Glücklich ist das Wiedersehen
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Am Tag der Sommersonnenwende verabschieden wir uns von Edoras, König Folca, seiner Familie und seinem Volk und trotz der frühen Stunde, wollen uns viele von ihnen ebenfalls ‚Lebewohl' sagen. Schwermütig stimmt es, in die Gesichter der Anwesenden zu blicken. Frauen, Kinder, Bauern, Krieger ... Folcwine, der seine kleine, sich noch verschlafen die Äuglein reibende Schwester auf dem Arm trägt, Königin Háhild in ihrer ganzen Pracht.
„Ich hoffe, Ihr kommt uns irgendwann einmal wieder besuchen", sagt Folca an Thorin gewandt. Schwer lässt es sich sagen, ob er ihm während der letzten Monate verriet, was der Grund unserer Reise war und welch Ausgang er fand, aber wissen wird er unzweifelhaft um Thráins Verschwinden, den kein Geheimnis ist dies in Mittelerde. Thorin nickt zusichernd. „Und ich hoffe, dass Ihr uns zu gegebener Zeit ebenfalls die Ehre erweist."
Nicht enden wollend ist mein Blick auf die Stadt der Pferdeherren gerichtet, während wir sie auf der kleinen Anhöhe stehend ein letztes Mal zurückschweifen lassen. Viel habe ich hier erlebt. Viel gelernt, gelacht und auch gelitten. Entscheidungen traf ich, die das weitere Leben beeinflussen werden. Kämpfe focht ich, die mich stärker werden ließen und vermochten, mir die Wertschätzung derer die mir wichtig sind zu erlangen. Fehlen werden die geselligen Abende, so laut und ausschweifend die Feste auch waren. Umso mehr aber die ruhigen, verbracht an knisternden Kaminfeuern und mit gedankenreichen Gesprächen, fernab jeglicher Missgunst. Einen Monat etwa wird es noch dauern, bis wir die heimischen Hallen erreichen. Zudem selbst wenn Thorin plant, Häuser zu besuchen, die uns einst schon mitunter wohlige Beherbergung gewährten, ist es doch die Wildnis, die uns erwartet, wohlgleich sie nicht mehr so gefährlich ist wie jenseits des Nebelgebirges.
„Astâ, kommst du", ruft Dwalin und nun erst wird mir gewahr, dass sie bereits weiterzogen. Ich wende Khajmel, um ihnen zu folgen. Das Gras unter seinen erneut frisch beschlagenen Hufen ist grün und noch feucht vom gestrigen Sommerregenguss. In einen leichten Arbeitsgalopp geht er über. Dennoch auch ihm scheint es schwerzufallen diesen Ort zu verlassen.
Durch die Pforte von Rohan, einen Streifen offenes Land zwischen Weißem und der südlichsten Spitze des Nebelgebirges, führt uns die große Südstraße, die nach Tharbad in den Grünweg übergeht. Von der wenigen Nutzung in den zurückliegenden Jahrzehnten geprägt ist sie. Manchmal kaum zu erkennen unter dornigen Sträuchern und zum größten Teil überwuchert von Gräsern, sind die einst grauen, glatten und nun hauptsächlich zerbrochenen Steinplatten. Vereinzelte Baumgruppen verdichten sich zu lichten Wäldchen, je näher wir den Bergen kommen. Die üppigen Grasmeere verebben in sandfarbenen, von purpurnen Tümpeln aus Erika überfluteten Stränden. Der laue Sommerwind streift ungehindert über uns hinweg und kaum Schutz vor der brennenden Sonne finden wir. Unangenehm kleben die Sachen an der Haut und der Schweiß rinnt in Strömen.
An einen breiten Fluss gelangen wir schließlich. Zu einer flachen Furt erhebt sich sein Grund und bildet damit einen natürlichen Übergang, den die Straße nutzt. Schnell und klar braust das Wasser von den Hängen des Gebirges herab, sprudelt über glatte Steine, stürzt sich Kaskaden hinab und flutet an eine kleine Grüne Insel inmitten des Stroms.
„Wir rasten hier für die Nacht", bestimmt Thorin und blickt gen Osten zurück, wo sich bereits der Horizont verdunkelt und ein blasssilberner Mond aufsteigt. Trotzdem diese Landschaft unbewohnt und wenig gefahrvoll erscheint, wirkt sein Gemüt dabei von Unruhe erfüllt, so als wäre es ihm eigentlich sehr viel lieber weiterzuziehen.
Einige Wachteln und sogar ein Birkhuhn konnten wir für das Abendessen erjagen und während die Vögel über dem dank des trockenen Krauts schnell entfachten allerdings dadurch auch stark qualmenden Feuers braten, sinniere ich, was Thorin wohl Sorgen bereitet. Denn seitdem wir das Lager aufschlugen, beobachtet er die Ausläufer des Nebelgebirges mit selbst für ihn ungemein misstrauischem Argwohn. Und plötzlich, höre ich etwas. Ein Wispern, als würde Wind aus einer alten Welt durch die Zweige eines uralten Baumes rauschen. Merkwürdig hört es sich an. Fern und dennoch nah. Geheimnisvoll, unerklärlich erfüllt von einer Macht, die nicht irdisch zu sein scheint. Beinahe wie eine magische Formeln in längst vergessenen Sprachen murmelnde Stimme.
Sofort sind wir alle alarmiert, ein Hinweis, dass nicht nur ich es vernahm. Aber Thorin unterbindet mit einem Handzeichen das Ziehen von Schwertern und Äxte, befielt stattdessen das Feuer zu löschen. Schnell komme ich diesem nach. Vollkommen schwarze Dunkelheit umschließt uns daraufhin, nur der graue Rauch und die schwach leuchtende Glut ein Zwielicht in ihr, denn selbst der Mond versteckte sich hinter vorbeiziehenden Wolken. Jedoch darneben glimmt noch etwas anderes auf, dort in der Ferne, wo sich die Ausläufer des Nebelgebirges in steingrauen Hängen erheben. Ein verhaltener Schein. Ein Feuer vielleicht, aber kaum von einem Haus oder ebenfalls Lager wird es stammen, denn viel zu hell ist es gleichwohl dafür.
„Thorin?", flüstert Dwalin neben mir, aber unser Anführer beobachtet weiterhin das Glimmen in der Dunkelheit, während die Stimme immer noch mantraartige Formeln murmelt. Zu einem Rauschen verdichten sie sich schließlich, das sogar das Brausen des Flusses in Monotonie untergehen lässt. Nochmalig versucht Dwalin, eine Erklärung zu erwirken, denn nicht nur er vermutet, dass Thorin weiß, was hier vor sich geht. „Seid still!", zischt er allerdings, ganz so, als würde das, was dort weit entfernt lauert, selbst das kleinste Geräusch gewahren. Jedoch ein einerseits beruhigendes, aber genauso auch ängstigendes Gefühl beschwört es herauf, dass uns anscheinend Waffengewalt wenig dagegen von Nutzen sein wird.
Dann, so plötzlich wie es erklang, verstummt es wieder. Nur das Plätschern und Gluckern des Flusses, das laute Zirpen der Zikaden und der weit entfernte Ruf eines Käuzchens ist nunmehr zu hören. „Was war das?", stellt nun Oin als Frage, aber noch bevor unser Anführer überhaupt zu einer Antwort Luft holen kann, ist es ein neues, umso unerfreulicheres Geräusch, dass ertönt. Ein Krächzen, das aus einer nahen Baumkrone gellend auf uns hinabfällt. Schrecklich hört es sich an, als leide der Verursacher an schlimmen Halsschmerzen. Mit dem Zwergennachtblick erkennen wir ihn schnell. Eine Krähe ist es. Hässlich, mit zerfleddertem Gefieder und schwarzen, seelenleeren Augen.
„Asbujab", knurrt Balin und er könnte recht haben, verfolgten uns die Krähen doch die ganz Reise hindurch und gerade diese hier kommt mir sonderbar bekannt vor. „Astâ", murmelt Dwalin verhalten, als könne sie jedes Wort verstehen, „dein Bogen." Sofort wird mir gewahr, was er mit diesem Hinweis meint. Noch gespannt von der Jagd liegt er neben mir, wartet nur auf seinen Einsatz, um jenes vermaledeite Vieh endlich für immer loszuwerden. Bedächtig bücke ich mich zu ihm hinunter. Weiß gefiedert und gerade ist der Pfeil, denn ich langsam anlege. Nicht weit entfernt verharrt die Krähe auf ihrem Ast, bietet so ein leichtes Ziel. Einzig die Dunkelheit wird es mir schwer machen, die Entfernung richtig einzuschätzen und einen Punkt zu finden, an der ich sie tödlich treffen kann. Schließlich aber entscheide ich mich für die Mitte ihrer Brust, dort, wo das Herz schlägt, sollte sie denn eines besitzen. Zischend fliegt der Pfeil durch die Nacht und ein dumpfes Klatschen ist zu hören, als sie auf den Boden plumpst. Thorin sieht mich an, Anerkennung für den zielgenauen Schuss findet sich in seinem Blick, bevor er an den Kadaver herantritt. Mit schlaffen Flügeln hängt der Vogel nun an dem Pfeil, als er ihn aufhebt. Mit angewiderten Gesicht zieht er ihn herunter und wirft die Überreste ins nahe Dickicht.
„Wer schickte ihn wohl und was war das für ein grausiges Murmeln?", fragt Oin erneut und nun kann Thorin ihn ungestört Antwort geben. „Hier in der Nähe, den Fluss hinauf am Saum des Nebelgebirges, lebt ein Zauberer, der mächtigste der Istari. Tarbûn nennen wir ihn, denn allerhand erfindet er in seinem schwarzen Turm Orthanc. Maschinen, Apparaturen, wie man flüstert sogar Kreaturen und manch anderes Wunderliches, denn zum Gefolge Mahals gehört er und lerne so wie wir viel von ihm. Dennoch misstraue zumindest ich ihm, denn in jenen Tagen, als ich ihn zusammen mit Vater aufsuchte und um Unterstützung bei der Rückeroberung Khazad-Dûms bat, wies er uns eitel und rüde ab. Einiges weiß er über Verderben bringende Dinge, die ebenfalls einst uns Zwerge begleiteten und schon lange hege ich den Verdacht, dass auch er ein Interesse daran hegt, wohin Vater verschwand."
Ich weiß, von welchen Dingen er spricht und auf was sich diese Wissbegierde begründet: Thráins Ring, den letzten und mächtigsten der Zwergenringe. Vermutlich noch immer trägt er ihn, dort unten in der gräulichen Dunkelheit der Verliese DolGoldurs. Entsetzliches prophezeite mir die Herrin Galadriel, sollte er dem Bösen in die Hände fallen und ich hoffe, auf ewig wird er mit ihm verschollen bleiben.
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Tharbad. Zwiegespalten blicke ich auf das südliche Tor in der verfallenden, efeuüberwucherten Stadtmauer. Wohl innerhalb ihrer fühlte ich mich dereinst nicht, begegneten uns die Bewohner doch mit mehr Misstrauen und mitunter sogar Feindlichkeit als anderswo. Aber der Verbleib genau einer von ihnen, interessiert mich dennoch. Oft machte ich mir Gedanken, wie es Mysa seither erging. Hart traf sie das Schicksal und viel Leid und Schmerz muss dieses junge Mädchen tagtäglich ertragen. Wie wünschte ich ihr alles Erdenkbare an Glück, als wir der Stadt vor fast einem Jahr Richtung Nebelgebirge verließen. Sorgsam presste ich als Erinnerung die Callablüte, die sie mir zum Abschied schenkte, zwischen den Seiten meines Buches, nicht darauf hoffend, sie irgendwann einmal wiederzusehen.
Nicht viel hat sich derweil an den Ruinen verändert, als wir die staubigen Straßen entlangreiten. Lediglich der Gestank von Algen, Tran und Fisch scheint bestialischer geworden zu sein und wabert wie dichter Nebel über allgegenwärtigen Schmutz, der sich mit den mannigfachen Zeichen der Armut vermischt. Gebeugte Gestalten kommen uns entgegen, deren hagere Gesichter kaum zu erkennen sind unter den Kapuzen zerschlissener Mäntel. Pferdewagen beladen mit Fässern, Gemüse und Getreide- oder Mehlsäcken poltern neben uns entlang. Nahrung scheint es genügend zu geben, war die Ernte allerorts doch reichlich durch einen früh erblühenden Frühling, aber wie so oft, nicht jeden erreicht dieser Überfluss.
Das Gasthaus ‚Alter Krug' ist ebenfalls noch genauso, wie ich es in Erinnerung behielt. Keinen Deut heller und gleichermaßen stickig und einen üblen Geruch innehabend, der in der Nase brennt und die Augen tränen lässt. Allerdings auffallend sauberer und aufgeräumter wirkt alles. Auch der Wirt ist noch der gleiche und unerwartet, sogar wieder erkennt er uns. „Ah, die Herren Zwerge", grüßt er ausnehmend freundlich, aber mir entgeht dabei nicht der leicht verschnupfte Blick in meine Richtung. Wohl nach wie vor zehrt die Demütigung, die ich ihn beibrachte, an seiner Ehre. Thorin wünscht wie damals Zimmer für jeden einzelnen von uns, sowie Unterstand für die Ponys.
Als der Wirt zustimmend nickt, überkommt mich plötzliche Aufgeregtheit, denn wie einstmals auch, wird er wohl kaum selber das Gepäck in die Zimmer schaffen. Aber überraschend nicht nach der Erhofften ruft er. „Fenca, würdest du bitte kommen und unseren neuen Gästen helfen." Ich stutze verwundert, nicht nur, da er nicht nach Mysa verlangt, sondern ebenso mit welcher Höfflichkeit höchstwahrscheinlich ihre Nachfolgerin. Aus der Küche kommt eine bereits ältere Frau mit strohblonden, am Ansatz leicht ergrauten, durch ein buntes Tuch zu einem Zopf gebundenen Haaren und ausladender Leibesfülle, die ihr aber gut steht und sie beinahe großmütterlich aussehen lässt. Sorgsam trocknete sie sich die, wie es scheint harte Arbeit gewohnten Hände, an der ebenfalls farbenfrohen Schürze. „Oh, Zwerge, ein seltener Anblick in dieser Schänke, seltener noch als Gäste im Allgemeinen", sagt sie mit einem warmen Lächeln auf den blassen Lippen. Sympathisch wird sie mir dadurch, aber dennoch ergreift schwere Sorge mein Herz. Wo nur ist Mysa?!
Später am Abend sitzen wir wie damals auch in der Schankstube und nehmen das Abendessen ein. Immer wieder blicke ich mich um, aber nirgendwo ist das Mädchen mit den roten Locken zu sehen. Vielleicht hat sie den heutigen Tag frei, da nun zwei Bedienungen sich um das Wohl der wenigen Gäste kümmern können. Vielleicht aber auch, wurde sie fortgejagt und lebt nun irgendwo auf der Straße, wenn sie denn überhaupt lange dort überleben kann. Immer mehr Sorgen bereite ich mir, immer schlimmere Szenarien stelle ich mir vor, sodass ich es schließlich nicht mehr aushalte und hoffentlich im Verborgenen, Fenca nach ihr frage.
„Mysa ... das Mädchen hatte das Glück einen recht wohlhabenden Stoffhändler zu heiraten und lebt nun mit ihm im Kaufmannsviertel, am westlichen Südufer der Insel. Zuletzt hörte ich, dass sie bereits ein Kind erwartet." Wie donnernd laut muss der Sorgenstein, der mir augenblicklich von der Seele fällt, wohl auf den blank polierten Boden poltern. Ich lächle glücklich und danke für die Auskunft. Die Wirtin sieht mich daraufhin verwundert an. „Kanntet Ihr sie genauer?", möchte sie wissen und ich schüttle schnell den Kopf. „Sie fiel mir nur bei unserem letzten Aufenthalt hier auf und ich ... unterhielt mich etwas mit ihr." Sie mustert mich infolgedessen. In ihren Augen scheine ich ein Mann zu sein und wenig glaubt sie mir, dass wir tatsächlich nur redeten, weiß sie doch gewiss um die zusätzlichen aufreibenden Aufgaben, die das Mädchen hier erledigen musste.
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„Herr, würdet Ihr mir erlauben, alleine in die Stadt zu gehen, um einige Besorgungen zu erledigen?", frage ich am nächsten Morgen Thorin, nachdem mein Mut die gesamte Nacht über zu einem beachtlichen Haufen zusammengetragen wurde. Nachdenklich sieht er mich an. Dieser Ort ist nicht Bree oder Edoras und schon gar nicht Lothlorien. Mannigfache Gefahren könnten hier lauern, wenn ich alleine umherwandere. Überfälle, Diebe, Schurken ... ich verstehe sein Zögern nur zu gut und die Ängste entkräften wollend, lege ich die Hand auf den Knauf des Schwertes, dass ich mit mir führe. Er versteht die Geste, lächelt aufgeheitert angesichts ihrer, dennoch bleibt die Sorge bestehen. „Ungern, denn was gibt es, was du nicht zusammen mit Dwalin oder Oin besorgen könntest?" Nun ausbezahlt es sich, dass ich über genau solche Gegenfragen nachdachte. „Es sind solcherlei Dinge, die nur Frauen etwas angehen und bei deren Anblick, wenn nicht sogar reinen Existenz, sich Männer durchaus unwohl fühlen könnten." Thorin senkt hastig den Blick und einen Moment nur, denke ich zu sehen, wie ein Anflug von Verlegenheitsröte über seine Wangen huscht. Er räuspert sich geradezu unbeholfen, wüsste ich nicht, dass ihm dieses fernliegt. „Nun, dann werde ich wohl erlauben müssen, dass du sie alleine besorgst."
Etwas ratlos blicke ich von dem Zettel hoch, auf dem mir Fenca die Adresse des Kaufmannes notierte, und sehe mich um. Keiner nachvollziehbaren Anordnung folgen die Hausnummern, so als wären alle Häuser, egal, in welcher Straße sie letztendlich standen, fortlaufend nach ihrem Erbauen beziffert wurden. Aber schließlich finde ich, nachdem ein vorbeihastender Mann mir Auskunft geben konnte, das Gesuchte und stockend vor Erstaunen verlässt der Atem mich. Prächtig ist es. Verziert mit goldenen Ornamenten entlang der Schweifen des Giebels, geputzten Fenstern, umsäumt von weiteren Rankenmustern und Statuen von Wassermännern, die die große eichene Eingangstür flankieren. Kaum traue ich mich, dort anzuklopfen, aber letztendlich siegt die Neugierde und der Wunsch, Gewissheit zu haben, dass es ihr wirklich gut geht.
Weit hallt das Klopfen meiner Faust im Inneren des Hauses, da ich den hochhängenden gusseisernen Türschläger in der Form eines Bärenkopfes nicht erreichen kann. Lange muss ich nicht warten, da wird die Tür von einer nicht mehr ganz jungen Dienstmagd geöffnet. Verwirrt blinzelt sie, da sie auf Augenhöhe niemanden sieht, und entdeckt mich dann doch. Sofort tritt ein Ausdruck in ihr Gesicht, der von Überraschung sowie Geringachtung geprägt wird. „Ihr wünscht?", fragt sie jedoch freundlich. Ich senke leicht den Blick, denn wenn sie es auch nicht weiß, so bin ich ihr in Stellung gleichwertig. „Mein Name ist Astâ von den Blauen Bergen und ich bitte darum, die Herrin des Hauses sprechen zu dürfen", antworte ich mit ebensolcher Höflichkeit, merke aber dennoch, wie beide mir anfänglich bereits entgegengebrachte Gemütsregungen gleichermaßen wachsen und nun auch arges Misstrauen hinzukommt. „In welcher Angelegenheit?" Es ist nicht die Art der Frage, denn berechtigt ist diese, die die Einstellung noch deutlicher ausdrückt. Nur die wie sie gestellt wurde. Allerdings beeindruckt sie nicht. „Die Herrin Mysa und mich verbindet eine Freundschaft und da ich von ihrer Heirat hörte, möchte ich ihr gerne zu dieser beglückwünschen." Lange schweigt die Dienerin, mustert mich intensiv und genau abschätzend. „Wartet hier", sagt sie dann endlich und schließt die Tür wieder.
Frustriert schnaube ich. Ob sie Mysa wirklich Bescheid gibt, muss ich mich allerdings nicht lange fragen, denn kurze Zeit später bereits, quietschen die Scharniere erneut. Vor mir aber steht nicht die zurückkehrende Dienstmagd, sondern die Hausherrin selber. Wunderschön sieht sie aus. Gewandet in ein edles, himmelblau schimmerndes Seidenkleid, das oberhalb der deutlichen Rundung des Bauches von einer wolkenweißen Schärpe unterbrochen wird. Die roten Locken versuchte sie mit einem ebensolchen Band zu bändigen, aber trotzdem sie ordentlicher liegen und gepflegt erscheinen, wenig Erfolg brachte dieses Unterfangen. Zart wirkt ihre Haut, rosig und keine einzige Spur der einstigen Entbehrungen kann ich noch an ihr ausmachen.
„Bei Ilúvatar, Astâ, Ihr seid es wirklich", stößt sie atemlos aus und die Freude über das unverhoffte Wiedersehen ist nur allzu eindeutig in den glänzenden Augen zu erkennen. Ebenso berührt es mein Herz. Dennoch in aller Form verbeuge ich mich vor ihr, denn wenn auch nicht von gebürtigem Adel, so ist sie als Gemahlin eines bemittelten Kaufmanns und damit Angehörige der Städtearistokratie mir nun deutlich höhergestellt. „Es freut mich, Euch wohlauf zu sehen", sage ich achtungsvoll und hoffe gleichwohl, dass sie dies nicht nur als höfliche Floskel auffasst. „Oh bitte unterlasst die Förmlichkeit, liebste Freundin und kommt herein", beendet sie umgehend die steife Begrüßungszeremonie und nicht umhinkomme ich zu bemerken, wie formgewandt sie sich doch im Vergleich zu früher auszudrücken vermag. Schnell lernte sie, sich zurechtzufinden in dieser ihrer neuen Welt.
Das herrschaftliche Bürgerhaus eröffnet sich mir im Inneren noch sehr viel prächtiger. Überfall finden sich Goldverzierungen, filigrane Stuckornamente, kunstvolle Skulpturen, marmorne Böden und ausgesucht wertvolle Möbel aus dunklem, mit floralen Schnitzereien veredelten Holz. In einen dem Eingangsbereich angrenzenden Salon führt mich Mysa. Ein lebhaftes Feuer lodert dort im mannshohen Kamin. Die davor platzierten Sessel mit hohen Lehnen und Armstützen verleiten zum Verweilen. Anscheinend bei einer Stickarbeit störte ich sie, denn unbeachtet liegt diese auf einem kleinen Tisch neben einem von ihnen.
„Bitte setzt Euch", sagt Mysa und zeigt auf den Sessel gegenüber ihrem. Manierlich lässt sie sich erst nachdem ich Platz nahm, in diesem nieder. Erwachsen ist sie geworden innerhalb nur eines Jahres, betörend erblüht zur vollen Pracht wie eine Rose im Sommer, die Auswirkung der Schwangerschaft das Rot der samtenen Blütenblätter auf den Wangen. Eine kaum beschreibbare Freude darüber, dass es ihr augenscheinlich so gut geht, überflutet mein Herz.
„Ihr habt euch so verändert in den zurückliegenden Monaten", bricht sie schließlich die Stille, die bis dahin lediglich durch den Stundenschlag der großen Standuhr und das Klappern des feinen Porzellangeschirrs durchbrochen wurde, als die Zofe uns Tee servierte. Ich lache recht unschicklich über diese Feststellung. „Ich mich ... Ihr seid es, die sich gewandelt hat, meine Liebe. Ich freute mich darauf, Euch vielleicht wiederzusehen, als wir beschlossen Halt in der Stadt zu machen, aber niemals hätte ich mit solch einem Umbruch Eures Lebens gerechnet. Wie froh stimmte es mich, als ich davon erfuhr." Sie lacht mit mir und streicht dabei bedeutungsvoll über ihren Bauch. „Ja, es passierte so einiges. Jedoch später erzähle ich hiervon, jetzt berichtet Ihr mir erst, was Ihr und Euer Gefolge derweil an aufregenden Abenteuern erlebtet."
Lange reden wir.
Ich schildere ihr den weiten Weg des Passes über das Nebelgebirge und welche Widrigkeiten uns auf ihm begegneten. Erzähle von den Hûnen und wie sie halfen. Durchquere erneut mit ihr das Schattenbachtal, erinnere der Trauer und in ihr gefundener Stärke. Versuche die Schönheit des Goldenen Waldes und die Wunder Caras Galadons zu illusionieren. Schwärme über die der Herrin Galadriel. Tauche nicht tief ein in das Verderben DolGuldurs, um sie nicht zu erschrecken, und schließe schließlich mit dem verabschiedenden Blick auf Edoras.
Sie erzählt mir wenig von den elenden Leben, dass sie nach unserer Abreise weiterhin erdulden musste. Aber wie dies Martyrium unerwartet sein jähes Ende fand, als sich ein Kaufmann, der zufällig im ‚Alten Krug' mit einem Handelspartner Geschäfte abwickeln wollte, sie bemerkte und sofort in Liebe versank. Gleichgültig war ihm, welch bleischwere Herkunft auf ihr lastete und nur einen Monat später, nachdem sie sein Werben endlich annahm, hielt er um ihre Hand an. Dennoch schwierig war das Auslösen aus dem widrigen Vertrag mit dem Wirt, aber letztendlich konnte er sie freikaufen.
Manchmal segnen uns unverhofft die Valar mit einem so unbegreiflichen Glück, dass man vor empfundenem Entzücken weinen und lachen und ihnen bis in alle Ewigkeit dafür danken möchte. Und manchmal, erhält man die Chance, dieses Glück zu teilen, und noch um ein Vielfaches Herrlicher wird es dadurch.
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Asbujab – Spion
Tarbûn – Handwerker, aber auch der Name für Saruman
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