Bittersüße Heimkehr
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Ich wage es nicht, den Blick zu heben, während wir an diesem frühen Morgen durch die regenüberströmten Vorlande der Ered Luin reiten. Viel zu viel (Ehr)furcht habe ich vor dem Anblick. Insgeheim träumte ich seit Beginn unserer Reise von diesen Moment. Hoffend auf glückliche Rückkehr. Fantasierend davon wie wunderbar und ergreifend es sein wird, wenn wir König Thráin tatsächlich finden und seinem Volk zurückbringen. Aber nun, da wir heimkehren ohne ihn, umgibt uns ein düsterer Schatten der das aufregende, kribbelnde Gefühl der Vorfreude auf die vertrauten Hallen und lieben Freunde dämpft. Wenige Stunden noch und wir durchreiten die Schlucht, die uns zum Eingangstor leiten wird. Von den hoch gelegenen Wachposten aus werden sie uns kommen sehen. Rufen: „Sie kehren zurück! Hört ihr, Prinz Thorin uns sein Gefolge kehrt zurück!" Laut und freudig wird die Kunde durch die Hallen schallen und alle werden sie herbeiströmen, um uns überglücklich zu begrüßen. Und dann werden sie begreifen, dass wir versagten. Ohne ihren König zurückkehrten, ihn nicht fanden ... und verzweifeln an der zerstörten Hoffnung.
„Seht, dort drüben erscheint ein Regenbogen über den Bergen!" Balins begeisterter Ausruf lässt mich schließlich doch aufsehen. Der Sommerregenguss zog weiter Richtung Westen, entlädt seine Massen gerade in einem dichten Vorhang hinter den Gipfeln der Ered Luin. Die rot-gelb-orange aufgehende Sonne lässt ihre Strahlen wie schnurgerade Speere die nur noch vereinzelt dunklen Wolken durchbrechen und auf ihn fallen. Es ist diese Konstellation von Licht und Wasser, die dies Spektakel hervorzaubert. Einen Regenbogen, so wunderschön und farbenprächtig, wie ich noch nie einen sah. Weit und voll spannt er sich zwischen den höchsten Gipfeln, und wenn mich nicht alles täuscht, liegt der Eingang zu den Blauen Hallen genau unter seinem gebogenen Zentrum. Eine Prophezeiung ist es, ein gutes Zeichen, unter der unsere Rückkehr steht. Denn einst erschuf der große Jäger Orome die Brücke des Himmels, indem er ein in den Glanz des Goldbaumes Laurelin getauchtes und von ihr zu einer unermesslich langen Schnur gesponnenes Haar der Valier Vána zwischen den höchsten Gipfeln an den Säumen Ardas, Taniquetil und Kalorme, spannte. Ilweran wird sie von den Elben genannt. Razkhfakak in unserer Sprache. Immer wenn die Valar in ihrer schmerzlichen Sehnsucht nach ihrer Schöpfung und den Kindern Ilúvatars Mittelerde betreten wollen, wirft Orome die Brücke erneut aus. Aber nur wenn Regen auf sie fällt und Sonnenlicht sich bricht in den Tausenden kleinen verharrenden Tropfen, erscheint sie uns als zauberprächtiger Regenbogen.
Leichter wird mir ums Herz bei seinem Anblick. Verflogen ist plötzlich die Sorge um die schmachvolle Rückkehr. In meinem Glauben ist es Äule, unser edelmütiger Schöpfer, der uns von dort oben beobachtet und Mut herab senden möchte. Ich sehe ihn vor mir, obwohl noch niemand außer die Altvorderen ihn leibhaftig erblickten. Groß ist er in allem. Stattlich und kräftig. Ein langer Bart und schwarze Haare rahmen ein strenges, väterliches Gesicht und das feurige Rot seiner Augen findet sich auf den edlen Gewändern und glänzenden Rüstungsteilen wieder, die mit dem Wappen einer Esse verziert sind. Kein Zentimeter seines Körpers nicht von sehnigen Muskeln auserlesen und perfekt definiert. Ein unzerstörbarer Felsen oder bronzene Statue, durch Zauberei zum Leben erwacht.
„Mahal stellt unsere Wiederkehr unter seinen Schutz", sagt Balin mit verständlich ehrfurchtsvoll-zitternder Stimme. Wir alle spüren es, dieses ‚Über uns Wachen', deutlicher noch als sonst, denn zweifelsfrei immer hält er seine hütende Hand über seine Kinder. Gut fühlt es sich an. Stärke spendet es und Zuversicht. Verzweiflung wird weiterhin bestehen, aber nicht mehr alles, was wir hoffen, zerstört sie.
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Einst als wir abreisten, standen die Kirsch- und Apfelbäume, die den Weg hin zum Berg säumen in voller prächtiger Blüte. Nun, über ein Jahr später, tragen sie reife Früchte. Auf den Feldern arbeiten die Bauern. Kartoffeln und Korn und Rüben stapeln sich hoch auf den Karren, die von riesigen Ochsen mit beeindruckenden Hörnern gezogen werden. Eine gute Ernte verspricht der Ertrag bereits um diese frühe Jahreszeit. Blumenteppiche in schillernden Farben liegen auf den grasgrünen Wiesen. Auf der Kuppe des kleinen Hügels, über den wir einst diese Landschaft verließen, blieben wir stehen. Lassen den Blick schweifen über das, was vor uns liegt. Am nahen, strahlendblauen Horizont ragt das Blaue Gebirge in all seiner beeindruckenden Pracht auf. Kein Schnee bedeckt die Gipfel. Ein gepflasterter Pfad schlängelt sich bis an seinen Fuß. Nicht mehr von den Strahlen der hinter ihnen in rot untergehenden Sonne erreicht liegt die Schlucht, in der er mündet und durch die wir reiten müssen, um zum Eingangstor zu gelangen. Oh Heimat, wie sehr vermisste ich dich doch.
Ich blicke hinüber zu Thorin und nur einen Moment lang, denke ich zu sehen, wie im letzten Licht des Tages das auf sein Antlitz fällt, Rührung über diesen Anblick in seinen Augen glänzt. Heimat ist es gleichermaßen für ihn, wenn auch nicht die einzige. Ein Exil nur, in dem er sich dünkt. Liegt doch seine wirkliche am anderen Ende der Welt und verschüttet unter von spitzen Drachenklauen zum Einsturz gebrachten Trümmern. Nah kamen wir ihr während der Reise, aber unerreichbar bleibt sie wohl noch auf lange, lange Zeit.
Langsam setzten wir uns in Bewegung, das Gras unter den Hufen der Pferde feucht vom vergangenen Regenguss und daher glitschig. Schnell kommen wir erst wieder auf der befestigten Straße voran. Die Bauern blicken von ihrer Arbeit auf, wischen sich mit schmutzigen Hemdsärmeln den Schweiß von den Stirnen und schirmen den Schein der tief stehenden Sonne mit den Händen ab. Als ihnen gewahr wird, wer dort in Richtung Berg reitet, beginnen sie miteinander zu murmeln, ganz so, als wäre unser Erscheinen nach so langer Zeit unbegreiflich. Tief verbeugen sie sich, während wir vorbeireiten.
Mächtig hoch ragen die Hänge der Schlucht auf. Früher erschienen sie mir imposant, als das Gewaltigste, was ich wohl jemals sah und sehen werde. Heute allerdings feststelle ich, kleinwinzig sind sie im Vergleich zu den Berghängen des Nebelgebirges. Niedriger sogar noch als die, die Helms Klamm umschließen. Dennoch Schutz bieten sie, denn schmal ist der Gang durch sie hindurch und gut behütet. Überall in Felsspalten und auf Vorsprüngen sind Wachen positioniert und so dauert es nicht lange, bis uns die ersten von ihnen entdecken. Ein Rufhorn erschallt. Tief und voll ist sein Klang. Dann ein weiteres. Rufe erschallen und verhallen in der Ferne. Letztendlich erreicht die Kunde unserer Ankunft den Berg, noch bevor wir das Eingangstor überhaupt sehen können.
Eine Wegbiegung noch und wir sind dort. Aufregung macht sich kribbelnd in mir breit. Khajmel bemerkt sie und wird ebenfalls unruhiger. Kaum mit straffen Zügeln bändigen kann ich seinen Drang, endlich den heimischen Stall zu erreichen. Aber dann hält Thorin an der Spitze reitend plötzlich inne. Einige Augenblicke verweilt er stumm und seine die Vorfreude dämpfenden Zweifel übertragen sich auf uns. Die erste Ungewissheit von vielen, die er auf seinem Weg noch gehen muss, liegt direkt vor ihm.
Dann aber, dreht er sich im Sattel um und betrachtet einen jeden von uns genau. Weiterhin stumm, jedoch viel, oh so viel und oh so bedeutungsvolles verkündet sein Blick. Stolz. Anerkennung. Ehrerbietung. Dankbarkeit. Einen langen Weg legten wir gemeinsam zurück. Allerlei erlebten wir. Etliches sahen wir. Und auch wenn es kein glückliches Ende nahm, so ist es doch eine Rückkehr ohne neuerliche Trauer. Ich lächle und senke den Blick. Dwalin, Balin und Oin ebenfalls. Wohl das letzte Mal für lange Zeit bezeugen wir die Verbundenheit unserer Gemeinschaft. Sie wuchs höher als die Hänge der Schlucht und auf ewig wird sie mir im Herzen lieb bleiben.
Das gewaltige Tor aus Stahl, Holz und Stein, auf dem die Silhouette des Gebirges und geometrische Formen in Gold geprägt wurden, öffnet sich lautlos für uns. Drinnen ist es hell. Die Adern des blauen Gesteins wie klare Flüsse in den Wänden der großen Eingangshalle. Ein Geruch strömt aus den abgehenden Gängen, der wohl einmalig in seiner Güte ist. Zusammengesetzt aus dem Staub der Kohleminen, dem geschmolzenen Eisen in den Hochöfen, dem Feuer in den Schmieden und den Zwergen, die hier wohnen, verheißt er Leben ... Arbeit ... Heimat. Geräusche quellen gleichermaßen aus ihnen hervor. Murmelnde Stimmen, das Schlagen von Hämmern, laute Rufe, ganz dezent darunter verborgen Gesang, obwohl er aus den Tiefen des Berges zu kommen scheint. Erst jetzt wird mir bewusst, wie sehr ich mich nach dies allem sehnte.
Von heraneilenden Wachsoldaten werden die Pferde festgehalten, damit wir absteigen können. Der Stein unter meinen Füßen fühlt sich vertraut an. Auch seine Beschaffenheit und stetige Wärme ist unvergleichlich. „Willkommen zurück, Hoheit", begrüßt uns der ranghöchste Offizier der Torwache, „wir schickten bereits nach der Herrin." Thorin nickt dankend, aber ich sehe ihm an, dass es ihm lieber gewesen wäre, diese Begegnung so lange wie möglich aufzuschieben.
Einige Zeit bedarf es um von dem herrschaftlichen Distrikt bis hierher zu kommen, Dís allerdings schafft es innerhalb weniger Minuten. Sichtlich außer Atem ist sie, ein paar Goldsträhnen lösten sich in der Hast aus der hochgesteckten Frisur, und wird begleitet von ihrem Gemahl. Als wir sie erblicken, kann ich bei allem Willen nicht verhindern, dass mir Tränen in den Augen aufsteigen. Kaum hat sie sich verändert. Wunderschön ist sie noch immer. Würdevoll und edel. Aber dennoch, eines wandelte sich an ihr. Größer scheint sie zu sein, trotzend der Last über den Berg zu regieren an ihr gewachsen.
Kurz verharrt sie unter dem goldverzierten Bogen, die Lippen zitternd, die Augen glänzend und weit. Und dann stürmt sie auf ihren Bruder zu, der sie in empfangene Arme schließt. Gedämpft durch den Stoff seines Mantels höre ich ihr Schluchzen und nun kann auch ich nicht mehr die Tränen der Wiedersehensfreude zurückhalten. Allerdings still perlen sie meine Wangen hinab. Dís' Hände krallen sich in das zerschlissene Leder und Thorin legt den Kopf auf ihre Schulter, drückt sie noch inniger an sich. „Nun'anu'", flüstert er und wohl nur uns die ihm so nahe stehen, fällt das verräterische Zittern der Stimme dabei auf.
Schließlich lösen sie sich wieder voneinander. Dís streicht sanft über den Bart ihres Bruders, berührt dabei vermutlich nicht unbeabsichtigt die zwei kleinen königsblauen Perlen in ihm. Schon längst wird sie erfasst haben, dass wir ohne den Gesuchten zurückkehrten und weniger schmerzlich als befürchtet, scheint ihre Trauer darüber. Oder vermag sie sie hier in aller Öffentlichkeit genauso gut zu verstecken wie ihr Bruder?
Sie wendet sich schließlich uns anderen zu. Lässt den Blick schweifen zu jeden, nickt empfangend und wenn auch die Begrüßung nicht körperlich ist, so ist sie dennoch herzlich. Jedoch als sie mich als Letztes wie es mir zusteht betrachtet, wandelt sich unversehens ihr reserviertes Antlitz. „Oh bei Mahal, Astâ, sieh dich nur an", sagt sie und kommt auf mich zu. Ich verbeuge mich sofort, so wie es sich gehört. „Mädchen wie bist du groß geworden." Liebevoll ist die Hand, die durch eine Berührung an der Schulter erlaubt wieder aufzublicken.
Ich lächle verschüchtert und bin nicht darauf vorbereitet, wie mütterlich sich ihre Finger an meiner Wange anfühlen. Sanft verbannt sie die Feuchtigkeit der Tränen von ihr. Nicht verhindern kann ich, dass beständig neue hinzukommen und die Bemühungen zunichtemachen. Wie vermisste ich sie doch. Eingestehen wollte ich es mir nie, steht es mir doch nicht zu, meine Herrin und eine Prinzessin noch dazu, in solch einer Weise lieb zu gewinnen. Aber zurückweisen konnte ich dieses Gefühl dennoch nicht.
Langsam hole ich den Runenstein aus der Innentasche meines Mantels. Schwer wiegt er in der Hand und wunderhübsch glitzern die blau-grünen Einschlüsse des Labradorits. „Ich brachte ihn Euch zurück, Hoheit", flüstere ich mit belegter Stimme. Dís betrachtet den Stein lange. Schließt die Augen. Schaut wieder auf und legt ihre Hand um die meine. „Niemals zweifelte ich daran."
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Nun'anu' – kleine Schwester
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