Beichten heißt den Irrtum zu erkennen
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„... Ich kann euch nicht bescheiden, was seither geschah. Als dass man Fraun und Ritter immer weinen sah, dazu die edeln Knechte um lieber Freunde Tod. Hier hat die Mär' ein Ende ... das ist die Nibelungennot ..." Abschließend und wie immer mit traurigen Herzen, da es endete, klappe ich das Buch auf meinem Schoß zu und streiche ehrfürchtig über den abgegriffenen Einband. Faszinierend und sagenhaft war die Geschichte. Gefährliche Drachen und gewiefte Zwerge und Schätze, die jeglicher Vorstellungskraft entsagten. Zauberdinge die den furchtlosen Helden voller Mut und List unsichtbar machten oder ihm enorme Kräfte verliehen, treue Gefolgsmänner und eine Liebe, so stark, dass sie sogar über den Tod hinausging. Aber als ich wie immer eine analysierende Diskussion erwartend zu Thorin aufschaue, bemerke ich, dass er anscheinend noch nicht einmal bemerkte, dass ich aufhörte. Tief versunken in womöglich trübe Gedanken starrt er in die Flammen. Die Haltung müde, zusammengesackt, und das Antlitz düster überschattet von Sorge und ja bislang ihm und mir fremder Furcht.
Zehn Monate ist es jetzt bereits her, dass er Nachricht von seinem Vater erhielt und noch sehr viel länger ich eine solche von Dwalin. Er berichtete mir zwar, dass die Überquerung des Nebelgebirges einzig von eiskalten Stürmen und langen Nächten behindert wurde, aber die Gemeinschaft um den König dennoch planmäßig das Schattenbachtal erreichte. Und so wie ich befürchtete, erwartete sie dort Kummer und Schmerz, dennoch so grausam und quälend, wie ich ihn mir nicht vorzustellen vermochte. Das Tal; einst wunderschön, grün und fruchtbar; eröffnete sich ihnen als karge Landschaft ohne Leben und Sonnenschein. Um die Körper der unzähligen vor den Toren Khazad-Dûms gefallenen Zwergenkrieger zu bestatten, rodeten die Hinterbliebenen die saftig-grünen Wälder unweit des magischen und legendenumwobenen Spiegelsees und entfachten damit hell und heiß lodernde Scheiterhaufen. Gegen den Brauch unseres Volkes, denn wenn wir sterben, kehren wir zu dem Stein zurück aus dem wir einst von dem großen Valar Aule; den, den wir Mahal nennen; geschaffen wurden. Tränen, Blut und Ruß durchdrangen die Erde noch immer und machten sie unfruchtbar. Die Sonne versteckte sich hinter regenschweren Wolken, so als schäme sie sich ihrer Helligkeit an diesem trauervollen Ort. Zurückgelassene Rüstungen, Äxte und Schwerter wurden selbst nach all den Jahrzehnten nur spärlich unter Staub und knochigen Gestrüpp verborgen. Zeugten noch immer von dem Kampf und daraus geborenen Verlust.
Aber noch mehr als die Erinnerungen die alle teilten, schmerzte zusätzlich die Tatsache, dass die einzigen traditionell angelegten Gräber unweit des umgestürzten Stein Durins entehrt wurden. Dwalin schrieb unter noch immer allzu verräterisch schwach sichtbaren auf das Papier gefallenen Tränen, dass Thráin trotz aller willensstarken Herrschaftlichkeit vor der zerschlagenen und mit geschmierten Schandzeichen besudelten Felsplatte seines jüngsten Sohnes Frerin zusammenbrach. Er verfluchte die Orks und betete zu Mahal, dass er sie strafen und über seinen geliebten dashtith wachen soll, ihn beschützen soll in den endlosen und ewigen Hallen Mandos'. Auch die Gräber seines und Balins Vater Fundin, sowie des großen Herrschers der Eisenberge Náin wurden abscheulich entwürdigt und die Rache, die sie an einer später zufällig getroffenen kleinen Grupp Orks nahmen gnadenlos und blutig. Aber dennoch brachte sie weder Trost noch Genugtuung.
„Herr ...", versuche ich Thorin den lichtlosen Gedanken, die sich um ihn schlingen wie erbarmungslose Klauen, zu entreißen. Vergeblich. „Hoheit ... bitte." Erst als es anscheinend dem herzzerreißend-flehenden Unterton gelingt die Schatten der Beklemmung zu durchdringen, richtet sich die Besorgtheit auf mich. Verwundert blinzelnd und bekümmert über ihn sieht er mich an, die Augen trüb und die Einschlüsse darin das klare Blau so schändend wie bislang niemals wahrgenommen. „Verzeih, dass ich dir nicht meine Aufmerksamkeit schenkte ... ich war abwesend", entschuldigt er sich sofort, aber ich schüttle abwehrend den Kopf und widerspreche nur mit aller größter Beherrschung den klagenden Drang ihn in eine tröstende Umarmung zu schließen. „Ich weiß, bei wem Eure Gedanken verweilen", sage ich daher lediglich mitfühlend und verschweige, dass auch meine ihnen beständig folgen und gelten. Als zu gütig begegnete mir König Thráin, als zu ja beinahe väterlich Balin und Dwalins Freundschaft und die Gespräche vermisse ich unvermutet und verwirrend schmerzlich.
Erneut bannt Thorin mit nachdenklichem Blick die knisternden Flammen und fährt sich müde mit beiden Händen über das von Erschöpfung und Unruhe gezeichnete Gesicht. „Der letzte Rabe erreichte uns mit der Nachricht, dass sie die Pforte von Rohan durchquert haben und oberhalb der Großen Wasserfälle von Rauros über den Anduin setzten wollen. Viele Gefahren lauern in den ufernahen Wäldern und die kargen Braunen Lande dahinter bieten kaum Schutz vor Feinden." Ich schlucke hart den sich ob seiner mit schwerer Pein beladenen Stimme bildenden Kloß in meinem Hals herunter. Wenn er wüsste, dass dies nur eine Irreführung ist, welch Wagnisse sie bereits auf ihren Weg durchschritten und welche Route sie stattdessen nehmen wollen. Eine noch viel riskantere und unheilvollere, nahe einer düsteren und hinterhältigen Gefahr, die allerdings den einzigen Weg darstellt, um zum eigentlichen Ziel zu gelangen.
Unwillentlich seufze ich schwermütig auf und ziehe somit seine Aufmerksamkeit erneut auf mich. Tiefgründig und intensiv ist der Augenkontakt, so als würde er in meine Gedankengänge drängen wollen und ich spüre plötzlich, dass er etwas zu Ahnen scheint. Achtsam davor weiche ich der öffnenden Befragung durch das Wispern des Eiswassers aus. Wohl etwas zu auffällig-stürmisch. „Du weißt etwas ...", vermutet er schließlich richtig.
Von Unruhe und Not gepackt huscht der Blick umher. Zu den Flammen ... auf die miteinander ringenden und schweißglänzenden Hände ... den Boden ... überall hin ... nur nicht in sein Angesicht. „Astâ ...", mahnt er mich, die Stimme schroff wie Felsen und ungewohnt vorwurfsvoll und ich merke recht deutlich, dass ich mich ungewollt verraten habe und es nun kein Entkommen mehr gibt. „Ich versprach beim Wirken Mahals, dass ich Euch nichts verrate", flüstere ich schließlich, damit er davon absieht das Geheimnis zu entlocken. Denn Gelöbnisse, vor allem um die Wahrung von Heimlichkeiten, sind uns Zwergen heilig. Niemals werden wir ein gegebenes Ehrenwort brechen, selbst unter Folter und im Angesicht des nahenden Todes nicht.
„Und ich als dein Herr und Gebieter entbinde dich von deinem Schwur ... sag mir was du weißt!", befiehlt er donnernd und ich erahne, dass er mich vorher nicht aus dem bannenden Blick entlassen wird. Dennoch fahre ich stürmisch auf um vor ihm und dem unmittelbar bevorstehenden Treuebruch zu flüchten. Aber ich bin noch keinen stolpernden Schritt weit gekommen, da hält er mich zurück. Schmerzhaft schließen sich grobe Finger um das dagegen dünne Handgelenk und ich merke, wie kleine oberflächennahe Blutbahnen unter ihnen keinen Widerstand leisten können und zerplatzen. Schmerzhaft ist der Aufprall an die harte, dicht mit Muskeln bepackte Brust, als er mich zu sich heranzieht ... und beängstigend nah und warm die Berührung, gedämpft einzig durch dünnen, leinenen Stoff.
„Sag es mir!", befiehlt er erneut grollend und glühende Feuergarben stieben von den brennenden Eisflächen der Augen auf und mir entgegen. Ich zittere und winde mich in dem unerbittlichen Griff. Flehe und jammere damit er von mir ablässt. Nicht weiterhin von mir verlangt, das geschenkte Vertrauen zu entwürdigen. „Bei Mahal, Astâ ... es geht hier um meinen Vater und meine Freunde", sagt er schließlich und erst jetzt wird mir bewusst, wie ernst ihm die Offenbarung tatsächlich ist, warum er sie gegen alle Redlichkeit die ich gelobte, fordert. Ich weiche erneut dem wütenden Blick aus um das Feuer der Raserei nicht mit ansehen zu müssen, dass unzweifelhaft alles zerstörend auflodern wird, sobald ich ihm die Wahrheit eröffne. „Sie wollen zum Einsamen Berg", wispere ich letztendlich mich seinem Willen und Gründen beugend und bereite mich auf den tobenden Schmerz des Verbrennens vor, „sie wollen ihn von dem Drachen befreien. In seinem letzten Brief berichtete Meister Dwalin, dass sie vom Schattenbachtal in Richtung Norden wandern um den Düsterwald über den Elbenpfad zu durchqueren."
Aber anstatt, dass ich gnadenlos in einem Feuersturm der Wut über das solange verborgene und folgenträchtige Geheimnis verbrenne, lässt Thorin unerwartet von mir ab. Erstaunt und mit großen Augen sehe ich auf. Das Entsetzen über die Offenbarung ist schauerlich anzusehen. Bitter wie Gletscherkälte überzieht es den sowieso schon fröstelnden Körper. „Bei Mahal ...", haucht er fassungslos und entfernt sich schwankend von mir. Erschöpft und ohnmächtig vor Angst und Sorge stützt er sich auf die Lehne des Sessels, in dem ich ihm noch vor wenigen Minuten entspannt und nichts ahnend von den grausigen Entwicklungen, die der Abend noch nehmen sollte, vorlas.
„Hoheit ...", versuche ich Trost und Mut zu spenden, und gehe einen Schritt auf ihn zu, werde aber jäh bei meinem Vorhaben unterbrochen. „Geh ...", brummt er harsch und lässt mich achtsam zurückzucken. Beruhigend lege ich die Hand um das Gelenk, auf dem bereits der tiefrote, schmerzende Abdruck seiner zugreifenden Finger prangt. Aber trotzdem ich vor Furcht zittere, mich der Ausbruch ängstigt, spreche ich ihn erneut an. Zu wichtig ist mir, dass er jetzt nicht in Mutlosigkeit und Verzweiflung versinkt. „Geh, habe ich gesagt ... lass mich allein!", brüllt er augenblicklich und weißt zur Tür. Eindeutig und nachvollziehbar ist sein Zorn auf mich.
Ich bekämpfe mit aller Kraft den sich gnadenlos auf mein Herz legenden Klumpen aus Entsetzen und eiskaltem Kummer, knickse mit dem Wissen alles zwischen uns zerstört zu haben ergeben zum unwiderruflichen Abschied und stolpere mehr als dass ich renne aus den Gemächern. Unter beständig und unbewusst fließenden Tränen, die die Sicht verschmieren lassen.
Was habe ich nur getan!
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dashtith – jüngster Sohn
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