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Mit genügend salzigem Popkorn ausgerüstet, hopste ich milde graziös, aber relativ gut gelaunt auf das leuchtend hellgrüne Wohnzimmersofa, ließ meine Augen, die ebenso hellgrün wie der weiche Bezug unter mir waren, durch das Zimmer schweifen.
Die vielen kleinen Schmetterlinge auf der Tapete schienen zurückzublicken und wenn ich blinzelte, sah ich sie fast mit ihren goldenen Flügeln schlagen.
Der Abend war lauwarm und ich spürte förmlich, wie der, sich anbahnende, Sommer auf meiner schokoladenfarbenen Haut prickelte. Abenteuer tänzelten wie Ameisen über meinen Körper, obwohl ich schon genau wusste, dass ich wie jedes Jahr einfach nur zu Hause rumsitzen würde.
Nicht einmal in den Urlaub fuhren wir. Keine Ahnung, ob es Geldmangel war, oder ob unsere Eltern einfach nur arbeitssüchtig waren. Vielleicht hatte sie auch bloß keine Lust, Zeit mit ihren Kindern zu verbringen.
Ich könnte aber wenigstens rausgehen. Irgendetwas erleben, was nicht aus reiner Langeweile bestand, doch meine Hand suchte wie von selbst die Fernbedienung, während mein Blick noch immer durch den Raum schwirrte.
Mein Zeigefinger schaltete den Fernseher an und zwirbelte schon beim Ablegen des Geräts gelangweilt eine dunkelbraune Haarsträhne um sich.
Ich musste die Tagesschau für die Schule ansehen, wo unser Lehrer in Politik immer gerne unangekündigte Überprüfungen der aktuellen Nachrichtenlage schreiben ließ.
Wie sehr ich diese ganze Scheiße doch hasste.
Dann wendete ich schlussendlich meine Aufmerksamkeit auch mal dem Bildschirm zu, nur um von einem etwas zu gut aussehenden Vampir überrascht zu werden, der etwas zu aggressiv den Hals einer jungen Frau... bearbeitete. Oder auffraß. Was auch immer seine Mission war...
Ich blinzelte.
"Ooookay... Es könnte attraktiv sein, wenn du nicht so aggressiv saugen würdest, mein Lieber", gab ich von mir, nicht etwa leise, weil es ja eigentlich nur für meine Ohren bestimmt war, sondern in normaler Lautstärke, sodass der Typ es auch schön hören konnte.
Durch den Fernseher.
Was er wohl kaum konnte, aber das war mir ein kleines bisschen egal.
Mein Blick schwirrte weiter über die Szene und dann sah ich ohne Vorwarnung einzelne Blutstropfen am Hals der jungen Frau herabrinnen, zuckte daraufhin leicht zusammen.
Wirklich gerne sah ich Blut nicht.
Die verdammte Untertreibung des Jahrtausends. Ich hasste Blut.
Durften die um fünf nach acht überhaupt schon solche Filme zeigen, fragte sich mein Hirn nach einem flüchtigen Blick auf die hellbraune Uhr mit antiken römischen Ziffern, die an der Schmetterlingswand hing.
Schulterzuckend und möglichst ohne das Geschehen auf dem Bildschirm näher zu beachten, griff ich wieder nach der Fernbedienung, um nun endlich ins Erste zu den Nachrichten zu switchen, wobei ich festellen musste, dass sich an der Kulisse micht das geringste änderte. Prüfend beäugte ich die Knöpfe. War dieses verdammte Scheißteil von Fernbedienung schon wieder kaputt?
"HENRYYY, rief ich laut, was förmlich im gesamten Haus wiederhallte und meinen anderen Bruder, bei dem es sich nicht um Henry handelte, kaum dass der Namen meinen Mund verlassen hatte, dazu veranlasste , komplett verwirrt aus seinem Tiefschlaf aufzuschrecken. Gähnend setzte er sich auf dem, genau wie das Sofa, grün leuchtendem, Sessel auf, blinzelte und stierte mit seinen rotbraunen Augen um sich, während seine braunen Löckchen mit den vereinzelten hellblauen Strähnchen in alle Richtungen abstanden.
In exakt diesen Moment entschied sich Henry wohl endlich mal, um die Ecke zu biegen und das eigentlich früher, als hätte möglich sein sollen, wenn er bis eben in seinem Zimmer gehockt hatte.
"Sam! Ich habs geschafft! Graubalian...", fing er aufgeregt rufend an, während er mit wippenden dunklen Locken geradezu in den Raum hetze.
Doch ohne ihn ausreden zu lassen, flog die Fernbedienung auf ihn zu, die er mehr reflexartig auffing.
"Batterie all oder kaputt. Du bist doch son Technikfreak" Abwartend sah ich meinen Zwillingsbruder an, bis er dann gleichzeitig auf alle Tasten des Geräts schlug und der Bildschirm zu Programm 1229 schaltete, das nicht einmal existierte.
"Funktioniert" Henry zuckte mit den Schultern, woraufhin ich ein trockenes "Ich sehs" zurück gab, bevor Isaac aus irgendwelchen komischen Gründen anfing zu kichern. Aber das war bei ihm normal; er hatte einen noch größeren mentalen Schaden, als wir Zwillinge zusammen.
Nach einem dennoch recht verwirrtem Blick meinerseits grinste er bloß und erhob seine Stimme etwas."Ich hab euch lieb"
Kurz versuchte ich zu analysieren, ob er es ernst meinte, kam nicht wirklich zu einem Ergebnis.
"Du bist so... random", gab ich schließlich mit hochgezogener Augenbraue von mir, während mein lieber Zwilling süß lächelnd mit einem "Wir dich auch" antwortete.
Mit erhobener Augenbraue sah ich ihn an, murrte ein "Schleimer" und nahm dann wortlos die Fernbedienung aus Henry Hand, der inzwischen hinter mir am grünen Sofa lehnte, schaltete nun nach einem gefühlten halben Jahr ins Erste und fragte mich mal ganz nebenbei, wie zum Teufel ich in dieser, in wirklich einigen Hinsichten, absolut seltsamen Familie gelandet war.
Nur um dann mit einem Blick festzustellen, dass das komische Vampirzeugs im Ersten lief, obwohl definitiv die Tagesschau vor mir zu sehen sein sollte.
"Warum lassen die die Nachrichten für sowas ausfallen? Vor allem wo doch gerade mehr als genug Vampire unter uns sind... Als ob wir da solche Filme bräuchten", sprach Henry meine Gedanken aus, blickte gebannt den Bildschirm an, zog die Augenbrauen ein wenig zusammen; schon immer war er der ernstere von uns beiden gewesen.
Mit einem stummen Nicken stimmte ich also Henrys Worten zu, doch Isaac sah nur stumm nach vorn.
"Ihr wisst schon, dass das echt ist, oder?" Als meine Augen zu ihm wanderten, stellte ich fest, dass sein Blick längst zu uns geflogen war. Echt? Ich überlegte kurz, nickte, wusste nicht, wie ich das finden sollte. Es machte jedenfalls überhaupt keinen Sinn, wenn sie so etwas in einer sich annähernden Vampirapokalypse, oder wie auch immer man die bevorstehende Tragödie auch bezeichnen wollte, zeigten, wenn es nicht echt war.
Und als dieses Mädchen dort, erwachsen zwar, aber keine vier Jahre älter als ich, leblos zusammensackte und der Typ mit zerzausten hellblonden Haaren, wilden Augen und einem kranken Grinsen in die Kamera stierte, drehte ich angewiedert den Kopf weg.
"Warum müssen die das im Fernsehen zeigen? Die Horrorstorys aus den Zeitungen reichen doch schon... Wir wissen längst, was in der Welt passiert", murrte Henry, zweifellos, weil er meinen Blick bemerkt hatte. So war Henry eben- versuchte dafür zu sorgen, dass man sich nicht schwach fühlte, obwohl man es tun sollte. Wie zum Beispiel meine Wenigkeit in diesem Moment.
Aus dem Augenwinkel bemerkte ich Isaacs Kopfschütteln.
"Das war keine Aufzeichnung. Das war so echt wie-"
Mein Blick wanderte fast warnend zu meinem großen Bruder herrüber. "Wir... kennen deine Vergleiche", kam Henry mir zuvor, wie es bei Zwillingen irgendwie so üblich zu sein schien. Zumindest in Geschichten und Filmen.
"Also meinst du...", fing ich dann an, auf Isaacs ersten Satz eigehend, unterbrach dabei Henry, falls er überhaupt noch etwas hatte sagen wollen. Doch er sah mich nur leicht analysierend an, lehnte sich etwas über die Sofalehne nach vorn, um Isaac und mich besser sehen zu können und setze dann überraschend schnell meinen Satz fort: "...das war live?"
Isaac zuckte zunächst mit den Schultern, nickte darauf folgend aber leicht.
Noch einen Moment lang sah man den menschenleeren Platz, gezeigt von der Kamera, konnte sich die Leichen, die vermutlich außerhalb des Sichtfeldes lagen, nur vorstellen.
Der Bildschirm wurde kurz schwarz, bevor der Nachrichtensprecher auftauchte, schien komplett fassungslos zu sein, was unsere Vermutungen wohl nur bestärkte.
"Ich denke, Sie alle werden mir glauben, wenn ich Ihnen sage, dass dies nicht geplant war", sprach er nach einigen Sekunden in die Stille hinein.
"Jep", entfuhr es meiner Kehle, was mir einen sei-leise-Blick von Isaac einfing.
"Zu den durch Vampire verübten Morden, die ich an dieser Stelle verlesen sollte, kommt so noch ein weiterer dazu. Somit diese Woche bisher genau 300 Tote durch Vampire; und Experten gehen weiterhin davon aus, dass diese Zahl in nächster Zeit mindestens um das Dreifache ansteigen wird, wenn die Gefahr nicht gedimmt werden sollte..."
So redete er weiter, doch meine Gedanken schweiften ab.
Er hatte sich schnell wieder gefasst, oder? Aber das war doch auch irgendwie der Job von Nachrichtensprechern. Wahrscheinlich würde er zu Hause dann heulen oder so. Aber ich vergoss ja auch keine Tränen darüber, was hier geschah, da es seit etwa einem Monat schon so war.
Nur ein Monat. Gefühlt wie die Ewigkeit.
Wir gewöhnten uns daran, wie an einen unschönen Geruch in der Wohnung, den bald keiner mehr wahrnahm.
Ich gewöhnte mich daran, dass an den alten Geschichten doch etwas dran war, an meinem alten Märchenbuch 'Memoria Vampirum', das mir meine Eltern früher vorlasen, bis die Arbeit so wichtig wurde und ich es selbst lesen musste.
Das Märchenbuch in dem von einem gewissen Prinzen eines kleinen Königreichs die Rede war, der schlussendlich die Ausrottung der Vampire verhindert hatte.
Mit den Gedanken weit weg setzte ich mich etwas grader auf, starrte ins nichts, beinah durch den Fernseher hindurch, der inzwischen irgendwelche Frauen Bikinis zeigte.
Wenn diese sagenumwobenen Vampire existierten, gab es dann auch diesen Bastard, der die Menschheit in diese Scheiße geritten hatte? Vermutlich...
Er hatte die Vampire laufen lassen. Als es nur noch so um die 20 von ihnen gab. Als man diese ganze Zukunft hier hätte verhindern können. Als es am einfachsten gewesen wäre, sie zu Schlagen. Für immer zu Schlagen.
Verdammt, wenn ich die Chance dazu bekäme, würde ich Isaac mit einem Baseballschläger in der Hand auf diesen dummen Prinzen hetzen. Oder mit was auch immer man damals kämpfte. Wir redeten immerhin vom Mittelalter. Also vermutlich Schwerter.
"Isaac, besorg mir ein Schwert", brabbelte ich auch schon, bevor ich groß über meine Worte nachgedacht hatte, klang dabei wie eine verwöhnte Prinzessin, die ihren persöhnlichen Diener befehligte. Aber so war ich eben.
Doch mein persöhnlicher Diener zuckte bloß mit den Schultern, hörte mir vermutlich gar nicht zu.
Dezent entnervt drehte ich mich also leicht zu Henry um, der noch immer schräg hinter mir stand, mit den braunen Unterarmen auf das Sofa gestützt.
Er sah mich bereits an, schien etwas sagen zu wollen, legte den Kopf schief, dachte nach.
"Wieso... brauchst du ein Schwert?" Förmlich sah ich die Rädchen hinter seinem Schädel rattern.
Zwei Menschen.
Geschwister.
Zwillinge.
Ein Gedanke.
"Es ist möglich, Samantha"
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