✻27.10.2021 ✻ 2. Entwurf - Eine neue Anfangsszene✻
Wie immer: Alle Gedanken, alle Bemerkungen, alles, was euch beim Lesen durch den Kopf geht, ist für mich als Feedback unheimlich wertvoll! <3 Stockt irgendwo der Lesefluss? Ist etwas total unwitzig, was ich witzig finde? Empfindet ihr Sympathie für Sardia oder wie wirkt sie auf euch? Gibt es Worte, die nicht hineinpassen in die Erzählsprache? <3 Danke für jeden Kommentar und jedes Augenpaar, das mein Geschreibsel liest! <3
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Ihre Kaugummi-Blase platzte, als der letzte Soldat in Fetzen gerissen wurde. Die Dämonen hatten die Überhand, jetzt war alles aus. Alle tot und gerade ging auch noch der König in Flammen auf. Dann ging die Tinte abrupt zu Ende. Weißes Blatt. Cliffhanger. So ein Mist.
Fluchend, kauend und schmatzend blätterte Sardia die Seite um, grober als es nötig gewesen wäre. Chipskrümel blieben an den Rändern kleben und je mehr sie versuchte, sie wegzuwischen, desto mehr färbte sich das Papier wie die Paprikachips, in denen ihre Hand gerade steckte. Ärgerlich zischend sank die Blase in sich zusammen und verschwand in ihrem Mund. Eine weitere Handvoll knackiger Chips spülten den Erdbeergeschmack hinunter. Sardias Augen hefteten sich an die nächste Zeile. So eine Schande. Der König hat doch überlebt. Lausiger Cliffhanger.
Während Sardia kritisch die Verwandlung des Königs in einen Ghul verfolgte, ging die massive Holztür in ihrem Rücken mit einem bedeutungsschweren Seufzen auf. Noch bevor ihre Mutter ein Wort formen konnte, war ihre Tochter bereits auf den Beinen und versteckte eilig ihre Lektüre unter dem blauen Samtkissen, doch natürlich entging der eindrucksvollen Gestalt in ihrer Zimmertür der schuldbewusste Blick nicht.
„Die Kriegsgeschichte von Lur?", fragte die Frau, die rasiermesserscharfen Augenbrauen hoben sich gefährlich und die knallrot bepinselten Lippen wurden schmal wie ein Strich.
„Ähm...", druckste Sardia, während sie eilig in ihren Schrank nach ihrer Schutzmontur griff und anfing, die komplizierten Stiefel aufzuschnüren. „Krieg bestimmt, Geschichte..."
„Dann bestimmt die Liste der Adelshäuser aus Basam, die du auswendig lernen solltest." Wäre Sardia nicht gerade so unangenehm heiß unter ihrer Montur geworden, hätte sie gezittert bei dem frostigen Wind, der ihr entgegenschlug.
„Nicht direkt, ich...", war ihr erbärmlicher Versuch einer Ausrede, doch ihre Mutter seufzte bereits und winkte müde mit der feingliedrigen Hand ab. Ihre Fingernägel blitzten im hellen Licht der Leselampe, die wertvollen Edelsteine warfen freudig grelle Lichtstrahlen in alle Richtungen.
Nachdem sie den Kampf gegen ihre engen Stiefel gewonnen hatte, streifte Sardia sich noch hastig ihre Handschuhe über und stolperte dann mehr schlecht als recht zur Tür. „Können gehen", prustete sie außer Atem, doch ihre Mutter packte sie grob am Handgelenk und zog sie strammen Schrittes in Richtung des mannsgroßen Wandspiegels. Die halsbrecherischen Absätze rammte sie ungnädig in den flauschigen Teppich, sodass Sardia wie immer fürchtete, sie würde Löcher hineinreißen.
Kräftig wie Adlerklauen packten ihre Mutter sie an ihren Schultern und starrte hinter ihr in den Spiegel. Wie immer setzte sie einen Blick auf, der an ein enttäuschtes Kind an Weihnachten erinnerte, das nicht bekomme hatte, was es sich gewünscht hatte. „Schau dich nur an." Sie fuhr grob durch die Mähne aus tiefschwarzen Afrolocken, verhakte sich und entlockte Sardia ein leises Quietschen. Eilig, fast angewidert, zog ihre Mutter die Hand zurück und stemmte sie stattdessen energisch in die Hüfte. Ihre stechend silbernen Augen beäugten durch den Spiegel hindurch jede Zelle ihrer Tochter, die nicht an der richtigen Stelle saß. Und das war anscheinend jede einzelne. Als täte sie es absichtlich strich die schlanke, hochgewachsene Frau über ihren hüftlangen, perfekt geflochtenen und anmutig verschlungenen Zopf und fuhr liebkosend über die vielen kleinen Silberperlen, die aus dem rabenschwarzen Haar blitzten.
Sardia hasste diesen Spiegel. Sie wurde schon oft genug daran erinnert, dass ihr kleiner pummeliger Körper das genaue Gegenteil ihrer atemberaubend makellosen Mutter war. Da musste so ein doofer Spiegel in ihrem Zimmer es ihr nicht auch noch unter die Nase reiben. Plötzlich zerschnitt ein gellender Schrei die parfümierte Luft und Sardia zuckte erschrocken zusammen. Sie fing den Blick ihrer Mutter im Spiegel auf. Ein Ausdruck maßlosen Entsetzens verzerrte ihre sonst so faltenlosen Züge, die Nasenflügel hatten sich zur Größe von Gullideckeln gebläht. Mit zitternden Bewegungen zeigte ein krallenartiger Fingernagel direkt auf ihr Gesicht. „Sardia Nobilis Opulenta. Was. In. Aller. Welt. Ist." Sie schnappte erstickend nach Luft. „DAS."
Sardia folgte dem Finger, der zielsicher auf ihr Gesicht gerichtet war. „Ähm... das ist mein Gesicht, Ma. Ist nicht das erste Mal, das du es..." „Nein, DAS!", kreischte sie nun völlig außer sich und griff sich ans Herz, als stünde sie kurz vor einem Herzkollaps. So pfeifend, wie sie atmete, konnte das tatsächlich auch der Fall sein. „Oh. Das." Etwas beschämt versuchte Sardia, ihren Pony mit der Hand zu bedecken und setzte eilig ihren Arenahelm auf, der ihre Mähne wie einen zerfransten Besen hervorquellen ließ. „Die Haare haben gestört. Konnte damit nicht mehr richtig lesen." Ihre Mutter sah aus, als hätte sie gerade alle fünfzig urbaskischen Schimpfwörter trompetet und sich obendrein in eine warzenbedeckte Kröte verwandelt.
Ein letzter fassungsloser Blick auf ihre Tochter, dann torkelte die arme Frau wie von Sinnen aus dem Zimmer. Die unregelmäßigen Schritte verklangen im Treppenhaus und Sardia war für einen letzten Moment allein. Sie sah ihrem verhassten Spiegelbild ein letztes Mal in die Augen. „Na schönen Dank auch, das lief ja mal wieder super." Niedergeschlagen schnaubte sie, griff nach ihrem Schwertbogen und versetzte dem Spiegel einen herzhaften Tritt. Sie fiepte erbärmlich. Jetzt war der miserable Morgen komplett.
Mit einem gebrochenen Zeh ließ sich ein Dracon sicher noch besser bändigen.
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