Bös ist das, was dort lauert in der Dunkelheit
Schwebend wie frühmorgendliche Nebelschleier tanzt die Gestalt durch die Dunkelheit. Verschwindet hinter Bäumen. Ist einmal hier ... einmal dort. So wie ein Geist oder Irrwisch. „Wer da?", fragt Thorin brummend und präsentiert bedrohend das Schwert. Dwalin und ich flankieren unseren Prinzen ebenso kampfbereit und einschüchternd. Niemand sollte einer Schar wehrhafter Zwerge, und besteht sie auch nur aus drei, zu nahekommen. Die Gestalt verweilt daraufhin, antwortet aber nicht. „Freund oder Feind, wer lauert dort im Dunkeln?", will Thorin erneut wissen, jetzt schon deutlich missgestimmter. Gefährlich und hart klingt seine Stimme, geradeso als würde geschmolzenes Eisen sie langsam abkühlend ummanteln. Niemals zuvor erschien mir sein Tonfall so gefühllos, so unheimlich, so voller Verheerung. Dennoch schenkt er Mut und Stärke. Die Gaben eines Anführers. Hingegen, noch immer gibt die Gestalt keine Antwort.
Aber plötzlich frischt der Wind auf, rauscht durch die Wipfel, reißt an Grashalmen, Schilfrohren, Weidenruten, unseren Haaren und Gewändern und bringt Kälte, so grausig-schneidend wie die eines Grabes es nur sein kann mit sich. Dunkle Wolken schieben sich zwischen das Licht des Mondes, der Sterne und die Welt und tauchen diese in albtraumheraufbeschwörende Schwärze. Innerhalb von Sekunden verging die Leichtigkeit, die das Lied der Tavari in unseren Herzen zauberte. Verendete unter der brutalen Macht erneuter Unruhe und bedrückender Schrecken.
Wir starren auf den noch immer verweilenden Nebelschatten, der gänzlich unberührt von Kälte und Wind scheint. Das weiche Leder meiner Handschuhe knarzt, als ich die Finger fester um das Heft lege. Und dann beschleicht mich der Verdacht, dass die plötzliche bluterstarrende Kälte des Todes die ich schon einmal früher an diesem Tag voller Schauder spüren musste, nicht dem Sturm verschuldet ist und ich will die anderen warnen. Da tritt plötzlich sie aus dem Dunkel.
Unerwartet wunderschön. Kaum zu beschreiben mit bebildernden Umschreibungen in ihrer Herrlichkeit. Trotz des Fehlens von Licht, das darauf fallen könnte, glänzen ihre Haare als wären sie fein gesponnene Silberfäden. Glatt und annähernd bodenlang. Die funkelnden Augen eisig-blau, weit aufgerissen, fokussiert und stechend wie die Kühle, die sie brachte. Die Haut der unter wehenden dunklen Stoffen hervorblitzenden zierlichen Glieder so weiß, dass sie durchsichtig wirkt und das Blut in den oberflächennahen Adern blau hindurchschimmert. Die Rundungen des Körpers wohlgestaltet-weiblich, werden freigiebig mit viel Stolz gezeigt. Das schmale Gesichtchen fein und voller begieriger Sehnsucht und begehrlicher Schönheit. Leicht geöffnet sind die blassen Lippen, aber dennoch bleibt sie weiterhin stumm.
Thorin neben mir hebt sein Schwert höher, stabilisiert den kampfbereiten Stand. Plötzliche Unruhe strahlt er aus. Sie zittert und bebt, bringt das Blut zum Schäumen und macht den Kopf ganz leer. „Thorin, was ist das?", will Dwalin wissen. Unzweifelhaft bemerkte auch er das besorgte Herzklopfen unseres Anführers. Angst will ich es nicht nennen. Angst liegt ihm fern. Angst ist ein Gefühl, dass er sich und uns nicht zugesteht. Angst bedeutet Schwäche. Schwäche, die kein Zwergenkrieger haben darf.
Allerdings nur Angst fühlt sich so fürchterlich an.
„Eine Bruxa", murmelt er tonlos, als sei allein das Nennen dieses Wesens beim Namen voller düsteren Grauen und biete ihr einen Grund anzugreifen. „Eine Kreatur der alten Zeit ... ein Uvanimor, eine Dienerin des Bösen. Lieblich anzusehen und hassenswert zugleich." Ein Schauer, kälter noch als ihre Aura, überzieht meinen Körper. Es gibt derer die die Unschönen genannt werden nicht mehr viele auf dieser Welt, denn allein die Mächtigsten überlebten den Fall ihres Herren und entzogen sich der gemeinsamen Verbannung durch die siegreichen Valar. Vermodert bis auf den tiefsten Grund sind ihre einst so reinen Seelen durch Habgier, Neid und Arglist. Schwarz wie die dunkelste Nacht obwohl sie vor langer, langer Zeit, als die Welt noch nicht aus heiligem Klang geboren wurde, dem Licht entsprangen. Jedoch voller Zorn und Abscheulichkeiten, die sich an sie hafteten wie Parasiten. Wenig können wir ausrichten gegen eine solch alte Bosheit, das weiß Thorin. Aber dennoch, Verzweiflung und Bestrebungen zur Flucht sind abgängig im Herzen eines Zwerges.
Die Bruxa legt den Kopf schief und lächelt zart. Augenscheinlich genießt sie das allzu laute Herzklopfen ihrer Opfer. Ihr gefällt das was allein ihr Erscheinen bewirkt. Vermutlich selten bot sie ihr in den letzten Zeitaltern die Gelegenheit dazu. Sie setzt einen zierlichen, baren Fuß vor den anderen, scheint anmutig über das Gras der Lichtung zu schweben, eher wie eine Faie, denn ein Ungeheuer. Im Halbkreis vom Saum des Waldes her, unweit des Ufers entlang schreitend, nähert sie sich langsam. Als wäre sie ein Tier auf Beutezug. Ein gefährliches, gefräßiges Tier, dessen Hunger unstillbar an den Eingeweiden zieht und einen Jagderfolg unabdingbar macht. Wie der seidene Schleier einer Braut wehen ihre Haare im Wind. Ihr Blick ist starr und kühl. Wir folgen ihr mit den Augen, es nicht wagend, auch nur einen weiteren Muskel zu bewegen. Jede Veränderung könnte einen Angriff provozieren. Eine Schwachstelle offenbaren. Die Jagdlust überdies steigern.
„Wenn sie sich verwandelt, müssen wir schnell sein und kein Entsetzen zeigen", warnt Thorin flüsternd und ich frage mich, was er damit meint. In was verwandeln? Aber noch während ich darüber sinniere, erreicht die Bruxa die alte Weide und für einen kurzen Moment nur verlieren wir sie aus den Augen, als der breite Stamm sie verbirgt. Wir nutzen die Gelegenheit und positionieren uns neu, dieses Mal so, dass Dwalin und ich leicht versetzt vor Thorin stehen. Unser Auftrag ist es, unseren Herren zu schützen, ungeachtet der Schrecklich- und drohenden Unbesiegbarkeit der gegenüberstehenden Gefahr.
Aber mit einer solchen die sich schließlich zeigt, rechnete ich bei aller Fantasie nicht. Eine die eben noch so herrliche Schönheit verunstaltende Monstrosität zeichnet das Angesicht der Bruxa. Das wundervolle Kleid hängt zerfleddert und vermodert an ihr. Die dadurch überreichlich zusehende Haut ist leichenfahl, narbig, wirkt so dünn und knittrig wie uraltes Papier und löst sich stellenweise von dem ausgemergelten Körper, sodass darunter das nackte aber befremdlich blutleere Fleisch zu sehen ist. Aus ihren deformierten, krummen Fingern sprießen rote Krallen. Die Haare sind noch immer schleierhaft lang, aber hängen ihr nun pechschwarz und wirr in verfilzten Strähnen vom knochigen Kopf. Und ihr Gesicht ... bei Mahal ... selbst die Missgestalt des Grabunholdes wirkte dagegen lieblich. Eingefallene Wangen. Eine knorpellose Nase durch die man ungehindert in das Innere des Schädels blicken kann. Farblose Augen die dennoch jagdwild-hungrig funkeln und aus ihnen läuft Blut in breiten Rinnsalen. Feuerrotes Blut, das wohl von ihren Opfern stammt. Denn genauso damit besudelt ist der weit aufgerissene Mund der eine einzige Aneinanderreihung von nadelspitzen Zähnen beinhaltet. Beinahe wieder faszinierend-schön ist sie in ihrer schauderhaften Hässlichkeit.
Ich weiche zurück, obwohl ich es nicht dürfte. Angst wie verfluche ich dich und dein Einwirken auf meinen Schwur. Die Bruxa lächelt grimassenhaft verzerrt und wendet sich mir in einer abgehackten Bewegung zu. Furcht ist Nahrung für das Böse dieser Welt. Sie bietet dem Angreifer die Chance zum Sieg, zeigt ihm Schwächen und Fehler nur allzu offensichtlich und damit verderbenbringend. Aber kaum besinne ich mich dieses gefährlichen Verstoßes, den ich trotz der eindringlichen Mahnung beging, greift sie bereits an.
Nicht mich. Nicht die Schwächste. Nicht das verängstigte kleine Mädchen. Sondern Thorin - unseren Prinzen, unsere Hoffnung, den Nehmer unseres Schwurs. Schnell ist sie. Zu schnell, selbst für mich. Aber kurz bevor sie ihn erreicht, um seinen Körper gnadenlos zu zerfleischen, tritt Dwalin vor und schlägt ihr mit der Axt einen der langen begehrenden Arme ab. Sie springt zurück. Blut spritzt trotz des verfaulenden Wesens aus der Wunde und verschmutzt das Grün des Grases, verätzt es sogar zu dampfenden, grauen Schlamm. Laut ist ihr Jaulen und wütend das Fauchen, als wäre sie eine verletzte Katze, der man bedrohlich zu nahekommt. Die Kakofonie der Entrüstung darüber wie wir es wagen können sie anzugreifen bringt mich schließlich zur Besinnung. Löst Angst und Zweifel an einer Chance. Verwundbar ist sie. Nicht unbesiegbar, wie wir annahmen, und ich hebe mein Schwert, umfasse das kühle Heft fester, beschwöre die Kraft der sich auf der Waffe befindlichen Runen herauf, die in Liebe und Stolz aufgebracht wurden, um mir die benötigte Stärke und den Mut in der Verzweiflung eines Gefechts zu verleihen.
„Du Bekâr!", befiehlt Thorin und wir stürmen auf das Ungeheuer zu, aber trotz der Verletzung ist sie noch immer schnell und gewandt, nun vorsichtiger in ihrer Jagdlust und oh so wütend. Flink weicht sie uns aus, duckt sich mit einer beachtlichen Beweglichkeit unter den Schwerthieben hinweg, springt und dreht sich, kriecht nah am Boden krauchend wie eine riesige Spinne, sodass wir, wenn überhaupt, nur Strähnen ihrer Haare treffen.
Erschöpfend ist der Kampf, obwohl wir zu dritt sind. Schwer wird das Schwert in meiner Hand. Mühevoll jedes erneute Heben, Ausholen und Schlagen. Dwalin bemerkt die Schwäche und eilt unterstützend an meine Seite. Wenig hingegen sieht man ihm die Strapazen an, denn noch immer ist sein Griff stark genug um die beiden Äxte mit offenkundiger Leichtigkeit zu schwingen. Wenig nützt das harte Training, wenn die Erfahrungen aus Schlachten fehlen. „Bleib hinter mir!", befiehlt er geradezu und noch breiter als ohnehin bereits scheint sein schützender Rücken zu werden, als er sich vor mich schiebt.
Dennoch bemerkt die Bruxa die Schwäche und wendet sich mit einem tiefen Gurgeln, das wohl ein vergnügtes Lachen sein soll, von Thorin ab, den sie gerade erneut angreifen wollte. Geduckt auf allen vieren rennend rast sie auf uns zu und trotz der eben noch so niederdrückenden Erschöpfung halte ich mit Dwalins Unterstützung ihren Angriffen erstaunlich hartnäckig stand. Sie faucht erneut wütend, als sie die Schwäche schwinden fühlt. Aber dann wage ich mich zu nahe an die alte Weide heran, erinnere mich nicht mehr ihrer Hinterlist und werde heimtückisch von ihr mit einer plötzlich aus dem Boden schießenden Wurzel zu Fall gebracht. Sofort ist das Monster über mir, aber mein Schwertarm, der sich geistesgegenwärtig zwischen uns schiebt, ist stark und hindert sie daran mich sofort zu verschlingen. Ihre Zähne treffen dennoch gefährlich nah an meinem Gesicht aufeinander. Nach Verwesung und gerinnendem, mit Eiter vermischten Blut stinkt ihr Atem und ich unterdrücke ein Würgen, als ich versuche sie weiterhin mit aller Kraft die mir Mahal und Dwalins Training verliehen abzuwehren.
„So jung ... so zart ... so unschuldig rein ... der Geschmack einer Jungfrau ist mit Nichts Irdischen vergleichbar", zischt sie mit kehliger Stimme, die aus einer fernen und düsteren Welt jenseits dieser zu kommen scheint, und ich erschaudere heftig, als ihr Klang tiefgründig in die Glieder fährt. Schon einmal voraussagte man dies in freudiger Erwartung eines genüsslichen Mahls an meinem Körper. Herzog Storr wählte diese Worte einst und das furchtbare Entsetzen, das die Erinnerung an ihn in meinem Blick erwirkt und den Mut sinken lässt, scheint der Bruxa zu gefallen, denn ein verzerrtes Lächeln schleicht sie auf die blutigen Lippen. Gelbe Zähne blitzen auf, spitz und lang. Die Reißzähne eines Wolfes. Mehr noch. Ihre entstellten Gesichtszüge beginnen plötzlich zu zucken. Unkontrolliert erscheinend, aber schließlich schmilzt die Hässlichkeit zu einer undefinierbaren Masse zusammen und verwandelt sich in das grausige Angesicht meines einstigen Peinigers. Die Narben, die sein Gesicht verunstalten, sind tief und weiß und sein Atem, dessen ekelerregender Geruch mir noch allzu präsent ist, brennt unangenehm auf der Haut. Ich merke, wie meine Kraft unter der Angst, die noch schrecklicher ist als die vor allen widerwärtigen Geschöpfen dieser Welt, schnell schwindet. Schwerer drückt der Körper auf meinen Arm, näher kommen die unerbittlichen Zähne und erneut befürchte ich den unehrenhaften Gang zu den Seelen meiner Vorfahren, die in Mandos' Hallen auf mich warten, als ihr Gewicht plötzlich von mir genommen wird.
Thorin traf sie mit seinem Schwert. Versenkte es gründlich in ihre Seite und hätte sie wohl mit der Wucht des Angriffes zerschlagen können, wäre sie nicht als sie ihn kommen sah, wie auch immer ihr dies gelang, entflohen. Sie kauert dicht am Boden wie ein aufgebrachtes Tier, zischt und faucht mit weit offenem Mund aus dem Geifer und Blut spritzt, nun wieder in ihre hässliche Gestalt zurückverwandelt. Wie froh bin ich darüber, obwohl ich es nicht sein sollte.
Dwalin hilft mir auf, während Thorin langsam auf die Bruxa zugeht. Bereit zum erneuten Angriff, bereit die momentane Schwäche der frischen Verletzung auszunutzen. Aufrecht, kampfbereit, verwundet zwar, schmutzig und heiß blutend, aber dennoch das hell-strahlende Abbild eines Kriegers aus alten Sagen und Liedern. Aber ich weiß tief in meinem Herzen, dass wir dieses Geschöpf der Dunkelheit trotz allen Mutes und Kampfkräften niemals mit alleiniger Waffengewalt besiegen können und will meinen Herren warnen, ihm zurufen er soll Absehen von einem Angriff, als die Bruxa bereits zu ihrem ansetzt.
Schnell ist sie noch immer. Zu unerwartet für Thorin der zwar damit rechnete, aber dennoch überrascht von der Stärke und erbitterten Entschlossenheit ist. Sie greift mit nadelspitzen Krallen nach ihm, bohrt sie tief in die Haut, hält ihn mit dem verbliebenen Arm fest umschlungen, reißt an den Haaren seinen Kopf zur Seite und will ungeachtet der hohen und verzweifelnden Schreie von Dwalin und mir ihre Zähne in den nun ungeschützt freiliegenden Hals versenken.
~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
Du Bekâr! – Zu den Waffen!
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro