Dieser perfekte, kleine Moment
Im vollen Gange ist das Fest bereits, als ich zusammen mit Luisanne dort eintreffe. Ein hohes Feuer lodert im Zentrum der großen Wiese. Flammenschlieren und Funken steigen in den nächtlichen Himmel, während um es herum allerlei grausige und wundersame Gestalten einen eigenartig anmuteten Tanz aufführen. Springen und hüpfen und sich immerzu im Kreis drehen. Musik, Gesang und Lachen sind von überall her zu hören. Die Possenreißer treiben erneut ihre Späße und erschrecken oder necken die Gäste. Gaukler jonglieren Bälle und Kegel, spucken Feuer, führen Persiflagen oder Travestien auf und tanzen wagemutig auf Seilen oder kunstvoll mit bunten Tüchern. Lange Tische säumen den Platz, teilweise hoch oben auf Podesten stehend oder von Baldachinen geschützt. An einen von ihnen, die gesellschaftliche Stellung verdeutlichend recht nah an dem üppigen Büffet, sitzen bereits Bruni, sein Sohn und zudem drei wunderschöne Töchter, die bereits verheiratet sind und bis zu vier Kinder versuchen bei Laune zu halten, sowie meine Gefährten. Sichtlich wenig behagt ihnen die Aufmerksam- und Betriebsamkeit, besonders Thorin, denn immer wieder treten Zwerge und Menschen an die Tafel und begrüßen ihn respektvoll. Schnell verbreitete sich die Kunde, dass der Kronprinz von Durins Volk anwesend ist.
„Oh, Frau Unterberg*, schön Euch zu sehen, ich fürchtete schon, Ihr würdet dem Fest heute fernbleiben." Eine Hobbitfrau, ebenso vergleichbar in ihrer Ausstrahlung mit einer Blume wie Luisanne, obwohl die Farben ihres Kleides matt sind und an vielen Stellen kleine, wenn auch schmückende Flicken darauf hindeuten, dass sie dieses bei Weitem nicht zum ersten Mal aufträgt, begegnet uns, einen übermäßig gut gefüllten Teller in den Händen balancierend. Ein nicht mehr ganz so kleines Mädchen begleitet sie. Ihr Kleidchen hingegen ist leuchtend bunt und voller Rüschen und Schleifchen und Bändchen, genauso wie ihre hellblonden Haare und die wachen blauen Augen beobachten die Welt mit dieser besonderen Neugierde, die nur Kinder innehaben. Womöglich wurde ihr das erste Mal gestattet das Fest zu besuchen.
„Wir haben uns nur etwas verspätet, Frau Hang**, ich musste meiner Nichte noch beim Zurechtmachen helfen", antwortet Luisanne und präsentiert mich als besagte. Die Hobbitfrau betrachtet mich skeptisch. Wenig habe ich mit einer der ihren gemeinsam, bin größer, stämmiger, aber mehr muskulöser, als von der Beleibtheit her, allerdings sorgsam verborgen unter der Maske ist der den größten Unterschied ausmachende Bart. Sie kennt wohl Zwerginnen, denn einige wenige von den hier lebenden sah ich bereits. Jedoch der Anstand verbietet ihr einen bloßstellenden Kommentar. „Das ist schön. Plant Ihr für länger hierzubleiben, wertes Fräulein?"
Ich senke den Blick, um sie zu begrüßen. Nicht tief, nur ein wenig, gerade so viel wie es der Anstand gegenüber einer niederen Person gebietet und erschrecke mich noch währenddessen wie gründlich ich diese Geste doch verinnerlichte. Peinlich ist es mir dennoch ihr diese entgegenzubringen. Wenig schert mich die Abstammung einer Person, sollte sie mich scheren, denn gehöre ich doch einem ebensolchen Stand an wie sie, wenn nicht noch sogar um etliches nieder. „Ich befinde mich nur auf der Durchreise, MyLady", antworte ich demnach umso respektvoller. Die Hobbitfrau nickt zufrieden und nicht den Anschein erweckend mir die Hochnäsigkeit übel zu nehmen, anscheinend ist sie es gewöhnt ihrer Stellung entsprechend behandelt zu werden.
Unser Weg bahnt sich durch die in kleinen Grüppchen beieinanderstehenden tanzenden, lachenden, essenden und trinkenden Massen hin zur Familientafel. Lange wohl werde ich mich noch mit einem amüsierten Schmunzeln an die entsetzt-verdutzten Gesichter meiner Gefährten erinnern, die mir sofort entgegenblicken, sobald ich endlich vor sie trat und zur Begrüßung elegant knickste. „Astâ, bei Mahal, bist du das?", fragt Oin, der seine Gefasstheit als erstes wiedererlangte. Ich lächle unter meiner Maske und lüfte diese, nur einen Moment lang, nur ein wenig, gerade so tief, dass die dunkel geschminkten Augen über ihren Rand hinwegsehen können. Dwalin hustet konsterniert, nimmt einen hastigen Schluck Wein und wendet sicherheitshalber den Blick ab. Balin lächelt und Oin nickt bewundernd.
Was ich gerade von meinem Herrn erwartete, weiß ich nicht. Schelte, da hiermit die Enttarnung meiner verschleierten Identität drohen könnte, eine Anerkennung der Aufmachung, und sei es auch nur durch ein betörtes Lächeln. Selbst Ersteres davon würde allerdings schmerzloser im Herzen brennen als die Reaktion, die ich stattdessen erhalte. Er sieht mich an, unbewegt in seiner Mimik, und ohne ein Wort, weder Tadel noch Bewunderung, wendet er sich wieder ab.
Recht ist es mir daher, dass ich von Luisanne einen Platz zwischen ihr und ihrer ältesten Tochter Angeboten bekomme. Dennoch eigenartig fühlt es sich an so weit entfernt von meinen Waffenbrüdern zu sitzen, auch da es das erste Mal überhaupt ist, dass ich während eines offiziellen Anlasses einen Tisch mit ihnen teile und ich mich ihrer Nähe daher lieber wissen würde.
„Ihr seid eine unserer Gäste, nicht wahr? Vater erzählte mir bereits, dass auch eine Zwergin ihn in die Hügelgräberhöhen begleiten wird, aber ich wollte es ihm nicht so recht glauben." Ich sehe neben mich und denke, nun, da ich sie das erste Mal genauer betrachte, das jüngere Abbild Luisannes zu erblicken. Ihre Locken sind kraus und braun und ihre Augen von solch einem strahlenden blau, wie es selbst klares Wasser nicht sein kann und der Säugling der ruhig in ihren Armen schläft entzückender als alles, was ich bisher in meinem Leben sah. Ich verziehe die Lippen zu einem bestätigenden Lächeln, besinne mich dann aber, dass dieses nur unzulänglich unter der Maske zu sehen sein wird.
„Ja, das bin ich und als Kriegerin werde ich mein Leben geben, um das Eures Vaters zu beschützen." Das Versprechen kam überraschend, für sie und für mich. Wenig wird sie wissen über die Monster und Schrecken die auf uns lauern werden, nur, dass sich niemand ohne Schutz in diesen riskanten Teil der gefährlichen Welt wagen sollte. Genauso viel wie ich also.
Erstaunt groß werden ihre Augen daraufhin. „Ihr seid tatsächlich eine Kriegerin ... bei Aules und Yavannas Wirken, niemals dachte ich die ruhmvollen Erzählungen über euersgleichen währen Wirklichkeit. Viel zu friedvoll erscheinen mir die Zwerginnen, die ich kenne." Verlegen sehe ich auf meine Hände, die rau sind und aufgesprungen und voller Schwielen ob des Haltens von Schwertheft und Zügel während des nass-kaltem Wetters der Wildnis. „Nur wenige von uns werden als solche ausgebildet, ist es doch eine besondere Ehre und mit wichtigen Pflichten und großen Gefahren verbunden." Sie beugt sich zu mir, senkt ihre Stimme, sodass sie nur noch einem Flüstern gleicht. „Eine schwere Bürde, das kann ich mir vorstellen, aber dennoch würde jeder der hier anwesenden Damen, mich eingeschlossen, mit Euch tauschen wollen, denn im Gefolge eines solch ruhmreichen und ansehnlichen Herren zu dienen muss faszinierend und abenteuerlich sein und Eure Eltern mit großem Stolz erfüllen." Ich lächle und stimme ihr gerne still zumindest in mancher Hinsicht zu.
Das sich anschließende Essen ist reichlich und die Stimmung wird mit Voranschreiten des Abends ausgelassener und zügelloser noch als zuvor. Die Tänze um das Feuer herum sind mitunter geradezu frivol. Mit riskanten Sprüngen durch es hindurch erhoffen sich vor allem junge Burschen Glück in der Liebe und Fruchtbarkeit, so erzählt mir Luisanne, nachdem ich beim Anblick einige Mal erschrocken einatmete. Scharteken in denen die lustig und grotesk verkleideten Darsteller Stadträte und angesehene Bürger parodieren werden aufgeführt. Das Lachen über sie ist hemmungslos, denn keine Strafe muss man in dieser Nacht fürchten.
„Verzeiht mir Zabdûnayê", erklingt plötzlich eine Stimme hinter mir die unsicher-stammelnd in Khuzdûl spricht. Verwundert sehe ich mich um und dort steht, aufgeregt mit einem Zipfel seiner Tunika spielend, Brunis Sohn Bran, wie er mir vorgestellt wurde. „Würdet Ihr ... mir die Ehre erweisen ... vielleicht ... nur wenn Ihr möchtet und es gestattet wird ... mit mir zu tanzen?" Von seinem Ersuchen völlig aus der Gefasstheit gebracht, sehe ich Erlaubnis oder Einwände erhoffend, das weiß ich nicht genau, erst zu Bruni, dann zu Thorin, der ehrenvoll neben ihm sitzt. Sein Vater nickt leicht, gibt somit sein Einverständnis, aber Thorin, erneut keinerlei Regung zeichnet sein Gesicht, so als wäre ihm gerade an diesem Abend alles egal, was mit mir im Zusammenhang steht. Es erschreckt und kränkt und bekümmert mich tief im Herzen. Dwalin allerdings betrachtet Bran mit solch einem warnend-missgünstigen Blick, dass ich hoffe, er ließ seine beiden Äxte weit entfernt und sicher verstaut im Gasthof zurück. Allerdings weder annehmen noch ablehnen kann ich die Aufforderung, solange mein Herr sie nicht kommentiert, das weiß Thorin nur zu gut und so senkt er schließlich den Blick zur Zustimmung. Zwiegespalten fühle ich mich dennoch, denn keinesfalls gewöhnlich ist es für mich mit jemand eigentlich fremden zu tanzen und dann auch noch während solch einem lasterhaften Fests außerhalb der vertrauten Hallen.
Die Musik ist fröhlich und beschwingt, sie verbietet geradezu steife, höfische Tänze zu ihr aufzuführen. Daher froh bin ich, als Bran einen derer anstimmt, die ich in meiner Jugend erlernte, einfach in der Schrittfolge, ausgelassen und lebenslustig, voller Drehungen, Umkreisungen und hoher Sprünge und wenig körperlichen Kontakt.
„Ihr tragt das Kleid meiner jüngsten Schwester auf", bemerkt er schließlich und ich nicke zustimmend. „Eure Mutter gab es mir, da sie der Ansicht war, es wäre für den heutigen Abend angebrachter als meine Rüstung." Er lächelt, fasst meine Hand und zieht mich näher zu sich, obwohl es die Tanzfolge nicht verlangt. „Sie tat gut es Euch zu raten, bezaubernder seht ihr darin aus, als es meine Schwester jemals konnte." Unangenehm kribbelt sein Kompliment auf der Haut, ganz so, als sollte es nicht ausgesprochen werden und oh wie bin ich froh, dass sie Maske die sofort aufkommende heiß-brennende, verschämte Röte verbirgt. Dennoch, nach all dem Schmutz und Kampf und Schmerz wohltuend fühlt es sich auch an. Trotz allem bin ich eine Frau, immer auf der Suche nach der Anerkennung meiner Selbst fernab von denen meiner Leistungen die lediglich Wissen und Kampfkunst betreffen, ungeachtet, dass diese genauso begehrenswert sind.
„Wisst Ihr, dass in der Schattennacht die Grundlagen für die meisten Hochzeiten des Jahres geschaffen werden?" Ich betrachte ihn bedachtsam, beinahe lauernd wie ein angriffsbereiter Wolf den anderen während eines Kampfes. Die Vermutung über den Anlass warum er mir dieses offenbart, schleicht sich langsam aber eindeutig in die Erkenntnis. „Vermutlich da einige der losen Bekanntschaften dieser Nacht nicht ohne Folgen bleiben", versuche ich den Vorstoß in aussichtslose Gefilde zu unterbinden, löse unsere Hände und entferne mich zusätzlich schicklich in einer Drehung verborgen wieder von ihm.
Unangenehm ist mir seine Annäherung nicht, ja beinahe tut es mir leid ihm schonungslos jegliche Hoffnung nehmen zu müssen, denn auch wenn die Gesetze des Ered Luin hier nicht gelten und sie in dieser Nacht sowieso keine Rolle spielen würden, unerreichbar bin ich für ihn. Nicht nur, da er fremd ist. Ein Mündel bin ich. Stehe unter dem Schutz und der Verantwortung eines Thronprinzen, dessen Einfluss und Macht auch außerhalb der regierten Hallen schwer wiegt. Strafe würde mir selbst in gesetzlosen Zuständen drohen, sollte ich ohne seine Erlaubnis auf unsittliche Angebote eingehen. An die die ihm selbst als nicht angehörigen unserer Sippe bevorstünde, will ich noch nicht einmal denken. Demnach froh bin ich, als die Musik endet, wir uns lediglich voreinander verbeugen und zurück zu unseren Plätzen gehen.
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Die Luft ist warm in dieser Nacht, beinahe schwül. In freudiger Erwartung eines verändernden Ereignisses prickelt sie geradezu auf der Haut. Eine Böe trägt die Gerüche von Gras und Wald und denen des Festes, das noch immer unbeirrt trotz der weit fortgeschrittenen Stunde auf der Wiese am Fuß des Berges mit ausgelassenem Tanz und lauten Lachen pulsier zu mir. Auf eine kleine Anhöhe von der man die Lichter und Feuer und bunten Kleider überblicken kann, habe ich mich geflüchtet. Nicht vor Bran, denn die einmalige Abweisung genügte vollkommen, sondern vor Thorin. Keines Blickes oder Wortes würdigte er mich während des gesamten Abends. Oft ist mir sein wankelmütiges Verhalten schleierhaft, verstört mich, verletzt mich, obwohl es dies nicht sollte. Kein Anrecht habe ich auf seine (Be-)Achtung. Kein Privileg auf irgendeine Wertschätzung, nur weil ich seine Leibdienerin bin. Ein unscheinbares Ding bin ich an seiner Seite. Der verschwommene Schatten, der diesem herrlichen Licht in Demut und Bewunderung folgt. Vielleicht ist er zornig, dass ich aus diesem heraustreten wollte, wütend auf sich und mich, dass ich mir zu viel herausnahm, nachdem er mir den kleinen Erfolg des Beratens gewährte. Und sein Jähzorn ist zuweilen stark, hässlich und verderbenbringend wie ein entfesselter Dämon. Einige wenige Mal musste ich ihn in seiner gesamten Grausamkeit bereits erleben und in ihrer Handlungsweise unterschiedliche Ausdrücke trägt er mitunter. Manchmal ist er aufbrausend und zerstörerisch wie ein Gewittersturm, allerdings auch unmerklich für den Betroffenen und daher umso gefährlicher kann er sein, einer schleichenden, letztendlich tödlichen Krankheit gleich.
„Darf ich mich zu dir setzen, oder möchtest du alleine sein?" Dwalins vertraute Stimme reißt mich schließlich aus den düsteren Gedanken. Verwundert blicke ich zu ihm auf, rechnete ich doch nicht damit, dass er oder irgendjemand anderes mir folgen würde. Obwohl. Mich längere Zeit alleine lassen und dann auch noch an einem fremden Ort und in dieser Nacht, niemals würden sie sich verzeihen, sollte mir dabei etwas passieren. Womöglich hat er mich vordem bereits längere Zeit im Schatten der umliegenden Bäume wandelnd beobachtet. Ist mir vermutlich ohne Anweisung zu bedürfen gefolgt, gleich nachdem ich mich davonstahl.
Ich nicke zustimmend und er lässt sich daraufhin neben mich in das weiche Gras fallen. Andächtig nimmt er die Maske, die ich unlängst abnahm nachdem ich mich allein sann zu Hand, dreht und wendet sie und fährt mit den groben Fingern die darauf gezeichneten, filigranen Rosenranken entlang. „Einen verzaubernden Anblick botest du uns allen heute. Ich hätte nicht gedacht, dich während dieser Reise in einem Kleid sehen zu können und beinahe vergaß ich, wie anmutsvoll und damenhaft du doch auftreten kannst. Wunderschön wie ein Rubin hast du gestrahlt." Das Kompliment aus seinem Mund nehme ich gerne an, denn uneigennütziger und zugleich ehrlicher gemeint kann keines sein.
„Ich ebenfalls", antworte ich und streiche immer wieder eine imaginäre Falte in der roten Seide des Rockes glatt. „Allerdings bereue ich es bereits. Ich habe mich von dieser fixen Idee mitreißen lassen ... unüberlegt und leidenschaftlich gehandelt wie ein kleines Kind und somit riskiert entlarvt zu werden und euch alle in Schwierigkeiten zu bringen." Dwalin stoppt die verlegene Geste mit dem sanften Halten meiner Hand. „Wieso bist du dieser Meinung. Niemand hat auch nur geahnt wer du bist und das du mit uns in Verbindung stehst. Selbst ich habe dich im ersten Moment nicht erkannt."
Verzweifelnd wende ich den niedergedrückten Blick von unseren ineinander verwobenen Händen ab. „Wegen Thorin und seinem Verhalten ... er ist deutlich unzufrieden mit mir, da ich mir zu viel anmaßte." Erste lediglich mit viel Beherrschung vor dem endgültigen Ausbruch gehemmte Tränen folgen brennend der Befürchtung. Liebevoll legt er seine rauen Kriegerfinger an meine Wange und bringt mich so dazu ihn wieder anzusehen. Ein wärmendes Braun schenken seine Augen, selbst in der kalten Lichtlosigkeit der Nacht. Vertraut sind sie mir und lieb gewonnen habe ich sie bereits nach dem ersten Anblick, damals, in der wohl schrecklichsten Stunde meines jungen Lebens.
„Weil er dich heute ignorierte?", mutmaßt Dwalin und ich nicke zustimmend. „Glaube mir, mehr als jeden anderen von uns interessierte es ihn am heutigen Abend, so wie eigentlich immer, wie du auftratst, wer mit dir sprach, worüber du lachtest oder schockiert warst." Verlegen senkt er den Blick, ganz so, als wäre es ein schreckliches und quälendes und gerade darum wohlgehütetes Geheimnis, das er offenbart. „Er würde es niemals zugeben, vielleicht noch nicht einmal sich selber eingestehen, aber so, wie du meine Schwäche bist, so bist du auch die seine, wenn auch aus anderen Gründen. Ich habe Angst um dich, möchte dich vor allem Übel beschützen, aber Thorin begriff, dass er sich durch die enge Bindung zu dir angreifbar macht. Niemals zuvor hat er jemanden außerhalb seiner Familie so nah an sich herangelassen, so viel von sich offenbart, so lieb gewonnen. Sollte jemand davon erfahren, dir schaden, dich benutzen, um ihn zu schwächen, jedwedes Ansehen und all seine Macht könnte er verlieren. Sein abweisendes Verhalten heute, auch wenn niemand dich erkannte, diente lediglich deinem und seinem Schutz. Er wollte dich nicht verunsichern oder verletzen, aber gefährlich und voller Intrigen ist diese Welt."
Ich senke den Blick, entziehe mich aber nicht seinen warmen Fingern, die noch immer auf mir ruhen. Aber sehen soll er nicht die Tränen, die nun obgleich aller wackeren Bezähmung beginnen zu fließen. „Ich will niemandes Schwäche sein, weder deine noch Thorins noch sonst von irgendwem", klage ich herzerweichend. Dwalin interessiert es nicht, dass ich die meine, die ich im Moment so unkriegerisch darbiete, verzweifelt versuche vor ihm zu verbergen, denn sanft hebt er mein Kinn, zwingt mich regelrecht ihn wieder anzusehen. „Ich weiß, aber verhindern kannst du es nicht. Und für meinen Teil zumindest, könnte mir keine schönere und für die es sich mehr lohnen würde durch Feuer und Gefahren oder in das Verderben zu gehen wünschen."
Ich lächle verschämt. Und dann, aus reinem Reflex, ohne darüber nachzudenken, hebe ich meine Hand und lege sie ebenso sanft an seine Wange. Die Haare des Bartes kitzeln die empfindlichen Fingerkuppen. Seine Haut ist warm, beinahe glühend heiß wie die Flammen einer Esse. Allerdings nicht unangenehm. Nicht verbrennend oder schmerzend beißen die Flammen. Die Lebensgeister erwecken sie in mir wie dereinst die des Schmiedefeuers unseres großen Schöpfers in den sieben Vätern der Zwerge. Und die Leidenschaft eines aberwitzigen Gedankens beginnt in mir zu glimmen wie ein ebensolcher Funke. Erst klein, dann immer größer, mächtiger werdend.
Die Nacht der Schatten ist es. Alles was in ihr geschieht, folgt keinen Regeln, wird nicht durch schickliche Zurückhaltungen und drohende Strafen gehemmt. Die Dunkelheit verbirgt sorgsam sonst Verbotenes. Behält sie für sich. Auch für uns. Und ich sehe in Dwalins Augen, die innerhalb eines Wimpernschlages schwarz werden wie eben diese Geheimnisse bewahrende Finsternis, die uns umgibt, dass auch er dieser Grübelei nachgeht. Sinnt, die Gefahr beurteilt, als wäre sie ein unter Waffen stehender Feind, zwischen begehrendem Herzen und mahnenden Verstand abwägt.
Leichter machte ich ihm die Entscheidung, indem ich näher rutsche. Noch näher als sowieso bereits. Mich zu ihm beuge. Nur ein wenig. Gerade einmal so viel, dass ich den heißen, feuchten Atem den er stockend ausstößt, auf der erhitzten Haut erahnen kann.
Er kommt mir entgegen. Stoppt die Bewegung kurz bevor der Lufthauch geradezu unerträglich herrlich wird. Wartet. Wartet ab. Wartet auf eine Erlaubnis. Einen Vorstoß. Einen Einwand. Einen Rückzug. Das Besinnen. Die Begierde. Sekunden ... Minuten ... Stunden ... ich vermag es nicht zu sagen.
Mein Herz schlägt so schnell. Angenehm, dennoch es beinahe zerreißend schnell.
Die Sterne funkelnd über uns. Der Mond voll und hell. Das lodernde Feuer des Festes warm. Die streichelnde Luft der Nacht kühler auf der Haut. Musik, Stimmen, Rufe, Lachen. Alles ist so fern. So fern ... so jenseits dieses Moments. Diesem perfekten, kleinen Moment.
Und dann strecke ich mich noch ein wenig mehr, schließe die Augen und unsere Lippen treffen sich.
Zaghaft nur. Schüchtern geradezu. Dennoch schmecke ich lieblich-roten Wein und die Süße von Erdbeeren und das Herbe von Bier und ihn.
... Einfach nur ihn ...
Und köstlicher als alles was ich bisher in meinem Leben kostete, ist dieser Erste von noch so vielen Küssen dieser Nacht.
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* Die Unterbergs waren eine der wenigen Hobbitfamilien, die seit Beginn des dritten Zeitalters in und um Bree siedelten. Es ist wenig bis nichts von ihnen bekannt, allerdings heißt es, dass einer der Vorfahren der später im Auenland lebenden Brandybocks eine Unterberg heiratete. Viele von Euch werden sich bestimmt auch daran erinnern, dass sich Frodo bei seiner Reise auf Anraten Gandalf den Decknamen Unterberg gab.
** Die Familie Hang ist eine weitere der sowohl in Bree wie auch im Auenland lebenden Hobbitfamilien. Heiderose Hang ist die Mutter von Peregrin Tuk, obwohl die Familie eher eine gewöhnliche Stellung innehat.
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