rat zudem zwei wichtige Mitglieder entziehen wollt. Ich als Verantwortlicher für die Belange Eures Volkes ..."
Thorin unterbricht ihn brüsk. Die niedersausende Faust zersplittert die Oberfläche des starken Holzes und verursacht ein schauriges Geräusch, das jedem im Saal erschrocken zusammenzucken lässt. „Ich habe nicht nach Eurer oder der Meinung eines anderen in diesem Raum gefragt, sondern den Rat lediglich über meinen feststehenden, nicht mehr zu debattierendem Entschluss unterrichtet. Mein Vater, Euer König, ist irgendwo. Gefangen, gefoltert, umherirrend in der Wildnis, sich versteckend oder durch anderweitige Umstände daran gehindert zu seinem Volk zurückzukehren. Und ich werde ihn finden, das bin ich ihm schuldig und es wäre Eure Pflicht dieses Unterfangen mit Wohlwollen zu sehen und nicht mit solch einer infamen Abneigung."
Nun wird mir bewusst, was diesen grauenvollsten aller Schatten heraufbeschwor und noch quälend-todbringend-brechender legt er sich auf das Herz als ohnehin bereits. Auch Dwalin begreift und genauso wie sein Bruder verbirgt er das plötzlich kummervolle Gesicht in die Hände. Ich möchte mich ob seines Anblicks zu Thorins Füßen werfen, ungeachtet der Gesellschaft. Möchte ihn anflehen, diesen Plan zu überdenken. Zu bleiben. Sich und andere nicht einer solchen Gefahr auszusetzen. Ihn mit den Tränen umstimmen, die sich brennend bereits ankündigen und nur mit viel Beherrschung und Schmerz zurückgedrängt werden. Aber keinen Sinn wird jeglicher Einspruch, jegliches Flehen, Bitten und Betteln haben. Seine Entschlossenheit und damit verwobene Sturheit ist stark, unbezwingbar. Keine noch so vernünftige Meinung lässt er in manchen Dingen gelten, die sich nicht seiner anschließt. Ich werde ihn verlieren, das spüre ich. Und nicht nur ihn ...
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Stille und Dunkelheit herrscht in der Gesindeküche. Dort, wo sonst hastiges Treiben voller Leben und Lachen und heiteren Gesprächen die Atmosphäre erfüllt, wiegen sie noch schwerer. Sind noch bedrückender. Noch grausamer. Lediglich das beständige Tröpfeln der Wasserpumpe hämmert dröhnend in dem gedankenvollen Kopf. Wie erwartet widerstandslos verlief die weitere Ratssitzung nach Thorins Ansprache. Einzig die allzu deutlichen Sorgen und Ängste in den Gesichtern, versuchten still aufzubegehren. Aber ihr ignorieren fällt allzu leicht, wenn man sie nicht sehen will.
„Du bist noch auf." Es ist die liebevolle Kaminfeuerstimme Dwalins, warm und flackernd und einen plötzlichen Lichtschimmer spendend, die in den Raum fließt und für einen kurzen Moment vermag mein vom Schatten umschlossenes Gemüt zu erhellen. „Ich kann nicht schlafen", murmle ich, während er sich direkt neben mich auf die fellgepolsterte Bank niederlässt. Zugeneigt wie seine Stimme ist sein Körper. Kraftvoll, kummer- und kampfgeprüft und dennoch sanft, und ich lehne mich an ihn, an diese starke Schulter unter dem Samt der Uniform, in einem Akt des absoluten Vertrauens, und dem Versuch Trauer und Verzweiflung, diese bedrückende Gefühle, die das Herz belasten, von ihm zu nehmen. Es funktioniert, wenn auch nicht genügend.
„Von welchen zwei Ratsmitgliedern, die Thorin mit sich nehmen will, sprach Meister Skirr?", frage ich schließlich, die Antwort durch Gedanken die ich mir darum machte bereits vermutend und schreckliche Angst vor ihr habend. „Von Balin und mir", bestätigt er und mein tränenschweres Seufzen ist selbst mit der eisernsten Disziplin eines Zwerges nicht zu unterdrücken. „Wir folgen ihm freiwillig, genauso wie Oin. Er plante es bereits ein Jahr und fragte uns zuerst. Nur uns will er dieses Mal mitnehmen, nicht Viele in diese Gefahr bringen, die er sich durchaus bewusst ist, ungeachtet von Gegensprachen, die vor allem ich hatte. Ich hätte bloß nie damit gerechnet, dass er es gerade heute, am Todestag seines Großvaters, dem Rat vorbringt."
Die Aufklärung lindert den Schmerz nicht. Was nützt es mir, wenn Thorin nur wenige mit sich in den sicheren Tod führt. Jeder von ihnen ist mir ein geschätzter Freund und ich werde sie vermissen und um sie trauern bis mein Herz letztendlich zerbricht an dem Schmerz, sollten sie, so wie ich befürchte, nicht zurückkommen.
„Ich habe deswegen etwas für dich", sagt Dwalin nach einigen Momenten der Ruhe und als er mich von sich löst, entdecke ich mit Schrecken die fließenden Tränen, die sich unbemerkt auch aus seinen Augen stahlen. Schmale, glitzernde Streifen im schwachen Licht der Öllampe, die er mitbrachte und vor uns auf den Tisch stellte. Auch er hat Angst. Weiß er doch nur zu gut um die Schrecklichkeiten, die lauern.
Etwa Längliches in ein braunes Ledertuch gewickelt holt er schließlich aus den Tiefen seiner Manteltasche. Ein Dolch kommt zum Vorschein, als er es bedächtig umschlägt. Schwarzer, harter Obsidian mit silbernen Schnörkeln und marmorierter Damaszenerstahl. „Er wird dir vielleicht einmal nützlich sein." Unersetzlich ist er, über die Kostbarkeit der Materialien hinaus. Eine Beigabe zu seiner Brosche, die mir ebenfalls Schutz gewährt und noch mehr.
„Ich danke dir", schluchze ich, die nun willentlich fließenden Tränen lasten schwer auf der unter ihnen zitternden Stimme. „Dieses Mal habe ich wenigstens Andenken an dich, dir mir das Zurückgelassenwerden zwar nicht erleichtern, aber die Erinnerung an Freundschaft und Güte aufrechterhalten." Dwalin sieht mich an, mit in Verwunderung zusammengezogenen Augenbrauen. „Er hat es dir noch nicht gesagt?" Ich stutze. Das Fließen der Tränen versiegt. „Wer hat mir was noch nicht gesagt?" Er senkt überlegend den Blick, sichtlich mit sich ringend, ob er ein anscheinend bisher wohlgehütetes Geheimnis offenbaren soll oder nicht. Schließlich sieht er mich wieder an und weniger Schmerz als vormals trübt seine Augen. „Thorin verfügte, dass du mit uns kommen sollst."
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* Kirinki - Die Kirinki bilden eine auf Númenor heimische Vogelart. Die Tiere sind in etwa so groß wie Zaunkönige und haben ein scharlachrotes bis purpurfarbenes Gefieder. Die Stimmen der Kirinki sind sehr hoch und für Menschen gerade noch hörbar. Zwerge, Elben und Hobbits dürften diese allerdings mit ihrem guten Gehör wahrnehmen können.
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