1-Liah
Ich rannte durch die Flure unseres großen Hauses. Meine nackten Füße verursachten keinen Laut auf dem alten Teppich. Ich wollte jetzt zu ihr! Zu Ria! Wollte sie finden, in den Arm nehmen und sie endlich einmal bei mir haben. Ich wusste, es würde schwierig werden. Vielleicht sogar unmöglich, aber ich musste es versuchen. Ich könnte mir das niemals verzeihen, wenn ich sie hierlassen würde. Und ohne sie wollte ich auch nicht flüchten, denn sie war ja mein Grund zu flüchten. Ich wollte ihr noch einmal die Welt zeigen bevor sie starb.
Ich erreichte ihre Tür, griff nach dem alten, goldenen Türknauf und öffnete leise die Tür. Als ich mit Schwung hineinstürzte, prallte ich ab und landete auf dem Boden. Das Glas! Es würde alles zunichte machen! Denn das Glas war das Hindernis, das ich immer wieder vergaß. Wie konnte ich es nur vergessen? Es war so wichtig!
Ich erwachte schweißnass und deprimiert von meinem Traum. In meinen Träumen vergaß ich immer das wichtigste. Es war ja nicht das erste Mal, dass ich diesen Traum hatte. Er kehrte seit Monaten immer wieder und raubte mir meinen Schlaf. Und wieso vergaß mein Traum-ich nur immer das blöde Glas? Ich meine, das konnte ich ja garnicht vergessen, ich wurde ja täglich daran erinnert. Immer, wenn ich zu Ria ging. Wenn ich vor ihrer Türe stand und mir nichts sehnlicher wünschte, als bei ihr zu sein. Vielleicht sollte ich das jetzt auch tun. Einfach zu ihr gehen und sehen ob sie auch wach war. Es war ja schließlich erst 2 Uhr nachts. Und Ria konnte ja sowieso schlafen wann sie wollte. Sie musste ja nicht zur Schule. Ich hingegen...
Egal! Schlafen konnte ich morgen.
Leise schlüpfte ich aus meinem Bett und tapste auf leisen Sohlen zur Tür. Als ich die Tür öffnete, quietschte sie so laut, dass ich schon Angst hatte, die Gräfin geweckt zu haben. Kurz schien der Schock mich zu überwältigen, denn die Wut der Gräfin wollte niemand auf sich ziehen, aber eigentlich war das auch egal. Falls ich sie wirklich geweckt hatte wusste sie auf jeden Fall, dass ich es war, also machte es keinen Unterschied ob ich weiterging oder nicht.
Ich tastete mich an der Wand entlang um in der Dunkelheit nicht über meine eigenen Füße zu stolpern. Früher hatte ich mich nachts in den verzweigten Gängen oft verlaufen, jetzt hingegen kannte ich den Weg in und auswendig. Würde Ria sich in der normalen Welt wohl zurechtfinden? Sie hatte ihr Zimmer schließlich noch nie verlassen. Der Arzt kam ja immer zu uns. Sie hätte in meiner Welt keinerlei Chance. Sie hatte so gut wie keinen Kontakt zu anderen Menschen. Naja... wenn man mal von Paul absah.
So langsam bekam ich wirklich Zweifel, ob mein Plan sie zu retten nicht doch unmöglich werden würde. Vielleicht wollte Ria ja auch gar nicht weg. Vielleicht war sie mit ihrer Routine zufrieden und hatte gar nicht das Bedürfnis, die Außenwelt zu sehen.
Gedankenverloren strich ich mir meine dunkelblonden Haare aus dem Gesicht und zwirbelte sie.
Mir war eigentlich klar, dass Ria die Welt sehen wollte. Ich würde sie ja auch sehen wollen, wenn ich an ihrer Stelle wäre. Ich versuchte mir jedoch immer noch, meinen Plan auszureden. Denn... ja, ich hatte Angst. Angst, Ria zu verlieren oder gar an ihrem Tod Schule zu sein. Ich könnte mir das nie verzeihen, wenn sie meinetwegen starb. Ohne die passenden Medikamente oder das richtige Umfeld. Und ich selbst brachte mich ja auch in Gefahr. Sie war hoch ansteckend! Obwohl ich das ja eher ertragen könnte. Dann könnte ich bei ihr bleiben und sie für den Rest meines dann wohl ziemlich kurzen Lebens in den Arm nehmen. Ja, das wäre schön.
Ich hatte keine Zeit, weiter über all das nachzudenken, denn ich stieß mit dem Fuß gegen Rias Tür.
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