Lasst das Spektakel beginnen
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„Astâ, möchtest du mitkommen, wir wollen unser hart erarbeitetes Geld unter die Leute bringen?", fragt mich Sirja eines Tages mit gewohnt lachender Stimme und schiebt mit erwartungsvollem Blick das Buch in dem ich gerade lese aus meinem Sichtfeld. Ich schnaube allerdings abwehrend aus. Bereits zwei Monate bediene ich nun schon im ‚Baraz anâm' und eigentlich wollte ich meinen verdienten freien Tag; den wir alle gemeinsam nur einmal in der Woche haben, nämlich dann, wenn Myra zum Markt geht um Besorgungen zu erledigen; ganz in Ruhe verbringen.
„Ach komm schon, du kannst dich nicht auf ewig hier drin verstecken und deine langweiligen Bücher lesen", bettelt nun auch Amia und zupft die auferlegten grün-gelben Bänder um aufsehenerregend eng geschnürte Taille und in den braunen Haaren zurecht, die sie per Gesetz auch außerhalb des Bordells als käuflich kennzeichnen sollen. Ein befohlenes Zeichen der Schmach, denn als sündenbelastet und schmutzig werden Dirnen angesehen, auch wenn ihre Arbeit nicht weniger anstrengend, nein, sogar mühevoller ist als die in so manch achtbaren Berufen. Deshalb aber sollen die „ehrhaften" Bürger so gut es geht von ihnen Abstand halten können. So mancher dieser glaubt sogar, dass sie den „bösen Blick" besitzen, Unglück und Krankheit bringen und bestimmte Lebensmittel nicht berühren dürfen, da sie sonst augenblicklich verderben. Auch ich nahm einst diesen wie ich nun weiß mehr als hanebüchenen Unsinn an. Schäme mich nun regelrecht dafür keinerlei Skepsis darüber geäußert zu haben, sind sie doch Frauen wie jede andere auch und verdienen sogar hohen Respekt für das was sie tun und über sich ergehen lassen müssen. „Bitte", betteln die beiden Zwerginnen schließlich gleichzeitig und sehen mich so eindringlich-flehend mit glänzenden Augen an, dass ich gar nicht anders kann als lächelnd nachzugeben und mich von ihnen nach draußen ziehen zu lassen.
Dort herrscht unverkennbar Markttag. Die Straßen sind voller Zwerge und Karren, fröhlichen Stimmen und lauten Rufen. Kinder springen herum, zerren maulend an den Kleiderstößen ihrer Mütter um sie zum schnelleren Vorankommen durch die schillernden Massen zu bewegen oder quengeln, weil sie etwas von den bunten Süßigkeiten oder raffiniert-mechanischen Spielzeugen erbetteln wollen.
Gaukler schwingen kunstvoll Äxte und speien Feuersäulen, die auf der bloßen Haut brennen, wenn man ihnen zu nahekommt. Haben sich als rotgoldene Drachen oder hässliche Orks verkleidet und erschrecken mit viel Gebrüll und Tumult die Vorbeilaufenden. Das schrille Quicken der Frauen, die sich vor ihnen in die nur allzu offenen Arme ihrer Begleiter retten, quält die Ohren.
Die dagegen nahezu schmerzfrei erscheinende Scherbentänzerin lächelt uns sogar dankbar zu, nachdem wir beeindruckt von der Körperbeherrschung einige anerkennende Pfennige hinterließen. Akrobaten hängen kopfüber in brennenden Ringen, balancieren über in einigen Metern Höhe gespannte Seile oder faszinieren durch Zauberkunststückchen mit farbigem Rauch und bunten Tüchern.
Händlerinnen mit übervollen Bauchläden versuchen Speisen, Blumen, Bänder oder Schmuckstücke zu verkaufen, genauso wie die ihre Waren laut Anpreisenden an den feststehenden Ständen auf dem großen Marktplatz, der im Zentrum der Blauen Hallen liegt. Umgeben von saphir-glitzernden Gestein, das von einem hohen Deckengewölbe gehalten wird und gehüllt in goldenes Licht der unzähligen Kronleuchter und durch verschlungene Schächte hereinfallenden Sonnenstrahlen. Immer erinnert mich die Pracht der erst vor wenigen Jahrzehnten wiederbesiedelten Hallen an die Schönheit des Himmels während eines Sommersonnenaufgangs, unterdessen die Sterne noch nicht gänzlich der Kraft der Sonne unterlagen und der bezaubernde Schimmer von Tag und Nacht gleichzeitig herrscht.
Das Herzstück des Platzes bildet eine gewaltig-hohe und stattliche Säule, die die dort zusammenlaufenden Gewölbestreben stützt. Äußerst genau und formvollendet wurden einst Raben von den geschicktesten Steinmetzen ihrer Zunft eingehauen. Mit weit aufgespannten Flügeln umkreisen und attackieren sie einen sich um das Gestein windenden Drachen, dessen feuriger Atem, obwohl er nur aus totem und kaltem Material besteht, beinahe als unerträgliches Brennen auf der Haut spürbar ist.
Der Geruch von aromatischen Gewürzen und Kräutern und daraus gebrannten Getränken, abgehangenen Fleisch, frischem Fisch, süßlichen Blumen, mit Ölen versetzten Seifen und damit gewaschenen edlen Stoffen hängt schwer in der Luft. Vermischt sich mit denen von aufgewirbelten Staub und Stroh und schwer arbeitenden Pferden und Ochsen und den der vielen Zwerge aus den unterschiedlichsten Gesellschaftsschichten, die geschäftig vorbeihuschen oder träge von einem Stand zum anderen schlendern.
Mutter verkaufte manchmal Kleider hier und ich durfte sie bisweilen sogar begleiten. Aber dennoch faszinieren mich die bunte Vielfältigkeit und das unermüdliche Treiben wie in einem Ameisenhaufen immer wieder aufs Neue. Sirja und Amia ziehen und schubsen mich regelrecht durch die Zwergenmasse. Bestaunen unter jämmerlichen Klagen sich diese nicht Leisten zu können die unbezahlbaren Kostbarkeiten und erlesenen Gewänder, trösten sich mit einigen Patisserien und halten schließlich kurz verschnaufend an einem Stand, an dem Getränke angeboten werden.
„Trink doch etwas von dem Wein, Astâ, er kommt aus dem Südviertel des Auenlandes, sehr süß und überhaupt nicht schwer", flötet Amia und hält mir den Schoppen mit dem Trank wie flüssige Rubine unter die Nase. Aber ich schüttle angewidert bei dem dennoch leicht säuerlichen Geruch, der davon aufsteigt den Kopf. „Ich halte mich lieber an Milch, Alkoholisches habe ich während der Arbeit genug, wenn es mir auf die Schürze tropft", erwidere ich und nehme den Entschluss verdeutlichend einen großen Schluck aus meinem Becher.
„Seht nur, dort kommt die königliche Armee, sie wollen bestimmt einen der Handelszüge zurückbegleiten", ruft Sirja plötzlich aus und zeigt auf eine Ansammlung Reiter und Grenadiere hinter mir. Nur kurz schaue ich mich um. Soldaten sehe ich in der Schankstube zur Genüge und mitunter kann ich sogar wenige von ihnen trotz des flüchtigen Blicks zwischen den Reihen wiedererkennen. „Und schaut nur, wer sie anführt", ergänzt Amia und ich erfasse ein noch nie gesehenes Leuchten in den graublauen Augen aufglimmen. „Prinz Thorin und Seine Hoheit, Großherzog Víli. Und wie gut sie wieder aussehen in ihren glänzenden Rüstungen und hoch zu Ross. Besonders der Thronfolger ... bei Mahal, wie gerne hätte ich ihn einmal zum Kunden."
Ich lächle in den mit Bedacht vorgehaltenen Becher, denn ihre entflammte Schwärmerei ist äußerst amüsant. Als ob sich jemals ein wahrhaftiger Prinz in das ‚Baraz anâm' verirren würde. Zwar hat es keinen so schlechten Ruf und ist auch nicht gerade dermaßen verrucht wie andere Etablissements im Berg, aber dennoch, dass sich einer seines hohen Ranges eine Liebesdienerin nehmen würde, bezweifle ich doch stark. Mit der innehabenden Macht und Stellung würde doch jede gut situierte und liebreizende Edelfrau sofort an seine Seite springen, wenn er nur mit dem kleinen diamantringgeschmückten Finger winkt.
„Ja aber auch Herzog Víli ist nicht gerade unansehnlich. Die Prinzessin Dís hat wahrlich außerordentliches Glück einen solchen Schmuckstein zum Gemahl zu haben ... Aber Astâ, sieh dich doch wenigsten einmal um, du verpasst wirklich etwas." Auch Sirjas Stimme überschlägt sich beinahe vor Begeisterung und Entzücken und wohlmöglicher Übertreibung. „Ich habe kein Interesse an Männern und an Prinzen und hohen Herzögen schon einmal gar nicht", gebe ich lächelnd als Antwort und die entsetzt-sprachlosen Gesichter bringen mich noch mehr zum Kichern.
Oh wie gut es sich doch anfühlt endlich zwar noch nicht gänzlich befreit von schmerzlicher Trauer, aber doch losgelöst von quälenden Ängsten und existenzgefährdenden Sorgen zu leben. Dennoch, ganz kurz sehe ich verstohlen zur Seite, erkenne aber nur noch die dunklen, lockigen und mit allerlei glänzenden Silber geschmückten Mähnen über breite Schultern der beiden Zwergenprinzen wallen, die stolz und über allen erhaben an der Spitze des Zuges reiten.
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Die nächsten Tage vergehen nicht anders als die vorherigen. Kunden kommen, trinken, essen, spielen, erzählen, bedienen sich der Mädchen und verschwinden wieder bis zum nächsten Zahltag. So manch anzügliche Aufdringlichkeit, die nun einmal nicht ausbleibt, wenn man als Schankmaid egal wo auch immer arbeitet, bin ich leider schon gewohnt. Aber bislang konnte entweder ich oder im Notfall Myra oder eines der Mädchen dem Herrn unmissverständlich klarmachen, dass ich noch zu jung bin.
Bis zu diesem verhängnisvollen Tag, der mein Leben erneut durcheinanderbringen sollte, obwohl es doch gerader erst im Begriff war sich wieder einigermaßen zu fangen.
„Oh Herzog Storr, es freut mich, Euch nach so langer Zeit wieder bei uns begrüßen zu dürfen." Brodgars Stimme ist ungewöhnlich ja beinahe dienstwillig freundlich, als er den riesenhaften Zwerg mit dem schweren Mantel aus zu viel Fell und goldenen Verzierungen begrüßt. Finster ist sein Gesicht und mit rötlich-weißen Narben furchtbarer Kämpfe entstellt. Breitschultrig und selbstsicher das Auftreten und edel die Gewänder. Ich betrachte ihn mit aufkommender Anspannung, denn eins weiß ich bereits: Ein solcher Gast ist angesehen auch in unserem Haus und bekommt ohne Widerworte das nach dem es ihm verlangt.
Auch Liv und Inka, denen ich gerade etwas zu trinken gebracht habe, beginnen bei seinem Anblick aufgeregt und angespannt miteinander zu tuscheln. „Mal sehen, wen von uns er sich heute aussucht. Mit Amia und Berit war er letztens nicht ganz zufrieden, obwohl sich die Armen alle Mühe gaben ihm gefällig zu sein." Ich sehe Inka bei diesen Worten schockiert an, denn sich gleich zwei Mädchen aufs Zimmer zu nehmen, ist eigentlich untersagt; davon abgesehen, dass sich dieses kostspielige Vergnügen nur die Wenigsten leisten können.
Herzog Storr indes lässt sich schwer und deutlich genervt von dem übereifrigen Gehabe brummend an einen Tisch unweit des Ausschanks nieder und Brodgar winkt mich aufgeregt-hastig herbei. „Seid willkommen, gnädiger Herr, was kann ich Ihnen bringen? Wir haben heute eine wirklich ausgezeichnete Schweinelende im Angebot und dazu ein sehr süffiges Bier, das Beste im ganzen Berg", sage ich freundlich lächelnd wie bei allen Gästen, als ich infolgedessen herangetreten bin. Der Zwerg sieht mit eisüberzogenen Augen die sich sofort zu kleinen Schlitzen verengen zu mir hinauf. „Sieh einer an, ein neues hübsches Gesichtchen in dieser muffigen Spelunke. Was für ein erfreulicher Anblick so spät am Abend, mit dem ich nicht gerechnet hätte."
Ich würge hart den sich augenblicklich in meinem Hals bildenden Kloß so fest wie Lehm herunter. Die Durchdinglichkeit seines starrenden Blickes und der süffisante Unterton der Stimme bereiten mir unerklärliches Unbehagen, das in der beengten Brust brennt und jeden Atemzug zur Quälerei verkommen lässt. „Sie ist erst seit wenigen Monaten als Schankmaid bei uns angestellt, Herr", erwidert Brodgar außerordentlich und dadurch ungewohnt unruhig und knetet die schweißglänzenden Hände.
Wie bin ich froh, als der braunhaarige Zwerg mir nach weiteren mehr als lüsternen Blicken endlich seine Bestellung nennt und ich mich entfernen kann. „Verdammter Widerling, dass Brodgar ihn nach seinem letzten Besuch überhaupt noch in unsere Nähe lässt. Amia hatte einige Tage danach noch Kratzer und Blutergüsse am ganzen Körper und konnte nicht vernünftig laufen, geschweige denn arbeiten." Livs Stimme überschlägt sich beinahe vor aufkommender Wut und die Erinnerung an ihr mehr als schmerzvolles Erlebnis vor wenigen Wochen erst brennt in den Augen wie die ebenfalls noch immer sichtbaren Wunden davon. Hart war die Bestrafung Brodgars. Ein Sammelsurium aus Schmerz, Schmach und Züchtigung das wir hören und teilweise auch mitansehen mussten, denn vor unser aller Augen schlug und zürnte er um ein schreckliches und nachhaltiges Exempel zu statuieren. „Sei ja vorsichtig, Mädchen, er hat ein Auge auf dich geworfen", ermahnt sie mich eindringlich und deutlich besorgt, als ich den gewünschten Humpen Bier auf ein Tablett stelle und daraufhin erneut hart und erfolglos die klebrige Masse aus aufkommendem Unwohlsein versuche herunterzuschlucken.
„Wünscht Ihr noch einen weiteren Trunk?", frage ich den Herzog einige Stunden später aus mit Umsicht gewählter sicherer Distanz, die ich allerdings mehr als ungern aufgeben muss, als er abwinkt und deutet das Geschirr abzuräumen. Schneller als ich reagieren kann, hat er mich mit festem Griff gepackt und auf seinen Schoß gezogen. Die Glieder sind erstarrt in Angst und Schrecken, sodass ich mich nicht zu wehren vermag, während er die großen Hände recht unsittlich meine Seiten entlanggleiten lässt und sie letztendlich auf den Hüften platziert. „Ich hätte nun viel lieber dich zum Nachtisch", raunt der Zwerg und das abstoßende Gemisch aus Bier und Fleisch und ungepflegten Zähnen, dass mir warm entgegenschlägt, lässt mich angeekelt erschaudern.
„Aber mein lieber Herzog, jetzt werde ich aber eifersüchtig", höre ich plötzlich Amias Stimme hinter mir säuseln und spüre lediglich in Trance, wie sie mich wenig später von dem harten Schoß zieht. Die wollüstig-üppige Zwergin nimmt sofort meinen ungewollten Platz ein. „So ein junges Ding wie Astâ noch ist, kann sie Euch gewiss nicht genügen. Nehmt doch lieber mich, wir hatten das letzte Mal doch so viel Spaß miteinander." Ich wurzle noch immer unfähig mich zu bewegen neben den beiden und beginne zu zittern wie hohe Baumwipfel im Sturm, als mir gewahr wird, was gerade geschieht. Amia opfert sich regelrecht für mich, denn nachdem was ich gehört und erlebt habe, kann ich mir nur zu gut vorstellen, dass auch sie unermessliche Angst vor dem Zwerg hat.
„Dich will ich aber nicht, elendige Hure!", schimpft Storr laut und ungehalten und stößt die braunhaarige Zwergin unsanft von sich. Hart kommt sie auf den blank gescheuerten Fußboden auf. Schmerz entstellt ihr hübsches Gesicht und erst dadurch löst sich die ängstliche Starre endlich. Schnell knie ich mich zu ihr hinab und ziehe sie tröstend in meine Arme. Sofort ist auch Brodgar zur Stelle, stellt sich den heraufziehenden Gewittersturm abwehrend vor uns. Verblüffend, schert er sich doch sonst nicht um das, was die Kunden mit seinen Mädchen anstellen. „Aber, aber Herzog, beruhigt Euch wieder. Wenn Ihr Amia nicht wollt, dann empfehle ich Euch ein anderes Mädchen", versucht er zu vermitteln, aber Storr geht nicht darauf ein. „Ich will diese dort!", sagt er harsch und zeigt mit dem klobigen, goldsiegelringbewehrten Finger auf mich. Ich vergrabe mich furchtsam in die Arme von Amia, die sie mir schützend gewährt, obwohl sie selber zittert. Der Frauenwirt hebt allerdings ablehnend die Hände. „Es tut mir leid, Herr, aber das geht nicht. Astâ ist noch unmündig und auch Ihr kennt die Gesetze und müsst Euch an sie halten, genauso wie ich", sagt er ruhig und deutet dagegen mit einer hastigen Handbewegung an, dass wir uns schleunigst entfernen sollen.
Schutzsuchend verbergeich mich hinter Myras behütenden Rücken, verfolge aus vermeintlich sichererDistanz aber mit dennoch schnell schlagendem Herzen das leise Streitgesprächder beiden Männer. Und plötzlich steht es vor Entsetzen und Furcht still, alsich sehe, wie ein verräterisch prall gefüllter und klimpernder Beutel den Besitzerwechselt.
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