Rückkehrer
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Einzig gedämpft von den dann und wann die Wände verkleidenden dunklen Holztafeln hallen die Geräusche unserer hastigen Schritte durch die Gänge. Thorins Hand umklammert die meine. Fest und dennoch zitternd. Warm und trotzdem kalt. Unerbittlich zerrt sie mich mit sich in das Ungewisse, dass ich ergründen will und auch nicht. Denn je näher wir dem Haupteingang kommen, umso größer wird die Angst davor was mich erwartet und desto lauter werden aufgeregte Stimmen und herzzerreißendes Schluchzen, das eindeutig von der Herrin stammt und nichts Gutes verheißt.
Als wir die große Eingangshalle erreichen, hat sich dort bereits ein Pulk aus Hausangestellten, Soldaten und wenigen Angehörigen des Hofstaates gebildet. Einige von ihnen gestikulieren aufgeregt, andere stecken besorgt tuschelnd die Köpfe zusammen. Manch Dame verbirgt die zitternden Lippen hinter einem seidenen Taschentuch. Köpfe hängen, Augen weinen, Münder wispern und seufzen, stattliche Haltungen verkamen zu bedrückten. Schauderhaft dunkel ist die sonnenlicht- und kerzenscheindurchflutete Halle. Ehrfurchtsvoll tritt jeder beiseite, als das Eintreffen Thorins bemerkt wird und gibt den Blick einzig frei auf Balin.
Bei Mahals Willen, erschreckend wie der eines Geistes ist sein Anblick. Erschöpft und elend sieht er aus. Kein einziges Kleidungsstück am abgezehrten Körper nicht schadhaft, klatschnass und schlammig verschmutzt. Sonst so gepflegte Haare und Bart verfilzt und mit Blättern und Undefinierbaren übersät. Ebenso fleckig und getränkt mit geronnenem dunkelblutrot ein dicker Verband um den rechten Arm. Neben ihm hat sich Dís in die tröstenden Arme ihres Mannes geflüchtet und ich befürchte augenblicklich, dass ihre entgegen der sonst so ruhigen Ausstrahlung außerordentlich tränenreiche Trauer nicht nur von dem kläglichen Bild des Heimkehrers hervorgerufen wird. Denn so sehr ich mich auch bemühe in der Masse etwas zu erkennen, ich entdecke und fühle die herrschaftliche Präsenz König Thráins und die beruhigende von Dwalin nicht.
Thorin schreitet durch die Menge. Jeder Muskel, jeder Nerv angespannt in Sorge und Unruhe, denn ohne Zweifel bemerkte auch er unlängst das Fehlen. Balin senkt den Blick, nicht nur in Demut oder zur Begrüßung, sondern vor allem aus Scham. Trüb und peinigend erkenne ich sie in den braunen Augen, die einst so viel Lebensfrohsinn ausstrahlten und deren Güte so schmerzlich vermisst wurde.
„Mein Freund, wie schön dich unverletzt wiederzusehen", empfängt Thorin ihn und noch bevor Balin zu einer Erwiderung ansetzten kann, schließt er den Heimkehrer vor aller Augen in eine erleichterte Umarmung. „Wo ist Vater? Hat der Rat ihn bereits an den Stallungen abgefangen?", fragt er ohne Argwohn, nachdem sie sich wieder voneinander lösten und unvermittelt verdunkelt unerträglicher Schmerz Balins Augen. „Thorin ... es tut mir so leid ...", reut er mit tränenerstickter, geschundener Stimme, „... aber wir haben ihn verloren."
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„Wir wanderten den Anduin nordwärts entlang, nachdem wir das Schattenbachtal verließen", beginnt Balin zu berichten und unterbricht kurz, damit er mir für die Tasse dampfend-heißen Tees die ich ihm reiche danken kann. Wohlig glühende Wärme spendet das prasselnde Feuer im Kamin, als ich zusätzlich noch einige Holzscheite auflege um es ihm so behaglich wie möglich zu machen und zumindest den Versuch erwirke die noch immer klammen Kleider zu trocknen. Denn noch nicht einmal das Ablegen dieser erlaubte Thorin ihm nach der Offenbarung der Schreckensnachricht. Von dem dringend nötigen Versorgen einiger kleinerer Wunden, die ich erst jetzt von nahem erkannte, neben der zu erahnenden großen am Arm einmal ganz abgesehen.
Mit einer kurzen Kopfbewegung gibt mir Thorin schließlich zu verstehen, dass ich an seine Seite treten soll, obwohl es Zeit für mich wäre zu gehen, allerdings, erzählten sie den Heimkehrer doch bereits davon, dass ich unlängst den wahren Grund der Reise verriet. Balin hustet gequält und quälend, als die warme mit getrocknetem Salbei versetzte Flüssigkeit den geschundenen Hals hinabfließt und berichtet dann weiter. „Tagelang sahen wir nichts. Kein Feind, kein Tier, noch nicht einmal eine der Krähen, die sonst beständig unseren Weg ausspähten. Starker Gewitterregen setzte ein und zwang uns in den Saum des Düsterwaldes unweit des Elbenpfades Schutz zu suchen. Dwalin hielt Wache in der Sternenlosigkeit und bemerkte nichts Auffälliges, wie die vielen Nächte davor auch. Aber als wir am nächsten Tag erwachten, war Thráin verschwunden. Spurlos. Er ließ Pony, Schwert, Axt, Schild und Gepäck zurück, also mutmaßten wir, dass er lediglich die Gegend erkunden wollte und sich vielleicht im undurchdringlichen Gestrüpp verlief. Lange suchten wir nach ihm, riefen, drehten jeden Stein um, wagten uns gefährlich tief in den Wald und verloren zwei weitere Männer an ihn ... aber wir konnten ihn bei aller Mühe nicht finden. Schließlich gaben wir schweren Herzens auf und beschlossen nach langem Beratschlagen und drei weiteren Tagen mit Abwarten verbracht, dass es wohl das Beste sein würde zurückzukehren."
Während er spricht, versucht Dís in ihrem Kummer Stärke zu zeigen, kann ein leises Schluchzen dennoch nicht immer unterdrücken und die Gesichter der hohen Herren im Salon werden mit jedem Wort eine Nuance lichtloser und das Getuschel betrübter. Ich beginne unwillentlich zu zittern und selbst die beruhigende Hand von Thorin, die er kurz und sanft wie einen Wimpernschlag auf meinem unteren Rücken ruhen lässt, lindert Schwermut und Verzweiflung nicht.
Was für ein Unglück. Der König verschollen, vermutlich vom Feind gefangen genommen, höchstwahrscheinlich sogar bereits tot. Und noch etwas erregt Ruhelosigkeit. ... Dwalin ... Wo er ist, ob er den Berg zusammen mit den anderen erreichte, als das offenbarte sein Bruder noch nicht. Aber es ist schließlich Víli, der nach ihm fragt, denn auch dem Herzog ist er ein guter und treuer Freund.
Balin senkt den Blick. „Er lastet sich selbstquälerisch die Verantwortung für den Verlust an und verließ uns kurz vor den Toren. Um Buße zu tun bevor er euch unter die Augen treten kann. So faselte er zumindest, obwohl wir ihn nie auch nur einer Pflichtverletzung schuldig sprachen." Ich kämpfe vergeblich mit den unerbittlichen und sich nicht um Situation und notwendiger Verschleierung meiner Gefühle zu ihm scherenden stillen Tränen. Wenn ihm etwas passiert, so ganz alleine in unsicheren Landen und weiterhin Wind und Wetter schutzlos ausgesetzt! In Balins besorgniserregend-abgezehrten Zustand befindet er sich vermutlich auch, ein Befinden, das selbst den kräftigsten Krieger gefährdet, besonders, wenn er alleine reist.
„Dieser störrische Eigenbrötler", bricht die Empörung und Wut plötzlich aus Thorin heraus und lässt und alle erschrocken-ängstlich zusammenzucken. „Schelten müsste ich euch eigentlich allesamt, nicht nur ihn und insbesondere meinen Vater. Dieser waghalsige und unbedachte Plan von ihm hat euch alle in Gefahr gebracht und nun sehen wir ja, was er bewirkte. Heimlich, ohne uns etwas mitzuteilen und nur mit einer Handvoll Männer diesen verfluchten Berg zurückerobern wollen, welchem Wahnwitz war er nur verfallen?! Und dann habt ihr auch noch Unschuldige mit hineingezogen in euer Lügengewirr. Verlangtet Stillschweigen zu bewahren, obwohl ihr wusstest, was dies für eine kaum zu ertragene Last sein würde." Sein Zorn ist berechtigt, dass weiß nicht nur Balin und als sein trauriger Blick mich trifft, fühle ich mich noch mehr als Verräter als ohnehin schon, dass ich unserem Herrn jede Kleinigkeit dessen berichtete.
„Er wusste, dass wenn er besonders dir von Anfang an offenbart hätte was er vorhatte, du nichts unversucht gelassen hättest um mit uns zu kommen. Thorin, er sah bereits einen Sohn sterben und wollte diesen Schmerz nicht noch einmal ertragen. Er empfand es als die Plicht des Königs seinem Volk eine Chance auf ein anderes Leben zu geben, fernab des Exils, in dem wir uns befinden ... eine neue, alte Heimat ... sicher, wohlhabend, mächtig ... das Erbe seines Hauses ... dein Erbe, Durinul'rayadu, das du ersehnst anzutreten, als Voraussetzung, um eure Linie weiterzuführen. Und er wollte dieses alleine zurückerobern, ohne unnötig teure Seelen zu opfern wie in Azanulbizar." Balins Worte sind weise trotz des jungen Alters. Es scheint, als hätten die Erlebnisse und gesehenen Schrecken der Reise ihn scharfsinniger und überlegter werden lassen als ohnehin schon. Nicht nur an ausgesprochenen Gedanken erkenne man es, umso mehr sehe ich es an funkelnden Augen und trotz des Zorns der ihm lodernd entgegenschlägt geruhsamer und unerschütterlicher Haltung.
Thorin knurrt missmutig, genau wissend, dass der königliche Berater recht hat, und wendet sich den flackernden Flammen zu. Ruhe und Gedankenstärke findet er gewöhnlich beim Beobachten ihres tanzenden Spiels, das bemerkte ich bereits oft und wunderte mich ebenso darüber, nahmen sie ihm einst doch so viel Unersetzbares. „Astâ", lässt mich seine Stimme plötzlich aufschrecken, „bereite Balin ein Bad und kümmere dich um Hunger und zusammen mit Oin um seine Wunden."
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Neblig-wabernde Dampfschwaden hüllen mich ein, während ich heißes Wasser in den großen Zuber schütte. Strähnen der Haare kleben feucht an Stirn und Wange und die Tränen des Kummers fallen unablässig auf die sich ob ihrem Auftreffen kräuselnde Oberfläche. Welch Unglück habe ich nur über dieses Haus und mein Volk gebracht. Hätte ich doch sofort nachdem mich Dwalins erster Brief erreichte Thorin über die zum Scheitern drohende Mission seines Vaters unterrichtet. Vielleicht hätten sie ihn dann noch vor dem Überqueren des Nebelgebirges eingeholt und aufgehalten. Ich fühlte die Gefahr wie eine riesige eiserne Klaue, die unerbittlich und eiskalt das Herz umschloss und handelte dennoch nicht. Unglücklich verberge ich das tränennasse Gesicht in den Händen und bezwinge erfolglos ein tieftrauriges Schluchzen.
„Gräm dich nicht, Mädchen, dich trifft keinerlei Schuld", höre ich plötzlich eine ruhige Stimme und fahre erschrocken auf. Balin steht in der Tür. Schmutzig, müde, zerrissen nicht nur die Gewänder und verletzt nicht nur der Leib. Vertuschend wische ich Tränen und Trauer aus meinem Gesicht, aber es gelingt mir fühlbar nur unzureichend, denn noch immer kleben und brennen Wangen und Augen. „Doch Herr, das tut es. Ich habe mein Versprechen Euch und Meister Dwalin gegenüber gebrochen ... und für was!? Hätte ich doch nur den Mut gefunden es früher zu tun, dann wäre mir nur Euer Zorn sicher gewesen." Die Bitterkeit in den Bekundungen lässt sich ebenso wie die Tränen nicht eine fahle Nuance unterdrücken.
Balin hingegen legt mir eine gutmütige Hand auf die Schulter. „Falls es dir entgangen sein sollte, dein Herr hat dich von aller Schuld freigesprochen. Ich weiß nicht, und es sollte mich auch nichts angehen, wie du seine Gunst gewonnen hast, aber dich macht er keinen Deut dafür verantwortlich, wie dies alles endete. Und was zumindest mich angeht, muss ich dir eigentlich dankbar sein. Denn wenn ich ihm die Absichten König Thráins erst jetzt offenbart hätte, Ausmaß und Zerstörungskraft des brennenden Zorns möchte ich mir noch nicht einmal vorstellen."
Ich senke den Blick um das aufkommende Schmunzeln, das in dieser Situation der Trauer nichts zu suchen hat, zu verstecken, denn ja, diese Feuersbrunst heißer als Drachenatem hätte womöglich den ganzen Berg zum Einsturz gebracht und auf Jahrhunderte unbewohnbar zurückgelassen. Thorins Wut kann schrecklich sein. Unüberlegt. Verletzend und zerstörerisch. Ihrer begegnete ich bereits nur allzu schmerzlich. „Das Lächeln eines leichtherzigen Mädchens ist wie die helle Frühlingssonne nach diesen langen, dunklen Tagen. Es hat mir unter den ungehobelten Kriegern mehr gefehlt als eine warme Mahlzeit oder mein gemütliches Bett", sagt Balin sanft und streicht mir eine der feuchten Haarsträhnen aus dem Gesicht. Wie froh ich doch bin zumindest ihn wohlbehalten zurück zu wissen, lässt sich kaum in Worte fassen und lindert immerhin Schmerz und Kummer der Sorge ein wenig.
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Durinul'rayadu – Thronfolger Durins
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