Rückkehr unter Sorgen
Unser Zurückkehren nach Bree fühlt sich eigenartig an. Voller Hoffnung und Zuversicht brachen wir vor wenigen Tagen erst von hier auf und nicht viel mehr als ihre Gegenteile führen wir mit uns, als wir durch das südliche Tor reiten. Die Wachen betrachten uns mit ungewöhnlich emotionsvollen Gesichtern als wir vorüberziehen. Die Nachricht von unserem Misserfolg eilte uns wohl auf welchen Wegen auch immer voraus.
Durch das schöne und regenarme Wetter der letzten Tage mit dem sich der Sommer immer mehr zeigte und verhieß ebenso angenehm zu werden, trockneten auch die einst so schlammigen Straßen. Häuserfassaden und Fenster wurden gereinigt und Blumen begannen allerorts zu blühen. Plötzlich ist sie im goldenen Rot der allmählich untergehenden Sonne zu sehen, die schillernde Pracht einer einstig bedeutenden Handelsstadt, wenn auch der stetig versiegende Reichtum unwandelbar allzu deutlich ist und sich nicht mit wenigen Handgriffen entfernen lässt. Denn nun getrauen sich auch immer mehr Bettler ohne die Angst bitterlich zu erfrieren die Tage und Nächte unter freiem Himmel zu verbringen.
Ein Armenhaus gibt es hier, wie ich unlängst erfuhr, aber nicht einmal vorstellen möchte ich mir die elenden Zustände darin. Dennoch deutlich sehen kann ich sie an den dreckigen, zerlumpten Kleidern unter denen flohzerbissene und mit nässenden Ekzemen entstellte Haut hervorschaut und zu erahnen lässt sich der tagelange Hunger an den eingefallenen Wangen und glanzlosen Augen. Ein kleines Mädchen schaut mit ihnen unter darüber fallende strähnige braune Haare zu mir herauf. Fest hält sie ein kaum als dieses zu erkennende Püppchen mit den dürren, langen Fingern umklammert. Ihr wohl kostbarster Schatz auf dieser Erde, denn ihre nicht minder ein jämmerliches Bild abgebende Mutter neben ihr bittet die an diesem späten Abend Vorbeihastenden verzweifelt um einige Pfennige oder eine kleine Mahlzeit für etwas, dass wohl Schwefelhölzer sein sollen.
Ich zügle unweit von ihnen Khajmel. Steige schließlich nach einigen Momenten in denen ich zögerte und die Tränen versuchte am Ausbrechen zu hindern ab. Vorsichtig nähere ich mich ihnen, dennoch weicht das Mädchen von Furcht oder Unsicherheit getrieben zurück, bis sie schließlich von der Hauswand hinter ihr weiter daran gehindert wird. „Hab keine Angst", flüstere ich und schiebe die Hand in meine Tasche. Wenig an Geld trage ich bei mir. Für den Notfall ist es gedacht, denn Thorin als mein Herr begleicht auch auf Reisen alle meine finanziellen Verpflichtungen. Allerdings einen Silberpfennig ziehe ich schließlich hervor. Die Augen des Mädchens werden groß bei seinem glänzenden Anblick und die spröden Lippen öffnen sich staunend, enthüllen etliche Zahnlücken und verbliebene schwarzhalsige Stümpfe. Wohl noch nie hat sie so viel Geld auf einmal gesehen.
„Hier", sage ich sanft und strecke ihr die Hand hin. Sie sieht mich an. Dann das Geld. Dann erneut mich. Ich bestärke meine Gabe mit einem Lächeln. „Es ist nicht viel, wird aber zumindest für einige Tage reichen." Dicke Kullertränen schießen aus ihren Augen und ziehen breite glitzernde Spuren über die mit Dreck verklebten Wangen. Aber noch immer getraut sie sich nicht sich zu bewegen. Also nehme ich ihre zitternde Hand, die so klein und mager ist, dass sie in meiner fast zu verschwinden droht, und lege den Silberpfennig hinein.
Schnell wende ich mich danach ab und eile mich zu meinen Gefährten aufzuschließen, die unweit auf mich warteten und das Geschehen mit traurigen Augen beobachteten. Denn die bebenden Lippen, die schließlich ein schwaches, kaum von wirklichem Verstehen was gerade passierte geprägtes Danke hauchten, und der beständige Strom an Tränen beschwören die meinen unangenehm brennend herauf. Das Elend auf dieser Welt besteht allerorts und überall leiden vor allem Kinder unter ihm. Sterben qualvoll an Krankheit, Hunger, Schwäche oder ihnen angetaner Gewalt.
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„Das kommt gar nicht in Frage, Ihr werdet bei uns übernachten", protestiert Luisanne energisch wie es ein Hobbit nur kann mit in die Hüften gestemmten Händen, nachdem sich die Freude über die unversehrte Rückkehr ihres Mannes gelegt hatte. „Wie haben genug Zimmer und Gäste sind uns immer willkommen. Ihr werdet müde und vor allem hungrig sein und so sehr ich den alten Butterblume mag und es ihm gönne, sein Gasthaus ist immer mehr als überbelegt." Wahrhaftig scheint vor allem Thorin von Trauer und der bedrückenden Ratlosigkeit um unseren weiteren Weg äußerst erschöpft. Das Eis seiner Augen scheint gebrochen, tief hängen die Schultern und kaum einen Schritt weiter zu gehen als bis in ein gemütliches und sicheres Bett traue ich ihm momentan zu. Daher wenig überrascht es, dass er die Einladung dankend und unsere Dienste als Entschädigung nicht nur für die gestellte Unterkunft anbietend, annimmt.
Jeder von uns erhält in dieser Höhle, die weiter in den Berg hinein reicht, als ich anfangs dachte, ein eigenes Zimmer zugeteilt. Mir überlässt Luisanne nur allzu gerne und mit einem fröhlichen Lächeln auf den Lippen das bereits bekannte Zimmer ihrer jüngsten Tochter. Nach den dunklen und trüben Tagen voller Entbehrungen, Angst und Verletzung in der Wildnis tut es gut wieder Sauberkeit und Sicherheit um sich zu haben. Beruhigung suchend fahre ich mit den rauen Fingern über die eingeritzten Schnörkel der Kommode.
„Wenn Ihr möchtet, lasse ich Badewasser ein. Auch kann ich Euch ein frisches Untergewand zurechtlegen und Eure Kleider waschen und flicken. Der Staub der Hügelgräber haftet an Euch wie Pech. Schlimm muss es dort gewesen sein, wenn ich ein jeden von euch betrachte." Wenn sie nur wüsste, welche dunklen und nebeligen Pfade wir während der letzten Tage begingen. Kaum aushalten würde es ihr kleines, unschuldiges Herz von den Schrecken und Monstern, Wundern und Schmerzen zu hören. Selbst mir fällt es schwer zu begreifen, dass wir wirklich heil aus diesem Totenreich herausfanden. Also nicke ich das Angebot annehmend. „Zuallererst gesteht es aber meinem Herrn zu sich von den Zeichen der Reise zu befreien", merke ich an und sie lächelt verstehend.
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Viele Tage vergehen. Schleppend. Freudlos. Ohne neue Erkenntnisse. Thorin schloss sich derweil in seinem Zimmer ein. Lediglich einmal sah ich ihn kurz während er sich mit Dwalin und Balin im Salon beratschlagte und der Anblick erschreckte mich zutiefst. Seine Wangen wirkten eingefallen. Die Augen noch immer splitternd. Tief gebeugt unter der Last einer unermesslichen Qual saß er in einem Sessel am Feuer und starte geradezu teilnahmslos in die Flammen, während sein Berater versuchte auf ihn einzuwirken, dass es wohl das beste sei, nach Hause zurückzukehren.
Bruni derweil bemüht sich einen neuen Hinweis über König Thráins Verbleib in Erfahrung zu bringen. Zusammen mit Dwalin und Balin sucht er Händler und anderes fahrendes Volk die er zur Genüge gut kennt auf. Fragt geschickt aus und bohrt tief in Gedächtnissen. Aber egal ob sie von Süden, Norden, Westen oder dem weit entfernten Osten kommen, niemand scheint etwas von einem herumirrenden Zwerg gehört oder gesehen zu haben.
Luisanne und ihre Töchter versuchen uns von der Missstimmung abzulenken, indem sie wie es bei Hobbits anscheinend üblich ist Unmengen an Köstlichkeiten backen und kochen und eifrig sind uns jeden noch so kleinen Wunsch von den Lippen abzulesen. Oft begleite ich sie auf den Markt oder zu Verwandten und zahlreichen Freunden. Führe lange Unterhaltungen über meist Belangloses, dass es aber vermag abzulenken und die Stimmung ein wenig aufzuheitern. Jedoch jeden Abend, wenn ich höre, dass Thorin erneut sein Zimmer nicht verließ, Essen und Trinken und Gespräche verweigerte, legt sich die dunklen und hässlichen Schemen der Sorge erneut auf das Gemüt und dringen tief hinein bis in die Träume.
Jede Nacht seit der die wir auf der Lichtung inmitten des Alten Waldes verbrachten, verfolgt mich der Traum mit den drei hohen, im Abendlicht schneefunkelnden Bergen. Manchmal gewährt mir die Illusion einzig die Verzauberung des Anblicks. Allzu oft aber, geht sie in Blut, Rauch und Feuer unter. Manchmal sehe ich einen Zwerg unserer Sippe. Herrlich ist er. Stark und groß und stattlich wie ein Kriegerkönig beschrieben in den ältesten aller Bücher. In vielerlei Hinsicht gleicht er Thorin. Verlorenes Silber glänz und glitzert an ihm. Geschmeide, Rüstungen, eine hohe und sternendiamantbestückte Krone, deren Kostbarkeit kaum beschreibbar ist. Schwert und Schild fest in den Händen haltend. Der eisige Blick stolz und unnahbar. Aber ein Schatten umhüllt ihn schließlich, löscht alles was auserlesen und schön ist aus mit seiner dunklen und schrecklichen Macht.
Schweißgebadet und schwer atmend fahre ich dann auf aus dem Traum, benötige viele Minuten, um in der Dunkelheit und gehüllt in weiche Decken zu begreifen wo ich mich befinde und die stillschweigend rinnenden Tränen trocknen zu lassen. Erst danach schleiche ich mich mit nackten Füßen in Dwalins Kammer und suche in seiner warmen Umarmung Schutz vor dem schrecklichen Alb. Aber trotzdem er mich voller sorgenbeladenem Kummer jeden Morgen danach fragt, nie erzähle ich ihm von den Träumen. Warum, das vermag ich Euch nicht zu erklären.
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„So kann es einfach nicht weitergehen", schimpft Balin und zieht viel zu hastig und viel zu tief an seiner Pfeife, sodass er einem das gereizte Kratzen bekämpfenden Hustenanfall erleidet. „Seit Tagen schließt er sich ein, anstatt den sowieso unausweichlichen Befehl zu geben, nach Hause aufzubrechen." Ich senke den Blick und schaue bedrückt auf meine in dem Schoß zusammengefalteten Hände. „Er will nicht aufgeben. Es ist verständlicherweise schwer für ihn zu akzeptieren, dass sein Vater vermutlich tot ist." Oin ist es, der die schreckliche Vermutung schließlich als allererster äußert. Niemals zuvor sprach jemand darüber, obwohl alle daran dachten und jetzt, da sie schwer und dunkel den Raum erfüllt und über unseren Köpfen schwebt, macht sie die eintretende Stille unerträglich.
Ich kneife die Augen fest zusammen, lege schließlich die Finger an die Lippen, um ein sich bildendes Schluchzen zu ersticken. Wie ein großer, klebriger, festsitzender Klumpen fühlt es sich in der Kehle an, nimmt mir den Atem, macht das Schlucken unmöglich. Schwer ist die Hand, die sich beruhigend auf meine Schulter legt. Bereits vertraut ihre Last. „Wir verlieren auch ihn, wenn wir nichts tun." Dwalins Mahnung trifft uns alle hart, da die Wahrheit in ihr uns nur allzu gewahr ist. Und nun nicht mehr mit selbst aller Macht, die es auf dieser Welt gibt, unterdrücken lässt sich das leidvolle Wehklagen. Dennoch keine Befreiung gewährt der Ausbruch von dem klebrigen Gewicht der tiefen Sorgen. Ich wage nicht aufzusehen, will nicht mit tränenverschwommenen Augen blicken in die Angesichter meiner Gefährten, deren Qual nur allzu ersichtlich in ihnen sein wird.
„Entschuldigt mich bitte", stammle ich jedoch und schäme mich dieses Mal nicht der brechenden Stimme. Geradezu fluchtartig stürme ich in die noch hell erleuchtete und appetitlich nach frisch gebackenen, knusprigen Pilzpasteten duftende Küche. Schwer stütze ich mich auf die ordentlich gesäuberte und aufgeräumte Anrichte und schaue hinaus in den in der Dunkelheit der Nacht liegenden Garten. Fahl werden die langsam zu Rot reifenden Kirschen vom gerade erst wieder zunehmenden Mond beschienen. Erneut will sich ein Schluchzen bilden und ich schlucke und schlucke, aber nicht dem kriegerisch-sturen Begehren unterwerfen will es sich. Eine einzelne Träne tropft auf die hölzerne Arbeitsplatte, hinterlässt einen kreisrunden, schwarzen Fleck. Oh welch Qual und Verzweiflung trägt sie nur mit sich. Zeigt sie so schamlos unverhüllt dieser Welt.
Einst riet ich Thorin sie zu weinen, diese Tränen der Trauer und der Last. Da sie helfen, heilen, nur verletzen und betrüben, wenn man sie zurückhält aus Gründen des Stolzes und der aufbürdenden Verpflichtung immer stark und unberührt selbst in tiefster Verzweiflung zu erscheinen. Und nun. Wenig nützen sie mir und vor allem ihn, wenn ich sie weine. Nicht zu erlösen aus seiner Melancholie vermögen sie ihn. Einzig Taten können dies. Bitten, in Not auf den Knien vor ihm kauernd flehen werde ich. Denn irgendetwas muss ich tun, das wird mir in diesem Moment klar. Also belade ich leise ein Tablett mit Pasteten und Tee und schleiche hoffentlich unbemerkt von den anderen über den langen Flur zu seinem Zimmer.
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