Schwarzer Rabe, ich bin dein
„Oh, Dwalin, sieh nur, was für lange Ohren der Hase dort drüben hat ... und ist dieser Schmetterling nicht genauso herrlich-bunt-schillernd wie die Blüte, die er umwirbt ... und da, hast du das Reh gesehen, was eben im Unterholz verschwunden ist, wie braun sein Fell war ..." Obgleich das Gebiet, das wir nach dem Verlassen des hügelig-zerklüfteten, im Schatten des Ered Luin liegenden Vorlandes nunmehr durchwandern, lediglich aus Heide mit den hierfür typischen zwergenhochstehenden und duftenden Kräutern, kriechenden Wacholdersträuchern, Gras und nur wenigen Hainen besteht, eine Unmenge an neuen, aufregenden Dingen gibt es für mich zu entdecken: Wildtiere die ich noch nie lebendig sah, Vögel die in den sonnenlichtdurchfluteten Kronen von uralten Bäumen sitzen und ihre Lieder singen, Pflanzen und Blumen, deren eigenartige Schönheit kaum zu beschreiben ist. Demnach unentwegt unterrichte ich Dwalin, der noch immer neben mir reitet und dies wohl allmählich bereut, laut und begeistert hoch plappernd als wäre ich Jassin von den vielen Eindrücken, frage ihn beharrlich nach den Bezeichnungen von Unbekannten, presche voraus, bleibe zurück um etwas genauer zu betrachten, so, dass er mich mahnen muss, wieder aufzuschließen.
„Astâ", knurrt es plötzlich von der Spitze unseres kleinen Zuges, als würde uns dort ein Wolf auf Beutezug anführen, „benimmt dich nicht so, als würdest du zum ersten Mal in deinem Leben einen Hasen sehen!" Thorin maßregelt mich mehr als enerviert klingend, wohl auch, weil er ein solch flatterhaft-aufgeregtes Verhalten wie das eines jungen Vogels nicht von mir gewohnt ist. „Aber Herr, das tue ich. Bislang sah ich solche nur von Fenna enthäutet, wenn Ihr einen von der Jagd mitbrachtet, deswegen hatten sie leider keine Ohren mehr, die ich bestaunen konnte." Meine Stimme klingt vergnügter als sie ob der Rüge meines Gebieters sein sollte, aber nachdem die erste Angst verging, beherrscht unbändige Freude über die so lang ersehnte Freiheit mein schnell schlagendes Herz und jegliche der Gedanken. Thorin legt den Kopf in den Nacken, verzweifelnd Mahal anrufend und sich wohl gerade überlegend, ob es wirklich eine solch kluge Idee war, mich mitzunehmen. Balin hinter ihm kichert leise und auch Oin versteckt ein amüsiertes Lächeln in seinem buschigen Bart. Dwalin hingegen lacht laut und brummend und sich nicht um Anstand und Respekt kümmernd, sodass er womöglich alle Tiere im Umkreis von hundert Fuß verscheucht. „Vergnüge dich nur an der Natur, Mädchen, auf welche Art auch immer", erlaubt er schließlich zwischen zwei Salven und das Lächeln, das ich ihm daraufhin schenke, ist freudestrahlend und verschämt zugleich.
„Sag Thorin, wohin gedenkst du uns noch einmal als Erstes zu führen?", fragt er infolgedessen unserem Befehlshaber jegliche Chance nehmend, gegen seine Genehmigung zu sprechen. „In die Ruinen der alten Stadt Fornost, ich hoffe dort jemanden zu treffen, der uns Auskünfte geben kann." Ich stutze. Seit fast einem Jahrhundert liegt diese einst glorreiche Stadt und Sitz der Könige des mit ihm untergegangenen Landes Arnor und später Arthedain bereits in Trümmern. Wer sollte hier schon leben, der zudem ein Freund der Zwerge ist und uns bereitwillig hilft.
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Der Abend dämmert leuchtend rot über den bereits weit entfernten Gipfeln der Blauen Berge, als würden Wolken und dunkelblau-türkiser Himmel in einem Meer aus Blut versinken. Das langsam fließende Wasser des Flusses Lhûn, an dessen üppig mit hohen Gräsern und sich im lauen Wind wiegenden Schilf bewachsenen Ufer wir rasten, funkelt trotz der schnell einsetzenden Dunkelheit noch immer erfrischend blau. Unendlich tief soll er sein und Wesen in diesen Abgründen beheimaten, die selbst die wortgewandtesten Barten nicht beschreiben können. Einige wenige Vögel singen noch und obwohl wir vier von ihnen erjagten, spielen vorwitzige Hasen in den buschigen Grasbüscheln fangen, ganz so, als spürten sie, dass wir zumindest für heute genug zu essen und sie somit nichts mehr zu befürchten haben.
Unsere Ponys scheinen so froh wie ich den ersten Tagesmarsch hinter sich gelassen zu haben und nun Ruhe zu finden. Gemächlich weiden sie unweit von uns angebunden an einen umgestürzten Baumstamm oder trinken das kühle Wasser. Kleine glitzernde Tropfen wie Diamanten habe sich in Khajmel schwarzem Fell verfangen, denn er prüfte die am Ufer noch flachen Untiefen auf Gefahren, indem er mit dem Hufen darin scharrte und sie hochspritzen ließ. Spaß und eine willkommene Abkühlung wird es ihm zudem gebracht haben. Sein erhitzter Körper dampft in der sich rasch abkühlenden Abendluft.
Ich reiße mich schließlich von seinem bezaubernden Anblick los und beuge mich nach vorne, um den Stock mit den darauf aufgespießten Hasen (leider erneut ihrer Haut und damit langen Ohren beraubt) die über dem Feuer braten zu wenden, da schießt ein unangenehmes Ziehen in meinen Rücken. Geübt bin ich darin, es aber nicht gewohnt den ganzen Tag zu reiten, und etliche Muskeln und Stellen meines Körpers fühlen sich verspannt und wundgescheuert an. Zischend und fluchend reibe ich mir die schmerzende Stelle. „Du wirst dich daran gewöhnen ...", Oins fürsorglich-warme Stimme schreckt mich plötzlich auf und mit einem ebensolchen Ausdruck in den steingrauen Augen, lässt er sich neben mir nieder. „Zwei, vielleicht drei Tage noch, dann wird der Schmerz nachlassen. Soll ich dir bis dahin eine lindernde Salbe geben, ich habe Arnika und Blauen Eisenhut dabei?"
Schnell und stürmisch ablehnend schüttle ich den Kopf, denn als Schwäche könnte man mir den Versuch der Erleichterung auslegen. „Vielen Dank, Meister Oin, aber ich werde sie nicht benötigen, der Schmerz ist erträglich." Der Heiler sieht zu Thorin und Dwalin hinüber, die das eben gesammelte Holz, um das Lagerfeuer auch über Nacht am Leben zu erhalten, zu einem ansehnlichen Haufen aufstapeln. „Du musst dir keine Sorgen bereiten, dass er dich für untauglich halten wird, allein mit dem Aufzug aus den behütenden Hallen des Berges bewiest du bereits beachtliches an Mut und Stärke. Nicht selbstverständlich ist es auch für zu Kriegerinnen erhobene Frauen diesen Schritt tatsächlich zu wagen." Errötend wende ich mich ab und wieder meiner Aufgabe zu.
„Hätte ich denn eine Wahl gehabt." Vielmehr als Fest- denn als Fragestellung formuliert und gemeint. „Natürlich, Thorin hätte dich deiner Verpflichtung entbunden, wenn du ihn darum gebeten hättest ... aber das hast du nicht ... Warum?" Ich senke erneut verlegen den Blick, zögernd, ob ich ihn beichten soll, welch eigentlichen Gründe neben dem Drang nach Freiheit mich diese gefährliche Reise antreten ließen. „Schon einmal bangte ich zurückgelassen um kostbares Leben und zugrunde gegangen wäre ich wohl dieses Mal unter Sorge und Angst, die ich mir erneut und sicherlich noch viel quälender bereitet hätte." Viel offenbart es und doch zu wenig, den auszudrücken vermöge selbst die abscheulichsten Worte nicht, wie sehr mich allein der Gedanke sie in Unsicherheit zu wissen martern würde. Jeder einzelne von ihnen ist geschätzt und wird verehrt, über die ihnen als Herren zustehenden Empfindungen hinaus. Oin steht lächelnd auf und legt mir eine wärmend-heilende Hand auf die schmerzende Schulter. „Du bist ein gutes Kind ... nein ... eine achtenswerte Frau", flüstert er anerkennend und lässt mich dann allein, um nach den Pferden zu sehen.
Voller verwirrender Fragen blicke ich ihm hinterher. Selbst in dem Stand einer Kriegerin erhoben, gelte ich noch immer als blutjung und verbunden mit der bisherigen Taten- und Erfahrungslosigkeit was Ehre und Ruhm hervorbringen könnte, kaum dafür auserkoren bewundert zu werden. Warum also sollte mich allein der Wunsch nach Sicherheit meiner Herren dazu erheben?
„Alle in Ordnung mit dir?" Dwalin ist es, der mich unerwartet anspricht und die Gedanken vergessen lässt. Verschämt streiche ich eine vorgefallene Haarsträhne zurück und blicke zu ihm auf. „Ja, ja, alles in Ordnung ... das Essen ist gleich fertig", hasple ich und drehe um dies zu verdeutlichen, erneut am langsam bereits schwarz vom Ruß werdenden Stock. Er lässt sich daraufhin mit einem brummenden Laut der Zufriedenheit und, wenn es nicht respektlos wäre dies zu denken, ebensolchem Ausdruck der schmerzenden Muskeln direkt neben mir im weichen Gras nieder. „Sehr schön, ich habe nämlich Hunger", sagt er und greift bereits nach einem der gut gebräunten Kaninchenschenkel ... wenn ich seinen ungeduldigen Fingern nicht mit einem leichten Klaps Einhalt geboten hätte. „Würdet Ihr gefälligst warten, es wird gegessen, wenn alle mit ihrer Arbeit fertig sind und sich versammelt haben." Dwalin sieht mich augenblicklich so herrlich entrüstet und mit großen Augen an, dass ich schnell den Blick abwenden muss, um nicht in unschicklich-schallendes Gelächter auszubrechen.
„Recht so, sonst ist er immer der Erste am Feuer und bedient sich, während die anderen noch schuften." Thorin setzt sich plötzlich uns gegenüber auf einen Stein, der mit viel Fantasie einem schlichten Thron ähneln könnte. „Du tätest gut daran, dich ein wenig in Geduld zu üben, mein lieber Freund." Dwalin schnaubt missmutig aus und immer mühevoller wird es die Kontenance zu bewahren. „Du weißt doch, dass mir dies schwerfällt." Thorin lächelt, aber es ist ein berechnendes, ja beinahe arglistiges Lächeln. Keine sonst so herzensgute Wärme liegt darin, demnach erzittern lässt es mich. Dies ist kein auflockerndes Gespräch unter Freunden um die gelöste Lagerfeuerstimmung nach einem langen, anstrengenden Tag auf der Straße aufkommen zu lassen, sondern ein Kampf. Aber um was ... und warum? „In manchen Fällen wirst du es wohl leider müssen."
„Thorin, ich denke, mein Bruder, auch wenn er ein Holzkopf ist, wird genau wissen, wann es angebracht ist Geduld aufzubringen." Wie bin ich froh, als Balin sich endlich zusammen mit Oin neben ihn setzend und wie immer kluge, beschwichtigende Worte findend, die Situation löst. Thorins Augen wandeln sich innerhalb eines Wimpernschlags. Werden erneut sanft und warm und so, wie ich sie kenne und liebe. „Du magst recht haben, bahair", sagt er einsichtig, aber dennoch bleiben bittere Unversöhnlichkeit und mahnender Klang in seiner Stimme bestehen.
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„Ah, das war gut. Genau die richtige Garzeit genossen die Viecher." Dwalins Kompliment an die bescheidenen Kochkünste erzeugt ein verschämtes Lächeln, während er sich zufrieden erscheinend an einen Baumstamm lehnt. Kein weiterer Kampf entfachte während des Essens und meist wurde über Belangloses geredet. So sehr es mich auch immer noch interessiert, ich traute mich dennoch nicht zu fragen, wen Thorin hofft in den Ruinen von Fornost zu treffen. Alle anderen scheinen diese Information zu kennen. Vielleicht sollte ich Balin um Auskunft bitten. Mehr als nur einen Namen und vage Angaben werde ich vermutlich von ihm erhalten, womöglich eher eine Abhandlung über die ereignis- und ruhmesreiche Geschichte der Stadt und ihrer ehemaligen Könige und Krieger bis zurück zu ihrer Gründungszeit. Ein Almanach ist nichts im Vergleich zu der Wissensflut, die er trotz des jungen Alters besitzt.
„Dwalin, Astâ, ihr übernehmt die erste Wache ... Balin, Oin, ihr die zweite und ich die dritte." Einheitliche Zustimmung zum Befehl dringen durch die von Müdigkeit und Sättigung schweren Lippen aller und kaum verbergen kann ich das freudige Schmunzeln darüber meine erste Wacht überhaupt mit ihm verbringen zu können. Aber noch lange nicht scheinen sich die anderen zur Ruhe geben zu wollen, steht der Mond doch leuchtend rund und voll am Himmel und spendet, wenn auch fahl, genügend Licht. Pfeifen werden hervorgeholt und gestopft. Schwerter und Äxte poliert und begutachtet. Und dann, unerwartet, beginnt Thorin zu singen, während er in das lodernde Feuer starrt, so wie er es zu Hause des Öfteren als Ritual pflegt, um Ausgleich und Frieden zu finden, nach einem langen, anstrengenden Tag. Überrascht halte ich darin inne die letzten Handgriffe um das Lager für die Nacht vorzubereiten auszuführen.
Es ist ein Lied voller Schmerz und Trauer, aber dennoch findet sich auch Hoffnung in den tief in seiner Brust vibrierenden Worten. Von Verlust einer Heimat spricht es, von Feuer und Asche und Tod. Jedoch, ein Funke Trost spendet die Liebe zu Familie und der Angebeteten, die schöner ist als jeder edle Stein. Ein Lied unseres Volkes, dass während des langen heimatlosen Umherwandelns nach dem Angriff des Drachen entstand.
Noch nie hörte ich ihn singen, umso faszinierender klingt seine sowieso bereits melodische Stimme in dieser Umgebung voller Schönheit und grillenzirpender, baumwipfelrauschender Stille. Als käme sie aus den tiefsten Minen Khazad-dûms selber, dort geboren, wo die Wiege unseres Stammes liegt. Gebannt lauschen wir und es scheint, als würde jede Silbe mit den Funken des Feuers in die Nacht aufsteigen, dort ein letztes Mal auf den sanften Winden tanzen, um schließlich in ihnen zu verglühen. Wärme und Ruhe spendend, genauso wie Kraft für den nächsten Tag, der neue, unbekannte Ereignisse bringen wird.
Als er schließlich endet, widerstehe ich im letzten Moment dem Drang ihm zu applaudieren, denn niemand anderes scheint dies vorzuhaben. Offenbar ist es eine Art Gewohnheit oder Tradition, dass der Anführer in den Nächten unter freiem Himmel sein Gefolge mit Gesang auf die Nacht einstimmt.
„Kennst du auch ein Lied?", raunt mir Dwalin, neben dem ich mich niederließ um zu lauschen, plötzlich zu und lässt mich erschrocken zusammenzucken. „Ich ... ja, aber es wird kaum geeignet sein Euch zu erheitern", wehre ich schnell die damit implizierte Aufforderung ab, aber, es hätte mir klar sein sollen bereits nachdem ich das erste Wort sprach, dass sein entschlossener Sturkopf in manchen Dingen dem seines Vettern ähnelt. „So schlimm wird es schon nicht sein ... sing für uns." Schüchtern senke ich den Blick und versuche mich so unauffällig klein wie nur möglich zu machen. Eine warme, ermutigende Hand ist es jedoch, die verborgen vor den Blicken anderer sanft über meinen Rücken streicht, die mich schließlich Selbstvertrauen finden lässt.
Leise erst beginne ich die Strophen wiederzugeben, die mir einst meine Mutter unwillentlich beibrachte, indem sie sie meist in Momenten sang, in denen sie dachte alleine zu sein und die in den Silben mitschwingende Traurigkeit vor mir verstecken zu können. Aber auch an Tagen, an denen ich voller Kummer, Hunger und Durst war, geschunden von anstrengenden Arbeiten oder verletzenden Worten ob der Tatsache, dass ich als Bastard unehrenhaft lebte.
Schwarzer Rabe, schwarzer Rabe,
warum kreist du über mir?
Noch bin ich nicht deine Beute,
noch gehöre ich nicht dir.
Warum zeigst du deine Krallen
über meinem Haupte hoch?
Reizt es dich, mich anzufallen?
Schwarzer Rabe, warte noch!
Mit dem Tuche, dem geschenkten,
deck ich meine Wunde zu.
Danach werd' ich über eines
mit dir reden, ich und du.
Flieg herbei in meine Nähe,
sage meinem Wolfe,
meiner Holden, dass gefallen
ich für meine Heimat bin.
Nimm das Tuch, das blutgetränkte,
trag's zu meiner Liebsten heim.
Sage ihr, sie wird nun frei sein,
Eine andre sei nun mein,
denn an einem Busch im Felde
nahm ich eine stille Braut,
und mein scharfer spitzer Säbel
hat uns beide dort getraut.
Glühend war der Pfeil, der uns hat
in der Schicksalsschlacht vereint.
Schon seh' meinen Tod ich nahen -
schwarzer Rabe, ich bin dein!*
Viele Jahre ist es her, dass ich dieses Lied sang, dachte lange noch nicht einmal mehr an seine Strophen. Umso tiefer berühren sie mein Herz, jetzt, da ich nachfühlen kann, wie es wäre die zurückgelassene Geliebte zu sein. Ängstlich darum bangend, dass ihr Krieger aus einer schicksalsträchtigen Schlacht zurückkehrt und dennoch vergebens. Als letzte Erinnerung einzig kleine wenn auch bedeutsame Dinge zurückbehaltend. Und als ich leise darüber schniefend aufsehe, betrachten mich vier Augenpaare, die den Schmerz nur allzu leicht nachempfinden können. Jeder von ihnen kämpfe wohl in Azanulbizar an der Seite meines Vaters, auch, wenn sie es nicht wussten.
„Welch schönes Lied ... ich habe es noch nie gehört", sagt Thorin schließlich, nachdem er sich anscheinend würdevolle Gefasstheit wiederfinden wollend räusperte. „Meine Mutter sang es immer ... ich weiß nicht, wo es seinen Ursprung hat", erkläre ich von Kummer gedämpft. „Umso kostbarer, dass du es mit uns teilst", bemerkt Dwalin und die liebevolle Sanftheit in seiner Stimme ist beinahe zu viel für mein kleines Herz, dass an diesem Tag bereits springende Fluten von Eindrücken und Neuerungen ertragen musste.
Später an diesem Abend, jeder außer er und mir schläft bereits verborgen unter dichten, wärmenden Pelzen und eine Lautstärke produzierend, die wohl Feinde im Umkreis von gut zehn Kilometern anlocken könnte, erlaube ich mir die in Gesellschaft auferlegte Höflichkeit ihm gegenüber abzulegen. „Welch Warg biss dich eigentlich mich solch einer Peinlichkeit auszusetzen", schelte ich ihn und versuche zusätzlich bestrafend einen Schlag auf seine Brust zu platzieren. Aber mit der Reaktionsfähigkeit eines geübten Kriegers festhalten kann er die Hände, bevor sie ihr Ziel finden. Näher kommt er daraufhin. Der Atem warm. Das feine Klirren der schweren Rüstung die er trägt kaum hörbar. Der tanzende Schein des Feuers lodernd auf hellgoldener, mit Zeichen besetzter Haut und in den Bernsteinaugen. „Weil ich wusste, dass du wundervoll singen wirst ... und du hast meine Erwartungen noch um ein Hundertfaches übertroffen." Ich schnaube ungeachtet des Kompliments noch immer wütend und versuche erfolglos trotz des zarten Drucks meine Hände zu befreien, ahnde ihn stattdessen letztendlich aufgebend mit einem vernichtenden Blick und schmollenden Lippen, die ihn allerdings lediglich schmunzeln lassen. „Würdest du noch einmal singen ... jetzt ... nur für mich?", fragt er und die Fassung verliere ich beinahe ob so viel Dreistigkeit. „Nur, wenn du es auch einmal für mich tust", schlage ich schließlich ein Friedensangebot vor und er nickt noch immer lächelnd und lässt endlich die Handgelenke los.
Noch einmal sehe ich mich prüfend um, ob wirklich jeder unserer Gefährten tief und fest schläft, und dann beginne ich erneut die Melodie zu formen. Noch leiser als vormals, aber wie das plätschernde, mondscheinbeschienene Wasser des Flusses scheinen sie auf Dwalin überzufließen, als er mich sanft, dagegen wenig reserviert an seine Seite zieht. Silbern-kalt sind die Glieder seines Harnisches, aber dennoch gelingt es der Glutofenwärme seiner Selbst durch sie hindurch zu sickern und mich wohlig einzuhüllen wie der starke Arm, der sich zusammen mit einer Decke um mich legt.
Gemeinsam dicht aneinandergeschmiegt beobachten wir das Lodern des Feuers. Lauschen den Geräuschen der Nacht. Erfreuen uns an dem Funkeln der Abermillionen Sterne am nächtlichen Himmel. Wachen über unsere schlafenden Waffenbrüder. Entsinnen uns des Schmerzes von Verlust und dass wir alles dafür geben würden, ihn nicht noch einmal ertragen zu müssen ...
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* Nach dem russischen Volkslied „Czarny kruku - Schwarzer Rabe" , mit kleinen Abwandlungen im Text der vierten und fünften Strophe.
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bahair – weiser Freund
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