Licht und Gesang
Bitterkälte umgibt mich. Eis knirscht und knackt unter den nackten Füßen. Dicke Schneeflocken wirbeln umher und verfangen sich in den offenen Haaren, an denen der heulende Wind zerrt. Die schneidende Kälte brennt auf den durch beständig heiß-fließende Tränen aufgerauten Wangen. Friedlich und ansonsten ruhig erscheint die weiße Landschaft hoch oben auf einem flachen Bergrücken, der von einem wintererstarrten Fluss durchbrochen wird. Unweit erheben sich steingraue Ruinen aus Nebelfetzen und Schneegestöber. Ein Wachturm, der steil und zerfallen in den grauen Himmel aufragt, steht inmitten von ihnen. Dunkel und längst durch überwucherndes knochiges Gestrüpp weder Freund noch Feind erspähend sind die umblickenden Sichtscharten. Ein riesiges Loch klafft in ihm und gibt den Blick frei auf Trümmerhaufen. Auf einmal aber, ich wollte mich gerade von der trostlosen Aussicht abwenden, flackert ein rotes Licht dort auf. Nur fahl, nur einen aufgeregten Herzschlag lang, dennoch fügt es dem meinem tiefe, quälend-lange Stiche zu.
Gleich darauf erzwingt es die Aufmerksamkeit an anderer Stelle innerhalb der Ruinen erneut. Unter einem Torbogen, gleich neben einer schneebedeckten Treppe, die einen steilen Abgrund säumt. Nicht weniger schmerzhaft ist sein Aufblitzen, vermengt sich mit dem Ersten zu einem entsetzlichen Martyrium für Leib und Seele und entfesselt schließlich Tränen.
Und dann nochmals. Allzu nahe inmitten der Eisfläche, umgeben von nichts außer den getriebenen Schneeflocken. Aber dieses Mal entschwindet es nicht sofort. Unaufhörlich glüht das Blutrot, pulsiert zum schnellen Schlag meines von ihm misshandelten Herzens, schwebt schwerelos über der Stelle wie ein verblendendes Irrlicht.
Plötzlich jedoch erstarrt es. Flammt feurig ein letztes Mal mit all seiner Kraft und Herrlichkeit auf und zersplittert mit gellend-hohem, in den Ruinen nachschallenden Schrei in Tausende, im fahlen Sonnenlicht glitzernde Scherben, die sobald sie auf die Kälte des Eises treffen, zerfließen und eine klebrig-glänzende Lache aus Blut bilden, die das Unschuldsweiß des Schnees frisst. Ich vermag nicht zu weichen, als sie immer größer wird und sich zu mir hin ausbreitet. Es ist mir, als würde eine starke, dennoch irgendwie gute Macht mich an Ort und Stelle bannen, es unbedingt wollen, dass ich dieses herzzerreißende Schauspiel mitansehen. Es als Mahnung, als ein Zeichen betrachte. Aber für was?
Näher fließt das Blut, umflutet schließlich die nackten Füße. Es ist warm, glüht ob der Kälte die die Haut betäubt nahezu heiß wie Feuer auf ihr, aber auch auf wundersame Weise tröstend und eigenartig vertraut fühlt es sich an. Es steigt auf. Klettert höher und immer höher an mir empor. Drängt sich durch Rüstung, Leder, Kleidung, Haut, schließlich Fleisch und vermischt sich mit dem meinem. Ich schreie nicht. Kann es nicht ... wage es nicht ... muss es nicht. Meinen Hals erreicht es schließlich. Pulsiert eifrig im hier noch deutlicher zu spürendem Rhythmus des Herzens. Brennt durch meine Adern. Berührt die leicht offenen Lippen, schmeckt heiß und süß und klebrig. Fließt letztendlich in den Rachen und die Kehle entlang ... und dann, dann ist plötzlich alles so ruhig und ja, friedlich. Beinahe scheint es mir, als würde ich durch die herrlichen Gärten Lórien des Valar Ilmo wandeln, in dem die Seelen aller die darum bitten Zuflucht vor den Schrecken dieser Welt, die auch er mit erschuf, erhalten. Und ich würde Trost finden in den sanften Worten Estës, der Heilerin von Wunden und Müdigkeit, und neuen Mut in denen Niennas, der Herrin des Mitleids sowie der Trauer und das Ausharren in der Hoffnung von ihr erlernen.
Aber dann wandelt sich diese wohlige Empfindung in eine andere Wärme und friedliche Vertrautheit. Nicht weniger herrlich ist sie. Nicht weniger heilsam. Nicht weniger Sicherheit vor Schrecken und Gefahren bietet sie mir, mehr noch sogar, als es wohl der Schutz der Valar sein könnte, so blasphemisch sich dies auch anhört. Ich atme tief und ruhig, rieche von Kiefernadeln übersäte Erde und Leder und den während unserer Reise beständig an ihm haftenden rauchigen Geruch des nächtlichen Lagerfeuers, an dem wir gemeinsam auf Wache sitzen und die Schönheit der funkelnden Sterne bewundern. Ich öffne die Augen. Langsam. Schwerfällig. Werde nach langer Dunkelheit schmerzhaft geblendet vom hellen Tageslicht. Und die mit ihm verbundene letzte Erinnerung vor der tiefen Ohnmacht und in ihr gesehenen Vision, schwappt über mich wie ein kalter Wasserschwall.
Panisch reagiere ich. Der Atem wird hastig und keuchend, ertrinkend in der Erinnerung. Die Bewegungen fieberhaft, wie die eines von schwarzem Wasser Umschlossenen. Das Herz schlägt schneller, sendet das adrenalingefüllte Blut schäumend durch die Adern und ich versuche hektisch aufzufahren, aber starke Arme halten mich und eine sanfte sonst so harte Stimme flüstert, dass ich mich beruhigen soll. Ich blinzle, versuche dadurch die Sicht zu schärfen, die schrecklich-schönen Trugbilder beiseite zu wischen, und erkenne schließlich Dwalins Gesicht über mir. Voller grauer Sorgen und Schmerz ist es und ich hebe die Hände und lege sie in dem Versuch sie zu mindern auf seine Wangen. Die Haut ist feurig-warm und verbrennt beinahe die meine. „Du warst so kalt", flüstert er voller herzzersplitterndem Kummer, „als wäre jegliches Leben aus deinem Körper geflüchtet."
Obwohl ich mich ihres erneuten Ausbrechens fürchte, schließe ich in Erinnerung an die Illusionen die Augen. „Ich wandelte auf Eis ... bitterlich kaltem Eis das Herz und Blut erstarren lassen kann und sah ebensolch Entsetzliches. Aber seltsamerweise auch Tröstliches fand sich darin. Als würde aus dem Beklagenswerten Gutes und Reines geboren ... Hoffnung gar." Erneut blicke ich auf. Sehe in die warmen Augen Dwalins, die jeglichen Schrecken vergessen lassen. Welch Schwachsinn rede ich nur, muss er wohl denken. Aber Geringschätzung ist es nicht, die er mir zeigt, nur spürbare Freude darüber, dass ich diesen Schreckgespenstern entkam, als er mich noch sehr viel dichter an sich heranzieht, und ich versinke in der Innigkeit der Umarmung, während wir auf dem nebelfeuchten Gras vor dem Tor des Hügelgrabes, das uns gefangen nahm, kauern.
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Dunkel, kalt und still ist die Nacht zwischen den Hügeln der Gräber und Thorin noch immer verschwunden. Wir getrauten uns nicht zum Tor zurückzukehren, hätten es ohne Pferde vor Einbruch der Nacht sowieso nicht geschafft, und blieben daher dort wo wir ihn verloren. In der verzweifelten Hoffnung, er findet zurück von wo auch immer.
Der Nebel löste sich auf, kurz nachdem die darin lauernde Kreatur mich angriff. Vordem allerdings, erschlugen meine Gefährten sie und noch viele andere ihrer Art nach erbittertem und blutigem Kampf. Neblinge nannte Bruni sie und der Schrecken, den jetzt auch wir mit ihrem Namen implizieren, sitzt tief. Dwalin verletzte sich am Arm, was ihn allerdings nicht daran hinderte sofort nach seinem Bruder und mir zu suchen, als sie uns nicht fanden. Der Schrei den ich ob der von Schreckensbildern zugefügten Schmerzen ausstieß, führte sie letztendlich zu uns. Den Unhold sahen sie nicht, denn er verschwand, kaum, dass sie das Tor zu seinem Grab aufbrachen. Aber allein unsere Erzählungen ließen sie erschaudern.
Selbst das Feuer scheint in diesen Landen fahler und weniger leidenschaftlich zu glühen als anderswo. Nur dürftige Hitze spendet es und daher noch fester wickle ich den fellbesetzten Mantel um den zitternden Körper, denn all unsere Decken und zudem einen großen Teil des Proviants trugen die geflohenen Pferde. Dwalin rutscht näher und legt schützend und wärmend einen Arm um die hochgezogenen Schultern. Ohne Vorbehalt schmiege ich mich an die stählerne Brust, denn in der Verzweiflung benötige ich seine Nähe, Wärme und den Beistand mehr noch als sonst.
Suchend blicke ich mich um. Lausche. Höre nur das Knacken des verbrennenden Holzes und den Wind, der unheimlich zwischen den Hügel wispert. In naher Ferne ragen die Bäume des Alten Waldes empor. Eine schwarze, drohende Wand, die sich gegen das wolkenfetzenverhangene Mondlicht- und Sternengrau des Himmels erhebt. Noch fern ist die Morgendämmerung.
Zitternd atme ich aus. Jede Minute, die tatenlos verstreicht, steigt die Unwahrscheinlichkeit Thorin jemals wiederzufinden. Sonst wo könnte er sein. Umherirrend. Verletzt. Gefangen in einem der Gräber. Kaum daran denken möchte ich, was ihm alles passiert sein könnte. Aber bis zum Morgen müssen wir noch ausharren, denn in dem schnell aufdämmernden Abendrot konnten wir keine Spuren mehr entdecken und selbst im trüben Tageslicht wird dies schwierig werden, denn kaum einen Abdruck hinterlassen selbst schwere Zwergenstiefel im trockenen Gras.
„Wir werden ihn finden", will mich Dwalin beruhigen, obwohl ich die Ängste nicht laut aussprach. Plötzlich verzweifelt-müde wende ich den Blick von den Baumschatten und stütze den schweren und schmerzenden Kopf in eine Hand. „Und was, wenn nicht?", enthülle ich schließlich die quälendste aller Befürchtungen. Aber auch er weiß darauf keine Antwort, fürchtet sie womöglich genauso wie ich und schweigt daher bedrückt.
„Schlaf ein wenig. Es genügt, wenn ich Wache halte", sagt er schließlich, nachdem ich ein paarmal bereits gähnte und sogar vor Erschöpfung und Wundschmerz einnickte und erlaubt sogar den Kopf bequem in seinen Schoß zu betten. Sanft ist seine große Hand, die beruhigend über die Haare streicht. Einschläfernd der Tanz des Feuers, in das ich starre. Die klammen Finger finden auf der Suche nach zusätzlicher Erwärmung ihren Weg in die Tasche des Mantels und stoßen dort auf etwas. Oval ist es und glatt, einzig durchbrochen von sorgfältig eingeritzten Kerben im immer warmen Labradorit. Dís' Runenstein. Ich vergaß ihn völlig, obwohl ich ihn immer bei mir trug. Traurig und ängstlich gleichermaßen stimmt mich die Aussicht mein Versprechen, das ich ihr so leidenschaftlich gab, nicht erfüllen zu können. ‚Bring mir zurück, was in deiner Obhut liegt.' Wie schwer wiegt doch das Versagen. Wie fürchte ich mich ihrer herzgebrochenen Trauer.
Fest schließe ich die Hand um den Stein. Verzweifle an der Verzweiflung. Bete zu Mahal unserem Schöpfer, damit er wache über seinen Sohn und uns beisteht, während des aufsichtlosen Vorhabens ihn zu finden. Plötzlich aber schrecke ich auf. Ein Geräusch höre ich von weit entfernt. Erst leise. Dann immer lauter werdend. „Was ist das?", fragt Dwalin und ich richte mich allzu unruhig und ängstlich nach all dem Erlebten zusammen mit ihm auf. Grau ist es ringsherum. Gras und Hügel und Gesträuch nur fahl vom Mond beschienen, schemenhaften Monstern gleich. Ich konzentriere mich auf das Wispern, das klingt wie sanftes, wenig gespenstiges Blätterrauschen. Und plötzlich erkenne ich Wörter darin. Mit heller und fröhlicher und erst vor wenigen Nächten bereits vernommener Stimme gesungene Wörter, die freilich wenig Sinn ergeben.
Dong - long! Dongelong! Läute laute lillo!
Wenn - wann, Weidenmann! Dolldallidillo!
Tom Bom! Toller Bom! Tom Bombadillo!
Kommt das Mondlicht mir zuvor,
scheint herein in warme Stuben.
Möge ich die Wandrer führen,
zu dem verborgnen Träumen.
Schwarzer Stein in meiner Hand,
Versprechen starr und ungebrochen.
Kommt ihr Leut und folget mir,
Licht bring ich und Gesang.
Dong - long! Dongelong! Läute laute lillo!
Wenn - wann, Weidenmann! Dolldallidillo!
Tom Bom! Toller Bom! Tom Bombadillo!
Immer leiser wird es allmählich. Entfernt sich wieder und scheint schließlich zwischen die dunklen Bäume des Waldes zu verschwinden. „Licht und Gesang ...", murmle ich gedankenvoll und Dwalin betrachtet mich fragend. „Zabdûnayê und Aerwyn rieten mir, ich solle Licht und Gesang folgen", erkläre ich und plötzlich hüpft die Stimme vor Aufregung hoch und hin bis zur Atemlosigkeit. „Du willst doch nicht etwa ...?", sagt Dwalin, aber ich habe mich bereits zum Gehen abgewandt. Das Heft des noch in der Scheide steckenden Schwertes fest und entschlossen umklammert.
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