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Kapitel 25: Wahn

Ich lasse mich nicht einweisen.

Stattdessen schleife ich meinen Koffer die Eingangstreppe hinauf und durch das Foyer zum Fahrstuhl.

Die Psychiatrische Klinik von Driebeck liegt auf der Kuppe des Driebergs, weit weg von der Innenstadt, der Universität und dem Uni-Krankenhaus. Anscheinend war es zur Gründungszeit der Klinik – Ende des 19. Jahrhunderts – Gang und Gäbe, Nervenheilanstalten an abgeschiedenen Orten zu errichten. Schon allein, um die »Irren« von der Normalbevölkerung fernzuhalten. Heutzutage ist es vor allem unglaublich unpraktisch. Vor allem für die Patienten, die neben ihrer psychiatrischen auch noch eine allgemeinmedizinische Diagnose haben, aber auch für die Konsiliarärzte, die regelmäßig ins Uni-Krankenhaus bestellt werden, um einzuschätzen, ob ein eingelieferter Patient ein psychiatrisches Problem hat.

Das Klinik-Gebäude selbst besteht aus einem Haupthaus und zwei Anbauten. Das Haupthaus ist noch aus der Gründungszeit erhalten und steht unter Denkmalschutz. Es besitzt eine hübsche, hochherrschaftliche Fassade mit ein paar Jugendstil-Anleihen, schmiedeeisernen Balkonen, runden Erkern und grün patinierten Dächern. Die Anbauten sind dem Gebäude später hinzugefügt worden und strahlen eine moderne Funktionalität aus.

Station Drei, die Soteria-Station, der ich zugeteilt bin, liegt im oberen Stockwerk des Westflügels.

Als ich mich mit meinem Koffer zur Tür hereinkämpfe, werden mir aus dem verglasten Stationszimmer, das direkt neben dem Ein- und Ausgang liegt, spöttische Blicke zugeworfen.

»Na, Frau DeVries ... wollen Sie bei uns einziehen?«, fragt Dr. Lorentz, der Oberarzt der Station. Er ist ein groß und ziemlich fettleibig, was ihn zu einer beeindruckenden Erscheinung macht. Außerdem ist er sehr von sich selbst eingenommen und scheint sich nicht nur für den fähigsten Arzt nördlich des Mains zu halten, sondern auch für den witzigsten und charmantesten Typen seit Erfindung des Humors. Manchmal denke ich, dass er auf der dieser Seite der Glasscheibe sitzen sollte, bei allen anderen wahnhaften Patienten. Doch leider befürchte ich, dass er niemals sehen wird, was ich sehe. Nicht, solange seine privaten Arschkriecher – heute in Gestalt von Assistenzarzt Esra Al Madini – über jeden seiner dummen Witze lachen.

Aber was beschwere ich mich? Ich habe schon vor einigen Jahren, entschieden, dass ich kein Interesse daran habe, mich mit Menschen anzulegen, die in der Rangfolge über mir stehen und mir das Leben mit nur einer einzigen Textzeile zur Hölle machen könnten. Jedenfalls nicht ohne einen wirklich guten Grund. In dieser Hinsicht bin ich ganz anders als Leslie. Deswegen hätte ich auch nie gedacht, dass ausgerechnet sie diejenige von uns ist, die in ihrer Beziehung häusliche Gewalt erleben würde. Anscheinend kann es wirklich jeden treffen.

Trotzdem kann ich nicht ignorieren, dass sie Roman beschuldigt, der Aggressor zu sein. Schon der Gedanke ist völlig bizarr. Aber was soll ich sonst denken? Wieso sollte ich an Leslies Worten zweifeln? Und ich muss zugeben, dass sich Roman gestern schon komisch verhalten hat. Was wollte er an der Garage? Wirklich nur eine Runde mit Shakira drehen, wie er behauptet hat?

Nachdem ich mein Gepäck im Stationszimmer untergestellt habe, beginnt der Morgen ganz friedlich. Ich begleite die Patienten zu ihren Therapien; anschließend beaufsichtige ich die Tür und vervollständige Akten. Gegen 11 Uhr wird es plötzlich hektisch. Die Polizei rückt an, Dr. Lorentz, ein Oberarzt von einer anderen Station, die verfügbaren Assistenzärzte, die Pflegedienstleitung, Stationsschwester Inge und zwei PiAs – Psychotherapeuten in Ausbildung – versammeln sich im Flur bei den Aufzügen. Die ungewöhnliche Rudelbildung bleibt auch den Patienten nicht verborgen. Neugierig spähen sie durch das Glas. Manche trauen sich auch nach draußen, um eine zu rauchen, wofür sie sich bei mir in eine Liste eintragen müssen, aber letztendlich wollen auch sie nur wissen, was passiert ist. Die Antwort auf diese Frage ist denkbar simpel: Ein neuer Patient soll aufgenommen werden. Ein junger Mann, der wohl auf den Bahngleisen aufgegriffen worden ist und der in Verdacht steht, Suizid begehen zu wollen. Soweit nichts wirklich Ungewöhnliches. Was mir dann den vierten Schock des Tages versetzt, ist der Umstand, dass ich den jungen Mann kenne: Es ist Mael Bonetti, mein Freund aus früheren Uni-Tagen und Andreas Anselms Praktikant.

Entsetzt und verwirrt sehe ich zu, wie die Oberärzte die Zuständigkeiten klären. Letztendlich gibt es da nicht groß was zu besprechen. Solange Maels genaue Absichten für seinen Ausflug auf die Gleise ungeklärt sind, muss er sicherheitshalber auf eine geschlossene Station. Und es sieht auch nicht aus, als hätte er viel dagegen einzuwenden. Er wirkt völlig fertig und scheint dem Gespräch der Ärzte überhaupt nicht folgen zu können. Seine Augen sind tief eingesunken, seine Haltung ist schlaff und völlig kraftlos, sein Blick geht ins Leere. Ich bin keine Expertin, aber er sieht definitiv so aus, als würde er sich wünschen, von einem Zug überrollt worden zu sein.

Mir ist klar, dass ich gerade nicht viel für ihn machen kann. Aber mir ist genauso klar, dass ich unbedingt herausfinden muss, was er hier macht und wie es dazu gekommen ist. Und vielleicht sollte ich auch einen Blick auf seine Blutwerte werfen. Allerdings wird das nicht ganz leicht, weil ich dafür auf die Geschlossene muss.

Doch zunächst einmal geht alles weiter wie gehabt. Ich esse mit den Patienten zu Mittag. Arno, ein sehr freundlicher Patient mit einer chronischen Schizophrenie-Erkrankung, warnt uns zum wiederholten Male davor, dass Vögel unsere Gedanken klauen und sie auf Twitter verbreiten würden. Ich traue mich nicht, ihn darauf hinzuweisen, dass Twitter inzwischen X heißt, weil ich nicht wissen will, wie sein Wahnsystem darauf reagieren wird. Mo, der sich für die Wiedergeburt des Propheten Mohammed hält, klärt mich derweil über die Wundertaten auf, die er bereits vollbracht hat und noch vollbringen wird. Amal, die auch Amar oder Aman heißen könnte und kein Wort Deutsch oder Englisch spricht, versucht mal wieder, Kartoffeln unter ihrer viellagigen Kleidung zu verstecken. Was sie damit vorhat, weiß niemand so genau, aber am Ende landen sie verflüssigt und zermatscht in der Waschmaschine. Und dann ist da noch die Patientin, der ich gesagt habe, dass ihr Sohn tot sei. Sie sitzt an einem der Tische, fummelt an ihrem fleckigen T-Shirt herum und starrt auf einen Punkt im Nichts. Einmal treffen sich unsere Blicke, aber sie zeigt keine Reaktion. Es wirkt fast, als hätte sie schon wieder vergessen, wer ich bin und was ich getan habe.

Nach dem Essen werde ich von Stationsschwester Inge zur Gartenarbeit abkommandiert. Zusammen mit einigen Patienten rupfe ich Unkraut im Garten zwischen den beiden Anbauten. Wir rätseln gemeinsam, ob das Teil der Therapie sein soll.

Als wir fertig sind und auf Station zurückkehren wollten, kann ich durch die Fenster zur geschlossenen Station hineinsehen. Mael sitzt auf einer Bank im Flur vor dem Schwesternzimmer und schaukelt wie in Trance vor und zurück. Er ist nicht fixiert, was darauf hindeutet, dass er absprachefähig ist und seine Suizidabsichten nicht akut sind. Tatsächlich wirkt er derzeit vor allem apathisch. Was hat ihn bloß in diesen Zustand versetzt?

Es gibt nur einen Weg, diese Frage zu klären.

Im Treppenhaus verabschiede ich mich von den Patienten und klingele an der Tür zur geschlossenen Station. Eine der PiAs lässt mich rein und ich erkläre ihr, dass ich oben nichts mehr zu tun habe und im Rahmen meines Praktikums auch gerne mal auf der Geschlossenen vorbeisehen würde. Dagegen kann sie nicht viel einwenden, auch wenn ich ihr ansehe, dass ich gerade ungelegen komme. Und wie auf Zuruf flitzt auch schon ein nackter Patient über den Flur und die PiA muss ihm nachlaufen, um ihn von den Vorzügen angemessener Kleidung zu überzeugen. Dabei lässt sie die Tür zum Stationszimmer offen, sodass ich mich mit den Akten der Patienten zurückziehen kann.

Maels Akte liegt ganz oben und interessanterweise ist sie ganz schön dick. Die älteren Dokumente sind mit dem Logo einer anderen Klinik versehen, irgendwo im Odenwald. Ich überfliege die Arztbriefe. Anscheinend ist Mael schon ein paar Mal in Behandlung gewesen. Hauptsächlich wegen Depressionen. Nach allem, was ich den Briefen entnehmen kann, hat er diese Probleme auch schon vor dem Tod seiner Mutter gehabt, aber ich kann mir vorstellen, dass es dadurch nicht besser geworden ist.

Die gute Nachricht ist: Maels Zustand hat vielleicht gar nichts mit Andreas Anselm zu tun.

Die schlechte Nachricht ist: Mael scheint wirklich sehr krank zu sein. Ich würde gerne zu ihm gehen und ihm sagen, dass ich für ihn da sein werde, aber ich weiß nicht, ob ihm das so recht wäre. Wahrscheinlich wäre es am besten, ihn einfach in Ruhe zu lassen, damit er sich ganz auf seine Genesung konzentrieren kann.

Ein Klopfen lässt mich aufsehen. Vor der Scheibe zum Stationszimmer stehen zwei junge Frauen und winken mir zu. Beide sind etwas übergewichtig, haben eine Menge Piercings und tragen unförmige, sackartige Kleidung. Ziemlich sicher handelt es sich um Patientinnen. Die Medikamente, die die meisten Patienten hier nehmen, haben die unangenehme Eigenschaft, zusätzlich zum antidepressiven oder antipsychotischen Effekt eine Gewichtszunahme zu bewirken. Vielleicht wollen die beiden Frauen etwas von den Ärzten oder dem Pflegepersonal: Ausgang, Zigaretten oder Marken für die Waschmaschine. Da ich noch nie vorher auf dieser Station gewesen bin, weiß ich nicht, wie das Vorgehen in diesem Fall ist. Deshalb winke ich zurück, ignoriere aber alle weiteren Kontaktversuche. Nach einer Weile ziehen sie unverrichteter Dinge wieder davon.

Als sie die Sicht freimachen, entdecke ich Mael, der im Korridor vor dem Stationszimmer auf und ab geht.

Im Gegensatz zu seinem stummen Geschaukel von vorhin, wirkt er jetzt deutlich agitiert. Er fährt sich mit den Händen über das Gesicht und durch die Haare, verschränkt die Arme vor dem Körper, löst sie, wischt sich die Handflächen an der Hose ab und fängt wieder mit dem Haareraufen an. Dabei bewegen sich seine Lippen, als würde er im Flüsterton mit sich selbst reden.

Ich überlege, was ich machen soll. Am besten wäre es, die Pflege auf ihn aufmerksam zu machen, aber aus irgendeinem Grund ist gerade niemand in der Nähe. Der Fachkräftemangel ist definitiv auch in der Psychiatrie angekommen.

Mael atmet stoßweise ein und aus und reibt sich die Oberarme, als wäre ihm kalt. Auch aus der Entfernung kann ich sehen, dass er zittert. Sein Blick ist vor seine Füße gerichtet. Er geht immer zehn Schritte den Korridor hinauf und dann wieder hinunter.

Ich beschließe, dass es vielleicht an der Zeit ist, kurz Hallo zu sagen – und sei es nur, um ihm zu zeigen, dass er nicht alleine ist.

Vorsichtig öffne ich die Tür zum Stationszimmer. »Mael?«

Mael fährt so heftig zusammen, dass er aus dem Tritt kommt und zur Seite stolpert.

»Wohoo ... Achtung«, entfährt es mir. Ich hebe die Hände, wie zum Zeichen, dass ich unbewaffnet bin. »Alles gut, ich bin's nur.«

»Judith?«, wispert Mael.

Beinahe bin ich überrascht, dass er mich erkennt. »Ja, genau. Ich mache hier Praktikum, weißt du noch?«

Mael mustert mich misstrauisch. »Bist du es wirklich?«

»Was?«

Das ist offenbar die falsche Frage, denn Mael kneift die Lippen zusammen und weicht zwei Schritte vor mir zurück.

»Hast du ... hast du etwas gesehen?«, frage ich vorsichtig.

»Bist du eine von ihnen?«

»Von ihnen?« Ich mustere Mael eingehend. Seine Augen sind gerötet. Seine Unterlippe blutig gebissen. Die blonden Locken strohig und ungewaschen. »Von wem redest du?«

»Den Wesen.« Mael macht einen weiteren Schrittrückwärts. Dabei schlingt er die Arme um seinen Brustkorb und zieht den Kopf ein, als würde er befürchten, von einem unsichtbaren Monster angefallen zu werden. Sein Blick zuckt verängstigt zur Decke und scheint die Ecken und Winkel nach etwas abzusuchen. »Sie sind überall«, flüstert er. »Es gibt keinen Ausweg.«

Unter normalen Umständen würde ich davon ausgehen, dass Mael unter einem Verfolgungswahn leidet, so wie viele Patienten auf der geschlossenen Station. Wahn kann ein Symptom einer schizophrenen Erkrankung sein. Manchmal kommt er auch bei einer Depression vor, wenngleich ich in diesem Zusammenhang bisher nur Schuld- und Verarmungswahn kennengelernt habe. Dennoch ist es nicht auszuschließen, dass dieser Zustand ein Symptom seiner Erkrankung ist. Wenn ... ja, wenn ich nicht die Vermutung hätte, dass Mael etwas ganz Bestimmtes gesehen hat.

»Wer ist überall?«, frage ich weiter.

Mael schüttelt den Kopf, presst die Lippen zusammen und schweigt.

»Hey ...«, sage ich beschwichtigend. »Du kennst mich doch, oder?«

»Du könntest eine von ihnen sein.«

»Wie kann ich dir beweisen, dass ich keine von ihnen bin?«

Irgendwo am anderen Ende des Korridors fällt eine Tür zu. Das Geräusch lässt Mael zusammenzucken. Er vergewissert sich, dass wir noch alleine sind, dann zieht er die Schultern bis zum Kinn. »Wasser ...«

»Okay«, sage ich, kehre ins Stationszimmer zurück und hole eine von den wiederauffüllbaren SodaStream-Plastikflaschen, die dem Personal zur Verfügung stehen. Vor Maels Augen lasse ich mir das Wasser über Hände und Unterarme laufen. »Und? Was denkst du?«, will ich wissen.

Mael wirkt tatsächlich ein wenig erleichtert. Er zupft am Ausschnitt seines T-Shirts herum und nickt.

»Jetzt du«, fordere ich ihn auf.

Mael streckt eine Hand aus und ich lasse das Wasser über seine gebräunte Haut laufen. Ich habe keine Ahnung, was passieren würde, wenn Mael eines dieser Wesen wäre, aber als nichts geschieht, nehme ich an, dass er sauber ist.

»Also ...«, sage ich. »Was ist hier los?«

»Ich bin nicht verrückt«, flüstert Mael.

»Das weiß ich«, erwidere ich.

Maels Blick geht an mir vorbei. Er blinzelt, als wäre ihm etwas ins Auge geflogen. »Aber du würdest mir nicht glauben, wenn ich dir sage, was ich gesehen habe.«

»Hat es mit Andreas Anselm zu tun?«

Maels Blick kreuzt meinen. Sein Körper sackt ein Stück in sich zusammen. »Woher weißt du das?«

»Er ist tot aufgefunden worden.«

»Ja ...« Mael stopft die Hände in die Taschen und nickt. »Ich hab ihn gefunden.«

»Wirklich?«

»Mais oui.«

»Und wo?«

Eine der beiden Patientinnen, die mir vorhin zugewunken haben, kommt aus einem der angrenzenden Zimmer und schlurft den Korridor hinunter zum Gemeinschaftsraum.

Mael sieht ihr nach, bis sie durch die Tür verschwunden ist. »In der Waschküche«, antwortet er schließlich. »Im Minus-25-Grad-Kühlschrank.«

»Und wann war das?«

»Freitag Nachmittag. Kurz bevor ich nach Hause gehen wollte.«

»Und was hast du sonst noch gesehen?«

Maels Miene verfinstert sich. »Die Leiche hat mir schon gereicht.« Er schaudert sichtlich. »Das war echt kein schöner Anblick, so viel kann ich dir sagen.«

»Das glaub ich dir«, erwidere ich. »Ich hab die Leiche von Kornelius Gisser gefunden.«

Maels Augen werden so groß wie Untertassen. »Konni ist tot?« Er wendet sich ab, scheint einen Schrei zu unterdrücken und krallt beide Hände in seine Locken. »Ich hab's gewusst. Ich hab's gewusst! Sie sind hinter mir her!«

»Wer?«

»Na, sie!«, fährt Mael mich an. »Diese Wesen, die Dr. Anselm getötet haben. Sie ... sie beobachten mich. Sie sind überall und sie tragen fremde Gesichter!«

Mein Mund wird trocken. Fremde Gesichter. Wie ... Totenmasken. Imagines.

»Woher weißt du das?«, hauche ich.

»Sie verfolgen mich – und sie tragen Dr. Anselms Gesicht.« Mael fängt an, in der Luft herumzugestikulieren. »Ich hab sie gesehen, schon sicher ein Dutzend Mal. Sie sind überall, wo ich hingehe. Sogar ...« Er späht zum Gemeinschaftsraum hinüber. Sein Adamsapfel hebt und senkt sich. »Sogar hier.«

»Mael ...«, erwidere ich mit eindringlich gesenkter Stimme. »Hast du irgendeine Ahnung, was diese Wesen sind?«

Maels Blick klebt an der Tür zum Gemeinschaftsraum. Dort ist wieder eines der beiden Mädchen aufgetaucht. Es späht zu uns herüber. Auf ihren Lippen liegt ein provokantes Lächeln.

»Mael, sieh mich an. Wenn du willst, dass ich dir helfe, musst du mir sagen, was du über diese Wesen weißt.«

Doch Mael scheint mir gar nicht zuzuhören. Wie gebannt beobachtet er das Mädchen, das seinen Blick als Aufforderung zu verstehen scheint und mit einem listigen Lächeln auf uns zukommt. Sie bewegt sich langsam und aufreizend, auch wenn sie nur eine sackartige Jogginghose und ein ausgebeultes Batik-T-Shirt trägt. Vielleicht hat sie irgendeine Form von Persönlichkeitsstörung oder eine manische Episode. Patienten in einer manischen Phase neigen zu Störungen der Impulskontrolle und damit einhergehend auch zu einer Hypersexualität.

Das ist es jedenfalls, was mir beim Anblick der jungen Frau durch den Kopf schießt. Mael muss an etwas ganz Anderes denken. Sein Körper versteift sich immer weiter – und dann schnellt er so plötzlich los, als hätte er auf einer Sprungfeder gesessen.

Mit einem wütenden Aufschrei stürzt er sich auf das Mädchen, bringt sie aus dem Gleichgewicht und landet mit ihr am Boden.

»Mael! Was machst du?«

Statt einer Antwort beginnt Mael, auf das wehrlose Mädchen einzuschlagen. Ich versuche, ihn von ihr herunter zu zerren, aber er stößt mich zurück. »Sie ist eine von ihnen!«

»Warte! Nein!«

Mael schlägt weiter auf das Mädchen ein. Ich will seine Hand festhalten und kriege dafür einen Ellenbogen in den Magen. Das Mädchen windet sich unter Maels Gewicht und will ihn abwerfen, aber er drückt sie mit mehr Kraft, als ich einem Hänfling wie ihm zugetraut hätte, zu Boden und legt beide Hände um ihre Kehle.

»Nein, Mael!«

Ich packe seine Haare und ziehe daran, aber er lässt nicht locker.

Gleichzeitig öffnen sich die anderen Türen und mehrere Patienten treten auf den Korridor hinaus. Und schließlich – endlich! – kommen auch die PiA, die mich hereingelassen hat, und eine Pflegekraft angerannt. Gemeinsam schaffen wir es, Mael von der jungen Frau wegzuzerren.

Sie setzt sich hustend und röchelnd auf. Ihr Gesicht ist gerötet, Tränen strömen über ihre Wangen.

Ein Arzt in einem weißen Kittel stürzt herbei und redet auf Mael ein, aber Mael lässt sich nicht beruhigen. Ganz im Gegenteil. Wie eine Wildkatze strampelt er im Griff des Pflegers, schlägt, tritt und beißt in alle Richtungen. »Sie ist eine von ihnen!«, keift er dabei. »Wir müssen sie umbringen! Bevor sie uns umbringt!«

Ich entferne mich ein paar Schritte und sammele die SodaStream-Flasche auf, die ich im Eifer des Gefechts fallen gelassen haben muss. Mein Herz pocht hart und fest in meiner Brust. Doch ich folge meinem Instinkt und kippe das restliche Wasser über dem Mädchen aus, das immer noch am Boden hockt. Nass und verwirrt sieht sie zu mir hoch.

»Hier«, sage ich und reiche ihr die Flasche, als wäre das eben gar nicht passiert. »Trink einen Schluck.«

Verdattert nimmt sie mir die Flasche aus der Hand und ich nutze die Gelegenheit, um mich aus dem Staub zu machen.


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