Privileg der Nacht
Ich erkenne die Hand vor Augen nicht. Die Kerzenstumpen in den Eisenhalterungen sind längst heruntergebrannt. Nicht, dass ich sie sehe, die Schwärze versteckt sie vor mir genauso wie sie mich verbirgt. Doch ich kenne diese Gänge wie den Inhalt meines Beutels. Meine Lederpantoffeln knirschen auf den Holzdielen, sind aber rutschfest.
Ein Knarzen, dann ein Knarren. Irgendwo unter mir. Ich schleiche weiter, diese Laute ängstigen mich nicht; zu oft lagen sie mir bei meinen nächtlichen Ausflügen schon in den Ohren.
Vor der Tür zum Spiegelzimmer fische ich eine Haarnadel aus meinem Beutel. Mein rotbraunes Haar trage ich offen, es fällt in ungebändigten Wellen über meine Schultern. Ein Privileg, das es nur nachts hat. Das verheißungsvolle Klicken, mit dem der Riegel im Schloss zurückspringt, zupft an meiner Ohrmuschel und die Vorfreude an meiner Bauchdecke. Um einen verräterischen Lichtstrahl zu vermeiden, öffne ich die Tür gerade so weit, dass ich hindurchschlüpfen kann.
Denn in diesem Zimmer ist es hell in einer Nacht wie heute.
Das Mondlicht, das durch das einzige Glasfenster unserer Burg hereinfällt, tanzt durch den Raum. Mit meinem Eintreten unterbricht es sein Vergnügen, bescheint meine schlabbrigen Kniehosen, das weite Leinenhemd und anschließend meine Wange, als wolle es sich versichern, dass ich es bin, bevor es seinen Tanz fröhlich fortsetzt. Ja, ich bin hier, um mich ihm anzuschließen. Mein Privileg der Nacht.
Der Raum ist nicht nur wegen seines Glasfensters etwas Besonderes. Der Boden ist aus italienischem Marmor und die Wände bestehen vollständig aus Spiegeln.
Es ist die Schatzkammer unserer Burg. Mein Vater präsentiert hier seine „Lieblinge" – Zierteller und Schalen, Pokale, Diamantringe, mit Brillanten besetzte Spazierstöcke und Gürtelschnallen; viel davon in Silber, einiges vergoldet, dazu zwei Bronzen, die Jagdszenen zeigen und ein Collier aus Flussperlen. Langweilig.
Wenn die Leute in der Stadt wüssten, welche Reichtümer hier vor sich hinstauben, würden sie uns lynchen. Auf meine Zunge schleicht sich ein bitterer Geschmack beim Anblick von Vaters Schätzen, die um Aufmerksamkeit heischend auf kleinen Brettchen vor den Spiegeln befestigt oder in Spiegelvitrinen ausgestellt sind.
Die Spiegel schummeln.
Sie lassen Vaters teure Wenigkeiten in märchenhaftem Glanz erstrahlen und vermitteln dem Betrachter Fülle und Reichtum.
Es ist wahrhaft ein Schauspiel: Das Mondlicht bricht sich tausendfach in den Edelmetallen und Schmucksteinen und die Spiegel reflektieren den Glanz bis ins Unermessliche.
Ich schlucke die vom Staunen angesammelte Spucke mit dem letzten Rest Bitterkeit hinunter, denn ich bin nicht zum Gaffen hier. Es geht um mein Spiegelbild und um das einzige Teil in Vaters Schatz, das mich wirklich fasziniert:
Das mit Saphiren besetzte Rapier aus seiner grünen Jagdgarnitur.
Schummelei hat es nicht nötig.
Die Saphire glänzen heller als alles Silber in diesem Raum. Ihr Grün erzählt von Frühlingswäldern, satten Wiesen und Freiheit und ich könnte mir keine bessere Waffe wünschen.
Ich kann nur nachts richtig frei sein.
Ehrfurchtsvoll lege ich meine Finger, einen nach dem anderen, um den Griff, sodass der Knauf genau auf meinem Handgelenk liegt.
Wenn mein Vater wüsste, was ich hier trieb, würde er nicht nur den Raum besser verriegeln, sondern auch mich in meinem Turmzimmer einsperren. Zum Glück liegt er in seinem Himmelbett mit dem blauen Baldachin und schnarcht.
Ich stelle mich an einer Linie des Marmorbodens auf, die Hacken aneinander, das Rapier dicht an meiner Seite, straffe die Schultern, hebe das Kinn und sehe in den Spiegel.
Rauchgraue Augen, unter geschwungenen Brauen, blicken mir erwartungsvoll entgegen. Ich verlagere mein Gewicht auf das rechte Knie und strecke mein linkes Bein nach hinten aus. Langsam hebe ich meinen Schwertarm und ziehe ihn ebenfalls nach hinten, um ihn dann nach vorn zu führen, dabei federe ich leicht auf dem rechten Bein. Ohne Schwung, ohne Druck, zum Warmwerden.
Bald bewegt sich die Spitze des Rapiers in zehnfacher Geschwindigkeit und wie von selbst durch die Luft.
Schweiß perlt auf meiner Stirn. Dennoch achte ich darauf, die Bewegungen präzise und genau zu führen. Ein Rapier ist zum Stechen gemacht, nicht zum Hauen. Die Spiegel sind meine Lehrer.
Meine Füße bewegen sich lautlos in flinken Schritten. Ein Knarzen direkt vor der Tür lässt mich zusammenzucken.
Der Tanz ist vorbei. Ich senke die Waffe und husche geräuschlos hinter die Tür.
Das Rapier fest im Griff, die Luft angehalten, warte ich.
Mit verkniffenen Augen lausche ich der Regelmäßigkeit und Vorsichtigkeit des Geräuschs. Das ist kein zufälliges Knarren alter Dielen – und für jemanden aus meiner Familie ist es nicht herrschaftlich, raumgreifend und selbstverständlich genug. Hier schleicht wer umher, der hier nichts zu suchen hat.
Ein Dieb!
Im selben Moment, wie seine geflickten Sandaletten die Schwelle überschreiten, stoße ich meinen Arm nach vorn. Meine Schwertspitze durchbohrt die Luft und stoppt nur einen Fingerbreit über einem Adamsapfel.
Der Mond gibt mir Rückendeckung, indem er dem Eindringling ins Gesicht leuchtet und mein Antlitz im Schatten verbirgt.
Der Adamsapfel gehört zu einem ungewaschenen Hals, der zu einem mit Bartstoppeln übersäten Kinn führt, darüber ein schmaler Mund, der in Erstaunen verzogen ist, eine Nase, die einem Adligen gehören könnte und Augen, in die sich das Mondlicht verliebt zu haben schien. Sie sind silberblau und so glänzend wie Vaters Prunkteller.
Ich blinzel. Ich weiß nicht, wie ich mir einen Dieb vorgstellt hatte, aber doch irgendwie anders. Nicht so unverschämt...attraktiv.
„He, langsam!" Seine Stimme ist tief, keine Spur ängstlich und viel zu laut. Sie prallt an den Spiegel ab und hallt in den nachtschwarzen Gängen wieder. Ich lasse das Rapier sinken, drücke mich an ihm vorbei, schließe die Tür und lehne mich von innen gegen das Holz.
„Wirst du wohl still sein!", zische ich und hätte mich am liebsten selbst geohrfeigt. Alles in mir steht unter Spannung. Die kleinen Haare in meinem Nacken und auf meinen Unterarmen stehen so stramm wie ich. Mit gehobendem Rapier lausche ich auf etwaige Geräusche hinter der Tür und lasse den Eindringling dabei nicht aus den Augen.
Die dichte Augenbraue meines Gegenübers springt eine Etage höher, genau wie seine Mundwinkel. Erkenntnis funkelt mir aus seinen Silberschatzaugen entgegen. Und ich merke, dass ich meinen Vorteil verspielt habe: Jetzt leuchtet das Mondlicht mir ins Gesicht. Ich widerstehe dem Drang, mir die Hände vor das Gesicht zu schlagen und recke stattdessen meinen Schwertarm noch ein Stück vor. Angriff ist die beste Verteidigung.
Er grinst, sagt aber keinen Ton; steht stattdessen wie festgewachsen vor mir und ich verliere die Geduld.
Ich pike ihn und es zeigt Wirkung: Er reißt mit einem Zischen die Arme nach oben. Dabei streichelt das Mondlicht die Formen seiner Muskeln an den Oberarmen nach.
Mieser Verräter. Vorhin noch hat es mit mir getanzt, doch jetzt umscheichelt es den Fremden wie einen Freund.
An dessen Handflächen erkenne ich Schwielen, nicht vom Halten eines Schwertgriffs, eher wie von harter Arbeit. Ich sollte auf der Hut sein. Er kann also zupacken, wenn er will.
Doch das ist es, das ich am Fechten mag: Nicht die Kraft ist entscheidend, sondern die Klugheit.
„My Lady." Seine Stimme klingt rau unter der Spitze des Rapiers.
Die Anrede macht mich wütend; wenn ich seine Lady bin, ist es erst recht eine bodenlose Unverschämtheit mich und meine Familie nachts berauben zu wollen.
Ich erhöhe den Druck, doch mit einer heftigen Bewegung reißt er die Klinge herunter und hält sie in seiner Hand umklammert fest.
Mein Atem kommt in Stößen, damit hatte ich nicht gerechnet. Der Ruck hat mein Handgelenk verdreht. Es schmerzt, doch das würde ich niemals zugeben.
Ich presse die Zähne aufeinander. „Was willst du hier?" Meiner Frage folgt ein erschrockenes Japsen, denn er besitzt die Frechheit einen Schritt auf mich zuzumachen.
„Dasselbe könnte ich Sie fragen, My Lady." Die Schneidezähne, die sein Grinsen entblößt, sind gerade und sauberer als sein Hals, doch die Wut brennt in meinem Bauch und gleichzeitig zupft etwas es an meiner Bauchdecke, das mich fast wahnsinnig macht. Er ist der Eindringling. Nicht ich. Und doch kennt er nun mein Geheimnis. Es ist wie als wäre ein Band geknüpft worden, ein Band, mit dem er mich an der Leine halten und mich zwingen kann, ihm zu folgen.
Ich verspüre den Drang zurückzuweichen, wenigstens zwei Schritt. Doch ich kneife die Pobacken zusammen und strecke die Brust raus.
"Du weißt nichts über mich!", zische ich. Ich habe es satt, von einem Fremden in meinem eigenen Haus in die Ecke getrieben zu werden.
Touché. Das Grinsen erstirbt und über das Silber seiner Augen legt sich ein matter Schleier.
"Aber Sie wissen auch nichts über mich." Jetzt spricht er leise. Endlich.
Das stimmt. Doch obwohl er mitten in der Nacht in unsere Burg eingedrungen ist, merke ich, dass von ihm keine Gefahr ausgeht.
Das Rapier in meiner Hand bebt vor Scham, als mir bewusst wird, dass ich meinen Vater mehr fürchte als den Fremden.
„Ich weiß genug." Meine Augen schleudern ihm meinen Ärger entgegen, als wäre er die Schuld allen Übels. Und doch ist meine Stimme nicht viel mehr als ein Flüstern, als ich hinzusetze: "Elender Dieb!"
So leise meine Anschuldigung auch war, schien sie gesessen zu haben: Seine Wangen färben sich rot, als hätte ich ihm eine Backpfeife verpasst. Er wirkt jetzt jünger, nicht älter als 18. Nicht viel älter als ich.
„My Lady, es hat mich gefreut." Der Satz schwebt durch den Raum, als er schnell wie ein Dolch nach vorn schnellt. Seine Hand umfasst erneut das Rapier, als wäre es nur aus Holz und nicht aus scharf geschliffenem Stahl gefertigt und zieht mich damit zu sich heran. Ich stolpere und fühle sogleich seine andere Hand durch das dünne Leinen auf meiner Hüfte. Mein Verstand kämpft darum, mich ihm zu entwinden, ja ihm für sein Benehmen eine Ohrfeige zu watschen; doch mein Körper folgt seiner halben Drehung, wie als wäre er getrennt von meinem Kopf und diesem nicht mehr hörig. Wie ein Tanzpaar drehen wir uns im Mondlicht im Kreis.
Träume ich? Ich muss den Kopf heben, um dem Fremden in die Augen zu sehen. Sie schillern triumphierend und geheimnisvoll. In seinen Mundwinkeln sitzt der Schalk. Als er sich zu mir beugt, senke ich schnell das Kinn. Nicht, dass er noch denkt, dass ich geküsst werden will! Hitze sammelt sich auf meinen Wangen und ich hoffe, dass er nicht mitbekommt, welche Reaktionen er in mir auslöst.
"Auf Wiedersehen." Seine Worte - ein kühler Hauch gegen meine heiße Wange.
Seine Hände gleiten von meinen Hüften und in einer einzigen Bewegung, die ich mir fürs Fechten abschauen sollte, dreht er sich um, und verschwindet in den dunklen Gängen.
"Auf Wiedersehen", murmele ich in die Nacht und mit der Hand auf meiner Wange.
Gern würde ich ihm folgen, um zu sehen, wohin er geht, woher er kommt, wer er ist; doch damit könnte ich meinen Vater auf den Plan rufen. Und das war das Letzte, das ich wollte.
Dabei sollte der froh sein, dass ich hier war - er hätte sonst nicht mehr alle Teller an der Wand.
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Eine kleine Übung mal in einem historischen Setting. Vielleicht mache ich da irgendwann mal mehr draus. Der Charakter zumindest gefällt mir.
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