Von hier bis irgendwo hin
Unglaubliche Kopfschmerzen sind das erste, was ich spüre. Als würde jemand mit einem Hammer auf meinen Schädel einschlagen. ‚Warum fühle ich mich so schwerelos?', ist der erste Gedanke, der in meinem Kopf umhergeistert.
„Ich weiß nicht, vielleicht, weil wir im Weltraum sind und du die Schwerkraft in deinem Zimmer abgeschaltet hast?", antwortet eine mir unbekannte Stimme und mir wird bewusst, dass ich laut gedacht habe. Verwirrt blinzele ich gegen das grelle Licht an. As ich mich umblicke, erkenne ich mit einem schrillen Quieken, dass ich tatsächlich anderthalb Meter über einem ordentlichen Bett schwebe. Sofort rudere ich wie wild mit meinen Armen und taumele damit nur noch stärker. Auch das Pochen in meinem Kopf verstärkt sich.
„Meine Güte Linn, was ist denn mit dir auf einmal los?", will der drahtige Junge wissen, zu dem scheinbar die Stimme gehört. Er kommt elegant und ohne die geringsten Probleme auf mich zugeglitten. Seine sandfarbenen Haare stehen zu allen Seiten ab und als er mich angrinst, erscheint ein Grübchen auf seiner rechten Wange.
Ich runzele die Stirn. „Das ist nicht mein Name."
Er scheint noch amüsierter. „So? Wie denn dann? Soll ich dich lieber Zuckerschnute nennen?"
Damit hat er mich erreicht und gibt mir halt, indem er einen Arm unter meine Kniekehlen legt und den anderen an meinen unteren Rücken. Er trägt die gleiche Sorte Anzug wie ich auch, aus ungewöhnlichem Material und enganliegend. Es ist mir unangenehm, ihm so nahe zu sein, wo ich ihn doch gar nicht kenne, aber mir ist gerade ein größeres Problem aufgefallen. Ich weiß meinen Namen nicht mehr. Ich weiß gar nichts mehr. Wenn ich versuche, an ein Ereignis meiner Vergangenheit zu denken, die es ja gegeben haben muss, ist es wie ein riesiger Wattebausch, der mir den Zugang blockiert. Als ob all das knapp außer Reichweite ist.
Plötzlich spüre ich die Lippen des Jungen auf meinen und werde abrupt wieder in die Gegenwart katapultiert. Auf der Stelle stoße ich ihn von mir. Nun schweben wir entfernt von einander und ich schaffe es, mein Gleichgewicht zu halten.
„Was sollte das denn?!", will ich entsetzt wissen.
„Als dein Freund darf ich das ja wohl. Ernsthaft, was ist mit dir los? So verhältst du dich doch sonst nicht." Erst sieht er ein bisschen beleidigt aus, dann schleicht sich jedoch ein besorgter Gesichtsausdruck in seine ebenmäßigen Züge.
„Du bist mein Freund?" Ich muss schon zugeben, er sieht echt gut aus. So einer ist mein Freund? ‚Konzentrier dich!', herrsche ich mich innerlich an. Ich habe keine Erinnerungen. An nichts. Stattdessen habe ich Kopfweh. Es ist nicht nur frustrierend, wird mir in diesem Moment klar, es ist fatal. Mit einem Mal habe ich meine gesamte Identität verloren. All meine Erfahrungen, alles was mich ausmacht; weg. Ich denke mir gerade, dass ich doch wohl nicht heulen werde, da bilden sich schon die ersten Tränen in meinen Augen und bilden dort in der Schwerelosigkeit eine Blase. Ich kann nichts mehr erkennen, alles ist verschwommen.
„Ich weiß nicht mehr wer ich bin! Ich weiß nicht wer du bist, ich weiß nicht wo ich bin, ich weiß gar nichts mehr!", beginne ich hysterisch zu schluchzen.
Ich kann den Gesichtsausdruck meines Gegenübers nicht erkennen, aber er scheint geschockt.
Dann vernehme ich seine überraschend ruhige und bestimmte Stimme: „Mein Name ist Aaron. Keine Sorge, das wird wieder. Du bist nicht allein. Ich werde dich jetzt festhalten und die Schwerkraft wieder einschalten, einverstanden?"
Ich bringe nur ein schlappes Nicken zustande und schon schließen sich seine Arme um mich, diesmal jedoch deutlich zaghafter als noch zuvor. Er hat wohl den Ernst der Lage erkannt.
Langsam und mit koordinierten Bewegungen gleitet er durch den Raum und ich vergrabe meinen Kopf an seiner Schulter, in dem verzweifelten Versuch, die Welt um mich herum auszublenden. In diesem Moment ist es mir komplett egal wer er ist, ich brauche jemanden der mir Halt gibt. Und irgendwie glaube ich nicht, dass er gelogen hat, was die Sache mit unserer Beziehung angeht. Was hätte es ihm auch gebracht?
Mit einem Mal fühle ich wieder Boden unter den Füßen und Aaron lässt mich los. Im selben Moment platscht die Blase aus Tränen auf den Boden und ich kann wieder etwas erkennen.
Ich schniefe einmal geräuschvoll und blicke mich dann um. Der recht große Raum ist sehr kühl eingerichtete, fast nur Grautöne und futuristische Formen. An der dem Bett gegenüberliegenden Wand befindet sich eine schlichte Schrankwand und an einer anderen gibt es einen Schreibtisch, der unglaublich sauber und sortiert ist. Eigentlich steht darauf nur ein Tablet, sowie eine künstliche Pflanze in einem Topf und eine kleine Figur.
Als mein Blick den ganzen Raum einmal abgescannt hat, wandert er zu Aaron zurück, der mich nachdenklich betrachtet.
„Ich habe echt dolle Kopfschmerzen. Was soll ich jetzt machen?", frage ich, weil ich keine Ahnung habe, wie es weitergehen soll. Fürs Erste werde ich Aaron vertrauen, es bleibt mir auch nichts anderes übrig, denn ich brauche dringend Antworten.
„Erstmal gehen wir zu den anderen. Dann besprechen wir gemeinsam alles Weitere. Wir haben bestimmt auch irgendwo Medikamente für dich." Er schenkt mir ein aufmunterndes Lächeln und ich versuche, es zu erwidern. Heraus kommt jedoch wohl eher eine Grimasse.
‚Es gibt noch andere hier?'
Wir verlassen gemeinsam das Zimmer und er führt mich einen leeren Gang entlang. Zwischendurch muss ich mich an Aaron festhalten, weil meine Kopfschmerzen so schlimm sind, dass mir ab und zu schwarz vor Augen wird. Die Wände schimmern in einem metallischen Grauton. Wir sind ja auch auf einem Raumschiff, fällt mir ein. Komisch, dieses Wissen fehlt mir nicht. Ich könnte Dinge ausrechnen, oder geographische Daten nennen, nur meine Erinnerungen, die sind weg. Als ich vor mich hin grübele und mit aller Kraft meine Verzweiflung zu verdrängen versuche, fange ich plötzlich Aarons Blick auf.
„Ist etwas?"
„Nein", er schluckt, „Du bist nur so unglaublich tapfer. Was vermutlich der Grund ist, weshalb ich mich in dich verliebt habe. Du erinnerst dich wirklich nicht...?"
Sofort senke ich den Boden. Ich kann die Hoffnung in seiner Stimme hören und ich hasse mich dafür, dass ich sie ihm nehmen muss.
„Nein, nichts. Es tut mir wirklich leid." Ich wünschte, ich könnte irgendetwas sagen um ihn aufzuheitern, sein Schmerz ist nicht zu übersehen.
„Vergiss es, das war eine dumme Frage. Du musst dich für gar nichts entschuldigen. Egal was jetzt passiert, ob du dich bald wieder erinnerst oder auch nicht."
Mein Magen zieht sich bei dem Gedanken schmerzhaft zusammen.
„Ich bleibe an deiner Seite. Und auch wenn dir das jetzt nichts bedeutet, weil du dich nicht an uns beide erinnern kannst. Ich liebe dich, und das wird auch so bleiben. Vielleicht kannst du mir ja irgendwann eine neue Chance geben."
Wenn Aaron immer so verständnisvoll und lieb ist, ist es vermutlich kein Wunder, dass ich in ihn verliebt war. Gerade setze ich zu einer Erwiderung an, da haben wir eine runde Tür erreicht. Er stößt sie auf und gemeinsam treten wir in das Cockpit des Raumschiffes. Es ist ziemlich groß und durch ein durchsichtiges Material vorne bietet sich ein atemberaubender Ausdruck auf Abermillionen von Sternen.
Zwei Personen, die an einem wie eine Pfeilspitze geformten Tisch sitzen, drehen sich zu uns um. Vor ihnen schweben Hologramme in der Luft und die Tischplatte ist übersäht von Steuerelementen.
„Linn, das sind Luc und Nessa", stellt Aaron die beiden vor.
Das Mädchen, das ein wenig älter als ich zu sein scheint, rollt mit den Augen, als hätte Aaron einen dummen Witz gemacht. Ihre dunkelbraune Lockenmähne hat sie mehr schlecht als recht in einem Zopf gebändigt und an ihren Fingern stecken viele verschiedene, extrem filigrane dünne Ringe. Der Junge, Luc, ist deutlich breiter gebaut als Aaron und seine ebenfalls dunklen Haare sind furchtbar kurz geschnitten. Er kommt lachend auf uns zu und klopft mir so stark auf die Schulter, dass ich zusammenzucke.
„Na ihr zwei, hattet ihr eine heiße Nacht?", er zwinkert Aaron zu. Während dieser keine Miene verzieht, laufe ich rot an bis an die Haarwurzeln. Wir hatten was?! Aaron wirft mir einen prüfenden Blick zu und wendet sich dann an die beiden.
„Linn hat Amnesie. Sie kann sich an nichts erinnern."
Nessa will schon losprusten, aber die Ernsthaftigkeit in seiner Stimme lässt sie zweifeln.
Aaron seufzt und ergänzt dann: „Ich schwöre auf die Pancakes."
Ich habe keine Ahnung, was für ein seltsames, geheimes Passwort oder so das sein soll, aber es scheint die beiden zu überzeugen, dass er keine Scherze macht. Sofort kommt Nessa auf mich zugestürzt und fällt mir um den Hals.
„Oh Linn, es tut mir so leid!" Ich stöhne auf, als die Schmerzen zunehmen. Langsam massiere ich mir meine Schläfen und bemühe mich, sie zurückzudrängen, was mir nicht wirklich gelingt. Vor Ärger beiße ich die Zähne fest zusammen.
„Ähm. Es ist in Ordnung, ihr könnt nichts dafür", versuche ich sie zu beruhigen und werfe Aaron einen hilfesuchenden Blick zu, doch dieser ist in eine Diskussion mit Luc vertieft. Auf seiner Stirn haben sich kleine Sorgenfalten gebildet und kurz blitzt in meinem Geist ein Bild auf, wie ich sie mit den Fingerspitzen glattstreiche. Was zur?!
Ich taumele ein paar Schritte zurück. Entsetzt blicke ich auf meine Hände. War das etwa eine Erinnerung? Wenn ja, dann waren wir zwei wohl wirklich ein Paar. Mit einem Mal kommt in mir der Wunsch hoch, mich daran zu erinnern. Wie es wohl war, mit Aaron zusammen zu sein?
Das Mädchen vor mir schaut mich seltsam an. „Ist alles in Ordnung?", fragt sie dann vorsichtig.
„Ja! Ja, alles gut, mir war nur ein bisschen, äh, schwindelig", lüge ich spontan. „Und ich habe Kopfweh." Dieses Fragment Erinnerung gehört vorerst nur mir. Und vielleicht Aaron. Eine Gänsehaut überkommt mich.
„Setz dich erst einmal!" Ohne Widerspruch zu akzeptieren, bugsiert Nessa mit zu einem der drehbaren Stühle vor der Steuerkonsole.
Nach einer Weile sitzen wir dort alle und besprechen die Lage.
„Wir sind gerade vom Stützpunkt auf Alpha Lithea gestartet und zu unserer ersten Mission aufgebrochen, das ist erst achtundvierzig Stunden her. Seitdem sind wir im Raum unterwegs. Ihr beide", Luc deutet auf mich und Aaron, „wolltet heute ein bisschen Zweisamkeit genießen." Er grinst uns verschwörerisch an und auch Nessa kann sich ein Schmunzeln nicht verkneifen.
Mir ist es total unangenehm, denn ich weiß nicht, wie ich darauf reagieren soll. Wenn wir beide ein Paar waren, kann ich mir schon vorstellen, was wir machen wollten, weil ich mich aber nicht daran erinnern kann, fühle ich mich verletzlich. Aaron ist aber auch nicht begeistert und hat sofort durchschaut, warum ich plötzlich krampfhaft zu Boden starre.
„Können wir uns darauf einigen, dass du solche Witze lässt, bis es Linn wieder gut geht? Sie kann sich gegen deine Scherze nicht wehren, wenn sie keine Erinnerung hat." Seine Stimme klingt ein bisschen schärfer als sie sollte. Ist er sauer, dass ich mich speziell daran nicht erinnern kann? Mir wird heiß und kalt zugleich. Was haben wir nur angestellt?
Luc nickt, entschuldigt sich aber nicht bei mir. Aaron führt die Geschichte weiter: „Als ich vorhin wiedergekommen bin, hingst du schlafend in der Luft und hast wirres Zeug geredet."
Das gibt mir zu denken, denn in dieser Zeitspanne muss irgendetwas meine Amnesie ausgelöst haben.
Nessa dreht sich zu mir um und musterte mich.
„Kann ich dich kurz untersuchen?", bittet sie. Ich frage wortlos Aaron, ob das in Ordnung ist und er nickt. In den wenigen Minuten, die seit meinem Aufwachen vergangen sind, ist er schon eine Art Bezugsperson für mich geworden.
Nessa tastet vorsichtig meinen Kopf ab und weist mich an, ihr Bescheid zu sagen, wenn es doller wehtut. Ich gehorche und mache alles wie sie sagt. Schließlich wendet sie sich ab, tippt etwas auf die Tastatur vor ihr auf dem Tisch und grübelt, total in sich selbst versunken.
„Check mal bitte die technischen Daten von vor ein paar Stunden", spricht sie dann in die Runden und Aaron übernimmt das. Nach nur wenigen Sekunden hörte ich ein überraschtes Zischen aus seiner Richtung.
„Es gab einen Ausfall der Schwerkraft in dem Bereich, indem Linns Zimmer liegt!", ruft er dann geschockt.
Nessa nickt: „Zu dieser Zeit sind wir gerade auf Manöverflug gewesen. Du bist durch den ganzen Raum geschleudert worden Linn. Meine Diagnose: retrograde Amnesie durch eine sehr starke Gehirnerschütterung. Deshalb auch dein Kopfweh. Willst du zuerst die schlechte Nachricht hören, oder die gute?"
Ich zögere kurz, entscheide mich dann für die schlechte. Lieber nichts länger herauszögern, als nötig.
„Die Kopfschmerzen werden noch eine ganze Weile bleiben, außerdem kann es sein, dass du zwischendurch Übelkeitsanfälle hast."
„Und die gute Nachricht?"
„Du hast dir scheinbar nichts Anderes verletzt, was an ein Wunder grenzt, und deine Erinnerungen werden zurückkommen. Das kann aber eine Weile dauern. Auf jeden Fall brauchst du viel Ruhe"
Vor Erleichterung sinke ich in mir zusammen und kneife kurz die Augen zu. Es ist temporär, sage ich zu mir selbst. Es geht wieder vorbei.
Auch Aaron scheint erleichtert, denn er wirft mir mehrere Blicke zu.
Nessa geht kurz Tabletten für mich holen und die anderen erzählen mir so viel wie möglich über mich selbst. Scheinbar war ich in ihrem Team für Diplomatie und Kommunikation zuständig und meine Familie wohnte auf Sindré, ein Planet, ziemlich weit von unserer momentanen Position entfernt. Ich sei sehr tapfer und empathisch, aber auch immer für einen Scherz zu haben.
„Oh, und du liebst Donuts!", fällt Luc noch ein.
„Stimmt", Aaron grinst. „Du hast die Dinger immer dich reingestopft, als wären sie das Einzige was du brauchst im Leben. Deine Augen haben dabei geleuchtete wie hundert Sterne. Und ich dachte jedes Mal, dass du niemals schöner ausgesehen hast." Während er gesprochen hat, ist seine Stimme immer leiser geworden. Nun räuspert er sich und die anderen sehen betreten zu Boden. Kurz zuckt seine Hand in Richtung meines Oberschenkels, dann zieht er sie zurück. Aaron muss mich wirklich lieben und ich hasse, dass ich ihm so sehr wehtue.
Nessa bringt mich wenig später zu meinem Zimmer zurück und sagt mir, ich solle mich erst einmal ausruhen. Auf dem Weg dorthin zeigt sie mir die Bereiche der anderen und andere wichtige Orte.
Als ich schließlich wieder allein in meinem Zimmer stehe, kommt mir der Raum umso trister vor. Mein Teil ist eindeutig am unpersönlichsten. Während sich die anderen Crewmitglieder alle Mühe gegeben haben, ihre so gemütlich und heimelig einzurichten wie möglich, habe ich es scheinbar so gelassen wie es von Anfang an war. Alles was ich besitze, ist säuberlich verstaut und irgendwie traue ich mich nicht, es zu durchsuchen. Schon die Schubladen des Schreibtisches zu öffnen, fühlt sich an, wie durch die Besitztümer einer Fremden zu gehen, also lasse ich es. Die anderen haben mir erzählt, dass ich für alles ein striktes System hatte, außerdem hilft mir die Nüchternheit des Raumes, meine Gedanken zu ordnen.
Ich setze mich aufs Bett und als ich dort so hocke, kommen plötzlich die Tränen wieder. Ich weiß nicht einmal weshalb, schließlich bekomme ich meine Erinnerungen doch zurück. Aber trotzdem wollen sie nicht versiegen. Ich rolle mich zu einer Kugel, krieche unter die Bettdecke und wimmere dort vor mich hin. Nach einer Weile verstummen meine Schluchzer. Genau in diesem Moment öffnet sich die Tür und Aaron kommt herein. Eilig setze ich mich auf und fahre mit den Fingern über mein Gesicht.
Er schmunzelt wehmütig, als er mich sieht.
„Dachte ich es mir doch. Du rollst dich immer so zusammen, wenn du aufgewühlt bist."
Sachte setzt er sich neben mich auf das Bett und bringt dann schnell etwas mehr Abstand zwischen uns, als er merkt, dass wir uns fast berühren. Als hätte er Angst, aufdringlich zu wirken.
„Ich wollte nach dir sehen. Es wird dir natürlich nicht gut gehen, also wäre die Frage sinnlos, aber... Kann ich irgendetwas für dich tun?" Er sieht mich an, als wäre es für ihn mindestens genauso wichtig wie für mich, dass er etwas unternehmen kann. Mir kann er nicht helfen, zumindest nicht in dieser Sache, aber wenigsten kann ich für ihn da sein.
„Du kannst mit mir reden. Wie geht es dir?"
„Ich mache mir solche Vorwürfe. Wäre ich nur früher zurückgekommen, oder wäre ich gar nicht erst gegangen... Vielleicht hätte ich dich schützen können. Es tut mir so leid", gibt er zu und vergräbt entmutigt den Kopf in den Händen. „Ich kann verstehen, wenn du mich nicht mehr sehen willst", versichert mir dann traurig.
„Nein. Hör auf damit. Es ist nicht deine Schuld und du hättest nichts ändern können. Am Ende wärst du vielleicht auch verletzt worden. Und ich bin dankbar für deine Unterstützung."
Er seufzt und nickt. Und wie aus dem Nichts liege ich plötzlich in seinen Armen und er murmelt mir etwas ins Ohr. Erschrocken fahre ich zurück, nur um mich im nächsten Moment wieder an der gleichen Stelle vorzufinden, auf meinem Bett, Aaron neben mir, doch mir großzügigen Abstand.
Als er mich jetzt sieht, weicht er mit weit aufgerissenen Augen noch weiter zurück. „Bin ich dir zu nahegekommen?", will er beinahe panisch wissen und sieht aus wie ein verschrecktes Tier.
„Nein, alles gut. Wirklich. Du kannst dich wieder zurücksetzen, bitte." Nur langsam kommt er dem nach. Schon wieder so ein Fragment, wie vorhin im Cockpit. Was hat es damit auf sich? Sind das meine Erinnerungen, die bereits zurückkommen?
„Ich muss dich etwas fragen", beschließe ich mit der Sprache herauszurücken und überlege, wie ich das am besten ausrücken kann.
„Nur zu", antwortet Aaron mit einem abwartenden Blick.
Ich muss unbedingt wissen, ob die Sache vorhin wirklich eine Erinnerung war oder nur Wunschdenken. Es gibt nur einen Weg; ich muss ihn fragen. Wenn es allerdings keine Erinnerung gewesen ist... wird es peinlich werden.
„Also, als wir zusammen waren", setze ich an und er versteift sich neben mir. Kein guter Anfang.
„Wenn du besorgt warst und wie vorhin diese kleinen Falten bekommen hast", ich deutete fahrig auf seine Stirn, „habe ich die jemals, naja, weggestrichen oder so ähnlich?" Meine Stimme ist nur noch ein leises, beinahe kleinlautes Piepen.
‚Oh Hölle, ich hätte das nicht fragen sollen. Bestimmt war das nur mein seltsames Gehirn!'
Doch zu meiner Überraschung nickt er leicht: „Ja, hast du. Woher weißt du das?" Ich kann die Hoffnung in seinem Blick sehen. Hoffnung, dass ich mich doch noch erinnern werde.
„Ich hatte vorhin eine Art Bild im Kopf, als ich deine Sorgenfalten gesehen habe", erkläre ich ihm. Das ich gerade schon wieder eine Erinnerung zurückbekommen habe, verschweige ich. Das wäre mir dann doch zu seltsam, mit ihm zu besprechen.
Mit einem Mal scheint seine Stimmung wieder deutlich besser als noch vor wenigen Minuten. „Das ist toll!", ruft er begeistert und spontan umarme ich ihn. Obwohl er mich eindeutig auch berühren will, sitzt er unschlüssig da.
„Umarmen ist okay", versichere ich ihm leise und dann schlingt Aaron seine Arme fest um mich und umarmt mich aus vollem Herzen zurück. Sein warmer Atem kitzelt mich an der Wange und für einen kurzen Moment rast mein Herz im Galopp.
Als er später, nachdem wir uns noch ein bisschen unterhalten haben, die Tür hinter sich zuzieht, sinke ich ins Bett und ein Lächeln schleicht sich auf mein Gesicht. Ich habe endlich wieder Hoffnung und Glauben daran, dass ich meine Erinnerungen zurückbekomme. Ein Gähnen unterbricht meinen Gedankengang und kurz darauf bin ich weggedämmert.
Als ich das nächste Mal aufwache, suche ich mir schnell meinen Weg zur Steuerzentrale, ein unangenehmes Magengrummeln im Gepäck. Meine Kopfschmerzen sind deutlich verblasst. Ich kann nirgendwo eine Zeitanzeige erkennen, deshalb habe ich keine Ahnung, wie spät es ist.
An den Weg kann ich mich zum Glück erinnern und gehe nicht verloren. Als ich durch die Tür platze, drehen sich drei Köpfe in meine Richtung.
„Gut geschlafen, Sonnensch-, äh, Linn?", fragt mich Aaron und dreht sich peinlich berührt sofort wieder um. Wollte er mich gerade Sonnenschein nennen? Hat er mich so genannt, als wir zusammen waren? Je länger ich ihn kenne, auch wenn es vermutlich nicht mal mehrere Tage sind, desto lieber habe ich ihn. Luc grinst und Nessa rollt mal wieder mit den Augen.
„Ja, danke der Nachfrage. Gibt es was zu essen irgendwo? Und ich würde gerne wissen, wie lange ich geschlafen habe."
„Ein paar ordentliche Stunden", schaltet sich Luc ins Gespräch mit ein und beginnt, im Raum auf und ab zu gehen. „Ich bin auch gerade erst wieder aufgewacht. Bei uns dürfte es jetzt kurz vor Mittag sein, aber Zeitrechnung ist immer etwas kompliziert, wenn man im Raum unterwegs ist. Was hälts du von Donuts zum Frühstück?" Er zwinkert verschmitzt.
Heute habe ich gute Laune, also stimme ich freudig zu. Ich helfe ihm, das Gebäck aus dem Vorratsraum zu holen und keine zehn Minuten später sitzen wir zu viert an der Steuerkonsole und mampfen Donuts mir Marmeladenfüllung. Sie haben mir ja bereits erzählt, dass ich Donuts liebe, aber wow, dass sie so lecker sind... Hmm.
Ab und zu sehe ich, wie mir Aaron einen kurzen Blick zu wirft, mit einem kleinen Lächeln um die Mundwinkel. Mir fallen seine Worte von gestern wieder ein.
Deine Augen haben dabei geleuchtete wie hundert Sterne. Und ich dachte jedes Mal, dass du niemals schöner ausgesehen hast.
Sieht er dieses Leuchten gerade wieder? Ich senke den Blick auf mein Essen und tue so, als würde ich es nicht bemerken.
Ich denke an gestern Abend zurück. Wie mein Herz plötzlich geklopft hat, als hätte ich einen Sprint hingelegt. Ich dachte an die Vertrautheit, die mich mit Aaron verbindet, obwohl ich ihn durch meine Amnesie eigentlich gar nicht kenne.
„Ich muss mit Aaron reden", stelle ich fest.
„Okay. Was gibt's?"
„Huh?" Oh Mist, ich habe wohl schon wieder laut gedacht. „Ähm, ja. Also, würdest du kurz mitkommen?", stottere ich und gestikuliere wild in der Luft herum. Dann stehe ich auf und Aaron folgt mir zu Scheibe. Sie nimmt die ganze Front ein und als ich dort so stehe, den Blick in die Weiten des Weltalls gerichtet, fühle ich mich, als würde ich fliegen. Kurz bin ich versucht die Arme auszubreiten, unterlasse das dann aber doch lieber. Alle hier halten mich schon für seltsam genug.
Ich wende mich Aaron zu, der mich aufmerksam mustert.
„Okay. Also, dieses Gespräch wird jetzt vermutlich sehr seltsam und ich weiß nicht wirklich wie ich all das ausrücken soll, was ich sagen will", beginne ich nervös. Doch im selben Moment werde ich von ihm unterbrochen.
„Darf ich dich umarmen?", fragt er mich geradeheraus.
Ich bin perplex und dennoch seltsam gerührt, dass es ihm so wichtig ist, mich nicht zu bedrängen. Das gefällt mir. Ich nicke und schlinge die Arme um seinen Hals und er seine um meinen unteren Rücken. Dann zieht er mich eng an sich. Ein bisschen bin ich gespannt, wie meine Körper reagieren wird. Aber wie erwartet, startet mein Herz wieder einen Marathon. Langsam löse ich mich wieder von ihm und streiche mir eine lose Strähne hinters Ohr.
„Ich bekomme die ersten Teile meiner Erinnerung zurück. Es sind bisher nur zwei kleine Fragmente, aber beide mit dir. Die ganze Situation ist komplett verrückt, aber du solltest wissen, dass du mir etwas bedeutest... Auch wenn ich nicht genau weiß wie es weitergeht. Ich weiß das ich dich geliebt habe und es irgendwie auch tue und es tut mir leid, dass ich mich nicht mehr an uns erinnere", langsam bin ich aus der Puste und mir gehen die Worte aus. Ich weiß einfach nicht, was ich zu ihm sagen soll.
„Linn. Du musst nichts sagen oder dich irgendwie rechtfertigen. Es ist nicht deine Schuld und egal wie lange es dauert, bis du deine Erinnerungen zurückhast, ich werde warten. Und wenn du dich dann entscheidest, dass wir nicht wieder zusammenkommen sollten, dann werde ich das auch akzeptieren."
Ich will gerade etwas erwidern, da ruft Nessa von hinten: „Hey, seid ihr bald fertig mit der Gefühlsduselei?"
Ich sehe ihn fragend an und er lächelt leicht. Also gehen wir zurück und ich schnappe mir den letzten Donut.
„Was machen wir jetzt eigentlich? Meine Amnesie wird verschwinden, das heißt, wir können unsere Aufgabe fortsetzen, oder?", will ich dann mit vollem Mund wissen.
„Korrekt", antwortet Nessa mir.
Luc dreht sich auf seinem Stuhl zu uns um. „Und, wo soll es mit euch beiden hingehen?"
Zum ersten Mal ist es mir nicht unangenehm, dass er eine solche Andeutung macht. „Wir lassen uns treiben."
Aaron tritt an meine Seite und lächelt zu mir hinunter: „Von hier bis irgendwo hin."
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