Komm und flieg so hoch du kannst ...
So zeremoniell das Entlassen der Lichter in Kälte und Dunkelheit war, so ungezwungen sind die sich anschließenden Feste innerhalb des Berges. Glanz, Freude, Tanz und Lachen herrscht allerorts. Mit all ihrer Macht vertreiben bunte Lichter die Schatten und lodernde Feuer die aufkommende Winterkälte der längsten Nacht des Jahres. Speis und Trank gibt es reichlich, denn die Vorratskammern sind nach guter Ernte und blühenden Handel mehr als ausreichend gefüllt. Der Duft nach süßen Wein, herben Bier und Gesottenen erfüllt die Luft. Gaukler und Musiker verbreiten Heiterkeit. Feuerreigen und Reigentanz. Frohsinn. Farbe. Blendendes Licht ... Überall ... bis hinunter zu den Minen und hinauf zum höchsten Gewölbe. Der Berg scheint vor Leben zu pulsieren, während draußen der erste tödliche Frost heraufzieht.
Da bemüht sich der königliche Ball um keine Ausnahme, auch wenn seine Gäste kultivierter tanzen und speisen und Prunk und Protz allzu ausgelassene Stimmung und so manch eine Entgleisung überblenden. Aufregend und fremdartig fühlte sich der Einzug als Teil des königlichen Gefolges in den hell erleuchteten und glitzernd-bunt geschmückten Saal an. Als Hofdame wurde mir ein Platz direkt hinter den Ratsherren zugewiesen und ich dankte Mahal, dass sich die von Balin und Dwalin ausgehende erhabene Stärke und Ruhe auf mich zu übertragen schien. Dennoch erzitterte ich bang bei dem aufkommenden Flüstern und Tuscheln hinter vorgehaltenen Händen und Fächern der edlen Damen und Herren, die sich mein unbekanntes Vorhandensein nicht ergründen konnten.
Trotz allem Gemunkel, das mich begleitete und an mir und meinem Selbstvertrauen zog wie eine schwere Kette, nun stehe ich hier auf dem erhabenen Podest am hinteren Ende des Saals. Alles überblickend ist es. So hoch, dass jeder ehrfurchtsvoll hinaufschauen muss, der vor die Herrschaften tritt, aber nicht zu weit emporragend, damit nicht der Eindruck entsteht, die Königsfamilie wäre ihrem Volk nicht nah. Verborgen im Halbschatten hinter dem Thron, außerhalb des Scheins der Kerzen auf großen Ständern und beinahe mich in den silbernen Bannern mit Durins Emblem vergrabend, beobachte ich die Gesellschaft interessiert und fasziniert. Unsichtbar aber dennoch immerwährend bereit jeden Wunsch ihres Herren zu erfüllen. So wie es sich für eine Dienerin ziemt.
Víli geleitete seine Gemahlin zur Eröffnung des Tanzes auf die Fläche aus glänzendem Marmor, in der sich das saphierbesetzte Deckengewölbe spiegelt wie der wolkenlose Sommerhimmel in einem tiefen, wellenstillen See, und blieb bislang mit ihr dort. Hell ist das Lachen von Dís und leichtfüßig die perfekten Bewegungen zum Takt der heiteren Musik. Sie scheinen so glücklich und so verliebt, dass es nicht nur mein Herz zu erfreuen vermag. Aber auch einige bekannte Gesichter entdecke ich erzitternd in der tanzenden Masse, unweit von ihr an langen Tischreihen sitzend oder ringsherum plaudernd. Hohe Herrschaften und angesehene Offiziere, die ich einst im ‚Baraz anâm' bediente. Hoffentlich erkennen sie mich nicht.
Balin und Dwalin erspähe ich in unserer Nähe unter einem der wie zwei miteinander verflochtenen Baumwipfel anmutenden, pfeilergestützten Bögen stehen, die die Tanzfläche umrunden. Angeregt unterhalten sie sich mit einer Ansammlung älterer Herren ... oder eher Balin spricht. Sein Bruder beobachtet betont gelangweilt wirkend und sich womöglich im Stillen fragend, was bei Mahal er hier überhaupt zu suchen hat, die Tanzenden und kostet unablässig einen großen Schluck aus seinem bestimmt bereits dritten Humpen Bier. Vielmehr eine Bürde ist ihm die Verpflichtung zur Teilnahme an gesellschaftlichen Anlässen des Hofes, die Titel und Stellung unglücklicherweise nun einmal mit sich bringen. Es bedurfte gestern Abend noch all meiner Überredungskünste ihn davon zu überzeugen heute doch anwesend zu sein und nicht eine lapidare Ausrede zu erfinden, wie all die Jahre zuvor. Letztendlich war es aber die mit flehentlichem Blick verbundene Aussage, dass ich mich über sein Erscheinen freuen würde, die ihn von einem tiefen Brummen kommentiert umstimmte.
Einzig Thorin blieb zurück. Allein, wenn man meine Anwesenheit lediglich als den Schatten betrachtet, in den ich mich verkroch. Er besetzt nicht den imposanten, stein- und eisernen Thron seines Vaters. Der Respekt vor ihm, auch wenn kaum mehr Hoffnung auf Rückkehr besteht, ist noch immer allzu groß, als dass er es wagen würde, den Platz des Königs einzunehmen. Noch ist er es nicht. Noch immer bezeichnet er sich als Prinz, als Nachfolger, auch, wenn er die Verpflichtungen und Bürden eines alleinigen Herrschers nun schon so viele Jahre mit Stolz und zwergischen Trotz (er)trägt und meistert und Viele ihn bereits mit dem höchsten aller adligen Titel ansprechen.
... Uzbad men ... Majestät ...
Meist wird er nur gehaucht, ehrfurchtsvoll aber auch ängstlich, so als fürchte man sich seiner Wirkung auf die ungewisse Situation oder vor der Wut Thorins, wenn er annehmen könnte, man hätte den Glauben an einen guten Ausgang verloren. Einmal entkam er mir ebenfalls. Unüberlegt während einer Ratssitzung, nachdem er mich bat die eben unterzeichneten Papiere mit Balin auf Richtigkeit zu kontrollieren. Nur zu gut erinnere ich den verwunderten Blick, als ob er sich der Widmung für seine Person erst jetzt gewahr wurde. Aber in diesem Moment; nachdem ich ihn beobachtete, die Ruhe, das Geschick und die Erhabenheit bewunderte, mit denen er ein Streitgespräch schlichten konnte; da fühlte es sich so richtig in Herz und Verstand an, sodass ich nicht darüber nachdachte. Dennoch, den Unwillen diesen Titel anzunehmen kann ich verstehen und daher achte ich seither darauf ihn nicht noch einmal zu gebrauchen, auch wenn ich es gerne würde, um ihm den tiefen Respekt, den ich für ihn hege, auch auf diese Weise entgegenzubringen.
„Astâ?!" Thorins plötzlich einsetzende gedämpfte Stimme übertönt kaum die fröhliche Musik und entreißt mich dennoch den Gedanken, in die ich versank. Sofort trete ich an seine Seite, mich dienstwillig verbeugend, entgegensehnend ihm das Verlangen nach einem Glas Wein oder ähnlichen Wunsch erfüllen zu können. Aber überraschend, etwas völlig anderes erwartet er von mir: „Begib dich doch auch zum Tanz."
Anscheinend erstaunt und verwirrt weit sind meine Augen, denn er beginnt belustigt zu schmunzeln, ja muss sogar deutlich die erhabene Würde bemühen ein aufkommendes Lachen zu unterdrücken. „Aber, ich bin nicht hier um mich zu amüsieren, ezbadu men, sondern um Euch zu Diensten ..." Noch immer von einem kleinen Lächeln wie Sommersonnenstrahlen so warm begleitet ist das mich unterbrechende, majestätische Abwinken. „Sei nicht albern. Es wäre Frevel an einem solch wundervollen Abend deine Holdseligkeit und die Fähigkeiten, die du dir in den letzten Wochen mit harter Arbeit angeeignet hast, im Verborgenen zu lassen. Du bist nun eine edle Dame dieses Hofes, vergiss das nicht. Also zeig dich ihm auch als solche."
Aufregung breitet sich in mir aus als wären es tausende Schmetterlinge die alle gleichzeitig aus ihren Kokons schlüpfen und die noch zarten Flügel zittrig entfalten. Und genauso ängstlich wie sie zu ihrem ersten Flug aufsteigen, fühle ich mich. Gefangen zwischen der Gewissheit, dass er recht hat und dem Drang, mich wieder in der sicheren Dunkelheit zu verstecken. „Du schaffst das, ich vermute, jeder in diesem Saal haart darauf dich endlich kennenzulernen", spricht Thorin und berührt zusätzlich Mut spendend mit warmen, starken Fingern die glühende Wange. So sanft und dennoch kribbelnd, dass ich denke, die bunt-schillernden Flügel der aus mir weichenden Insekten streifen sie. Ich senke schließlich (mich) ergeben den Blick zur Annahme des Vorschlages.
Unsicher aber dennoch mit aller verinnerlichten Gewandtheit Noblesse ausstrahlend, schreite ich die kleinen Stufen hinab. Jeder Schritt bedacht, die Haltung aufrecht ... dennoch dankbar über den bis auf den Boden reichenden Saum des Kleides, der das Zittern der Beine verhüllt. Die mich begleitenden Blicke von doch so viel edleren Damen und würdevolleren Herren mit aller Macht ignorierend. Mut Astâ! Stunden hast du damit verbracht Gebaren, Konversation und Etikette zu erlernen. Niemand will dir hier etwas Böses ... Hoffentlich ...
Dennoch zweifelnd über die nächsten Schritte, sehe ich mich um und entdecke schließlich Dwalin, der mich aufmerksam beobachtet. Ein Schmunzeln kräuselt seine Lippen, kaum wahrnehmbar, würde man nicht das sich dazu gesellende Leuchten der Augen bei wahrem Vergnügen kennen. Froh endlich ein sicherndes Ziel gefunden zu haben, setze ich mich in Bewegung, werde aber kaum, dass ich den ersten in hohen Schuhen steckenden Fuß heben konnte, von drei Zwergenfrauen umringt.
Wunderschön und vornehm sind sie. Die Kleider in Blau, Rot und Grün edel und von ausgesuchter Qualität und Herrlichkeit. „Endlich traut Ihr Euch zu uns hinunter, wir befürchteten schon, Ihr würdet den ganzen Abend an der Seite Ihrer Hoheit verweilen, Nathûna", plappert die Erste von ihnen und womöglich Rädelsführerin bereits los, noch bevor ich mich von dem Schrecken über ihr plötzliches Auftauchen erholen konnte und faltet den zum Kleid passenden, mit kleinen Rubinen besetzten Fächer zusammen. Kurz stutze ich bei der ausgesuchten Höflichkeit, die mir entgegengebracht wird, besinne mich dann allerdings darauf, dass ich nun offiziell als Hofdame und damit einer wohl ebenso adligen Herkunft angehörend gelte wie sie. Eine Posse, denn Thorin erhob mich zwar in diesen hohen Stand, aber ohne Grundlage und Festigung. Letztlich bin ich noch immer eine Bürgerliche, eine Dienerin, nicht edler als das, was ich für meinen Herren zu leisten fähig bin. Sollte dies dem Hofe allerdings bekannt werden, eine Schmach wäre es für ihn.
„Verzeiht, aber mein Herr entließ mich eben erst zu Euch", erläutere ich und senke freundlich aber nicht zu unterwürfig den Blick zur Begrüßung, so wie es mir Dís beibrachte. „Oh, dann gehört Ihr also zur Dienerschaft des Königshauses? Wir fragten uns bereits, wie so viele andere hier übrigens auch, wer Ihr seid und welche Stellung Ihr wohl innehaben mögt, da die königlichen Hoheiten Euch so zugetan erscheinen", erkundigt sich sofort die zweite der edlen Frauen, deren Kleid perfekt mit den strahlenden Jadeaugen harmonisiert. Ich beruhige verzweifelt die sich erneut flatternd bemerkbar machen wollenden Schmetterlinge. Nun denn, lasst das Schauspiel beginnen, dass ich so minutiös einstudierte.
„Ich bin die Leibdienerin Ihrer Hoheit Prinz Thorin", erkläre ich mit einem gehaltlosen Lächeln, so als wäre es das Normalste der Welt, und muss mich beherrschen dieses nicht ausarten zu lassen, denn die daraufhin aschfahl gewordenen entsetzen Gesichter sind belustigend anzusehen. „Wie außergewöhnlich", stößt die Dritte im Bunde mit begeistert aber auch leicht entrüstet hoher Stimme aus, „er nahm sich noch nie einen persönlichen Diener und nun sogar eine junge Dame." Groß sind die braunen, mit Rußgemisch umrandeten Rehaugen und nur allzu verräterisch das Anstößigkeit vermutende Glitzern darin.
Von der entzückten Stimme aus der Erstarrung gerissen, fängt sich auch Zirkûna Fächer wieder und fährt mit der peinlichen Befragung fort. „Sagt, wie kamt Ihr zu dieser wahrlich großen Ehre, Zabdûna ...?" Ein Vielfaches an Interesse scheine ich just zusätzlich heraufbeschworen zu haben, wenn man nun schon meinen Namen wissen möchte. „Comtesse Astâ, Zabdûnayê. Ich entstamme einem weit entfernten Zweig des Hauses Durin, eine Cousine vierten Grades Ihrer Hoheiten, um genauer zu sein. Mein Vater, Mahal habe ihn selig, verfügte vor seinem Tod, dass ich aus den Eisenbergen hierherkommen soll, um das höfische Leben besser kennenzulernen." Eine Lüge ist dies, klug erdacht vor allem von der Herrin Dís und Balin, um die hohe Stellung und Position zu rechtfertigen, ohne, dass jemand sie mit geringem Aufwand enttarnen kann.
Aber die Damen scheinen diese ohnehin befreit von jeglichem Argwohn anzunehmen, ist es doch nur allzu einfach einem Blendwerk Glauben zu schenken, wenn es in schönen Kleidern steckt und kostbares Geschmeide und schwülstiges Geplauder zusätzlich blind machen für das Tatsächliche. Und nun, da anscheinend alles Misstrauen meine Person betreffend aus dem adligen Denken verbannt wurde, umringen mich die Damen augenblicklich näher und beginnen unablässig Fragen zu stellen. Allerdings nun nicht mehr mich betreffend, sondern vor allem Thorin. So persönlicher Natur, dass ich oft nicht fähig und wenn, keinesfalls gewillt bin sie zu beantworten. Wie sich seine Hände anfühlen, ob wir gemeinsam die Mahlzeiten einnehmen, worüber wir reden und wie seine Gemächer aussehen. So unauffällig wie möglich, versuche ich ausweichende oder detailarme Angaben zu geben. Aber je länger die Befragung dauert, je intensiver nachgebohrt wird, umso weniger komme ich damit weiter.
„Verzeihung die Damen ..." Bei Mahal wie bin ich froh, als endlich die rettende Stimme Dwalins zwischen uns schlägt. Sofort entfernen sich die aufdringlichen Frauen von mir und sehen ihn, ganz anders als ich, erschrocken an. „Hauptmann Dwalin, was für eine freudige Überraschung", lügt Jadeauge und verbeugt sich zusammen mit den Anderen ehrfürchtig vor dem großen, adligen Krieger. Kerzengerade ist seine Haltung und auch ein klein wenig als Einschüchterung zu verstehen, die auf dem Knauf des Schwertes abgelegte Hand. Auch ich senke meinen Blick, aber weniger zur Begrüßung denn mehr zur Verdeutlichung der tiefen Dankbarkeit für die Rettung aus der ausweglosen Situation in letzter Sekunde.
Dwalin bemüht kein Mienenspiel. Nicht ein Zucken verdeutlicht, ob er ebenfalls ‚beglückt' darüber ist den Damen zu begegnen. „Das Vergnügen ist ganz auf meiner Seite", entgegnet er allerdings und ich hoffe, dass nur mir die blasse Nuance Ironie in dem dunklen Brummen auffällt. „Wir unterhielten uns gerade mit Zabdûna Astâ. Ich nehme an, da sie so vertraut mit dem Königshaus ist, steht sie Euch ebenfalls leiblich zu Diensten", erklärt die Zwergin in dem zusätzlich mit kleinen Saphiren besetzten blauen Kleid und hält sich verbergend den Fächer vor den von meiner Position aus dennoch gut erkennbaren, zu einem süffisanten Lächeln verzogenen Kirschmund.
Ich sehe einzig an Dwalins Augen, wie ihn die mit der Aussage implizierte Unterstellung verärgert. Jegliche Wärme schwindet aus ihnen. Erlischt Funke um Funke, bis nur noch Eiseskälte übrig bleibt. Für die meisten der Frauen auch hier scheint es undenkbar, dass ein Mann ein anderes Interesse an einem jungen, hübschen Mädchen hegt als anstößiges. Dass sich Begehren auch auf unkörperliche Dinge beziehen kann; Intellekt, Begabung, Vertrauen und daraus entstehende Freundschaft; mehr als unwahrscheinlich. Und mir wird erneut gewahr, dass Männer, auch wenn sie edel und anständig sind, Frauen lediglich als ihr Eigentum ansehen. Nicht fähig mehr zu leisten als ihnen zu Willen zu sein, Stammhalter zu schenken und diese aufzuziehen. Nur so viel wert und nur so lange geschätzt, wie wir ihnen ohne Widerworte das geben können was sie begehren und so unendlich weit davon entfernt, auch nur geringfügig als gleichgestellt zu gelten.
Ist dies womöglich ebenfalls mein Schicksal? Stehe ich nur jetzt, da ich Thorin das bieten kann was er verlangt, so hoch in seiner Gunst. Und wenn dies nicht mehr ausreicht? Wenn ich ihm nicht mehr genüge, ein kleiner Widerwille ihn erzürnt, mir nur der geringste Fehler unterläuft, verstößt er mich dann mitleidlos aus dem Glanz seiner Erscheinung und ich falle zurück in die tiefe, kalte und unbarmherzige Dunkelheit aus der ich einst kam? Unglücklicher und verzweifelter denn je zuvor, da ich nun weiß, wie es sich anfühlt unter wärmender Sonne zu wandeln, das Hochgefühl kenne, für Wissen nicht verspottet, sondern anerkannt zu werden. Bei Mahal, wie abhängig bin ich doch von ihm und seiner Gewogenheit. Und ganz kurz, fühle ich mich tatsächlich schäbig und ihm hörig wie eine Kurtisane.
„Baronesse, ich bin mir sicher, das Gespräch mit ihr war ausgezeichnet und sehr interessant, etwas anderes, als die Damen sonst zu hören bekommen. Aber wie Ihr vielleicht versteht, sollte Comtesse Astâ nun ihren wichtigen und reputierlichen Pflichten nachkommen und mich begleiten. Als Hofdame kann sie Euch zur Verfügung stehen ... muss es aber nicht." Eine schneidende Infamie grollt unter der Höflichkeit und mich schaudert es ein wenig. Auch die Damen scheinen sie zu bemerken, denn ihr aufgesetztes Lächeln ist falsch und genauso böswillig.
Dwalin allerdings kann dieses nicht einschüchtern, geschweige denn, ihm auch nur die Andeutung eines genugtuenden Zuckens entlocken. „Ihr entschuldigt uns also ... Zabdûnayê, würdet Ihr die Güte besitzen", sagt er stattdessen mit dem mehr als müßigen Gespräch abschließend und reicht mir auffordernd eine Hand, die ich aber nur allzu gerne annehme, um mich von ihm aus der Gefahrensituation manövrieren zu lassen.
„Vielen Dank", flüstere ich ihm zu, während er mich am Rande der Tanzfläche entlang in Richtung seines Bruders geleitet. Galant erlaubt er mir den Arm bei ihm einzuhacken und legt zusätzlich eine sichernd-wohlwollende Hand auf die meine. „Nicht dafür ... diese heuchlerischen Weiber sind mir schon immer ein Kieselstein im Auge gewesen und lange musste ich darauf warten, ihnen einmal die Meinung zu sagen. Haben sie dich denn allzu sehr ausgefragt?" Ich nicke und genieße ungeniert Wärme und Schutz seiner nahen Gegenwart, unter deren Einfluss ich mich plötzlich unverletzbarer und erhabener fühle als jemals zuvor. Blicke begleiten uns - erstaunte, missbilligende, neugierige - aber sie ängstigen mich nun nicht mehr.
„Nachdem ich ihnen sagte, welche Stellung ich bekleide und woher ich komme, war das Interesse allerdings vor allen an Thorin groß", erläutere ich genauer und Dwalin lächelt verstehend. „Meinst du, sie haben dir deine Geschichte geglaubt?" Erneut nicke ich bejahend. „Das ist gut, denn dann kannst du dir sicher sein, dass spätestens bei Morgengrauen alle am Hofe wissen, was für eine hochgestellte, edle und beneidenswerte Dame du bist, denn keinen größeren Klatschmäulern konntest du begegnen als diesen Dreien." Ich schlucke angespannt da nicht ganz so begeistert wie er von diesem Umstand. Hoffentlich habe ich mich und damit Thorin nicht gänzlich blamiert. „Mach dir keine Sorgen, ich bin mir sicher, du hast sie beeindruckt", beruhigt mich Dwalin allerdings, anscheinend genau spürend, wie sehr ich daran zweifle.
Balin bemerkt schließlich unser Näherkommen und unterbricht das Gespräch mit einem wichtig aussehenden, älteren Herrn, der von Oin und Gloin flankiert wird und die nun ebenfalls zu uns hinüberschauen. Gepflegt ist sein bereits vollkommen ergrauter aber dennoch zu einem dicken Zopf geflochtener und mit wenigen Schmuckschließen aus Obsidian verzierter Bart, der ihn hinunter bis zur goldenen Gürtelschnalle reicht. Die herbsthimmelgrauen Augen, begrenzt von hohen Wangenknochen und buschigen Augenbrauen, die an den Seiten fast nahtlos in die ebenfalls silbrigen Haare übergehen, betrachten mich interessiert und ebenso gutmütig wie die eines geliebten und liebenden Großvaters.
„Gróin, darf ich dir unsere Astâ vorstellen, Thorins Zofe und meine und damit auch seine rechte Hand." Die Wärme im Blick des alten Zwerges wird noch wohltuender, nachdem Balin uns kaum, dass wir an sie herantraten, bekannt machte. „Wahrlich, der Junge zeigt einen guten Geschmack, was die Auswahl seiner direkten Bediensteten anbelangt. Ich sehe in deinen Augen, Kindchen, dass du den überaus scharfen Verstand hast, den nicht nur Balin so außergewöhnlich begeistert in den höchsten Tönen lobt, etwas, das er sonst nur selten tut", brummt er mit dunkler, erfahrungsschwangerer Stimme und lächelt mich freundlich an. Ohne mich von Dwalin zu lösen knickse ich ergeben-tief, denn spürbar höhergestellt ist er sogar meiner erfundenen Identität. „Ich danke vielmals für die Empfehlung, Zabadê, und es freut mich, Euch kennenlernen zu dürfen."
Der Zwerg lacht brummend. „Und für jemanden, der bislang nur den rüden Umgangston am Hofe Dáins erlebte, außerordentlich formgewandt dazu." Erstaunt darüber, dass jemand ihn bereits von der angenommenen Herkunft erzählte, sehe ich auf und bemerkte nicht weniger überrascht das verschmitzte Schmunzeln in Oins und Gloins Gesichtern. So wie jeder im königlichen Hausstaat dienende wurden auch sie über die Handlung des Schauspiels, mit dem die Wahrheit versucht wird zu überblenden, unterrichtet. Und erst jetzt fällt mir die eigentlich so gut erkennbare Ähnlichkeit zwischen den drei nebeneinanderstehenden Zwergen auf und ich schlage mir gedanklich und von einem unanständigen Schimpfwort begleitet vor die Stirn, dass mir bei der Nennung des Namens nicht gleich in den Sinn kam, dass dies ihr Vater ist. Stunden verbrachte ich doch mit dem studieren des Stammbaumes des Königshauses der Zwerge von Erebor, dem auch sie in gleicher Linie wie Balin und Dwalin angehören.
„Mein ältester Sohn erzählten mir außerdem, dass du Interesse an der Kräuterheilkunde zeigst. War deine Mutter darin bewandert? Denn die Zwerge der Eisenberge verlassen sich ja mehr auf spirituelle Mätzchen, um ihre Krankheiten zu heilen." Froh zur Abwechslung endlich einmal wieder an diesem Abend die Wahrheit sagen zu können, bejahe ich die Frage. „Aber auch diese konnte die Schwindsucht, an der sie letztendlich verstarb, nicht aufhalten." Gróin sieht mich plötzlich unerwartet mitfühlend an. Dunkle Schatten verschleiern das Grau der Augen und flimmernder Schmerz tritt in sie. „Auch meine Frau Alwes erlag vor einigen Jahren erst, nachdem sie in ihrer selbstlosen Hilfsbereitschaft als Heilerin einige Kranke versorgte, dieser schrecklichen Seuche", wispert er bewegt und jeglicher stolzen Kraft beraubt und ich weiß nur zu gut, welche Epidemie er meint.
Aber noch bevor ich ein Wort des Trostes aussprechen kann, fließt Dís' Stimme wie klares Wasser durch den Saal und spült schwermütige Gedanken mit sich. „Spielt eine Volta!", befiehlt sie in Richtung der Musiker schwappend und meine Herrin nimmt bereits gegenüber ihrem Mann Aufstellung, so wie die vielen anderen Tanzpaare, die sich an diesem Abend bislang fanden.
„Möchtest du auch tanzen?", raunt Dwalin mir zu. Flüsterleise und rau, so als fasste er selbst nicht, was er mir wohl im Affekt gerade anbot und in Erwartung einer maßregelnden Schelte, wenn nicht von mir, dann zumindest von seinem Bruder. Ich sehe ihn allerdings bereitwillig mit einem begeisterten Leuchten in den Augen an, aber erinnere mich und ihn sofort daran, dass wir uns gerade in einer Konversation befinden und man diese nicht einfach so verlassen darf. „Ach Unsinn, Kindchen, geht und amüsiert euch, es gibt weitaus spaßigeres als den ganzen Abend einem alten Mann zuzuhören und sich von ihm ausfragen zu lassen", entlässt uns dagegen Gróin mit einem vielsagenden Augenzwinkern und, noch bevor ich weitere Einwände erheben kann, zieht mich Dwalin mit sich auf die Tanzfläche, direkt neben Dís und Víli, die uns gut gelaunt anlächeln.
Die Musik beginnt zu spielen, heiter und melodisch als wäre sie Vogelgesang, der während der ersten wärmenden Sonnenstrahlen nach einem kalten, dunklen Winter die Welt mit Freude und Leben erfüllt. Gebührlich verbeugen wir uns zur Eröffnung voreinander und die galanten und erstaunlich leichtfüßigen Bewegungen des bulligen Kriegers, der allein mit imposantem Auftritt bereits unzählige Feinde in die Flucht schlägt, erstaunen mich, als wir uns danach beginnen zu umkreisen. Aber was ist ein Kampf anderes als ein Tanz mit dem Gegner auf Leben und Tod, so explizierte er einst während unseres Trainings und ich muss zugeben, er hat recht.
Kaum merklich berührt sein Arm den meinen, streift die breite Brust den Rücken, fassen dagegen entschlossen die starken Hände nach mir. Warm und beinahe unverschämt bestimmt liegen die Finger um die eng geschnürte Taille und als er mich hinaufhebt, muss ich nicht nur der Stabilisierung willen die meinigen in den muskulösen Schultern vergraben. Denn so hoch stemmt er mich, dass ich vermute beinahe den Deckengewölbehimmel zu berühren und davon zu schweben wie einer der Singvögel, die den Saal mit ihren Stimmen erfüllen. Als er mich wieder absetzt, gerate ich kurz aus dem Gleichgewicht. Aber Dwalin fängt mich, führt den schwankenden Körper dicht an sich heran und ich atme zittern, kaum fähig genügend Luft in die an ihn geschmiegte Brust zu ziehen. Der Griff mächtiger Kriegerpranken wird daraufhin nur noch fester, als er mich erneut hinauf stößt, mit spielerischer Leichtigkeit durch die Luft wirbelt und ein Raunen geht durch die umstehende Menge, die nunmehr die beeindruckende Demonstration von Kraft und Geschick bemerken und bewundern.
Es fühlt sich bedrohlich an, im Mittelpunkt der ungeteilten Aufmerksamkeit zu stehen. Wie Feuerwände, die einen gnadenlos und todbringend bedrängen. Und so sehe ich Dwalin flehentlich an, aber er lächelt nur, aufmunternd, versichernd, dass ich keine Angst vor dieser Beachtung haben muss und hebt mich erneut nach oben, gefühlt noch einmal höher als zuvor. „Fürchte dich nicht vor dem, dass du heraufbeschworst", raunt er in mein Ohr, während er mich erneut umkreist, eine Hand unnötig die Taille entlangfahren lassend. Beinahe unerträglich einsam fühlt sich die Distanz an, die wir danach zueinander aufnehmen, obwohl er sich nur wenige Schritte entfernte. Und ich will und will nicht, dass er sich wieder annähert, mich abermals hält und berührt und der warme Atem die Haut mit prickelnden Funken überzieht. Kraft und Mut spendet, um den prüfenden Blicken standhalten zu können.
Gnädig gewährt er mir den widersprüchlichen Wunsch. Kommt näher, fasst meine Hand, zieht mich heran um gleich darauf wieder zu entschwinden, so wie es die Tanzfolge verlangt ... aber dennoch anders. Unentschlossen scheint auch er zu sein. Ruhelos wie eine Wolke am herbstlichen Himmel. Vom Storm zwischen Sehnsucht und Zurückhaltung hin und her gepeitscht. Und oh welch besorgniserregende Schwäche beschwört dies nur herauf. Bedroht alles was uns bisher so unschuldig verband.
Schließlich enden Musik und damit auch das Zaudern. Aber trotz allem entfesselten und noch immer nicht gänzlich vergangenen Unwohlsein bin ich verwirrenderweise dankbar dafür, dass der Tanz mit ihm dennoch nicht vorbei ist, denn ein neues Stück fordert zum Reigen auf. Ruhiger, langsamer, zahmer dieses Mal. Beinahe träge aber nicht weniger dicht aneinandergedrängt bewegen wir uns im Takt.
„Verzeih, wenn ich dir Missbehagen bereitete", entschuldigt sich Dwalin schließlich bekümmert klingend, vermutlich weil auch er bemerkt, wie noch immer alle Augen auf uns gerichtet sind und ich unter ihnen erzittere wie trockenes Herbstlaub. Abwarten, danach lechzend in ihrer Gier nach Skandalen, dass etwas Aufsehenerregendes zwischen uns entsteht und ihren Mutmaßungen neue Energie gibt. Gerade deswegen weiche ich seinem nahezu flehentlichen Blick aus, unfähig die Abbitte aus tiefsten Herzen anzunehmen und unendlich traurig darüber. Mein Augenmerk trifft unvermittelt Thorin, der noch immer einsam auf dem hoheitlichen Podest sitzt und die Gesellschaft betrachtet. Auch oder vor allem ihm wird das Schauspiel, das wir boten, nicht entgangen sein.
„Wird Thorin heute nicht tanzen?", frage ich Dwalin, interessiert an einer Antwort aber vor allem ablenken wollend, und er scheint außerordentlich dankbar dafür. „Dass du seine direkte Zofe bist, erregte bereits Aufsehen, was denkst du, wie die Damenwelt reagieren wird, wenn er auch noch mit dir tanzt", appelliert er und ich vernehme mit wieder leichtem Herzen das vergnügte Schmunzeln in der Mahnung. Vorbei ist der kurze Moment des Verbotenen. Mahal schulde ich meinen tiefsten Dank dafür.
„Das wollte ich damit nicht ausdrücken", revidiere ich seine Vermutung bestimmt, zusätzlich mit einer wohldosierten Spur Trotz vermischt, und sehe ihn wieder an, „ich wunderte mich bloß, dass er es bislang vorzog, sich nicht an den Feierlichkeiten zu beteiligen." Dwalin lächelt unerwartet gequält. „Einsamkeit ist einer der Preise für die Macht, die er nun besitzt. Es ist die Pflicht des Herrschers, unempfänglich für Amüsements zu sein, um die Seinen zu beschützen. Allzeit wachsam, allzeit bereit sie mit seinem Leben zu verteidigen, sollte etwas geschehen, so unwahrscheinlich es auch scheint in manchen Situationen." Traurig stimmt mich diese Erklärung, denn noch zu jung und unbeschwert ist er, um nunmehr keinen Spaß am Leben zu haben.
~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
Uzbad men – Mein König
Ezbadu men – Mein Herrscher
Nathûna – junge, unverheiratete (adlige) Frau
Zabdûna – Titel einer mit einem Adligen verheiratete Frau (Lady)
Zabdûnayê – Anrede für eine Adlige (My Lady)
Zabadê/Zabdûnê – Anrede für einen adligen Mann (My Lord)
Zabad/Zabdûn – Titel eines adligen Mannes (Lord)
Zirak – Anrede für einen Mann (Mister)
Zirkûna – Anrede für eine Frau (Misses/Mistress/Miss)
~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
Baronesse – Titel für die unverheiratete Tochter eines Barons
Dazu ein kleiner Ausflug in die Welt der Adelstitel und Anreden, die ich verwende:
Ich orientiere mich an den im Mittelalter bis in frühe 20te Jahrhundert in Deutschland verwendeten Adelstiteln. Im Wesentlichen gab es hier die folgenden Titel (geordnet nach dem Rang in absteigender Folge):
Kaiser
König
Herzog
Fürst
Graf
Freiherr, Baron
Ritter, Edler, Herr von, Junker von, Landmann von
Zwischen den einzelnen Rängen standen die männlichen Erben, dann die Ehefrauen und danach die unverheirateten weiblichen Erben.
Astâ als Comtesse, also als die unverheiratete Tochter eines Grafen, gehört damit dem Hochadel an, wobei es hierin der niedrigste Rang war. Die drei Zwergenfrauen, denen sie begegnete, waren Baroninnen bzw. Baronessen. Sie waren also vom Rang her niedriger. Eigentlich hätten sie sie gar nicht ansprechen, geschweige denn so bedrängen dürfen. Denn es war bei Hofe strengstens verboten, dass Angehörige niederer Ränge die der höheren als erstes ansprachen.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro