Prolog
Wumm, wumm, wumm, wumm, wumm....
Platschten die Regentropfen in ungleichmäßigen Abständen auf das verrostete Dach des alten Toyotas, während der Scheibenwischer fröhlich über die Fensterscheibe quietschte. Regentropfen-sie haben mich schon immer fasziniert. Obgleich ich nicht einmal genau wusste, weshalb. Aber jedes Mal, wenn ich mich wieder einmal von der ganzen Welt und allen Bewohnern im Stich gelassen fühlte, so erinnerten sie mich, dass ich doch nicht gänzlich auf mich gestellt war mit ihrem immerwährenden Dasein um mich herum während dem Sturm. Oder sie beruhigten mich mit diesem sonotonen Geräusch das erzeugt wurde, wenn sie, diese Massen von Gesichtern, auf dem Boden aufschlugen. Denn ohne diesem würde ich wohl durch die dröhnend laute Stille verzweifeln, die mich umgab wie eine Zwangsjacke. Damit meinte ich aber nicht nur die Stille im Haus, wenn meine geschäftigen Eltern bei der Arbeit waren oder gerade "schwer beschäftigt". Damit meinte ich auch die Stille ganz tief in mir drin, die mich seit Ewigkeiten schon begleitete und mich mit ihrer Lautstärke zu zerdrücken drohte. Aber nachgeben wollte ich sicher nicht, wer wäre ich dann? Was machte sie bloß mit mir? Wer war ich jetzt gerade überhaupt? Wenn ich nicht einmal darauf eine passende Antwort parat hatte, wie sollte ich dann jemals herausfinden, wer ich ohne sie wäre. Und die Regentropfen füllten für kurze Zeit einen kleinen Teil dieser Stille, wenn auch noch so erbärmlich mickrig. Oder sie machten alles erträglicher. Weil sie da waren. Möglich, dass meine Worte für Außenstehende unlogisch klingen mochten aber für mich ergaben sie durchaus Sinn. Und auch jetzt begleiteten sie mich, wie ich erleichtert feststellte. Obgleich ich nun strenggenommen nicht allein war. Selbst dann, wenn es sich so schmerzlich danach anfühlte. Links von mir saß mein allseits bester Freund Josh. Josh Timothy Bremer. Und doch war ich allein.
Verwunderlich war, dass leise gedämpft Whitney Houstons "I will always love you" aus dem Radio tönte. Ich zog die Stirn in Falten. Josh konnte unter normalen Umständen keine auch nur im Entferntesten kitschigen Lieder länger als 10 Sekunden ertragen. Da sie uns Menschen, wie er es ausdrückte (und ich zitiere!) irgendwann psychisch instabil werden ließen, mit ihrem einlullenden, rosigen Gesülze. Und weil sie daher so "schädlich" für uns leidige Geschöpfe Mutter Naturs seien, würde er sich und jedem anderen auch, der in sein heiß und innig geliebtes Auto steigen sollte verbieten, auch nur daran zu denken, besagte Musik anhören oder geschweige denn singen zu wollen. In allen anderen Belangen war er aber eigentlich ein äußerst aufgeschlossener Mensch.
Ich lugte unter meinem dunkelbraunem Haar, das mir in kurzen Locken in die Stirn fiel, hinüber zu meinem besten Freund der stur, die Hände am Lenkrad haltend , nach draußen auf die regennasse, kaum beleuchtete Straße starrte. Für mich kam es einem Wunder nahe, dass er sich selbst bei dem regelrechten Sturm, der um uns wütete, überhaupt erst in der Lage sah, ein Auto zu fahren. Und doch war ich froh, dass der Regen uns begleitete.
Was solls. Wird schon gut gehen, dachte ich bei mir.
Dumpf pochte die Wut von heute Nachmittag noch hinter meiner sicheren Fassade aus Gleichgültigkeit, die ich mir so mühsam hatte antrainieren müssen, in all den Jahren. Manchmal, in Momenten wie heute, bröckelte sie. Diesmal hatte ich es ihm sogar erzählt, dennoch saßen wir nicht wegen mir hier. Aber ich fragte ihn nicht. Denn ich fragte ihn nie. Josh würde schon von allein anfangen, zu reden. Anderes war ausgeschlossen.
Prüfend sah ich nochmals zu ihm hinüber. Unverändert. Sein dunkelblondes Haar saß noch genauso wirr wie sonst auch auf seinem Kopf, er starrte immernoch mit beeindruckend sturer Gefesseltheit durch die nasse Scheibe und seine Hände klammerten sich um das Lenkrad wie an einen Rettungsring. Der einzige auszumachende Unterschied war, dass sich seine Fingerknöchel weiß hervorzuheben begannen mit der Zeit, in der er den Druck auf das rundliche Teil ausübte. Ganz klar, es war wieder irgendetwas passiert.
Ihr alle werdet mir vielleicht später vorwerfen, dass ich doch hätte merken müssen, dass etwas mit meinem besten Freund nicht stimmte. Dass ich es ihm hätte angesehen haben müssen. Was, wenn ich euch sage, dass ich das ja habe? Ihr glaubt mir nicht? Denn in letzter Zeit war das schon zur Gewohnheit geworden. Dass er so still war, mir etwas verschwieg und sich meiner Ansicht nach etwas zu eigenartig benahm. Zumindest für seine Verhältnisse. Aber hatte ich eine andere Wahl gehabt? Hätte ich etwas tun können? Auch seine Worte zu mir waren seltener geworden. Er sprach nicht mehr mit mir wie sonst.... Wie...Früher. Meine Instinkte verrieten mir, dass er irgendwann mit mir reden würde, das hatte er zuvor sonst auch immer getan.
Also geduldete ich mich, wir waren schließlich auch nicht ohne Grund bei dem Unwetter hier. Hoffte ich zumindest.
Zum Glück lag die Straße recht abgelegen und andere Autofahrer verirrten sich nur selten in diese Gegend. Dementsprechend wenig wurde sich auch um den ordentlichen Verbleib und die Sanierung dieser gekümmert, wie die Funktionstüchtigkeit der ab und an schwach aufflackernden Laternen, die den Weg vereinzelnt säumten. Bei diesem Anblick fasste ich nochmals kurz für mich in Gedanken zusammen: Es ist mitten in der Nacht. Ich sitze unerlaubt in einem Auto, fahre mit meinem Kumpel über eine kaum befahrene Straße statt bei mir im Bett friedlich zu schlafen und meine Eltern rasten aus, falls sie jemals davon Wind bekommen sollten. Und es ist immer noch mitten. In. Der. Nacht. Verdammt. Also alles wie gewohnt.
Weitere fünf Minuten fuhren wir stillschweigend dahin, bis uns ein einzelnes, scheinbar verirrt zu habendes Fahrzeug entgegenkam und kurz aufblendete. Von nun an wurde die Straße wieder etwas belebter. Doch selbst mir war es allmählich zu bunt geworden. "Josh...", fing ich an, brach dann aber abrupt ab als ich draußen am nächtlichen Straßenrand im Graben einen roten Ford Mustang stehen sah. Aber Josh bemerkte ihn offenbar nicht. Einen Wimpernschlag und nicht mehr und nicht weniger verharrte mein Augenmerk wie gebannt auf ihm. Schon vorbei.
Wumm, wumm, wumm, wumm, wumm....
"Jake...", hörte ich da auch schon meinen Spitznamen. Er hatte seinen Blick von der Straße gelöst und sah zu mir herüber, eine traurigen Schimmer in den dunklen Augen. "Ich hätte mit dir reden sollen" Ich schwieg. Hätte er vielleicht. Ich aber auch mehr mit ihm, gestand ich mir da ein. Wir lebten uns schlichtweg außeinander..."Ich muss dir was erzählen", begann er stockend. Ein kleines Etwas in seiner Stimme ließ mich aufhorchen. Sie klang seltsam fern, als wäre er in Gedanken an einem anderen Ort. Und dennoch, die jehe Unsicherheit, die sein Tonfall klarwerden ließ, war erschreckend. So kannte ich ihn nicht. Meine Augen trafen seine. "Aber du sollst wissen, dass...dass es mir leid tut." Josh presste die Lippen aufeinander. Er sah immernoch zu mir, verlangte mit seinen Augen bettelnd Verständnis. Ich musterte ihn. Zum ersten Mal an dem Abend fielen mir da die dunklen Ringe unter seinen müden Augen auf, die früher immer so lebensfroh gestrahlt hatten. Für die man ihn bewundert hatte. Und die zaghaften Falten auf seiner Stirn, die sich fein in seine Haut eingearbeitet hatten, seine Haltung, die die gesamte Fahrt einem bewegungsunfähigen Schatten geglichen hatte. Das Bild brannte sich in mein inneres Auge ein, würde unwiderruflich in mir fortbestehen bleiben. Dies wusste ich bereits jetzt, weshalb das so war, konnte ich nicht sagen, aber die Gewissheit war unumstößlich. Ich nahm alles wie selbstverständlich in mich auf, prägte ihn mir ein. Im Nachhinein frage ich mich, ob mein Unterbewusstsein etwas geahnt haben mochte, denn es sollte das letzte Mal gewesen sein, dass ich ihn so ansah. Und bevor ich dem leise drängenden Gefühl hatte folgen können, das unnachgiebig mit seinem todbringenden Messer an der Innenseite meiner Haut kläglich schabte und Josh fragen, was ihm denn so furchtbar leid täte, bemerkte ich etwas aus dem Augenwinkel, das mir mein Blut in den Adern gefrieren ließ: Grelle Autoscheinwerfer, die viel zu schnell auf uns zurasten.... Und ich glaube exakt das war der entscheidende Moment, der mein Leben grundlegend veränderte. Der sich jede Nacht in meinen schlimmsten Alpträumen wiederholen sollte. Die gnadenlose Realität, wie ich es nenne.
Ich begann zu schreien.
Dunkel kann ich mich noch daran erinnern, wie Josh noch versuchte, das Lenkrad herumzureißen, bevor meine kleine Welt aus ihren Ankern gerissen, herumgeschleudert wurde und erlosch. Einfach so.
Wumm, wumm, wumm, wumm, wumm....
Einfach verschwand, nur die markerschütternden Schreie gellten noch in meinen Ohren und ein fürchterliches Knacken das ertönte, wenn Knochen brachen, dann Schwärze.
Bodenlose...
Tiefe...
Undurchdringliche...
Schwärze.
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