Die Schwäche des Kriegers
„... Astâ ..." Leise und mühevoll verständlich, als würde es gedämpft durch weite Entfernung und zusätzlich graue Nebelschleier, das Rufen meines Namens. Schmerzhaft kalt der Regen, der auf das Gesicht prasselt. Klamm und matschig-weich die Erde unter mir. Erschöpfte Schwere liegt auf den Lidern der Augen, als ich sie mit aller Kraft versuche zu öffnen. Verschwommen ist das erste Bild, nachdem ich es schaffte. Aber schnell wird es klarer und schließlich deutlich zu erkennen das besorgte Antlitz Dwalins, der sich über mich beugt.
„Mahal hab Dank, du bist wach", stößt er aus und ungeachtet jeglichen Anstands und des rasenden Schmerzes, der augenblicklich dabei meinen Brustkorb zu verbrennen droht und mir für mehrere angestrengte Züge den Atem nimmt, schnelle ich nach oben und schlinge die Arme um ihn. In eine aufrechte Position zieht er mich daraufhin und auch die seinen Schließen sich um den zitternden Körper. Fest und tröstend und Beruhigung schenkend. So warm. So sicher. So vertraut, wie es nur die seinen sein können. Bittere Tränen gestatte ich mir in der innigen Umarmung. Vor Freude und Erleichterung und noch immer als Resultat der Angst und des Schocks, fließen sie ungehindert und benetzen salzig das ohnehin bereits völlig nasse Gesicht.
„Ist schon gut ... es ist alles wieder gut", flüstert er. Haare und Bart triefend vor Regenwasser, die Kleidung ebenso und zudem mit glitschigem Schlamm überzogen. Dennoch warm ist sein Körper und langsam, tief, regelmäßig der Atem. „Ich danke dir", schniefe ich tränenfeucht. Kaum zu hören ob des Gewittersturms, der weiterhin über unsere Köpfe hinweg in die Gipfel der unweit stehenden Waldbäume rauscht. Aber vielmehr spürt Dwalin die Bedeutung, denn (noch) fester drückt er mich an sich. Sein Körper hart, nicht nur ob der Rüstung, die er trägt, an den meinen gepresst, eine Hand gekrallt in die zerzausten, schlammigen Haare, die andere haltend, behütend, umsorgend zwischen die Schulterblätter gebettet. Er vergräbt das Gesicht in meine Schulter, unfähig die doch so unkriegerische Angst zu verbergen, die er um mich hatte.
„Ich fürchtete dich zu verlieren", offenbart er überdies. Seine sonst so kräftige Stimme ebenfalls nicht mehr als der ausgemergelte Versuch den Sturm, der nicht nur um uns herum wütet, zu übertönen. Gedämpft zusätzlich von der kalten Haut meines Halses. Oh wie prickelt sein warmer Atem darauf. Fester vergräbt er die Hände zudem in triefendnasse Haare im Nacken und aufgeweichtes Leder am Rücken, so als wolle er mit aller Macht und Stärke die ihm zu eigen ist spüren, dass sich dieses nicht bewahrheitete, und will, dass sie sich niemals bewahrheiten wird.
Lange verharren wir in Vertrautheit. Ungeachtet des noch immer tobenden Unwetters. Ungeachtet des kalten Regens, der kaum tiefer bewirkt unsere Kleider bis hinunter zur Haut zu durchnässen. Nichts davon nehme ich wahr, so als ob mir in seiner Umarmung keine Naturgewalt und kein Monster dieser Welt etwas anzuhaben vermag.
Ein nahes Wiehern ist es schließlich, das uns aufhorchen lässt. Mit deutlich zu spürendem Widerwillen entlässt mich Dwalin aus seinem Schutz, als wir uns umblicken und aus der blitzerhellten Dunkelheit des Waldes Khajmel und seine Stute näherkommen sehen. Froh darüber, springe ich auf, die Schmerzen unterdrückend, die mir erneut für einen Moment den Atem nehmen, als sie sich um meinen Brustkorb schließen wie eine unerbittliche Zwinge, laufe auf ihn zu und umfasse seinen Hals. Nass ist auch er und noch immer spüre ich unter den klammen Fingerspitzen das herzrasende Adrenalin durch die Adern fließen, dass ihn fliehen ließ. Das Kinn legt er auf meine Schulter und wiehert leise, ganz so, als wolle er sich entschuldigen. „Ist schon gut ... es ist alles wieder gut", beruhige ich ihn, wie Dwalin zuvor mich, „es war nicht deine Schuld, du konntest nichts dafür."
„Astâ!?" Thorins plötzliche Stimme aus der regenschweren Dunkelheit vermag es sogar den Donner zu übertönen. „Wir sind hier!"; versucht Dwalin sie zu uns zu führen und nur wenig später lösen sich ihre Schemen aus dem Guss. Thorin springt regelrecht aus dem Sattel, noch ehe sein herangaloppierender Rappe gänzlich zum Stehen kommen konnte. Und es ist nicht sein langjähriger Freund und treuer Hauptmann, der als Erstes von ihm vor Erleichterung umarmt wird ... sondern ich.
Überrumpelt bin ich von dieser belangvollen Geste. Nicht einmal die Stellung als schutzwürdige Frau rechtfertigt den respektlosen Übergang eines hohen Offiziers und verlässlichen Waffenbruders. Daher entschuldigend blicke ich über Thorins Schulter hinweg in die Augen Dwalins, aber keinerlei Vorwurf spricht aus ihnen. Etwas anderes als Behagen ob der Situation, findet sich dennoch darin. Enttäuschung, Eifersucht, Besorgnis. So viel, dass man missverstehen könnte. Oder genau richtig deuten. Die erleichterte Hand seines Bruders, die schwer auf seine Schulter sinkt, verdrängt dieses schließlich.
„Geht es dir gut?" Thorins raue Finger schmiegen sich genau gegen die Stellen, an denen vor wenigen Minuten noch Dwalins lagen. Dennoch anders fühlt sich die liebevoll und beruhigend gemeinte Umarmung an. Unnachgiebigen Schutz bietet sie ebenso, Wärme liegt in ihr, genauso wie Fürsorglichkeit, jedoch den Regen spüre und den Donner höre ich ungetrübt von ... was auch immer mich mit Dwalin verbindet.
„Ja, ich bin nicht verletzt", lüge ich berechnend, denn je mehr ich mich auf ihn besinne, umso stechender und deutlicher wird der Schmerz, der an der linken Brust aufflammt. Beim Sturz muss ich wohl irgendwie falsch aufgekommen sein. „Dwalin hat mich gerettet." Thorin löst die Umarmung, nicht gänzlich, denn eine warme Hand ruht noch immer im Nacken unter regenfeuchtem Haar. „Nichts anderes nahm ich an, nachdem er dir wie von Sinnen nachritt", entgegnet er und streicht über meine Wange, verbannt von dort wohl einen störenden Spritzer Schlamm. Danach erst, wendet er sich endlich seinem Waffenbruder zu. Aber nicht mehr als ein Senken des Blickes ist es, mit dem er ihn dankt. Keine Worte, keine andere Geste der Anerkennung. Gleichwohl, welch Art von Belohnung erhofft man sich auch für die Rettung einer Dienerin. Froh müsste ich genau genommen sein, dass er nicht angeherrscht wird für die Gefahr, in die er sich leichtsinnig für mich brachte.
„Thorin, ich habe vorhin ein altes Gehöft gesehen, vielleicht können wir dort Unterschlupf für die stürmische Nacht finden", ruft Balin schließlich gegen den grollenden Donner und zeigt in die noch immer regenverhangene Dunkelheit. Thorin nickt, „dann sollten wir uns auf den Weg dorthin begeben."
Mit einem widerlich quietschenden Ton öffnet sich die hölzerne, schief in den verrosteten Angeln hängende Tür, als Thorin sie mit zur Abwehr jeglichen lauernden Feindes gezogenem Schwert aufstemmt. Dunkel ist es in dem alten Bauernhaus. Erst als das grelle Licht eines durch die verdreckten Fensterscheiben fallenden Blitzes das Innere erhellt, entdeckt man den über viele verlassene Jahre entstandenen Zerfall. Die wenigen ob des anscheinend überhasteten Aufbruchs noch verbliebenen Möbel sind überzogen mit schwerem, zuglufttrotzendem Staub. Töpfe und eine Öllampe stehen auf einem maroden Tisch. Zwei umgestürzte Schemel liegen neben ihm. Ein Bretterhaufen, der wohl einst ein Bett war, stapelt sich unordentlich in einer der Ecken, die man mit einer Decke, die mehr einem Fetzen gleicht, vom Rest des kleinen Raumes abteilen kann. In der rußigen Feuerstelle inmitten des Chaos erglühte lange schon kein wärmespendender Funke. Eine schmale, geländerlose Treppe führt in die oberste Etage, in der wohl weiterer Unrat liegen wird.
Dennoch glücklicherweise keine Schäden scheint das Dach aufzuweisen, denn ersehnte Trockenheit herrscht und im angrenzenden Stall, in den wir die Pferde führen, liegt sogar verwendbares Stroh und Heu in den großzügigen Boxen. Vorsichtig befreie ich Khajmel von dem Sattelzeug und reibe das Wasser mit einer Handvoll davon aus dem vollgesogenen und völlig verschlammten Fell. Während des kurzen Ritts und obwohl er wegen des glitschigen Untergrundes langsam ging, steigerte sich der Schmerz in meiner Brust hin zu einem beständigen Brennen und immer schwerer fällt es mir, unbeschwert zu atmen, denn bei jedem auch nur annähernd tiefen Zug, quält er schlimmer.
Gleichwohl keine Erholung darf ich mir vorerst erlauben. Das Feuer muss, nachdem ich den Abzug auf Verstopfungen prüfte, entzündet werden. Mäntel und Kleider breite ich in seinem wärmenden Schein so aus, dass sie bis zum Morgen getrocknet sind, denn das Regenwasser drang selbst durch das dicke Leder der Satteltaschen und durchnässte alles, was wir als Ersatz zu dem am Körper getragenen mitführten. Und obwohl ich mich redlich bemühe, nicht den Anschein einer Verletzten zu erwecken, beobachtet mich Oin dabei auffällig genau. Unbehaglich wird mir unter seinem prüfenden Blick, denn freilich kann ich nicht die flachen Atemzüge und vorsichtigen Bewegungen verbergen und auch das eine oder andere reflexhafte Zusammenbeißen der Zähne, um den Schmerz zu unterdrücken, nicht verhindern.
„Astâ, würdest du mich kurz nach oben begleiten, vielleicht liegt dort noch weiteres Stroh, das wir für ein Lager benutzen können", befiehlt er schließlich und ich folge gehorsam, obwohl der Vorwand offenkundig ist. Das knarzende Holz der Treppe ist an vielen Stellen morsch und wurmdurchlöchert, sodass wir bei jedem Schritt acht geben müssen, nicht fehlzutreten. Sie führt uns auf eine Art Heuboden, der sich über die gesamte Länge des Hauses erstreckt. Auch hier liegt wie vermutet allerlei zurückgelassener Unrat, zerfallene Möbel, die wir zumindest als Brennmaterial nutzen können, einige verstaubte Kisten und tatsächlich etwas Stroh in noch verschnürten Ballen.
„Zeig sie mir", fordert mich Oin plötzlich auf, nachdem er denkt, außerhalb der Hörweite der anderen zu sein, und ich fahre trotz des bestehenden Verdachts, dass er meine Schmerzen unlängst wahrnahm, erschrocken herum. „Ich weiß nicht, was Ihr meint, Meister Oin", widerspreche ich dem Geheiß, mit aller Macht verhindern wollend, dass irgendeiner von ihnen meine Schwäche entdeckt. Wenn die Verletzung nun zu schwer ist und er mir verbietet weiterzureiten, wenn ich dadurch die Suche verzögere und uns die Chance entgeht König Thráin zu finden, niemals würde ich mir dies verzeihen und noch viel unerträglicher wäre, dass es Thorin wahrscheinlich ebenfalls nicht könnte.
„Du kannst deine Schmerzen gut verbergen vor den Blicken von Thorin und womöglich auch vor denen von Dwalin und Balin, aber meiner Aufmerksamkeit entgehen sie nicht. Etwas beengt deine Atmung und schränkt die Bewegungen ein, es viel mir bereits auf, als du wieder auf dein Pferd stiegst. Eine solcher Sturz geht selten ohne mitunter schweren Verletzungen einher, also lass mich sie sehen und behandeln." Er spricht ruhig, erstaunlicherweise bar jeglicher Vorhaltung oder Rüge, ist es doch ein Teil des Gebots, zu dem ich mich bekannte, niemals zu klagen, Schmerzen zu zeigen und aufgrund ihrer meine Waffenbrüder im Stich zu lassen.
Daher durchaus widerwillig folge ich der Aufforderung und entledige mich dem Kettenhemd und der darunter befindlichen Tunika, die, wie das nun einzig die Blöße noch bedeckende Unterhemd, völlig durchnässt ist und unangenehm klamm an der Haut klebte. Oin tritt mit einer der mitgenommenen Kerzen, die glücklicherweise innerhalb der Rucksäcke trocken blieben, da sie in Wachstücher eingeschlagen waren, an mich heran, während ich das Leinen über der linken Seite des Brustkorbs herauf kremple. Seine Augen verengen sich zu kleinen Schlitzen, ganz so, als würde er beim bloßen Anblick selber die ausgestandenen Schmerzen spüren.
„Ein großes Hämatom bildete sich oberhalb deiner letzten Rippe. Ich weiß noch nicht, ob es nur unter der Haut oder im Muskelgewebe liegt oder sogar aufgrund einer Verletzung am Knochen entstand", klärt er auf und als er die Hand an mich legt, um dieses genauer zu betasten, zucke ich zurück, als würde Feuer von ihm auf mich überspringen und schnappe nach Luft, was die Flammen aber nur noch wütender um sich greifen lässt.
Verzweifelt versuche ich, die Atmung und mich wieder unter Kontrolle zu bringen, gegen den Schmerz anzukämpfen, ihn tapfer zu erdulden, und merke somit erst, als eine Stimme ertönt, dass jemand uns folgte. „Ist alles in Ordnung bei euch?", fragt Thorin, der Argwohn deutlich, ob der vorgefundenen Situation, darin zu hören. Grollender noch als der Donner, der draußen anhaltend Blitz und Regenschauer begleitet und die lehm- und strohausgekleideten Wände zum Erzittern bringt. Schnelle verberge ich die nackte, lädierte Haut vor ihm.
„Oh, Thorin, gut dass du hier bist. Astâ hat sich beim Sturz vom Pferd verletzt und benötigt deine Hilfe, um Untersuchung und Behandlung durchzustehen." Oin ignoriert gekonnt Missstimmung und dass mit jedem seiner Worte zusehends die Farbe aus Thorins Gesicht weicht. Auch, dass ich ihn mit einem mehr als aufgrund der Stellung anmaßenden Vorwurf ansehe, deckt er damit nicht nur auf, dass ich Schaden davontrug, sondern ebenso, dass ich meinen Herren dahingehend belog. Aber Thorin scheint zumindest Letzteres nicht zu interessieren, dafür Ersteres umso mehr, denn schnell kommt er auf uns zu und reißt das eben noch losgelassene Leinen wieder nach oben. Im Überschwang beinahe zu weit, hätte ich den Arm nicht vorher bereits die ungerechtfertigte Scham verbergend über meine Brust gelegt. Schwer schluckt er ob des sich ihm bietenden Anblicks. Ertappt weiche ich aus, als er mich infolgedessen ansieht, denn kaum zu ertragen sind Betroffenheit und Ängste, die sich in dem Eiswasser seiner Augen spiegeln.
„Wie kann ich helfen?", fragt er leise, aber mir wäre wohler, wenn er es nicht täte. „Bevor ich eine Behandlung ansetze, will ich prüfen, ob keine der Rippen gebrochen ist. Allerdings muss ich dazu wissen, wo der Schmerz am schlimmsten ist und kann keine örtliche Betäubung vornehmen. Gibt ihr deswegen die Unterstützung, die sie benötigt, um ihn auszuhalten." Schockiert sehe ich Oin an. Was er verlangt ist ungeheuerlich. Nicht nur, dass ich vor dem den ich einst schwor kein Leid gelten zu machen, genau dies offen zeigen muss, auch noch Beistand soll er mir geben in diesem bloßstellenden Zustand. Aber nichts anderes wird mir übrig bleiben. Auch Oin ist stur, wie es ein Zwerg nur sein kann, besonders im Umgang mit seinen Patienten.
Thorin indes nickt sofort zustimmend und stellt sich vor mich, umfasst ohne Widerstand gelten zu lassen meine Hände und legt sie sich um den Hals. Schüchtern und die Situation entschuldigend, sehe ich zu ihm auf. Aber kein Vorwurf spricht sein Blick, nur Sorge und Mitgefühl, die mich warm durchfluten und sogar den Schmerz für einen Augenblick vergessen lassen. Bis Oin beginnt erneut die Läsion zu betasten. Unerträglich wird das Brennen und Stechen, als er mit kundigen Fingern eine Rippe nach der anderen entlangfährt, auf der Suche nach Brüchen oder Schwellungen, die auf eine tief liegende Verletzung hindeuten könnten.
Und oh wie bin ich froh, nun doch Thorins Unterstützung zu wissen, denn fest krallen sich die Finger in alles, was sie zu fassen bekommen. In die noch feuchten Wellen seiner Haare, in Leder und Stoff und Fell und die Stärke und Wärme seiner Brust, an die ich schwer atmend die Stirn lege, um den Schmerz zu ertragen, spendet Halt und Kraft. Aufgeregt-schnell pocht sein Herzschlag. Ob aufgrund des Anblicks meiner Qualen oder der Nähe zueinander, weiß ich nicht. Dennoch, trotz all dem Trost, nicht verhindern kann ich ein leises, leiderfülltes Wehklagen, als Oin an eine Stelle gelangt, die noch malträtierender schmerzt als alles andere bislang. Ein Feuermeer flutet durch die Adern, verteilt sich in ihnen bis zum weitentferntesten Körperteil und als meine Beine unter ihm nachgeben wollen, Schwindel mich ergreift und der Kopf beginnt im Rhythmus des schnellen Herzschlages zu pochen, legt Thorin zusätzlich einen haltenden Arm um mich. Unterbindet so das drohende trieften in die Leere der Ohnmacht.
Und dann beginnt er unerwartet zu singen. Leise nur, ein melodisches Plätschern von Wasser im Regensturm, der beständig gegen die Schindeln klatscht. Dennoch kräftiger als der Donner, der weiterhin grollt. Lichtbringender als jeder noch so energiegeladene Blitz. Das Rabenlied ist es, das ich dereinst an unserem allerersten Abend unter den Himmelssternen sang. Die Worte, die er sich trotz der Einmaligkeit überraschend sicher einprägte, mitreißender geformt als Mutter oder ich es jemals konnten. Voller Schmerz und Traurigkeit. Aber auch ungeahnte Hoffnung findet sich darin. Silberhell und auserlesen wie ein einzelner Stern am ansonsten dunklen Nachthimmel. Tief vibrieren sie in seiner Brust und vermögen schließlich auf mich überzugreifen. Verdrängen das brennende Leiden. Erfüllen den Körper stattdessen mit Barmherzigkeit und Wonne.
„Gebrochen ist zum Glück nichts und auch keine Perforation der Lunge oder eines größeren Gefäßes konnte ich ertasten. Womöglich bist du beim Fall auf einen Stein oder Ast aufgekommen, der das Gewebe gequetscht hat." Wie aus einer Art nebligen Trance holt mich Oins Bericht und ob des Schocks ihr entrissen zu werden, zucke ich erschaudernd zusammen. Wie eine kleine Ewigkeit erschien mir die Spanne zwischen Schmerz und Behaglichkeit in Thorins Armen. Ein Traum, der, obwohl man weiß, dass dies alles nur ein Hirngespinst, ein Bild zusammengesetzt aus Erinnerungen und Wünschen, ist, sich realer anfühlte als so manch wahre Begebenheit.
„Ich werde dir eine Salbe aus Arnika und Zinn geben, sie wird die Schmerzen stillen und die Schwellung schnell zum Abklingen bringen." Weiterhin hält mich Thorin fest, als Oin die vorsorglich bereits eingesteckten Mittelchen aus seiner Tasche holt, die Verletzung damit versorgt und einen Verband anlegt. Verschämt sehe ich zu ihm auf, bänglich, ob er mir die Unfähigkeit den Schmerz zu unterdrücken, als unverzeihliche Schwäche anlastet. Mich fragend, ob er, nun, da er weiß, wie lapidar die Wunde ist, wütend ist, dass ich sie nicht aushielt. Eine Vorhaltung befürchtend, dass ich ihn darüber belog. Aber erneut sehe ich keines davon in den unendlich-tiefen Eisseen treiben. Wie dankbar bin ich ihm nicht nur dafür.
Als Oin mich schließlich aus seiner Behandlung entlässt, gibt es auch für uns keinen weiteren Grund, einander nah zu sein. Daher auffällig hastig entferne vor allem ich mich, denn niemand soll mir unterstellen können, dass ich die Situation auszunutzen versuche. Die auf klamme, nun der Glut seines Körpers beraubte Haut treffende Kälte, kommt dem Schock des Schmerzes gleich. Noch nie wurde mir diese beschützende, umsorgende Seite von ihm zuteil. Nah waren wir uns schon oft, zu nah teilweise, als dass es noch als unabsichtlich oder beiläufig angesehen werden könnte. Dennoch niemals emotional in solch einer Intimität. Es erschreckt mich, muss ich ehrlich zugeben, wie leicht es mir viel sie anzunehmen und wie sehr ich sie vermisse, jetzt, da ich ihrer entrissen wurde.
„Schone dich ein wenig in der nächsten Zeit, damit der Erguss schneller zurückgeht", empfiehlt Oin, während wir den Weg zurück zu den anderen antreten. Schwer beladen mit Stroh und einigen zwar muffig riechenden, aber dafür trockenen und wärmenden Decken, die wir in den Kisten fanden, und die mir Thorin aufgrund der Ermahnung sofort abnimmt, ungeachtet dessen, dass er selber kaum über die Last hinwegsehen kann, die er bereits schleppt. Unangenehm ist mir seine rührende Fürsorge und auch wieder nicht. Wie einst, als er mich nach dem Schwertstreich pflegte. Unangemessen zugetan für das Verhältnis zwischen Herrn und Dienerin, jedoch genau deswegen überwältigender, als ich es mir jemals erträumen könnte.
Trotzdem der Verband nicht unter den wiederangelegten Kleidern zu erahnen ist, scheinen mich Dwalins besorgte Blicke wissend darum zu beobachten, als ich meine Arbeit wiederaufnehme. Die Verantwortung des Kochens entfällt heute, denn lediglich von Pökelfleisch und den Resten des Tagesbreis können wir zehren, macht das fortwährend tobende Unwetter es doch unmöglich, das Erzielen von Jagdglück überhaupt zu versuchen. Indes noch immer feucht ist alles, was wir mit uns führten und am Leibe trugen. Auszumachen vermag die nasse Kälte uns Zwerge nichts, allerdings unangenehm ist ihr Kleben an der Haut und selbst die trocknende Wärme des mittlerweile mollig-lodernden Feuers, dringt nicht gänzlich hindurch. Abhilfe davon können sich zumindest die Männer schaffen, indem sie alles nicht zwingend Benötigte ablegen, ungeachtet meiner Anwesenheit. Muskeln zeichnen sich deutlich unter ob der Nässe dunkel gewordenen Leinen ab. Dichte Haare quellen aus tiefen Ausschnitten oder fließen wellig über Schultern. Hellgoldene Haut glänzt ob der darauf noch immer haftenden Feuchtigkeit. Auf Brust, Rücken und Armen eingestochene Bilder, Zeichen und Formen, sind nunmehr sichtbar, denn einige von ihnen erdreisteten es sich sogar, sich gänzlich von den vollgesogenen Hemden zu entledigen. Und oh es ist ebenso Fluch wie Segen, dass ich mich von dem sich mir bietenden Anblick ablenkend, weiterhin damit beschäftigen kann, Stroh und Decken so gemütlich wie möglich zu Lagern herzurichten.
Ich selber, und obwohl der größte Teil von ihnen mich bereits in mehr als anzüglicher Gewandung sah, versuche so lange wie nötig, die Schicklichkeit aufrecht zu erhalten. Erst als wir uns zur Nachtruhe begeben, das Feuer die einzige flackernde Lichtquelle stellt, entledige ich mich Rüstung, Hose und der klammen Tunika und wickle eine der Decken fest um die Schultern. Noch immer tobt draußen der Gewittersturm, als ich mich auf das durch die Wolle pikende Stroh bette. Rüttelt an losen Schindeln und geschlossenen Läden der Fenster. Pfeift durch Ritzen im Mauerwerk. Heult im Rauchfang und der dennoch mit der Zeit ermattende Donner grollt weit entfernt.
Tief atme ich durch. Erschöpfung und Ruhe breitet sich nur zögernd im Körper aus, aber der Schmerz wurde zum Glück unter der Einwirkung der Salbe erträglich. Erholsamer Schlaf legt sich auf die Augenlider und die Nacht so schwarz wie Ruß und so still wie Glas hinter ihnen fängt mich in ihren Traumgespinsten. Aber plötzlich, bettet sich ein schwerer Köper dicht an meinen Rücken und eine nicht minder warme Hand sanft auf die Verletzung, die sofort beginnt wohlig, nicht schmerzhaft, zu kribbeln.
„Warum hast du mir nichts davon erzählt?", wirft eine neblige Stimme vor. Dennoch mehr Enttäuschung als Rüge wabert darin. Ich kann sie verstehen, aber gute Gründe hatte ich dafür. „Ich wollte nicht, dass durch mich die Weiterreise verzögert wird und ich wollte nicht, dass ihr denkt, ich wäre ... schwach", flüstere ich und lege eine Hand genauso sanft auf die seine. Groß ist sie und warm, so unerbittlich wie die Krallen eines Raubtieres und gleichfalls zärtlich wie eine streichelnde Feder, kann sie sein. Wie oft erlebte ich beides bereits am eigenen Leib. „Es zeugt von Stärke, wenn besonders ein Krieger sich zu seinen Schwächen bekennt. Nur so können sich seine Waffenbrüder auf diese einstellen und ihm im Kampf bestmöglich beistehen."
Verwundert blicke ich mich um, werde gefangen von diesen wundervollen Augen, die ich so sehr liebe und die mich mit einer solchen Zuneigung betrachten, dass mir ganz schwummrig wird. „Wir alle haben sie", offenbart er weiter, senkt den Blick, verbirgt ihn in den Locken, nicht in Schande, sondern, damit ich nicht sehen soll, wie dieser große Krieger leidet, nimmt man doch an, dass besonders er keine sein Eigen nennt. „Du bist die meine ... denn ich hatte heute Angst um dich ... fürchterliche. Als du an uns vorbei galoppiertest, die Augen weit aufgerissen, meinen Namen schreiend, da war es mir, als würde mein Herz elendig verenden, vergiftet von ätzender Furcht. Und ich wurde blind für das Wagnis, sah nur dich. Ich weiß, dass das was ich für dich empfinde gefährlich ist, sehr gefährlich sogar. Aber ich kann es bei allem Willen nicht unterdrücken."
Tiefer taucht er ein in die Lockenflut. Sein Atem brandet warm und feucht an die empfindliche Haut meines Halses und beschwört eine wohlige Gänsehaut herauf. Die unverhüllte Brust schmiegt sich dicht an mich. Kein Zucken der Muskeln, kein Spannen der Sehnen, kein Schlag des Herzens, das mir somit entgeht. Gewagt ist die Nähe, nicht nur ob des unerwarteten Geständnisses, dass nur schleppend die Müdigkeit des Geistes überwindet. Oh Mahal ich flehe dich an, gib ihm und mir die Kraft diesen Gefühlen (lange genug) zu trotzen, denn ich will nicht verantwortlich sein für seinen Untergang.
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