Schreckensort
Khajmel fühlt sich sichtlich unwohl. Den Kopf tief gesenkt, mit angelegten Ohren und geblähten Nüstern, beschnuppert er die Planken des Bootes, in das die Elben ihn und die anderen Ponys mit etlichen Mühen aufgrund des bockigen Unwillens verfrachteten. Nur wenige Meilen müssen wir den Fluss Celebrant abwärts rudern, bis er an der östlichen Grenze Lothloriens in den gewaltigen Strom Anduin mündet. An dem des Zuflusses gegenüberliegendem Ufer grenzt etwa einen Tagesmarsch entfernt der Düsterwald. Ein kaum erforschter finsterer Fleck auf den Landkarten in dem allerhand an Unbekannten haust und der der Festung Dol Goldur Schutz vor Neugierigen bietet. Allzeit war sie besetzt von dem Bösen und Kreaturen wurden in ihren tiefen Kerkern gezüchtet, die jeglicher grausigen Beschreibung entsagen. Von riesigen Spinnen hörte ich, von zornigen Geistern, blutgierigen Werwölfen und fledermausartigen Vampiren. In ihr soll ein Schatten hausen, der seine Gestalt in ungeheuerliche Schreckensbilder wandeln kann, die die größten Ängste eines jeden Wirklichkeit werden lässt. Oh wie ergreift mich Furcht ihm zu begegnen, aber zeigen darf ich sie niemals, denn allzu berauschend glimmert Thorins neue Hoffnung.
„Möge eure Reise ein gutes Ende nehmen", wünscht uns die Herrin Galadriel zum Abschied. Von einem frischen Grün ist ihr Gewand, bildet einen herrlich anzusehenden Kontrast zu dem überall den Waldboden bedeckenden Gold der über Nacht restlos gefallenen Blätter und dem ihrer an den Bäumen sogleich neusprießenden in Silber.
Wir alle senken dankend nicht nur für dies unsere Blicke. Geschenke gab sie jedem Einzelnen von uns. Thorin, obwohl er ein solches anfänglich ablehnte, wurde ein Pokal überreicht, der ganz aus Kristall und goldenen Verzierungen einem König würdig ist. Nicht weiter ausschlagen konnte er diesen, nachdem sie offenbarte, dass Durin der Unsterbliche einen von gleicher Machart seinerzeit den Galadhrim als Symbol des Friedens zwischen ihren Völkern überreichte.
Oin erhielt ein Kästchen voller heilender Kräuter mit eigenartigen Namen und von noch viel merkwürdigerem Aussehen, aber Gerüchen, die allein bereits vermögen Geist und Körper zu beleben und die sich nur hier finden lassen.
Balin wurde eine Schreibfeder mit goldenem Kiel eines mir unbekannten Vogels geschenkt. Einmal damit versorgt, soll Tinte niemals mehr aus ihr versiegen.
Dwalin händigte sie einen Dolch mit silberverzierter, lederner Scheide aus, der, so berichtete die Herrin, einst von den Schmieden Khazad-dûms gefertigt wurde und so herrlich anzusehen ist, dass Tränen in mir aufsteigen.
Ich selber bekam von ihr eine Abschrift des Buches überreicht, dass ich einst in ihrer Bibliothek besah. In schwarzes Leder eingebunden und verziert mit zwei silber-goldenen Mallornblättern. „Möge es Euch Wissen schenken in Zeiten großer Not, wenn ihr verzweifelt an Krankheit und einhergehendem Tod, die Schätze bedrohen, deren Wert in Eurem Herzen kostbarer sind als alles Gold und edle Gestein." Trocken schlucke ich bei ihren das sowieso bereits unersetzbare Geschenk begleitenden Worten. Niemals hoffe ich, werden mir solch Momente bevorstehen.
Lange noch blicken wir zurück, während die Boote sanft über das Wasser gleiten. Wie sehr werde ich diesen Ort doch vermissen. Die Ruhe und Sicherheit, das Wandeln unter Bäumen und die Farbenpracht der Wiesen. Die Herrin die über all dies mit Güte und Wissen herrscht und Feria, die mir eine gute Freundin wurde. Welch wundervolle Erinnerungen und noch so viel mehr bleiben mir. „Du trägst ja einen Bogen." Dwalins Bemerkung reißt mich schließlich aus der verabschiedenden Wehmütigkeit. Nicht länger verstecken wollte ich meine neue Waffe und so wundert es mich auch nicht, dass er sie recht schnell zusammen mit einem reichlich durch weißgefiederte Pfeile bestückten Köcher entdeckt. Ich lächle, denn durchaus belustigend ist sein fragender Gesichtsausdruck. Ärger darüber, lässt sich allerdings nicht in ihm finden. „Ja, Feria hat ihn mir geschenkt und mich auch in seinem Gebrauch angeleitet", erzähle ich nicht ohne Stolz. Dwalin blinzelt und wendet sich dann ebenfalls lächelnd ab. „Aber nicht, dass aus dir auch noch eine Elbin wurde, denn kaum ertragen könnte ich diese arrogante Reserviertheit bei dir", sagt er sich nicht eines spöttischen Kommentars beherrschen könnend, aber wenig macht er mir aus, weiß ich doch, dass dies nur schützende Fassade ist, unter der sich so viel mehr verbirgt.
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Der Festung Dol Guldur ins düstere Angesicht zu sehen, ist noch sehr viel erschreckender, als ich es mir in allen Vorstellungen erdachte. Spitze Türme, manche groß, manche klein, aber größtenteils zerfallen und überwuchert von dicken Efeuranken mit im wenigen Licht schwarz glänzenden Blättern, ragen auf in einen regenwolkenschweren Himmel. Mauerruinen erheben sich zeugend von verlassenem Verfall düster und still zwischen verbrannten Baumstümpfen und hohem, trockenem Gras. Ihn ihnen verbliebene Scharten und Fensterlöcher blicken wie böswillige Augen auf uns hinab und Zeichen sehe ich, die von dunkler Magie, Tod und Verbannung sprechen, sollte man ihre mahnenden Worte diesen Ort nicht zu betreten ignorieren. Dicker, grauer Nebel hängt reglos zwischen den Trümmern und einige Krähen sitzen krächzend auf ihnen oder kreisen in Schwärmen hoch über unseren Köpfen. Eine kaum mehr begehbar anmutende Brücke spannt sich von dem Ende des Weges, denn wir durch den Düsterwald nahmen, über einen mit spitzen Dornenbüschen übersäten tiefen Graben, bis zum Eingangstor. Oh Mahal, dort hinein wollen wir wirklich gehen?!
Unsicher sehe ich zu Thorin, aber die hoffnungsvolle Entschlossenheit die seinen Blick festigt, wenngleich auch er deutliche Beklommenheit ob des abschreckenden Zustandes ausstrahlt, lässt keinen furchtsamen Rückzug zu. Sicher binden wir die Pferde an verfaulend-bemoosten Baumstämmen an und betreten mit gezogenen Schwertern und Äxten die bröckelnden Steine der Brücke. So schmal ist sie, dass man nur hintereinandergehen kann und der Blick in den Abgrund unter ihr beschwört ein noch mulmigeres Gefühl als sowieso bereits tief im Magen herauf. Mit Erschrecken erkenne ich hängend zwischen den blutroten Spitzen Fetzen von Gewändern und wie das Weiß von Gebeinen unter dem dunkelgrünen Gestrüpp hervor blitz. Schnell wende ich den Blick ab und dem Tor zu. Seine von Feuerzungen gezeichneten Eichenflügel wurden aus den Angeln geschlagen und versperren übereinanderliegend den Eingang.
Ein Innenhof eröffnet sich uns, nachdem wir mühsam über sie hinweg klettern mussten, der übersäht ist mit Trümmern und Schutt unter denen halb verborgen weitere mitunter schwarz-verrußte Gebeine liegen. Die ihn umgebenden Mauern sind teilweise eingefallen, geben so den Blick frei auf das verwittert-verwüstete Innere der Festung, und sind bedeckt mit armdicken, dornigen, miteinander verwobenen Ranken. Eine einzelne Krähe sitz auf den Überresten einer Statue, die einen König der Menschen zeigt, der finster unser Eindringen missbilligend unter seinem hohen Helm hervorschaut. Ein Schwert stellte er vor sich, das breit ist und obwohl aus Stein, scharf und tödlich erscheint. Der schwarze Vogel krächzt heiser, als hätte er schlimme Halsschmerzen und plustert sein zerzaustes Gefieder auf. Kurze mutmaße ich, ob er uns wohl erwartete.
Vorsichtig bahnen wir uns einen Weg durch die Ruinen. Die Gänge, die wir passieren, sind eng, ihre Wände rußgeschwärzt und übersäht mit tiefen, nicht natürlichen Scharten. Langsam hebe ich meine Hand und will eine von ihnen berühren, um in Erfahrung zu bringen, was das Gestein zu erzählen hat. „Nicht", mahnt Balin sogleich, als er bemerkt, was ich vorhabe, „Grauen und Schmerzen, die dieser Ort sah, werden unerträglich sein und dir den Verstand nehmen." Schnell ziehe ich die ausgestreckten Finger zurück, während ob seiner Warnung ein kalter Schauer durch den Körper kriecht.
Auf einen weiteren von hohen Mauern umgebenden Platz gelangen wir schließlich. Über uns eröffnet sich der Himmel schwarz von regenschweren Wolken und als ich zu ihm hinaufblicke, erschrecke ich zutiefst. Mit verrosteten Ketten an den Vorsprüngen von Türmen festgemachte Käfige baumeln dort oben. In ihnen erkenne ich knochige Gestalten, ihre Hände noch immer im Todeskampf um die Gitterstäbe gelegt oder jeglicher Hoffnung beraubt zusammengesunken zu Häufchen aus Elend und Lumpen. „Bei Mahal, was für Grausamkeiten geschahen hier nur", flüstert Oin ebenfalls entsetzt. Oh bitte, bitte lasst Thráin nicht hier sein, bete ich zu unserem Schöpfer, während wir weitergehen, über weitere Haufen aus Geröll und Überresten klettern und schließlich gelangen an eine schmale, von Mauerwerk eingefasste Treppe, die hinab in einen düsteren Abgrund führt.
Keine Anzeichen für irgendwelches Leben das hier auch nur in den letzten Jahrzehnten irgendwie verweilte, fanden wir bislang, aber dennoch scheint es gerade dieser Weg zu sein, der Thorin vielversprechend erscheint. Allerdings sehe ich auch das besorgte Zögern in seinem und den Gesichtern meiner Waffenbrüder. Nicht wissen wir, was uns dort unten erwarten wird. Weitere Ruinen, Kerker - leer oder belegt - eine arglistige Falle gar. Trotz alledem geht Thorin beherzten Schrittes nach vorne und wird schließlich von der Dunkelheit verschluckt. Ich atme tief durch, umfasse das Heft meines Schwertes fester und bin froh, dass Dwalin eine starke Hand an meinen Arm legt und mich schützend und Mut spendend begleitet hinein in die beklemmende Finsternis.
Nahezu undurchdringlich ist sie für unsere Zwergenaugen, die sonst sogar der Düsterheit einer tiefen Mine trotzen. Ich sehe neben mich und wie die Dwalins rot glühenden Kohlestücken gleich das Rabenschwarz durchbohren. Vor mir leuchten weitere Paare, sich umblickend, jedes Hindernis, jede Bewegung in der Dunkelheit frühzeitig erkennen wollend. Schatten sind es nur, die sich ein wenig grauer hervorheben, wenn ein Felsbrocken den Abstieg versperrt. Ab und an stolpere ich über kleinere, nicht erkennbare, verhindere nur mit viel Glück und Dwalins Unterstützung, dass ich mich mit den Händen an den Wänden abfangen muss, denn nur allzu deutlich spüre ich, noch sehr viel mehr an erinnerten Grausamkeiten trägt der Felsen hier als Erinnerung in sich als anderswo innerhalb dieses grauenvollen Ortes. Nur schwerfällig je weiter wir in sie vordringen, sehe ich klarer aber dennoch weiterhin farblos die Umgebung.
Mit einer nicht sehr viel weiteren Breite als der Abstieg eröffnet sich uns schließlich an seinem Fuß ein gewölbter Gang. Muffig, nach von jeglichem Luftzug unberührten, alten Staub, sich mit ihm vermischender, aus dem porösen Gestein herausgedrückter Feuchtigkeit und allerhand Undefinierbaren und Ekelerregendem riecht es in ihm. Gerade aber dennoch so weit hinein in die Dunkelheit erstreckt er sich, dass wir sein Ende nicht abschätzen können. Still ist es hier. Bedrückend still wie in einer Gruft.
„Seid wachsam!", befiehlt Thorin und seine Stimme, obwohl gedämpft, hallt gellend laut von den Wänden wieder, so als störte sich die Lautlosigkeit an jedwedem Ton. Hellhörig mit verhaltenem Atem gehen wir weiter. Setzen vorsichtig einen Fuß vor den anderen, immer darauf bedacht nicht fehlzutreten, kein Geräusch zu verursachen und somit vielleicht hier Hausendes zu erwecken. Schließlich öffnen sich die Wände neben uns und lassen den Blick fallen in Zellengewölbe. Schutt türmt sich in ihnen und ihre Gitterstäbe sind größtenteils verbogen, verrostet oder aus den Verankerungen gerissen. Dennoch spüre ich, Schreckliches trug sich in ihnen zu. Folter, Schläge und Qual, schleichendes Verhungern, dahinsiechen an Verletzung und Krankheit, oder Selbsttötung, sobald sich dem den langsamen Wahnsinn ob der Einsamkeit und Entbehrungen verfallenden Delinquenten eine Gelegenheit dazu bot. Ich wende den verschwimmenden Blick ab und sehe an dem verräterisch zitternden Leuchten der Kohleaugen um mich herum, dass jedem von uns dieses grauenvolle Empfinden heimsucht.
Plötzlich aber hören wir ein polterndes Geräusch und augenblicklich entschwindet jedwede Trauer aus uns, um der unempfindlichen Unerschrockenheit eines Kriegers die Übernahme der Macht über Geist und Körper zu ermöglichen. Wir heben unsere Waffen, lauschen, starren in die dennoch weiterhin regungslose Dunkelheit. Vielleicht nur ein sich aus den Mauern lösender und hinabfallender Stein war es.
Aber dann, leise nur, schwach, kaum mehr als ein heiseres Krächzen, wird Thorins Name ausgerufen. Aber nicht den, der er für jedermann offen trägt, sondern seinen Ehrennamen in Khuzdûl ... Thanb ... Gewitterdonner. Ich zittere. Streng geheim wird dieser gehalten, ist nur Mitgliedern unseres Volkes bekannt. Bei Mahal. Das kann nicht sein. Kein zuversichtlicheres Zeichen gibt es, dass sich ein Zwerg hier unten aufhält, gefangen in den Kerkern.
Auch Thorin nimmt dieses als solches wahr und will bereits vorstürmen, da erzittert plötzlich das Gestein um uns herum. Eine bebende Welle aus Donner durchflutet den Gang, löst Steine aus dem Gewölbe und lässt sie auf uns hinabstürzen. „Raus hier!", schreit Thorin. Wir drehen um, fliehen blindlinks vor dem drohenden Einsturz, stolpern über Trümmer, stoßen an die Wände und werden nahezu des Lebens überdrüssig von den Erinnerungen, die sie auf uns übertragen.
Blut schmecke ich. Klebrig, schwer und metallisch bitter. Es rinnt meine Kehle hinab und nimmt mir den Atem.
Schreie höre ich. Schmerzvoll klagend. Das Zischen von Peitschenhieben. Das verblasende Wimmern von Sterbenden.
Rauch rieche ich. Brennend in der Lunge. Fäkalien und entzündete Wunden. Blut das heiß quilt aus Verletzungen und sich ergießt auf den schmutzigen Boden.
Gefolterte sehe ich. Elben und Menschen und Zwerge. Kinder, Frauen, Alte, Krieger. Ihre abgemagerten Gesichter nicht mehr als gequälte Schatten, entstellend verzerrt im erlittenen Todeskampf.
Ihre Schmerzen fühle ich und sie überwältigen den Verstand.
Ich strauchle. Bleibe zurück. Stolpere schließlich über einen Stein und stürze schmerzhaft zu Boden. Weiter entfernen sich die Schritte meiner Gefährten und immer näher grollt der Donner. Ich schreie nach Dwalin. Verzweiflung, Schmerz und unermessliche Angst lässt die Stimme erschreckend kümmerlich erklingen, aber dennoch höre ich, wie sie innehalten, schließlich zurückeilen. Ich sehe ihre glühenden Augen in der Dunkelheit und will mich durch sie neuen Mut findend aufrichten, sinke mit einem Schrei zurück, denn ein unerträgliches Brennen flammt durch den Fuß, mit dem ich an das Hindernis stieß. Und dann erreicht mich die Donnerwelle schließlich, Steine fallen herab und versperren mir die Sicht auf das was mich so verzweifelt versuchte zu erreichen.
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