Kheled-zâram
Erst weit ab vom Tal wollen wir eine Rast einlegen, obwohl die Sonne bereits ihren Scheitelpunkt überschritt, denn noch vor Anbruch der Nacht müssen wir die Spitze der sich weit ins Land erstreckenden Ausläufer des Bergers erreichen, die wir umrunden müssen, um weiter nach Norden zu gelangen. Der Saum eines alten Waldes reicht nah heran an die kargen Vorlande, aber nicht durchqueren müssen wir ihn.
Wenige Meilen von den Ufern des Kheled-zâram entspringt eingefasst von silbern-glitzernden Steinen ein weiterer Fluss. Silberlauf wird er daher genannt und womöglich unterirdisch von den Wassern des Sees gespeist, die sich hier wieder an die Oberfläche drücken. Oberhalb seiner Quelle entlang führt uns der Weg, denn unter Strafe gestellt ist sein überqueren, wie uns Balin mitteilt. Von wem, das wagt er nicht zu sagen.
„Möchtest du hineinsehen?", fragt mich Oin, als wir bei Durins Stein dem Ufer des Sees nahekommen. Ich zögere. Könige von Geburtsrecht her beugten sich über das schwarze Wasser und sahen dennoch nur die Gestirne, Bettler taten es, und ihr Haupt wurde gekrönt von Sternen. Kheled-zâram scherrt sich nicht um Herkunft, Adelsstand und Titel. Denjenigen den er für würdig hält, um gerecht und ehrenvoll über das Reich unter dem Berge zu herrschen, ruft er als dessen König aus.
„Was ist, wenn ich mich darin sehe?", erkundige ich mich daher. „Aye, dann hat Khazad-dûm endlich eine neue Königin", schnaubt Dwalin spaßend. Sein Bruder gibt ihm im Vorbeireiten einen zurechtweisenden Klaps auf den Hinterkopf. Wenig belustigt scheint er darüber, dass über die Bedeutung des Sees Scherze getrieben werden. „Keine Verpflichtung geht mit der Weissagung einher", beruhigt er. „Schaut nur hinein, ausnahmslos jedem Zwerg steht es offen."
Mein Herz klopf wie wild und der Mund ist ganz trocken, als ich zusammen mit Oin näher herantrete an das in der Sonne schwarzfunkelnde Wasser. Wir knien uns an das grasbewachsene und steingesäumte Ufer. Kleine Wellen kräuseln die Oberfläche, während sich Oin darüber beugt aber dann plötzlich, verharrt es still, als wäre daraus das reflektierende Glas eines Spiegels geworden. Lange starrt er hinein. Unbewegt ist seine Mimik und dennoch scheint es mir, als würde er lächeln. Ein fernes, seliges Lächeln voller Entzücken und Freude. Schließlich lehnt er sich wieder zurück, deutet mir, ohne ein Wort zu sagen, ebenfalls hineinzuschauen in das nun wieder an das Ufer wellenschlagende Wasser.
Tief hole ich Luft, stützte die Hände in das weiche Gras und beuge mich vor. Absolute Düsterheit empfängt mich. Kein einziger Lichtschein ist zu sehen. Eine schwarze, weite Leere wie die die Ea umgibt. Aber dann ... erst einer ... dann zwei ... dann Milliarden von Sternen funkeln plötzlich auf, überziehen den Samtschwarzen Nachthimmel mit ihrer Schönheit. Manche sind kleiner, andere größer. Viele strahlen hell, einzelne nur blass. Zu Bildern formieren sie sich oder stehen einzeln in ihrer ganzen Pracht. Nebulöse Schleier wabern um Ansammlungen von ihnen. Einige fallen gefolgt von langen, glitzernden Schweifen und verglühen in der Unendlichkeit. Ein Anblick so voller Unendlichkeit und Zauber. Nicht sattsehen kann ich mich an ihm und immer neue Wunder entdecke ich.
Aber dann, plötzlich und unerwartet, erhebt sich aus dem flimmernden, flüssigen Schwarz ein Gesicht und sieben Sterne lösen sich, kreisen, funkeln hell und klar und krönen dieses letztendlich mit ihrer Herrlichkeit. Ich erschrecke zutiefst, während ich in mein sich spiegelndes Angesicht starre. Kaum zu lösen vermag ich mich von der Erscheinung. Sie zerrt und zieht an meinen Innereien und den Gedanken, die wirr sind und nicht begreifen können.
Schließlich entlässt mich das Bild aus seiner Bannung und ich weiche zurück. „Was hast du gesehen?", fragt mich Oin und seine Stimme klingt fern wie aus einer fremden Welt. „Nichts", flüstere ich, „nur den Sternenhimmel." Oin erhebt sich, streckt mir helfend seine Hand entgegen. „Ich auch." Gerne nehme ich sie an uns lasse mich von ihm auf die Füße ziehen. Wackelig fühle ich mich, kaum in der Lage klar zu denken geschweige denn zu laufen. Aber dennoch wider Erwartend fest und aufrecht ist mein Gang zurück zu den Anderen, die unweit mit den Pferden auf uns warteten. Auch ihnen berichten wir was wir sahen ... oder was wir vorgeben gesehen zu haben.
„Wenn es anders gewesen wäre", raunt mir Dwalin verschwörerisch zu, als wir schließlich weiterreiten, „dann hätte ich den feurigen Schatten für dich erlöschen lassen damit du gekrönt von Mithril und Juwelen deinen rechten Platz auf dem eisernen Thron einnehmen kannst." Ein verschämt-gerührtes Lächeln ist meine Antwort auf das aussichtslose Angebot. Aber als ich zurückblicke auf Kheled-zâram, an dessen Ufer sich bedeutungsvoll der Stein Durins in den Himmel reckt wie ein weißender Finger in Richtung des Tores zum verlorenen Reich, da ergreift mich eine eigenartige Schwermut, die mich zurückziehen möchte an diesen Ort, der so voller Mythen und Wunder ist.
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Unheimlich ist mir der Wald direkt in Sichtweite unseres Lagerplatzes. Eichen, Buchen und Lärchen wachsen dicht an dicht und dennoch sind ihre Stämme dick und ihre Kronen weit. Und alt sind diese Bäume. Einige von ihnen müssen, obwohl sie hier am Rand stehen, bereits den Beginn des Dritten Zeitalters gesehen haben. Beinahe kommt es mir so vor, als würden sie uns mit Misstrauen beobachten, wenngleich nichts Böses zwischen ihnen zu verweilen scheint, eher etwas Geheimnisvolles, das von einer alten Kraft gespeist wird und voller Zauber steckt.
Ich ziehe den Mantel fester um meine Schultern und vergrabe das Gesicht in dem Fell des aufgestellten Kragens, denn ein kalter, schneidender Wind kommt von den Bergen heruntergeweht. Früher als erhofft und mit aller Macht drängt sich der Herbst in die Niederungen. Was ist, wenn wir vor Einbruch des Winters unser Ziel nicht erreichen? Kaum ein heimeliges Haus wird es in dieser Gegend geben und die nächste Stadt ... erinnern kann ich mich nicht diesseits des Düsterwaldes überhaupt ein einziges Dorf auf den Landkarten gesehen zu haben. Ein furchtsames und erschauderndes Zittern läuft durch meinen Körper, wenn ich nur daran denke, durch Schneegestöber und Eismatsch unseren Weg vorzusetzen.
Unerwartet wird eine Decke um meine Schultern gelegt. „Du frierst", sagt Thorin und legt einen trockenen Ast in das Feuer vor mir nach, obwohl es noch lange nicht zu verglühen drohte. Kleine Funken steigen in den nächtlichen Himmel, leuchten kurz auf und vergehen in einer kalten Bö, die laut und drohend in den Baumwipfeln rauscht. Eigenartig klingt seine Stimme. Zuneigung findet sich darin und allzu offensichtliche Sorge. Eine wohltuende Wärme sendet sie aus, die willkommen vermag meinen frierenden Leib einzuhüllen. Aber da ist noch etwas anderes. Sanft wie feinste, im Schutz der Nacht gesponnene Seide, weich wie edelster Samt, tief wie die Höhlen unserer Vorfahren die unweit liegen. Selten nimmt sie diese Eigenschaften an. Wenige Male bislang war mir das Privileg vergönnt, sie so wahrzunehmen, dass sie mir galt, in Momenten, in denen er melancholisch war, anfällig für Gefühle und zutiefst dankbar dafür, dass jemand ihm darin begleitete, der diese nicht zu seinem Nachteil gereichen möchte, auch wenn er es niemals zugeben würde.
Schwer lässt er sich neben mich auf den kühlen Wackerstein fallen. Nah ist er mir, so nah, dass sich unsere Schultern berühren und seine immer glühende Wärme durch Leder und Stoff auf meine Haut sickert und sich von dort verteilt in jede noch so kleine Ader. In seiner Einfachheit dennoch vollkommen schön ist dieses Gefühl. „Ihr solltet schlafen", möchte ich ihn überreden etwas zur Ruhe zu kommen, denn besonders viel davon fand er bereits seit einigen Nächten nicht. Aber er schüttelt den Kopf, neigt ihn schließlich. „Ich kann nicht", erwidert er und ich weiß auch warum. Furcht hat er vor den ihn sowieso schon beständig heimsuchenden Träumen die hier, so nahe dem Ort ihres Ursprungs und nach den Ereignissen des Tages, noch sehr viel schrecklichere Ausmaße drohen anzunehmen.
Das Licht-Schatten-Spiel der Flammen tanzt auf seinen Gesichtszügen und ich vermag aus ihnen nicht zu lesen, was ihn beschäftigt. Kummer wird es sein, Trauer und oh so viele quälende Erinnerungen. „Danke", murmelt er plötzlich und ich erschrecke vor der Betonung dieses einfachen kleinen Wortes, die tief ist und voll. „Danke, dass du das Totengebet für sie sprachst. Damals konnten wir es ihnen nicht mit auf den Weg geben, denn viel zu wund von Schmerz und Erschöpfung fühlten wir uns alle." Ich lächle, traurig zwar, aber dennoch gut fühlt es sich an, und umschließe ohne darüber nachzudenken die Hand, die in seinem Schoß ruht mit der meinen. Mit großen, glänzenden Augen sieht er mich daraufhin an. „Es war mir eine Ehre", flüstere ich und drücke sie kurz. Und dann lächelt auch er und greift mit der anderen Hand nach mir, legt sie an meine Wange. Warm und stark und rau ist sie. Verlieren will man sich in der Berührung. Sich ihr hingeben mit jedwedem was das Sein zu bieten hat.
Nur kurz verharren wir so - sein Blick bannend, sein Körper nah - bis er mich zu sich heranzieht, mir dabei entgegenkommt und die Stirn an die meine bettet. Ich schließe die Augen, lasse diesen Moment der Verbundenheit, der so frei ist von allen Zwängen und Standesunterschieden und Verpflichtungen immer unempfindlich für jedwede Gefühlsregung zu erscheinen, auf mich wirken. Der zitternd ausgestoßene Atem brandet heiß an die frierende Haut des Gesichts und auf einmal weicht sämtlich Kälte aus meinem Körper. Bedeutsamer als jedwede vergleichbare die er mir bereits schenkte, ist diese Geste, zeigt sie doch nicht nur Dankbarkeit, sondern auch Vertrauen und Hingabe und das Teilen einer aufopferungsvollen Liebe, die er nur wenigen zugesteht. Herbst kann nicht drohen, denn Frühling herrscht in meinem Herzen.
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Zaghaft und grau lugt der Morgen über die Wipfel der Bäume, während der Himmel im Westen noch immer nachtschwarz verhangen ist. Unwillens stecke ich die bislang im Schlaf tief in Decken und Mantelkragen verborgene Nase in die kalte Luft und nehme ihre aufweckende Frische in mich auf. Neblig-silberne Schwaden dampfen auf, als sie mich angewärmt wieder verlässt. Noch liegen bleiben würde ich gerne, weiterhin die kuschelige Wärme genießen, schlafen, den Körper und Geist sind erschöpft, aber früh wollen wir weiterziehen und daher sputen müsste ich mich bereits jetzt mit dem Bereiten des Frühstücks und Packen der Pferde. Also schäle ich mich aus den schützenden Lagen, die ich um mich wickelte und richte mich augenreibend auf. Dwalin rechts neben mir knurrt von der Bewegung gestört etwas Unverständliches und dreht sich um. Thorin links, ist so vergraben zwischen Fell und wallendem Haar, dass noch nicht einmal sein Gesicht zu erkennen ist.
Als ich zum Lagerfeuer blicke, sehe ich dort Balin, der die letzte Wache innehatte. Deutliche Anspannung verrät seine aufrechte Körperhaltung, unterdessen er in die Dunkelheit des Waldes starrt. Alarmiert davon stehe ich auf und trete an seine Seite. Nicht ist zu sehen. Nur Bäume, und unbewegte Schatten und Nebelschwaden, die zwischen ihnen hängen.
„Etwas oder jemand beobachtet uns", informiert Balin dennoch und ich hege keinen Zweifel an seiner Einschätzung. „Auch mir war so während der Wache", flüstere ich zurück. Suchend lasse ich den Blick schweifen. Über Äste und glitzernde, morgentauüberfrorene Blätter, den dicht bemoosten Waldboden, darauf erpicht eine Bewegung, eine Veränderung im Halbdunkel zu erkennen. Aber nichts rührt sich. Noch nicht einmal ein bereits waches Eichhörnchen hüpft von Krone zu Krone. Dennoch beschleicht auch mich erneut dieses Gefühl, so, als wären es die Bäume selber, die beobachten. „Wir sollten schnell von hier verschwinden", sagt Balin, weiterhin den Wald nicht aus den Augen lassend. „Weck die anderen und beeile dich mit dem Frühstück." Ich nicke dienstbar den Befehl annehmen und gehe als Erstes zu seinem Bruder, denn ich weiß, wie sehr es hasst und gleichzeitig liebt aus dem Schlaf gerissen um dann mit einem Wangenkuss besänftigt zu werden.
Schnell ist der klumpig-fade Tagesbrei zubereitet und pragmatisch gegessen. Einen der Riemen an Khajmels Sattel ziehe ich gerade noch einmal fest, als er plötzlich ruckartig den Kopf hebt und nach Norden blickt. Aufgestellt sind seine Ohren und die Nüstern gebläht, so, als würde er einen fremdartigen, möglicherweise beunruhigenden Geruch wahrnehmen. Auch die anderen Pferde werden unvermittelt nervös. „Etwas stimmt nicht", informiere ich hastig die anderen und keinen Augenblick später bereits, klagt ein schreckliches Geheul über das hügelige Vorland.
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