Das Leben ist scheiße
Guten Tag, meine Freunde des Mondes. Hier habe ich mal einen Brief, den ich an meine Bubble-Lehrerin geschrieben habe und den finde ich so gut (zumindest schreibtechnisch), dass ich den jetzt mal hier rein klatsche. Allerdings ist der sehr negativ und deprimierend, darum sollte man den eher mit sonnenfreudiger Laune lesen, um diese fürs Erste über den Haufen zu werfen. Zudem muss meine Meinung natürlich nicht mit deiner übereinstimmen, falls du ihn liest, aber darum brauchst du mich nicht anspringen. Sollte ich darin in irgendeiner Weise respektlos gegenüber sonst wem auftreten, tut es mir natürlich leid. Aber ich will nichts verfälschen, weil mir diese Aussagen wichtig sind, auch wenn ich sie vielleicht in Wut und Trauer niedergeschrieben habe.
Der Brief ist vom 13.03.2023, also schon ein Weilchen her. Jetzt habe ich das natürlich alles überdacht und sehe die Dinge nicht mehr so eng. Man muss einfach das Beste aus dem machen, was man hat.
Liebe Frau Bonbon,
„Das Leben ist scheiße" war eigentlich eine Aussage, von der ich mich distanzieren wollte, weil sie so gut wie nichts preisgibt. Aber als Betreff erscheint sie mir doch recht sinnvoll, weil die Menschen dann meistens hinschauen. Genauso wie bei dem Wort „Suizid". Die unterschiedlichsten Personen sind plötzlich nett zu dir, wenn sie herausfinden, dass du dich umbringen wolltest. Suspekt und ein ganz neues Level von verlogen.
Klar, als ein Mädchen, in dessen Herzen das Misstrauen tief verwurzelt ist, muss ich eine Betreffzeile wählen, die Sie die E-Mail öffnen lässt. Allerdings müssen Sie sich nicht einmal lesen, das ist vermutlich gar nicht nötig. Ich muss mich wohl mal bei jemandem ausheulen, der nicht die engstirnige, kranke Natur meiner Mutter hat. Therapeuten sind in meinen Augen ja inzwischen absolut nutzlos geworden. Also akzeptieren Sie einfach, dass ich Ihnen meine Seele aufhalse.
Vorab eine Information zu dem Mädchen, das ich liebe: Dass meine Beziehung als einziges Glied in meinem Leben funktioniert, beweisen die Blutergüsse an meinem Hals. Möchte auch sein, wenn Silber momentan der einzige Grund für mich ist, nicht wegzulaufen. In den Wald oder so, zu einem Wolfsrudel, das mich aufnimmt. Wölfe sind viel besser als Menschen.
Warum sage ich, dass das Leben scheiße ist?
Naja, mir geht es halt nicht gut. Das hat sich wahrscheinlich nie wirklich geändert und das ist nicht mal das Problem. Es geht eher darum, wie alles um mich herum weitermacht. Meine Eltern tun so, als wäre ich nie in der Bubble gewesen und es ist ihnen schlichtweg egal, wie ich mich fühle. Depressionen gibt es nicht und basta. Wirklich, ich habe es meiner Mutter wortwörtlich geschrieben. „Mir geht es nicht gut"
Denken Sie, dass diese Frau das irgendwie interessiert? Wahrscheinlich meint sie es nicht mal böse, sondern ist zu sehr in ihrer perfekten Welt gefangen. Das Kind kann da einfach nicht kaputt sein, das passt nicht in ihre Einbildung. Das Leben meiner Mutter ist so schon ein Scherbenhaufen, weshalb sie auf jeden, der glücklich ist, mit unverhohlenem Neid herabsieht. Zumindest ist das meine Theorie dazu, weshalb sie die Beziehungspartner ihrer Kinder hasst. Nun ja und die arme Silber ist ein Mädchen, die hat wahrscheinlich gar keine Chance. Wissen Sie, Frau Bonbon, Neuankömmlinge in unserer Familie sind jedes Mal zutiefst schockiert und Tastenkönig hätte uns wahrscheinlich bis heute nichts von Holunderblütenballerina erzählt, wenn wir damals nicht unangekündigt in die Küche gestolpert wären, um das fremde Mädchen an der Kaffeemaschine kennenzulernen.
Da fragt meine Mutter mich doch tatsächlich, warum ich Silber nicht mal mitbringe. Na hallo? Meine Eltern haben beide einen Vollschaden, das tue ich meinem armen Mädchen doch nicht an. Die ruinieren mir noch die Beziehung, vor allem, weil ich weiß, dass sie sie nicht leiden können. Na gut, meinem Vater ist es wahrscheinlich egal, aber meine Mutter würde Silber bei der ersten Gelegenheit vermutlich aufspießen, um mir den nächstbesten Jungen von der Straße hinzustellen. Ihh, das männliche Geschlecht.
Ergo: Ich bin glücklich, aber meine Mutter macht das (wenn auch unbewusst) zu Nichte, weil sie selbst in tiefem Leid steckt.
Ansonsten überschüttet sie ihre Tochter, die versucht, ihr Leben irgendwie in den Griff zu kriegen, mit Vorwürfen und sagt ihr dauernd, wie ungeeignet sie für die Selbstständigkeit ist. Was meine bösartigen Minderwertigkeitskomplexe daraus machen?
Du bist wertlos.
Du hättest dich doch umbringen sollen, dann wärst du nicht so eine Enttäuschung für deine Eltern.
Sind sie nicht liebreizend?
Das Ding ist: Ich, die ja aus der Bubble nicht viel mehr als eine Freundin mitgenommen hat, bin ja jetzt strikt der Meinung, dass die Gesellschaft keine Ahnung davon hat, wie die Psyche geheilt werden kann. Noch drastischer, meiner Theorie nach freut sie sie sich heimlich über jeden Suizid, weil dadurch die schwachen Glieder verschwinden. Ja, ich halte Menschen durchaus für seelenlose Monster.
Nun, ich habe also beschlossen, mir selbst zu helfen. Aber das ist anstrengend. Depressionen und Angststörung in den Griff bekommen, während der Druck von außen enorm ist... und ich bin gerade mal achtzehn. Aber würde ich es versuchen jemandem - beispielsweise einem Therapeuten - zu erklären, würde diese Person gar nicht richtig zuhören. Sich nicht mal die Mühe machen, mich (eigentlich uns) zu verstehen.
Es ist einfach schwierig und wir sind völlig ratlos... ähm, ich. Ich bin völlig ratlos. Alles kostet Energie und dem Drang, mich zu verkriechen und so zu tun als wäre ich nicht da, zu widerstehen, ist so gut wie unmöglich.
Dann frage ich auch Menschen in meinem Umkreis, wie ihr Leben so ist und ob die Ausbildung die richtige Entscheidung war. Ich bekomme nur semioptimale Antworten, irgendwas zwischen dem Einreden, dass man glücklich sei und dem Verlieren der eigenen Persönlichkeit. Leben, arbeiten... alles sinnlos, wenn man nicht mehr atmen kann. Die Menschen holen doch nur noch Luft, ohne, dass irgendetwas in ihren Lungen ankommt. Sie sind alle grau geworden.
Außerdem das Schreiben. Das arme, arme Schreiben. Die qualvollste Beschäftigung, die ich mir aussuchen konnte. Auch das ist sinnlos. Schauen Sie mal, ich bin schon inkompetent und unfähig. Wahrscheinlich gar nicht für das Menschsein geeignet und dann will ich Autorin werden?
Was, wenn das alles unlogisch ist?
Was, wenn ich gar nicht so toll schreibe, sondern doch eher wie ein mittelmäßiger Oberschüler?
Vielleicht sind alle Figuren gleich und ich merke es nicht.
Vielleicht ist die Handlung zu vorhersehbar und langweilig.
Vielleicht ergibt es alles wirklich gar keinen Sinn.
Vielleicht ist das nicht das, was ich sein soll...
Was ist Freiheit? Ich will die Russischarbeit nicht schreiben, muss es aber trotzdem. Natürlich, für die Abi-Jäger gelten andere Regeln, aber für mich? Himmel, ich bin psychisch angeschlagen und versinke von Zeit zu Zeit in hüfthohem Hass auf alles und jeden. Ich habe ja so die Nase voll davon, auf andere zu hören oder sinnlose Vorschriften zu beachten oder überhaupt höflich und nett zu bleiben. Wieso sollte ich im Unterricht, der mich im Übrigen sowieso nicht mehr interessiert, aufpassen? Weil Sie es mir sagen, Frau Lehrerin? Inwiefern haben Sie denn schon Macht über mich? Sie wissen nicht mal, in welcher Situation ich mich befinde und dass ich gestern Nacht geweint habe! Sie wissen nichts!
Klar, ich habe keine Narben an den Armen. Ich habe nirgendwo auf meinem Körper Narben, wegen dieser „dummen" Stimme in meinem Kopf, die so sehr an mir festhält. Aber nein, das wurde ja als Schizophrenie abgestempelt. Man, ich hasse diese Welt.
Ja, ich habe die Kurve gekriegt und mich selbst gerettet. Naja, zumindest so halb. Aber das interessiert doch keinen. Nö, man muss sich erst ritzen, damit der Rest der Welt glaubt, dass es einem nicht gut geht. Ich war schon x-mal kurz davor, X -MAL! Aber solche Erfolge würdigt ja niemand, da sagt keiner „Danke, dass du dich an deinem Geburtstag nicht umgebracht hast"
Bis auf meine eigenen Figuren sagt das niemand. Einfach, weil es der Gesellschaft egal ist, ob man lebt oder stirbt. Der Suizid in der Nachbarstadt am Freitag interessiert ja auch keinen, davon redet ja nicht mal jemand. Kein Zeitungsartikel, nichts im Internet. Suizid ist einfach nichts Schockierendes mehr, er gehört genauso zur Menschheit wie die Mordlust. Und dann soll mir nochmal jemand sagen, Gott wollte uns erschaffen. Ne, wahrscheinlich waren Adam und Eva ein massiver Unfall, den er bis heute bereut.
Aber kein Ding, stimmts?
Einfach lächeln.
Depressionen existieren nicht.
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