Das Land der Pferde
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„Ich glaube, Khajmel hat ein Eisen verloren!" Schon einige Zeit, nachdem wir die Boote unterhalb des Zuflusses Limklar am westlichen Ufer des Anduin verließen, bemerkte ich, dass er vorsichtiger lief und dennoch immer öfter mit der rechten Hinterhand stolperte. Seitdem überquerten wir viele Tage schon unendlich weite, grüne Meere aus Gras, die sich in sanften Hügeln aufwogen. Unterbrochen nur von Felsnasen oder Wäldchen wie einsam gelegene Inseln, an denen Wellen aus blühenden Heidekraut in buttergelb, blutrot und blassviolett schwappten.
Nur wenige kleine Ansiedlungen sahen wir und die Häuser und Gehöfte wirkten ärmlich und mitunter unbewohnt. Allerdings dafür umso öfter Pferde, die sich selbst überlassen in großen Herden unterschiedlicher Rassen umherzogen. Stattliche, wunderschöne Tiere. Groß gewachsen, stark und edel in ihrer Erscheinung. Das Fell der Rappen glänzte wie Obsidian. Das der Füchse glich feuchtem Sandstein und das Weiß der Schimmel schimmerte im Sonnenlicht so rein, dass sie sogar aus Meilen Entfernung sichtbar waren. Viele gerade erst unter der warmen Frühlingssonne geborene Fohlen hopsten umher, spielten mit den Jährlingen und neckten frech ihre Mütter. Die Leittiere trugen kennzeichnende Glöckchen aus Silber um die Hälse und ohne diese hätte man leicht annehmen können, sie wären wild.
Begründet nennt man Rohan auch das Land der Pferde und ihrer Herren.
Nicht den Weg zurück durch Lothlorien und über den Rothornpass wollte Thorin gehen, sondern dieses Mal den Gefahren und Unwegsamkeit des Nebelgebirges ausweichen und einen sehr viel sichereren, wenn auch weiteren, einschlagen. An den südlichen Ausläufern entlang über die weiten Ebenen der Pforte Rohans, will er uns führen, um dann zu stoßen auf die alte Südstraße, die uns wieder nach Tharbad bringen wird. Zwar nicht gänzlich frei von Orks und anderem Gesindel ist dieses Land, aber die Menschen die hier wohnen Freunde der Zwerge. Viele Jahre bevor wir die Ered Luin besiedelten, lebten unsere Völker in Eintracht zusammen. Hier fanden wir nach langem Umherziehen Arbeit und ernteten Respekt für geschickte Handwerkskunst. Viel gemein haben wir mit den Rohirrim was Lebensart, Tradition und Würde anbelangt, so erzählte mir Balin mit erinnernden Leuchten in den Augen.
Unser Anführer gebietet dem Zug anzuhalten, als er meine Feststellung hört und dreht sich im Sattel zu uns um. Ich blicke an Khajmel hinunter und sehe tatsächlich, dass mein Gefühl er lahme aus dem vermuteten Grund entstand. Sichtbar haben die gelösten Nägel ihre ausgefransten Löcher im Huf hinterlassen. Ich steige ab und hebe sein Bein auf, um den Schaden genauer zu betrachten. Zum Glück keine Verletzung trug er davon, denn im gemächlichen Trab sind wir geritten. Nur einige Ecken aus dem schon viel zu lange nicht beschnittenen Horn sind herausgebrochen und ein kleiner, nicht tiefer Riss spaltet ihn von einem der Nagellöcher hinunter zum Tragrand der Sohle. Mit Bedacht weiterreiten auf dem weichen Untergrund der Wiesen könnte ich ihn, zumindest bis wir die Gelegenheit bekommen, ihn neu zu beschlagen. Allerdings kann ich das Hufeisen nirgends im umliegenden Gras entdecken, denn hoch und dicht steht es und vermutlich unter eines der kriechenden Heidesträucher wurde es geschleudert.
Thorin kommt zu mir, um den Schaden aufgrund seiner Erfahrung und dem Können auch in diesem nützlichen Handwerk zu beurteilen. „Es wundert mich nicht, sein letzter Beschlag wurde von den Elben vorgenommen und die elenden Zarsuyyâb kennen sich eben weder mit Pferden noch Eisen aus." Einen für meine Stellung gefährlich die Bemerkung missbilligenden Blick werfe ich ihm zu. „Eher, dass er schon seit fast zwei Monaten auf ihnen läuft und mein Huffett unlängst zur Neige ging", entgegne ich vorlaut und verkrieche mich darüber selbst erschrocken weitersuchend zwischen dem hohen Gras, auch um seinen bestimmt gerade aufkommenden Groll über so viel an Dreistigkeit, die ich mir schamlos erlaube, zu entkommen.
Gerade tauche ich tief unter einen der stark duftenden Lorbeersträucher, da spüre und höre ich plötzlich erdbodenerzitterndes Getrampel schwer eisenbeschlagener Stiefel näherkommen. Sofort richte ich mich wieder auf und blicke hinauf zu dem kleinen Hügel, an dessen Ansatz wir stehen. „Was ist?", fragt Thorin, wohl die aufkommende Unruhe bemerkend. Ich schüttle nicht wissend den Kopf und in diesem Augenblick schwappen sie bereits über den Rücken des Höhenzugs wie eine Sturmwelle aus schwarzem Wasser. Orks. Glanzlos sind ihre Rüstungen trotz des hellen Scheins der Mittagssonne und grau und schmutzig die davon nicht bedeckte Haut.
Sofort ziehe ich mein Schwert und haste an Thorins Seite. Innerhalb eines weiteren Augenaufschlags stehen auch die anderen Krieger ihrem Prinzen schützend bei. Allerdings verbannen sie mich zusammen mit ihm in die zweite Angriffsreihe, vielleicht unbewusst, vielleicht mit Absicht. Dennoch kaum nötig ist das Aufgebot an standhaften Kriegern, denn die kleine Schar aus gerade einmal zwanzig, wenn nicht sogar weniger Orks läuft äußerst überrascht von unserem Auftauchen wirkend in die Angriffslinie. Schnell und blutig nur auf ihrer Seite werden sie besiegt. Den Anschein erweckt es unwillkürlich, dass sie uns eigentlich überhaupt nicht attackieren wollten.
„Orks die am helllichten Tag unterwegs sind", sagt Dwalin und zieht seine Axt aus einem deformierten Schädel, „sehr ungewöhnlich. Irgendetwas oder irgendwer muss sie aus ihrem Versteck getrieben haben." Und als wäre es ein Zeichen, vibriert erneut die Erde unter unseren Füßen und ein Donnern als würde ein Gewittersturm aufziehen, nähert sich schnell. Kaum uns neu positionieren konnten wir, da stürmt abermals eine Welle über die Hügelkuppe. Dieses Mal allerdings sind es Reiter. Menschen, wenn sie auch hochgewachsen erscheinen wie Elben. Ihre Rüstungen, kunstvoll aber zweckmäßig robust gefertigt aus Bronze, silber-patentiertem Messing und schwarz-gefärbtem Leder, glühen im Sonnenschein. Unter den Helmen aus denselben Materialien quellen lange, im Wind wehende Haare vergleichbarer Farbgebung hervor. Aufrecht halten sie lange Lanzen und Schwerter mit breiten Schneiden in den Händen. Ihre Pferde sind groß, muskulös und am Kopf und vereinzelt auch an den Flanken gepanzert. Schnell und gewandt bewegen sich in einer widerstandsfesten Formation auf uns zu.
Hoch heben wir unsere Waffen und begeben uns ein erneut in Angriffsposition. Freilich wenig beeindruckend wirkt dies wohl, denn nachdem sie uns erreichten, teilt sich die Einheit auf und umringt uns in zwei sich in entgegengesetzte Richtungen bewegende Kreise. Nicht mehr als die vielen, vielen Beine der Pferde kann ich sehen und trotzdem, dass sich kalte Angst meiner bemächtigt, unterdrückt sie nicht den Willen meinen Prinzen zu schützen. Sichernd mit erhobenem Schwert und zitternden Gliedern stehe ich in seinem Rücken, während die anderen verwirrenderweise recht entspannt wirken, schließlich sogar ihre Waffen sinken lassen.
Daraufhin abrupt, wie auf ein nicht zu hörendes Kommando, kommt der Aufmarsch zum Stehen. Die Pferde schnauben, wiehern und kratzen mit den beschlagenen Hufen die staubige Erde auf, während sich unzählige Speerspitzen auf uns richten. Thorin dreht sich langsam zu mir um und drückt sanft aber bestimmend die Schwerthand hinunter. „Es ist alles in Ordnung", flüstert er nahe dem Ohr, sodass niemand sonst die Zusicherung versteht. Alles in Ordnung?! Verdammt noch eins, wir werden umzingelt und bedroht und überhaupt nichts ist hier in Ordnung!
Aber nachdem ich das Schwert senkte und Thorin weiterhin mit einer Hand auf der meinen versichert es im Zaum zu halten, recken sich auch die Lanzen wieder empor. Danach öffnet sich direkt vor uns eine kleine Schneise in den undurchdringlichen Reihen. Durch sie hindurch reitet ein stolzer und edler Krieger. Sein Pferd ist schwarz wie der Nachthimmel. Zaumzeug, Sattel und Kopfschutz funkelnde Sterne aus Silberstahl und nebelgrauem Leder. In sie geprägt stilisierte Sonnen und steigende Pferdefiguren. Er selber trägt eine Rüstung, die prächtig aber auch auf eine undefinierbare Weise schlicht wirkend verziert wurde mit geschwungenen Gold- und Silberlinien und die gleichen Prägungen aufweist. Seinen das Gesicht beinahe gänzlich verbergenden Helm schmückt ein Kamm aus dem Mähnenhaar seines Pferdes, sowie rote Edelsteine, die im Wangenschutz als die Augen weiterer diesmal detailreicher Pferdeköpfe im Profil ziseliert wurden.
Thorin löst sich nicht ohne einen letzten zur Ruhe mahnenden Blick von mir und senkt ihn, um den schließlich vor uns zum Stehen kommenden Reiter zu begrüßen und ihm seine Ehre zu erweisen. „Westu hál, Folca, Sohn des Walda, lang ist es her, dass wir uns in für die Ewigkeit geschworener Freundschaft unserer beider Völker gegenüberstanden. Ich hoffe, Ihr erinnert Euch noch, wer ich bin."
Einen allzu langen Moment schweigt der Angesprochene. Dann aber, lässt er sein Schwert in die breite Scheide gleiten und nimmt den Helm ab. Hervor kommt ein durchaus hübsches, wenn auch Ernst und Kühnheit verheißendes Gesicht mit markanten Wangenknochen und Augen, in denen sich die weiten Graslandschaften seines Landes wiederfinden. Er trägt einen vollen Bart und seine Haare, die aus mattiertem Gold zu bestehen scheinen, wellen sich lang und in wenigen Flechten gebändigt über einen grünen Mantel. „Natürlich erinnere ich mich noch deiner, Thorin, Sohn des Thráin, auch wenn sich fürwahr unsere Wege lange nicht mehr kreuzten. Zuletzt zu meiner Krönungsfeier vor fast zwanzig Jahren, wenn ich mich Recht erinnere", sagt er schließlich und deutet seinen Männern die Waffen zu verstauen. Auch Thorin befiehlt uns dies mit einem beruhigenden Blick, aber dennoch mit einem kleinen Rest von Misstrauen gehorche ich. Die großen Männer auf ihren großen Pferden, die uns noch immer umstellen, tragen nicht gerade allzu viel dazu bei, mich wohler zu fühlen.
Folca steigt ab und kommt auf uns zu. Noch sehr viel herrlicher wirkt seine Rüstung, wenn man sie in schillernder Gänze betrachten kann. Eine schwere Hand lässt er zur freundschaftlichen Begrüßung auf Thorins Schulter sinken und lächelt. „Wir verfolgten gerade einige Orks, die diese Gegend unsicher machten und die entkommen konnten, als wir ihr Versteck ausräucherten. Aber wie mir scheint, haben sie sich auf ihrer feigen Flucht mit den falschen Haufen Zwerge angelegt und ihr habt uns die ganze Arbeit abgenommen." Zur Verdeutlichung stößt er einen der schlaffen Kadaver mit dem Fuß an. Angewidert verzieht er dabei das Gesicht, aber auch Genugtuung findet sich darin.
„Das stimmt. Wir wurden von ihnen überrascht, als wir Halt machen mussten, da das Pferd einer meiner ... Männer ... ein Eisen verlor", erwidert Thorin und deutet auf mich. Ehrerbietend verbeuge ich mich vor dem König Rohans und biete ihm höfflich meine Dienste an, so wie es sich schickt. Folca nickt mir diese entgegennehmend zu und beachtet dann nacheinander die anderen, die ihn ebenfalls begrüßen.
„Ihr ward auf der Durchreise?", fragt er Thorin schließlich mit forschendem Blick auf unsere Pferde, die unweit in aller Seelenruhe unberührt von dem Aufmarsch grasen. Dass wir auf dem Weg zurück nach Hause in die Blauen Berge sind, verrät ihm Thorin, aber nicht, was der Grund unserer Reise war. „Ein weiter Weg ist dies noch und auf ihm werdet ihr in der Nähe kein Gehöft finden, um eure Pferde neu zu beschlagen", erklärt Folca mit nachdenklich in westliche Ferne schweifenden Blick. „Begleitet uns daher nach Edoras. Dort könnt ihr euch so lange ihr möchtet ausruhen, die Pferde versorgen und dann gestärkt weiterziehen. Seit ewigen Zeiten schon hörte man in der Goldenen Halle keine Zwergengeschichte mehr."
Nicht lange muss Thorin diesen Vorschlag überdenken. Und so brechen wir begleitet von einer Schar Reiter, die sich in ihrer eigenen Sprache stolz Éored nennen, in Richtung ihrer Hauptstadt auf.
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Zarsuyyâb - Baumkrabbler (Khuzdûl)
Westu hál. - Seid gegrüßt. (Rohirrisch)
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