Alte Freunde, neue Feinde
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Der nächste Morgen nimmt bereits mit Geschäftigkeit seinen Anfang. Große Pläne hegt Thorin. Veränderungen will er erwirken, aber auch fortsetzen, was seine Schwester begann. Erkundungsgrabungen an bisher unerforschten Stellen des Berges Initiieren, hoffend dort kostbare Bodenschätze zu finden. Weitere Gebiete erschließen, die Hallen vertiefen und verbessern. Schmieden und andere Werkstätten subventionieren, damit mehr Arbeitsplätze entstehen. Eine neue Heilstätte will er zudem erbauen lassen, die allen Arbeitern, Bauern und Angehörigen des ärmsten Standes offen steht. Oin und ich sollen die Errichtung beaufsichtigen, Heiler und Pfleger einstellen und der zukünftigen Verwaltung erste Instruktionen geben. Ich gewann Oin und er Thorin dafür, dass sich eine flache Ebene am Südhang hervorragend für die Anlage eines Kräutergartens eignen würde. Pflanzen aus Galadriels Buch, möchte ich dort züchten lassen.
Zu einer großen Sitzung, in der er all dies und Weiteres verkünden und mit den zuständigen Ratsmitgliedern besprechen möchte, eile ich mit wehenden Rockstöße, die Arme voller Pergamentrollen durch die Gänge. Kaum Luft bekomme ich durch die enge Miederschnürung des Kleides und obwohl der Saum aufgrund meines Wachstums der letzten Monate einige Zentimeter über den Boden schwebt, trete ich immer wieder auf ihn. Verhalten fluchend und umständlich durch die Fracht, raffe ich ihn etwas herauf. Ungewohnt und unleidlich sind mir solcherlei Fummel geworden, trug ich doch bis gestern überwiegend praktische Hosen und die Höhe der Absatze der Reitstiefel waren nichts im Vergleich zu denen der eleganten, viel zu unbequemen Schuhe.
Erneut und dieses mal so unschicklich unüberhörbar, dass ich hoffe, niemand befindet sich in meiner Nähe, entkommt mir ein Fluchwort, als ich beim Nachfassen des Saums die Pergamentrollen fallen lasse. Bereits viel zu spät komme ich und nun auch noch das! Hastig bücke ich mich und will sie wieder zusammensammeln, da gesellt sich plötzlich eine helfende Hand dazu. Erschrocken darüber doch nicht allein in den weiten Gängen zu sein, sehe ich auf und direkt in Jassins leuchtende Augen ... hätte sie nicht ihren Blick gesenkt. Ungewöhnlich schweigsam ist sie seit unserem Wiedersehen, selbst jetzt. Ich vermisste ihre plappernde Stimme auf gewisse Weise. Die niemals versiegenden Berichte der Sorten Klatsch und Tratsch. Ihr verdruckstes Verhalten ist befremdlich, bereitet mir geradezu Angst. Irgendetwas muss vorgefallen sein.
„Lasst mich Euch helfen", sagt sie schließlich und ich stutze über die unangemessen förmliche Ansprache. Und dann graut mir eine Vermutung wie eine gewitterwolkendunkle Nacht. Schnell fasse ich nach ihren geschäftigen Händen, halte sie untrennbar umklammert. Verschüchtert sieht sie mich daraufhin an. Das blasse Blau ihrer Augen wässrig. „Jassin, buhel, ist alles in Ordnung mit dir?" Sie blinzelt. Senkt dann erneut den Blick. Zu einem schmalen Strich verziehen sich ihre Lippen dabei. Trotzdem sie älter ist als ich, vor ein paar Monaten erst ihre Volljährigkeit erreichte, kindlicher erscheint sie mir.
Mit sanften Fingern unter ihrem Kinn zwinge ich sie geradezu, wieder aufzublicken. „Du ... Ihr habt Euch so sehr verändert", gesteht sie endlich nach längerem Zögern. Ich verstehe, was sie damit meint und argwöhne, welche Ängste es ihr bereitet. Versöhnlich ist daher mein Lächeln. „Ich bin noch immer die Gleiche, wenn auch einige Aspekte fremd an mir wirken. Jedoch keine davon rechtfertigen deine Scheu vor mir. Nichts änderte sich zwischen uns." Erneut versucht sie, den Blick abzuwenden, aber zu unterbinden weiß ich es. „Als du gestern durch die Tür schrittst wie ein Krieger aus alten Sagen so herrlich anzusehen, das Schwert sichtbar gehärtet von Blut, der Ausdruck in deinem Gesicht gestreng, die Haltung ehrfurchtgebietend, da ergriff mich der Eindruck, dass du nicht mehr viel mit unsereins gemein hast. Erhabener wurdest. Über uns stehst und dich unserer Freundschaft schämen könntest, wenn sie wieder so inniglich wird wie einst."
Tränen treten in meine Augen, während sie dies alles mit grundehrlicher Stimme offenbart. Niemals vermochte ich mir vorzustellen, dass sie so denken könnte. Ja, ich veränderte mich. Ja, ich wurde älter und stärker und durch vollbrachte Taten heißen sie mich Kriegerin und sogar Heldin. Aber bin ich doch noch immer Astâ. Ein Mädchen von kaum 50 Jahren, aufgewachsen in einfachsten Verhältnissen. Jemand, die über ihren eigenen Rocksaum stolpert, Dwalin Kopfzerbrechen, Balin irgendwann einmal weiße Haare bescheren und Thorin um den Verstand bringen wird.
„Fern liegt es mir, mich für etwas zu schämen, dass mir so bedeutungsvoll ist wie unsere Freundschaft zueinander." Unsicher sieht Jassin mich an ... und lächelt dann. Es ist ihr ungezwungenes Lächeln. Ein Lächeln, das so rein ist, so unschuldig und wahrhaftig wie kein anderes, das ich jemals sah. Tränen der Erleichterung sind es nun, die fließen. Gleichermaßen bei uns beiden.
„Komm heute Abend zu mir", sage ich schließlich, nachdem wir es endlich schafften alle Pergamentrollen wieder auf meine Arme zu verfrachten. „Ich habe viel zu berichten und brachte dir sogar ein Geschenk mit." Große, begeisterte Augen macht sie. „Es ist von den Elben aus Lothlorien", flüstere ich, sodass niemand es hören kann, denn offen zuzugeben, dass man Elben sah und auch zude, Gaben von ihnen annahm, steht unter Strafe. Noch viel weiter reißt sie ihre Augen daraufhin auf, so, dass sie Gefahr laufen, beinahe aus ihren Höhlen zu fallen. „Du hast Elben gesehen!?" Eine Mischung aus Begeisterung, Angst und Ehrfurcht flutet mir aus dem gehauchten Aufschrei entgegen. „Wir lebten sogar über den Winter bei ihnen", offenbare ich geheimnisvoll und zweifle nicht daran, dass ihr die Stunden bis zum Abend und der Enthüllung der ganzen Geschichte nun unendlich lang vorkommen werden. Und mit ebenfalls, denn das Unterbreiten einer großartigen Nachricht, kündigt sie mir an.
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„Hoheit, bei allem Respekt, aber wichtige Entscheidungen, die allein dem Wohl der Arbeiter dienen, müssen auch durch die jeweiligen Gilden- Zunft- und Innungsmeister abgesegnet werden." Abarron, der Meister des Handels und Handwerks und Angehöriger vieler dieser Verbände, schiebt seine immer wieder von der spitzen Nase rutschende Brille nach oben. Ein despektierlich tadelnder Blick ist es, den er augenscheinlich kaum versucht, hinter den dicken Gläsern zu verstecken. Bislang selten stimmte er Thorins Vorschlägen ohne vorheriges Aufbegehren zu. Beständig muss er Einfluss und Stellung innerhalb des Rates hervorheben und nicht nur Thorin weiß, wie anfällig die seinen als Regent unter ihnen sind. Allzu schnell und allzu grausam würden sie sich laben an einem Missgeschick seinerseits. Eine falsche Entscheidung. Ein Vorkommnis, das Unglück heraufbeschwört. Allerhand könnte als Auslöser für eine Machtübernahme infrage kommen. Als Angehöriger einer alten Adelsfamilie, seit vielen Generation versippt mit dem Königshaus, könnte Abarron ebenfalls einen Anspruch auf den Thron erheben, würde sich die Mächtigkeit der ersten Linie schmälern.
Zum Glück andere im Rat sind Thorin wie bereits seinem Vater deutlich wohlgesinnter und vor allem loyaler ergeben, trotzdem einige die gleiche und vereinzelt sogar noch höhere Geltung besitzen. Balin, als einer von ihnen, räuspert sich daher vielsagend und kontert mit ebensolch belehrender Stimmlage: „Meister Abarron, wir alle wissen, dass den Vorstehern das Wohl der ihren Verbänden angehörenden Arbeitern nur dann interessiert, wenn es darum geht, ihre Arbeitszeiten und Produktivitätszahlen zu steigern." Ich senke den Blick, um die aufkommenden Gefühle zu verstecken. Denn wenn seine Erwiderung auch zutraf, sie denunzieren und gefährlich sind solcherlei Konflikte innerhalb des Rates. Nicht immer kann man einer Meinung sein, aber beständige Differenzen und Machtkämpfe beeinträchtigen die Gewalt eines solch wichtigen Kollegialorgans.
„Genug!", ergreift daher Thorin das Wort. Seine Stimme hart und ehrfurchtgebietend, dennoch gefasst. „Ihr, Meister Abarron, könnt sie von mir aus über den Plan des Neubaus eines Hospitals unterrichten, aber die Entscheidung der Durchführung liegt einzig bei uns. Die Mittel werden der Staatskasse entnommen. Dagegen wenn es ihnen eine großzügige Spende wert ist, können sie gerne darüber mitbestimmen, wo dieses errichtet wird." Gewieft ist der Urteilsspruch, und der Ärger, der dieser bei dem Angesprochenen auslöst, nur allzu unverhohlen. Thorin ist selbstsicherer geworden in dem, was er denkt und tut, das wird heute allen deutlich. Er ist nicht länger der junge, unerfahrene Prinz, und wenn auch (noch) nicht König, oberster Machthaber. Erheblich mehr leistete er bereits als die meisten von ihnen für Volk und Heimat.
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„Wünscht Ihr sonst noch etwas, Hoheit?" Thorin steht vor dem unlängst wieder unordentlich mit Papieren und Schriftrollen dicht bedeckten Schreibtisch in seinem Gemach, als ich ihm einige weitere zur Unterzeichnung fertige Pergamente überreichte. Mit einem kurzen Blick überfliegt er die Anweisungen, die Balin mit seiner mondän schwungvollen Handschrift verfasste. Nicht auffallen wird ihm, das einige auch von mir stammen.
„Nein", sagt er und legt sie auf den Stapel zu den anderen wichtigen Dokumenten, dener er sich heute womöglich noch bis spät in den Abend hinein widmen möchte. „Jedenfalls nichts Offizielles." Leicht kräuseln sich meine Lippen zu einem wissenden Lächeln. Wir sprachen bislang nicht darüber, ob die Tradition des allabendlichen Vorlesens wieder eine solche werden soll. Ob wir sie uns weiterhin leisten können, nach all dem, was geschah und geschehen könnte. Eine Entdeckung würde ihn nun wahrscheinlich umso mehr in Gefahr bringen.
Fragend sieht er mich daher an und ich widerstehe dem Bedürfnis, die Augen abzuwenden angesichts des Ausdrucks in den seinen. Weich wie ein Bett aus Moos und langblättrigen Farnen. Warm wie ein Mantel aus Pelz und dicken Samt. Verführerisch wie Geschmeide aus Gold und edlen Steinen. Er weiß diesen einzusetzen wie eine scharfe Waffe. Genauso verderblich, genauso tödlich. Er spricht die Bitte um Verbleib nicht aus, aber allzu deutlich ist sie vernehmbar in diesem Blick.
Ich verbeuge mich ergeben(d). „Allzeit stehe ich Euch zu Diensten", beteure ich, „aber verabredete ich mich bereits mit Jassin." Gefährlich, eine Frechheit Sondersgleichen sogar, ist es ein Verlangen zu verweigern, gleichwohl wichtiger ist mir das heute gerade erst wieder erstarkte Vertrauen zu meiner Freundin.
Ich höre, wie er auf mich zukommt. Schwerfällig treffen seine Schritte auf den Boden. Jede durch sie ausgelöste Vibration als Zittern in den Gliedern spürbar. Angst vor Strafe habe ich gleichwohl nicht. Er kennt die Tiefe und Wichtigkeit unserer Freundschaft und respektiert sie. Letztendlich dicht vor mir kommt er zum Stehen und ich würge den sich dennoch gebildeten klebrigen Kloß in meinem Hals hinunter.
Sanft sind seine Finger unter dem Kinn, die den Blick wieder heben. Der Ausdruck seiner Augen wandelte sich. Gleichermaßen warm und weich ist er zwar noch immer, aber verführt er nicht mehr mit aller ihm eigenen Willenskraft. „Dann geh und lass sie nicht länger warten. Viel werdet ihr euch zu erzählen haben."
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Wahrlich eine Menge haben wir uns zu erzählen, wenn auch die meiste Zeit ich berichte von meiner Reise. Wie ein kleines Kind, mit weitaufgerissenen Augen und offenen Mund, an besonders spannenden Stellen sogar zusammenzuckend, sitzt sie im Schneidersitz vor mir auf dem weichen Bärenfellteppich vor dem warmen Kamin und lauscht den vielen erlebten Abenteuern.
Die Aufenthalte bei den Waldläufern und in Bree faszinieren sie offenkundig. Der Schrecken in ihren Augen, als ich von den Grabunholden der Hügelgräberhöhlen, der Bruxa, den Orks und Wargen berichte, ist dunkel. Alles über die Tavari, die Faien des Alten Waldes, will sie wissen. Nicht darf ich auslassen, als ich die Begegnung mit den Hûnen, den Gang durch Khazad Dûm und dem Schattenbachtal schildere. Kaum Glauben schenken kann sie den Wundern Lothloriens. Den Atem hält sie an, als ich von der Schlacht vor Edoras erzähle und wie ich in ihr den Titel einer Heldin erlangte. Allerdings nicht jedwedes Ereignis offenbare ich. Wie nah in allen Belangen ich Dwalin und Thorin während der Reise kam, verschweige ich wohlweislich.
Aber die allerschönste Reaktion, die wohl ewig in meinem Herzen verbleiben wird, ruft das goldene Mallornblatt hervor, das ich ihr mit der Erlaubnis der Herrin Galadriel mitbrachte und seitdem zwischen den Seiten des Medizinbuches gepresst verharrte. Sie hält es in ihren Händen, als wäre es eine unermesslich wertvolle Kostbarkeit und die Tränen der Freude, die darauf fallen, Tautropfen eines zauberhaften Morgens. „Das willst du mir schenken?", fragt sie zweifelnd und ich nicke. „Sie fielen, als wir abreisten und wurden sofort von neuen, auf der Unterseite silbern Schimmernden ersetzt." In Unglaube schüttelt sie den Kopf. Über was genau, das kann ich nicht sagen. Viel zu fantastisch muss ihr dies alles erscheinen. Noch nie verließ sie den Berg und jegliche Beschreibung der Welt dort draußen, die ich vom Glück geküsst durchstreifen durfte, scheint fern ihrer Vorstellungskraft.
„Aber nun erzählt mir endlich deine Neuigkeit. Den ganzen Tag brannte ich darauf", dränge ich schließlich. Sie lächelt schüchtern und streicht sich eine der braunen Locken hinter das Ohr. Dabei fällt eine fest geflochtene Strähne vor, die ich bisher noch nie an ihr wahrnahm. Geschmückt mit einer einzelnen purpurnen Perle aus Holz wurde sie. „Bombur hielt um meine Hand an."
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Buhel – Freund aller Freunde
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