Ich bin nicht frei
„Thorin, viele Wege sind wir zusammen gegangen. Viele Kämpfe habe ich an deiner Seite gefochten. Ohne Hinterfragen, ohne Zögern, ohne auch nur den Hauch eines Zweifels ... aber dieses Unterfangen, ist purer Wahnsinn. Lange schon warst du nicht mehr in der Nähe des Düsterwaldes. Du weißt nichts über die Gefahren, die sich im Laufe der zurückliegenden Jahrzehnte dort niederließen. Orks, Warge und Bilwisse werden die Kleinsten der Übel sein, denen wir auf den Weg begegnen." Balins Reden ist eindringlich, dennoch ruhig und besonnen, wie es die Stimme eines königlichen Beraters allzeit sein muss, um seinen störrischen Herren von törichten Handlungen abzubringen, die Land und Leute in Gefahr bringen könnten.
Ich verstehe seine Sorgen, die Bedenken und das Entsetzen, das aufkam, als Thorin unseren Gefährten am nächsten Morgen den neuen Weg den er zu gehen gedenkt, offenbarte. Kaum zwei Jahre ist es her, dass er von dort zurückkehrte. Viel wird er gesehen und erlebt haben: Schrecken, Kälte, Furcht, Trauer, letztendlich einen qualvollen Verlust. Aber sieht er nicht die Hoffnung, die nunmehr erneut erwachte? Erkennt er nicht die Chance, erfreut er sich nicht der Aussicht, unser aller König vielleicht doch noch zu finden? Näher rücke ich an Thorin heran, versuche ihm beizustehen, ihn zu ermutigen seinem Glauben aufrecht zu erhalten, auch, wenn ich es vermutlich nicht müsste.
„Du solltest Träumen niemals Vorrang zu Tatsachen einräumen", mahnt Balin, „sie zeigen selten die Wirklichkeit." Dwalin neben ihm senkt den Blick. Bitternis ist es, die an ihm zerrt und zehrt, darüber, dass ich Thorin den Inhalt dieser offenbarte und nicht ihm. Viele Erklärungen und Zusicherungen wird er von mir fordern, die diese in seinen Augen Beeinträchtigung unseres vertrauensvollen Verhältnisses wettmachen können. Kaum eine davon wird er ohne Hinterfragen akzeptieren, nur die wenigsten wirklich glauben, so wahr sie auch sein mögen. Eifersucht lässt dem Verstand niemals genügend Freiheiten, um die Dinge zu sehen, wie sie tatsächlich sind.
„Dennoch werde ich ihnen folgen. Jeder von euch der es möchte, kann dagegen umkehren. Ich will niemanden erneut in Gefahr bringen." Schockiert sehen wir Thorin an. Allein will er sich notfalls dem langen Weg und allen Wagnissen stellen. Suchen, bis er seinen Vater findet oder jeglicher Hoffnungsfunke erlischt in der Dunkelheit. Zu sehr nach Verrat würde es sich anfühlen, gebe er jetzt auf, ohne die absolute Gewissheit seines Todes.
Heiß und kalt zugleich wird mir, alles ist plötzlich so dumpf und voller Grauen. Nein ... niemals ... niemals werde ich ertragen können unkundig darüber zu sein wo er sich aufhält, welch Tollkühnheit er gerade eingeht, ob er Schmerzen, Hunger, Furcht oder Trauer empfindet. Elendig zugrunde gehen würde ich an den Sorgen um ihn.
Aber wenn ich an seiner Seite bleibe, dann wird mir Dwalin folgen und ihm sein Bruder und Oin, bei seiner und der Ehre seiner Familie, nicht allein zurückkehren wird er. Thorin weiß dies. Er weiß um meine Dienstbarkeit, mein Versprechen, meine jugendlich-vernarrte Torheit und um die noch rechtschaffen verborgene aber dennoch nur allzu offensichtliche Liebe seines Waffenbruders zu mir. Oh wie verfluche ich sein Wissen. Wie seine verschlagene Genialität dieses auszunutzen.
„Ich komme mit Euch", höre ich mich jedoch sagen und beschließe damit mit fester Stimme unser aller Schicksal.
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Die Pferde sind unruhig an diesem schönen und klaren Morgen Ende Juni. Mehr als drei Monate sind wir nun schon unterwegs und der Weg den wir noch zu gehen gedenken, wird noch um ein Vielfaches länger dauern. Allein um jenseits des Nebelgebirges zu gelangen, müssen wir die karge, felsige Einöde des Landes Hulsten durchqueren und den verschlungenen Rothornpass des Caradhras erklimmen, der letztlich in einen Steig hinunter zum Schattenbachtal endet. Viele Wochen wird dieser Weg dauern. Kaum ein heimeliges Haus werden wir derweil finden, denn die Gegend ist schon lange verwüstet und größtenteils verlassen. Dafür lauern umso mehr Gefahren, wilde Kreaturen und allerlei Gesindel.
Zwei weitere Ponystuten hat uns Bruni daher für das viele an unerlässlichem Proviant, Werkzeug und allerlei Nützlichem, das wir mitnehmen müssen, besorgt. Schöne und stämmige Tiere, wenn auch ein wenig scheu und nervös. Bedenken hatte Thorin geäußert, dass sie uns inmitten der Wildnis durchgehen könnten. Aber Bruni beruhigte ihn damit, dass sie bisweilen einem grämlichen Mann gehörten, der all seine Tiere eher schlecht behandelt. Schnell werden sie sich hoffentlich an uns gewöhnen und Vertrauen fassen. Von Khajmels Seite zumindest, der sich ihrer baldigst annahm, weichen sie bereits jetzt schon nicht mehr.
„Ich hoffe, Ihr werdet uns auf dem Rückweg besuchen, bestenfalls mit Eurem Vater an der Seite", sagt Bruni und verbeugt sich zusammen mit Luisanne zum Abschied vor Thorin. „Das werden wir. Habt vielen Dank für Hilfe, Beistand, Unterkunft und Verpflegung. Niemals vergessen werden wir Euch dies." Bruni richtet sich wieder auf, sieht Thorin lange und eindringlich an. „Keinerlei Dank verlange ich dafür, Hoheit, nur die Zusicherung, dass Ihr vorsichtig seid auf dem Weg, der vor Euch liegt. Gebt Acht auf Euch und Eure Gefährten, denn jeder einzelne von ihnen würde Euch folgen bis in den Tod und es wäre ein herber Verlust für unsere Sippe, wenn Ihr oder auch nur einer dieser edlen Krieger verloren gehen würde." Thorin nickt. Die Mahnung genauso annehmend wie das Versprechen gebend.
Nur kurz ist mein Blick zurück als wir die Straße hinunterreiten, vorbei an gepflegten Gärten mit blühenden Blumen und zu Müßiggang einladenden Bänken. Dennoch Trauer beschwört er im Herzen herauf. Werde ich sie jemals wiedersehen? Mich der Heimeligkeit ihres Hauses erfreuen können? Freunde sind sie mir geworden, trotz oder gerade wegen ihrer Andersartigkeit. Ihre Art zu Leben ist befreiter, fernab von steifer Etikette, immerwährendem Heldenmut und der Verpflichtung Stark und unnahbar zu sein. Gefühle konnte ich in ihrem Haus offen und jedermann zeigen. Leichtigkeit finden, auch wenn die Tage dunkel waren. Vermissen werde ich sie. Mich gewiss zurückerinnern an feuerwarme Stuben, wenn sich bitterliche Kälte durch den Körper frisst, an den Duft von Gebäck, wenn knurrender Hunger quält, an freudiges Lachen, wenn leidvolle Trostlosigkeit versucht das Gemüt zu betrüben. Zurückkehren werde ich wohl, aber wie und wann, das weiß ich nicht.
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Der Grünweg führt uns weiter nach Süden. Ein kurzer Aufenthalt in der alten Stadt Tharbad, währenddem wir unsere Vorräte auffüllen wollen, ist unser erstes Etappenziel. Einst war diese mit seinem riesigen Binnenhafen ein wichtiger Handelspunkt, denn die beiden Flüsse Glanduin und Mitheithel fließen hier zum Strom Grauflut zusammen, der schließlich in das Westmeer mündet. Viele Menschen und auch Elben lebten hier einst. Könige stationierten ihre Heere zum Schutz der nördlichen und südlichen Reiche, über die Grenzen der umliegenden Länder hinaus einflussreiche Gilden, Zünfte und Hanse sicherten die wirtschaftlichen Belange, Kultur und Wissenschaft wurde geschätzt und vorangetrieben. Große Handelskarawanen zogen durch die Stadt oder beluden oder löschten Schiffe mit kostbaren Waren, die in weit entfernte Länder fuhren oder aus ihnen kamen. Aber ihre Stellung als Übergangsstadt zwischen den einstigen Königsbrüderländern Arnor und Gondor lieferte sie auch ihrem Verderben aus. Flüchtlinge, die vor der schrecklichen Pest die von Süden kam, davonliefen, brachten diese mit sich und schnell verbreitete sich die Krankheit innerhalb der Stadtmauern und wütetet weiter bis hinauf in die nördlichsten Lande. (So) viele starben. Kein Volk, das von ihr unberührt blieb. Nun wird sie nurmehr bewohnt von wenigen Menschen die kaum noch Handel treiben, denn verlassen und gefährlich ist das Land um sie herum.
„Warum hast du ihm von deinen Träumen erzählt und nicht mir?" Dwalins Stimme klingt betrübt, aber auch vorwurfsvoll, ja geradezu enttäuscht. Wie fürchtete ich mich vor diesem Gespräch. Wie hoffte ich, es niemals führen zu müssen. „Ich weiß es nicht. Kein besonderer Grund hielt mich davon ab." Ansehen kann ich Dwalin nicht während der Rechtfertigung, die eigentlich nicht nötig wäre, denn keinerlei Vorwurf muss ich mir anlasten. Keinen weiteren Anspruch als Achtung, Fügsamkeit und Treue erheben weder er noch Thorin auf mich und meine Gedanken. Näher reitet er daraufhin an mich heran, auch, damit keiner unserer vorausreitenden Gefährten die Worte zu hören vermag. Dennoch halte ich den Blick weiterhin starr auf meine die Zügel fest umklammernden Hände gerichtet. Nicht ertragen könnte ich Enttäuschung und vermutlich Kränkung in seinem geliebten Antlitz. Denn ist es doch so viel mehr, dass er besitzen will. Ich ihm eigentlich geben will, aber (noch) nicht kann.
„Vertraust du mir nicht?" Frustriert obwohl ich mit diesem Vorwurf rechnete, schnaube ich aus. „Mehr als irgendjemand anderem vertraue ich dir. Kein Geheimnis, egal welcher Art, könnte ich vor dir verbergen. Mein Leben würde ich ohne Argwohn in deine Hände legen." Die unbeirrbare Wahrheit ist dies, tief in seinem Inneren weiß er darum, zweifelt nicht daran, aber dennoch Misstrauen und Unsicherheit darüber, dass ich unserem Prinzen mehr Zuneigung entgegenbringen könnte, wütet in seinem Herzen wie ein Dämon der ein schrecklich-hässlich-verzerrtes Angesicht trägt. „Dennoch schwiegst du über den Inhalt deiner Träume, die dich so viele Nächte in mein Bett und meine Umarmung trieben."
Nun doch sehe ich ihn an, sehe dieses Monstrum mit den glühend-gelben, immer wachsamen Augen und hellhörigen Ohren und verzweifle an seiner Verderblichkeit. „Hätte es dir denn etwas genützt zu wissen, welche Schreckensbilder mich quälen!?", fahre ich ihn an, wohl etwas zu laut und unbeherrscht, denn Balin vor uns dreht sich mit sorgenvoll-fragend heruntergezogenen Augenbrauen um. „Nein, aber ich hätte dir genauso eine Aufklärung über den Inhalt des Gesehenen und darüber hinaus Trost schenken können. Vielleicht wären sie dir dann genommen", flüstert er als Gegenwehr, nachdem wir um seinen Bruder zu beruhigen, kurz schwiegen.
„Ja ... vielleicht ... vielleicht hätte ich es dir von ihnen erzählen sollen ... vielleicht hätte ich dann verstanden und ihr Albdruck läge nicht länger auf mir ... vielleicht wären wir dann nicht hier, sondern auf den Weg zurück nach Hause." Trotzig klinge ich, verbittert, müde ob der Kämpfe, die ich immer wieder erneut gegen seinen Argwohn austragen muss. Wann endlich versteht er, welch Verbindlichkeiten ich einging und welche Konsequenzen es verlangen würde, sollte ich ihrer nicht nachkommen. Absolute Offenheit gegenüber meinem Herrn zählt genauso zu ihnen wie völlige und zweifelsfreie Dienstbarkeit. Ich bin nicht frei in meinem Handeln und auch wenn ich es vorhin so vehement bestritt, auch meine Gedanken und Träume sind es nicht vollends. Sobald sie ihm dienlich sein könnten, bin ich verpflichtet sie zu enthüllen.
Ich treibe meine Hacken in Khajmels Flanke undbringe ihn damit in einen leichten Galopp. Zusammen mit einem der Packpferde,die ich führe, reite ich neben Balin. Weg von ihm. Eine gewisse Distanzzwischen uns schaffend. Nur einen Moment lang, bevor ich vollends die Geduldverliere und Dinge sage, die ich niemals so meinte.
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