Freundschaft keimt aus kleinen Dingen
Unregelmäßig flimmern die hellen Sonnenstrahlen durch die sich sanft im lauen Wind bewegenden goldenen Blätter der hohen Bäume. Flackernde Spiele treiben sie auf dem grünen Gras und hier und da brechen sie gebündelt wie dünne Speere hindurch. Manchmal erscheint es mir, als wandle ich durch einen verzauberten Märchenwald. Faien könnten jeden Moment hinter den Stämmen wie Säulen hervorkommen, aus den sich öffnenden Knospen der überall sonnengolden und sternsilbrigen, unschuldsweis und frühlingsgrün blühenden Blumen entsteigen oder ihre Späße mit den bunt-flatternden Schmetterlingen treiben. Irrwische tanzen und versuchen den von Schönheit verzauberten Wandler fehlzuleiten. Wassergeister, die die kleinen Quellen bewohnen, konkurrieren mit ihnen, denn mit ihrer Anmut und den betörenden Liedern wollen sie ihn locken in ihre Unterwasserwelt. So fern der wirklichen Welt mit all ihren Schrecken und Monstern, dem Elend und Leid wirkt das Reich Lothlorien. Nichts ist hier böse, unansehnlich oder von irgendeinem Übel. Traurig stimmt es mich trotz alledem und gerade deswegen, es irgendwann einmal, vielleicht schon bald, verlassen zu müssen.
Ich schließe die Augen und genieße die Sonne auf meinem Gesicht, die obwohl es unzweifelhaft bereits Winter sein muss, immer belebend-warm wirkt wie im Frühling. Wenig Dienst verlangt Thorin einstweilen von mir, denn grübelnd zog er sich nach unserem nächtlichen Gespräch in sein Gemach zurück und blieb bislang den größten Teil der nachfolgenden Tage dort. Nur zu den Mahlzeiten sehen wir ihn, aber auch dort schweigt er sich aus über die nachgegangenen Gedankengänge. Im Gegensatz zu meinen Gefährten weiß ich allerdings, was ihn beschäftigt. Er wägt ab zwischen Verpflichtung und Hoffnung, zwischen Herz und Verstand ... zwischen der Entscheidung weiter zu gehen oder zurück. Und es wird wohl die Schwierigste sein, die er bislang in seinem Leben treffen musste.
Plötzlich durchbricht etwas vogelzwitschernde Idylle und meine Gedanken um ihn. Es hört sich an wie Befehle, obwohl die singenden Stimmen der Elben sie rufen. „Haldor i phillie!" ... irgendetwas mit Pfeilen, soweit ich verstehen kann. Neugierig lässt es mich werden, denn trotzdem ich mich in ihrem Land aufhalte, nur wenige Elben neben denen die uns das Essen bringen oder sich anderweitig um unser Wohl kümmern, sah ich bislang, nachdem wir das Angebot des Aufenthalts annahmen.
Ich erhebe mich und gehe den Rufen nach, bis ich zu einem sandigen Areal inmitten einer Lichtung gelange, das erstaunlich viel Ähnlichkeit besitz mit dem Trainingsplatz in den Blauen Hallen. Auf ihm stehen eine kleine Gruppe Elbenkrieger in Reih und Glied. Bögen, deren fein gearbeitetes Holz und gespannte dünne Sehnen silbrig in der Sonne glänzen, in den Händen haltend und mit ihnen auf runde Scheiben aus Stroh zielend. Und oh wie ergreift Freude mein Herz, als ich unverhofft unter ihnen endlich Feria wiedersehe. Stattlich erscheint sie in den nebelgrauen Gewändern der Waldkrieger und mit dem rehbraunen Haar, dass sich offen und lang in sanften Wellen über ihren Rücken ergießt. Jeder Muskel ihres hochgewachsenen dennoch zierlichen Körpers ist angespannt, während sie die Bogensehne zusammen mit dem auf ihren schlanken, langen Fingern ruhenden gelbgefiederten Pfeil zurückzieht, sie einen Moment hält, die richtige Ausrichtung sucht und dann loslässt. Zischend saust der Pfeil nach vorne und trifft zielgenau, spaltet der Länge nach den Schaft eines anderen, der bereits das Zentrum der Scheibe spickte. Begeisterung ruft ihr meisterliches Können hervor und noch bevor ich darüber Beherrschung finden kann, klatsche ich ihr Beifall.
Sofort richten sich stahlgraue und vereinzelt wasserblaue Augen auf mich. Wenig Warmherzigkeit flammt in ihnen. Das Misstrauen zu uns Zwergen grub sich im Laufe vieler Jahrhunderte tiefe, dunkle Höhlen in den es sich gut verstecken und nur mit viel Geduld und Geschick herausgelockt werden kann. Allein Ferias Augen beginnen sofort zu strahlen. Ihren Unhold konnte ich unlängst vertreiben.
Sie kommt lächelnd auf mich zu und verbeugt sich zu einer höfflichen Begrüßung, die ich ebenso erwidere. „Ich dachte nicht, dass ich Euch noch einmal begegnen werde", sage ich danach und kann (will) die Freude über die unverhoffte Nichterfüllung dieser Vermutung nicht verhehlen. Sie neigt den Kopf und lächelt noch herzlicher. „Ihr habt Glück, erst gestern kehrten wir von einem Patrouillengang zurück. Aber soweit ich unterrichtet wurde, bleibt Ihr noch den ganzen Winter bei uns." Ich nicke bejahend und der Blick fällt dabei auf ihren Bogen, denn sie noch immer in den Händen hält. Glatt und glänzend ist das Holz, nur am Griff und an den gebogenen Wurfarmenden mit einigen schnörkeligen Efeublätterranken verziert. Geradezu filigran wirkt er, ganz anders als die dagegen wuchtigen Bögen von uns Zwergen.
„Ihr interessiert Euch für das Bogenschießen?", fragt sie mich noch immer lächelnd und ich senke des Begutachtens ihrer Waffe ertappt den Blick. „Ich persönlich nicht, aber der Gemahl meiner Herrin ist ein ausgezeichneter Schütze. Eine Seltenheit unter unseren Kriegern, sehen wir den Bogen doch als eine Waffe an, die nicht mit unseren traditionellen Kampftechniken, die mehr dem Nahkampf entsprechen, vereinbar ist. Zur Jagd gebrauchen wir ihn allerdings öfters." Wohlweislich verschweige ich, dass Víli öfters Sticheleien besonders von Thorin deswegen ertragen muss, denn als eine Waffe für Feiglinge wird sie angesehen, hält man sich den Feind doch vom Leib, anstatt ihm Aug in Aug mit dem Schwert zu begegnen.
„Wollt Ihr es einmal probieren?", fragt mich Feria plötzlich. Ich überlege. Gerne würde ich, aber aus eben genannten Gründen könnte es Thorin missfallen. Von Dwalin in seiner Funktion als meinen Ausbilder einmal ganz zu schweigen. Allerdings ... nicht darum wissen müssen sie. Also nicke ich mit einem begeisterten Lächeln.
Feria führt mich daraufhin auf den sandigen Platz und gibt mir unter den zum Teil doch sehr missbilligenden Blicken der anderen Elben ihren Bogen. Jedoch viel zu groß ist er für mich und auch wenn ich die Sehne mit Leichtigkeit spannen kann, kaum weit genug geling es mir, um einen Pfeil abzuschießen. Die Elbin kaut nachdenklich auf ihrer Unterlippe herum und sagt dann etwas in Sindarin zu einem ihrer Waffenbrüder. Er erwidert kopfschüttelnd und die murrende Zurückweisung der wohl Aufforderung irgendetwas zu tun, ist deutlich aus dem Singsang herauszuhören. Aber Feria lässt nicht locker und schließlich gibt er klein bei und wendet sich zum Gehen. Kurze Zeit später bereits, noch nicht einmal den Mut konnte ich finden sie zu fragen, um was sie ihn bat, kommt er wieder und trägt einen kleineren Jagdbogen in gleicher Machart wie den ihren bei sich. Schmollend überreicht er ihn mir. „Seid vorsichtig damit", gibt er als Auflage dazu und ich nicke bereitwillig zusichernd.
Leicht ist er und von der Größe her wie für mich gemacht. Dünne erhabene Schnörkel in glänzendes Silber getunkt schlängeln sich an dem grau-weißen Holz entlang. Sie Sehne ist stark und scheint wie aus elbischem Haar gefertigt, denn golden schimmert sie im Licht der hochstehenden Sonne. Schöner als es sich kundgeben lässt, ist er und so kostbar wie das Schwert, dass ich in meinem Zimmer ließ.
„Nun denn, lasst es uns versuchen", sagt Feria und zieht mich näher zu sich. „Verlagert das Gewicht gleichmäßig auf beide in etwa schulterbreit stehende Füße", weist sie mich an und korrigiert die Aufrichtung des Rückens mit sanftem Druck. „Schaut nicht nach unten, sondern immer über die den Griff umschließende Hand auf das Ziel, denn in Richtung Eures Blickes wird er Pfeil fliegen. Dieser ruht locker auf dem gekrümmten Zeigefinger. Haltet die Schultern tief und den Arm gestreckt. Legt den mittleren Finger an die Sehne und klemmt den Pfeil leicht zwischen den oberen ein", erklärt sie ruhig und bringt Arme, Schultern und Oberkörper in die perfekte Position. „Fokussiert das Ziel, bereits während Ihr die Sehne spannt ... lasst alles andere darum verschwimmen. Sucht Euch einen Ankerpunkt, an dem Ihr die Zughand anlegt, es wird idealerweise immer der gleiche sein, wenn der Pfeil einmal traf. Atmet ruhig und tief ... Arme und Schultern bilden eine gerade Linie ... sehr gut ... und jetzt ... einatmen, halten ... Schultern zurückziehen und dabei lösen ..." Der Pfeil zerschneidet zischend die Luft und dringt tief ein in das dahinterliegende Stroh der Zielscheibe. Nicht ideal mittig traf ich den zentralen Ring, aber dennoch blieb ich erstaunlicherweise innerhalb seines Farbkreises. Verblüfft bin ich darüber und anscheinend nicht nur ich, denn ein ungewöhnlich anerkennendes Murmeln kommt von den umstehenden Elben.
„Das war sehr gut", lobt Feria, „Ihr scheint wie geschaffen für diese verhasste Fernwaffe." Ich senke den Bogen und lächle beschämt, aber muss geradewegs zugeben, es bereitete mir Spaß sie zu gebrauchen. So ganz anders ist ihre Handhabung als die eines Schwertes. Sehr viel ruhiger und bedachter muss man agieren, kann sich Zeit nehmen, den Feind aus der Ferne analysieren, Schwachstellen finden, die im nahen Kampf ungesehen bleiben könnten. Geradezu entspannend erscheint es mir. „Wollt Ihr noch einmal?" Was für eine Frage ...
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Langsam legt sich die allabendliche Dämmerung über die Wälder Lothloriens. Golden schimmern die Blätter in der untergehenden rot-gelb-dunkelvioletten Sonne und ihre langen Schatten werfen die umstehenden hohen Bäume bereits auf das blumenbesprenkelten Gras der Lichtung, auf dem sich Feria und ich nach dem Training niederließen.
Noch immer halte ich den Bogen in den Händen. Lasse die Finger das glatte Holz befühlen, betrachte ihn begeistert, finde immer neue Details, die die anfänglich als schlichte Schnörkel wahrgenommenen Linien formen ... Blätter und Blüten und Vögel im Flug. „Ein stolzer Vater fertigte diesen Bogen einst für seine Tochter, als sie bereits in jungen Jahren beschloss sich nicht Muse und Kunst hinzugeben, sondern Kriegerin wie ihre Mutter zu werden", erzählt Feria plötzlich freimütig und durchaus wird mir gewahr, dass Fröhlichkeit aber auch eine Art des beklagenden Trübsinns den hellen Klang ihrer Stimme durchdringt. Wissend um dieses Gefühl das man verbindet mit Gegenständen an denen Erinnerungen aus vergangenen freudenreichen Tagen hängen, sehe ich sie an. „Er gehört Euch?" Sie nickt und noch um ein Vielfaches kostbarer erscheint mir dieser nun. Dennoch nicht zu fragen getraue ich mir, welchen genauen Grund ihre Trauer auslöst. Zuviel an Schmerz scheint er in sich zu tragen, als dass ich gewillt bin ihn aufzuwühlen.
„Wisst Ihr, wenn man genauer hinschaut, viel haben Zwerge und Elben doch gemein", sagt sie und zupft einige der zarten Grashalme. Fragend sehe ich sie an, denn noch nie habe ich mir darüber Gedanken gemacht. „Auch wenn wir als unsterblich gelten, so sind wir es doch nicht. Zu viele von uns begrüßte Mandos bereits in seinen Hallen, denn genauso wie euer Volk sind es viele Kriege, grausame Morde und vernichtende Gewalttaten, die Stammbäume schmälern und für viel Kummer bei den Zurückgebliebenen sorgen. Unsere Rassen vergehen wie Schnee in der Frühlingssonne und bald werden wir nur noch feine Rinnsale unter Schotter sein, die den gewaltigen Strom der Geschichte speisen und sich in ihm verlieren."
Recht hat sie gewissermaßen, denn von der einstigen Macht und Anzahl der Zwerge ist nurmehr wenig zu spüren. Zwerginnen werden seit jeher selten geboren und viele unserer Männer geben sich auch aufgrund von Scham über den Verlust der Heimat Kampf und dem Handwerk hin, finden zunehmend Befriedigung in der Fertigung von Waffen und Geschmeide, als in der Wahl einer Gefährtin und dem Halten von eigenen Kindern anstatt Werkzeugen. Die Elben hingegen beginnen seit einigen Jahrhunderten bereits diese Gefilde zu verlassen. Ihr Schatten sind bleich unter der Sonne Mittelerdes und vergehen immer mehr mit dem drohenden Aufsteigen der Zeit der Menschen. Leidend und erlöschend zieht es sie zurück in die Unsterblichen Lande weit im Westen der Welt, aus denen einige von ihnen einst stammten.
Und in noch etwas gleichen sich unsere Wege, wie mir auffällt. Immer waren wir bedroht von Krieg. Sei es, dass wir gegeneinander antraten oder Seite an Seite kämpften gegen einen mächtigen Feind, der unsere Völker gleichermaßen bedrückte und auch wenn es zumindest bei unsereins nicht bekannt wurde, so kämpften doch allzeit auch Frauen unter den tapferen Kriegern.
Mein Blick fällt zurück auf den Bogen in meiner Hand. Das Holz knarzt, als ich sie fester darum schließe. Schweigend sitzen wir beieinander und plötzlich spüre ich sie deutlich, diese Verbundenheit, dieses Gleichnis unserer Schicksale. Die Frage ist nur, was wir aus ihnen gewinnen für die Zukunft. Ich werde einst sterben, sie, so Ilúvatar will, nicht. Aber dennoch können wir den entstehenden Gemeinsinn weitergeben an die, die uns folgen. Vielleicht dazu beitragen, dass er erneut zwischen unseren Völkern wie einst gedeiht und wir nicht dem Vergessen anheimfallen.
„Astâ!", höre ich plötzlich die rufende, leicht verärgert klingende Stimme meines Herren durch das Dickicht dringen und erschrecke fürchterlich. Längst Zeit für das Abendessen wird es sein und noch so viel hätte ich davor erledigen müssen. Schnell springe ich daher auf und will Feria den Bogen zurückgeben. Aber sie sieht mich leicht lächelnd an und schiebt die überreichende Hand zurück. „Behaltet ihn", sagt sie leise und fügt, noch bevor ich protestieren kann, hinzu: „Als ein Geschenk, um unserer Völker Freundschaft willen."
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