Funkenstaub
~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
Der nächste Tag beginnt trüb. Draußen vor den Toren des Berges und noch verhangener innerhalb der Gedanken. Nebelschwaden ziehen über die Lande und kündigen den nahenden Herbst mit seinen Regenschauern und Stürmen an. Raben, so unerschrocken und kräftig die des Hauses Durins ergebenen auch sein mögen, fliegen nicht gerne unter diesen die Sicht beeinträchtigenden Bedingungen, denn nur allzu leicht kommen sie dadurch von ihrem Weg ab. Aber mehr noch als jemals zuvor ersehne ich gerade jetzt ihr Eintreffen. Nur ein Brief, eine Botschaft, ein kleines Lebenszeichen ... wenige Wörter die Beruhigung schenken würden, so trügerisch sie auch sein mag.
„Astâ, Kindchen, das ist mehr als genug", reißt mich plötzlich die ermahnende Stimme von Fenna aus der monotonen Tätigkeit des Kartoffelschälens, währenddessen ich abwesend davon den bekümmernden Gedankengängen nachhing. Ich fahre vor Schreck so sehr zusammen, dass die Klinge des scharfen Messers abrutscht und tief in das Fleisch des Fingers schneidet. Unschicklich stoße ich einen Fluch aus, verdammte alles und jeden und ganz besonders mich, und versuche die sofort einsetzende Blutung zu stillen. Rot quillt die Flüssigkeit allerdings schnell unter den Fingern hervor und tröpfelt schwer auf das Holz des Tisches. Fenna zieht augenblicklich ein schmales, für solche Missgeschicke immer griffbereites Tuch aus der Rocktasche und versorgt die Wunde. „Du bist heute so unkonzentriert Mädchen. Vorhin hast du schon den Ascheeimer fallen lassen und erschienst frühs ohne Schürze - so kenne ich dich gar nicht", tadelt sie mütterlich sanft und ich weiche dem besorgten Blick aus, der mich eindringlich fragend mustert.
„Es ist nichts, ich habe nur ... schlecht geschlafen und das Wetter macht mir zu schaffen", lüge ich zum Teil noch nicht einmal, denn des Nachts ausruhend meine Augen geschlossen habe ich tatsächlich nicht. Zu dramatisch waren die Erlebnisse des Abends. Zu schmerzhaft die zürnenden und ablehnenden Gesten, Wörter und Blicke mit denen mich Thorin strafte für das Vergehen der Heimlichkeit. Zu aufwühlend die machtvoll erstarkte Sorge um die Reisenden, denn seine Reaktion zeigte mir lebhaft, wie ernst die Situation ist und wie gefährlich der eingeschlagene Weg, riskanter noch, als ich mir vielleicht mit meinem bescheidenen Wissen darüber erdachte.
„Dieser Tage schlafen wir alle unruhig", flüstert die alte Haushälterin und schenkt mir ein wissendes Lächeln. Auch sie sorgt sich um König und Gefolge und hat sogar gewichtigeren Grund dafür, begleitet sie doch einige von ihnen bereits ihr ganzes Leben lang. Aber kaum, dass ich zu einer erwidernden Reaktion ansetzten kann, ruft eines der Hausmädchen von der Tür zur Gesindeküche aus nach mir. „Die Herrschaft verlangt dich im Salon zu sprechen", sagt sie nicht ohne zitternde Beunruhigung in der Stimme, die mir verdeutlicht, dass die Anweisung äußerst harsch von vermutlich Thorin ausgesprochen wurde.
~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
Zittrig stehe ich vor der dunklen Eichentür. Gedanklich bereits meine wenigen Habseligkeiten gepackt, denn was sollte mich dahinter schon erwarten als berechtigte Schelte und anschließender Hinauswurf. Vielleicht sogar eine Verurteilung und der Tod. Denn als Hochverrat an der Krone könnte Thorin mir das Schweigen anlasten. Das Schlimmste aller Vergehen, für das nur eine Strafe existiert.
Es kostet mich enorme Überwindung überhaupt die Hand zu heben und noch einmal einige Momente des Zauderns, um anzuklopfen. Dumpf hallt das Geräusch im schmerzenden Kopf nach und die hereinbittende Stimme wie Gewittergrollen sendet einen unangenehm stechenden Schauder über jeden Quadratzentimeter Haut, als würde ich entblößt im eiskalten, windgepeitschten Herbstregen stehen.
Während ich mich so klein und untergeben wie nur möglich machend eintrete, bannen mich fünf starrende Augenpaare. Denn neben Thorin verweilen auch Dís, Víli, Gloin und Oin im Salon, ruhelos stehend, die Gesichter angespannt und sorgenüberschattet. Dienstbar verbeuge ich mich vor ihnen und hoffe, dass niemand in der herrschenden Stille den laut pochenden Herzschlag hört, denn es scheint nahezu aus der ängstlich-beengten Brust flüchten zu wollen. „Komm näher", fordert Thorin schroff und ich gehorche furchtsam. Verflogen wie sterbende herbstbraune Blätter im Sturm sind die in den letzten Monaten so mühsam gewachsene Vertrautheit und Seelenruhe ihm gegenüber.
„Erzähl uns, woher hast du die Informationen, die du mir gestern offenbartest", ordnet er aufbrausend an, kaum, dass ich vor die Herrschaft getreten bin. „Hast du ein Gespräch deines Königs belauscht, Dokumente gesehen, die dich nichts angingen?" Ich erzittere unter den bösartig geäußerten Vorwürfen und dem eiskalten, gebietenden Blick eines Herrschers, mit dem er mich ansieht, so, als hätten all die wohligen Stunden in Eintracht und annähernder Gleichwertigkeit zwischen uns niemals stattgefunden.
Ich schüttle ungestüm und mit Tränen in den brennenden Augen den Kopf. „Nein Hoheit, ich würde niemals lauschen oder etwas mir nicht Zustehendes betrachten", schwöre ich geradezu flehentlich und bete zu Mahal, dass er mir Glauben schenken wird. Aber als ein noch immer wütender Blick mich trifft, senke ich nicht länger die Tränen zurückhalten könnend den meinen. Ich verstehe seinen Zorn, den Hass, den er mir gegenüber empfindet, so schmerzlich er auch ist. Mutmaßlich habe ich mit meinem Schweigen das Leben des Königs und seiner Gefolgsmänner gefährdet. Es zugelassen, dass das Verderben über sie und damit unweigerlich auch über uns alle kam. Spätestens als mich Dwalins erster Brief mit den ungeschönten Beschreibungen der Gefahren erreicht, hätte ich unverzüglich handeln müssen, ungeachtet der Bitten Stillschweigen zu bewahren.
„Thorin, sei nicht so hart zu ihr!", höre ich plötzlich die maßregelnde Stimme von Dís und sehe vor Verwunderung über die Zurechtweisung, die sie sich für mich gegenüber ihrem Bruder und Gebieter erlaubt, mit tränenverschleiertem Blick wieder auf. Bedächtig, um mich nicht noch mehr zu verunsichern, kommt die Prinzessin näher und legt eine tröstend-warme Hand auf meinen Arm. „Ich glaube ihr." Thorin sieht uns nichtsdestotrotz finster an, mehr noch als vormals sogar, ungeachtet oder vielleicht sogar wegen der unerwarteten Vertrauensbekundung. „Woher soll sie es sonst wissen, wenn noch nicht einmal wir etwas ahnten!?", schimpft er und ich trete einen Schritt zur Seite, um mich Schutz findend hinter Dís zu verstecken. Und erst jetzt schwächt sich der düstere Vorhang der Raserei um einige wenige Nuancen ab. Wie sehr scheint es ihn doch zu bestürzen, dass ich anscheinend Angst vor ihm habe.
„Meister Balin erzählte mir davon. Vertrauensvoll. Mit der eindringlichen Beschwörung verbunden nichts zu sagen um Euch nicht unnötig zu besorgen", setzte ich zu einer Rechtfertigung an, plötzlich unter Dís' Beistand den Mut fassen könnend mich zu erklären. „Hauptmann Dwalin ließ mir das erste Mal im vorvorletzten Frühjahr durch einen Raben Briefe zukommen, in denen er ihren bisherigen und weiteren Weg und die Gefahren beschrieb, die sie sich gegenübersahen. Erneut mit dem inständigen Gesuch alles vor Euch zu verheimlichen. Ich weiß, dass es falsch war, dass ich sie mit dem Stillschweigen in weitere Unsicherheit brachte ... aber ich gab ihnen mein Ehrenwort - mehrmals." Während ich spreche, fließen Tränen ungehindert die Wangen hinunter. Schmecken salzig und bitter und brennen wie Drachenfeuer. Oh Mahal ... bitte ... bitte lass ihn meine Worte annehmen.
Thorin sieht mich an. Misstrauisch, noch immer wütend, wahrscheinlich sogar enttäuscht. Und ich bin mir nicht sicher, was davon mehr bekümmert und schmerzt. „Thorin, ich denke ebenfalls, dass sie die Wahrheit sagt", erhebt sich plötzlich die einfühlsame Stimme von Víli. „Aus welchem Grund sollte sie uns belügen?" Erstaunt ob des zusätzlichen Zuspruchs sehe ich ihn an und senke kurz dankbar den Blick, erfreue mich an dem aufrichtigen Lächeln, das er mir für einen flüchtigen Moment anerkennend schenkt.
Thorin betrachtet eindringlich erst seinen Schwager, dann seine Schwester, dann mich, die sich noch immer Schutz vor ihm suchend hinter wallenden Rockstößen versteckt und mit verzweifelten Versuchen die Tränen von den Wangen verbannt. Mit aller Willenskraft die uns unser Schöpfer gab, kämpfe ich dagegen an unter seinem eisigen Blick nicht zu erstarren, hoffe so viel Redlichkeit wie nur möglich aufzuzeigen, und stelle nun mehr auch stumm die Bitte an ihn, dass er mir glauben möge. Ein Funke der Vertrautheit die wir uns schenkten, muss doch noch existieren. Irgendwo tief in seinem Herzen verborgen. Klein ist er womöglich, im Verlöschen begriffen, niemals wieder die Stärke erlangend, die er einst hatte. Aber dennoch flehe ich, dass er noch immer vermag mir die Wärme seiner Gunst zu gewähren.
Schließlich wendet er den Blick ab und nur kurz, sodass es möglich wäre auch nur einer Illusion zu erliegen, sehe ich Schmerz in seinen Augen. Den schattigen Schmerz der Schuld. „Nun gut, ich vertraue darauf, dass du mich nicht anlügen würdest ... ich vertraue ... dir." Das Geständnis lässt mich vor Fassungslosigkeit erbeben. Viel offenbarte er mir während der ungezwungenen Abende ... Erinnerungen, Freude, Schmerz, Trauer, Sorgen, mitunter sogar Ängste, auch wenn er sie nicht offen zugab und ich sie nur durch das plötzlich schummerig gewordene Augenlicht bemerkte. Aber Vertrauen, den Glauben daran, dass ich, eine einfache Dienstmagd, die er erst seit wenigen Jahren kennt, ihn als Thronfolger, angreifbar wie sonst nur sein Vater, absolut ergeben, redlich und treu begegne, so nachdrücklich sprach er es nie aus. Und ich merke nicht nur den darüber verwunderten Blick von Dís auf mir entbrennen. Dennoch ist die Mächtigkeit dieser Flamme nichts im Vergleich zu der, die sich aus dem kleinen Funken Verbundenheit in unseren Herzen neu entwickelt. Heller und heißer und wohliger lodert als vormals sogar und mich behaglicher erfüllt als ein Kaminfeuer, gutes Essen, der Anblick eines kostbaren edlen Steins oder sogar heiße Schokolade mit Sahne es jemals könnte.
„Erzähl uns alles, was du weißt", fordert er schließlich und ich beginne zu berichten. Von Thráins Plan soweit er mir von Balin anvertraut wurde, von Dwalins Schilderungen über Gefahren, Angriffe und Spione. Den genommenen Weg durch Mittelerde und welche erinnerungsvollen Gebiete sie durchquerten. Kämpfe mit den brennenden Tränen des Mitfühlens und der unter ihnen brechenden Stimme, als Dís laut aufschluchzt und sich weinend in den tröstend-starken Armen ihres Mannes verbirgt, nachdem ich von der Schändung der Gräber im Schattenbachtal sprach. Und ende schließlich mit der mir als letzte zugetragene Information, dass sie einen Weg durch den Düsterwald nehmen wollen, der schon lange nicht mehr betreten wurde.
„Der verwunschene Elbenpfad ist niederträchtig und gefährlich, so wie der gesamte Wald, durch den er führt. Und Thranduils Wachen werden sie ihn nicht einfach passieren lassen, ihnen vielleicht sogar Geleitschutz geben, so viel steht fest. Dieses vermaledeite Elbenpack, vertreiben sollte man sie aus ganz Mittelerde ... Erstgeborene, pah, dass ich nicht lache", schimpft Thorin aufgebracht, nachdem ich meinen Bericht abschloss. Der Grund für diesen tief verwurzelten Hass auf die Elben in vielen zwergischen und besonders in seinem Herzen ist noch immer undurchschaubar. Zu wenig weiß ich über vorgefallene Ereignisse die zu einer Raserei führten, die noch wütender wird, sobald man nur das schöne Volk, ihre Sitten, Gebräuche oder Errungenschaften erwähnt.
„Und was wollen wir jetzt tun?", fragt Gloin plötzlich, mit deutlicher Unruhe im sonst so ernsten und unverzagten Gesicht eines jungen Kriegers. Thorin stützt die Hände auf den Sims des Kamins und starrt nachdenklich in die Flammen. „Eigentlich bleibt uns nur eine Möglichkeit", murmelt er schließlich und befiehlt den Männern im Raum mit ihm zu kommen. Mit einem letzten Blick aus Eisaugen, deren Aussage ich nicht einmal ansatzweise zu deuten vermag, verlassen sie uns.
„Es war sehr mutig von dir, dass du dein Gelöbnisbrachst und uns vermutlich noch rechtzeitig berichtetest", spricht mich Dísschließlich an, die warme Hand noch immer auf meinem Armplatziert, aber ich lächle einzig gequält. „Wenn Ihr es Mut nennen wollt. Ichfühle mich eher als niederträchtige Verräterin, denn aufs Schändlichstemissbraucht habe ich das so großmütig entgegengebrachte Vertrauen der Herren Balinund Dwalin. Mut werde ich benötigen, um ihnen je wieder unter die Augen tretenzu können ... hoffe aber dennoch darauf, dass ich es bald darf."
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro