Wie in Trance
"Du siehst müde aus.", bemerkte Len, als ich gegen drei Uhr nachmittags aus meinem Zimmer gewankt kam. Ich warf ihm bloß einen scharfen Blick zu und er verkniff sich den eigentlich noch darauffolgenden Kommentar.
"Hast du Nevis gesehen?", fragte ich statt einer Erwiderung und unterdrückte ein Gähnen.
"Gewächshaus.", war die knappe Antwort und ich runzelte die Stirn.
"Was will er denn da immer?", murmelte ich mehr zu mir selbst und machte mich auf den Weg in die Küche, um mir einen Kaffee zu machen. Denn ohne Kaffee, würde ich diesen Tag definitiv nicht überleben.
Ich starrte mindestens schon seit zehn Minuten reglos am Tisch sitzend auf einen feinen Riss in der Wand, nur ganz knapp über der Spüle, da gesellte sich Len zu mir.
Ein nervöses Ziehen machte sich in meinem Bauch breit und ich merkte, wie meine Hände kalt und schwitzig wurden. Schnell stellte ich meine immer noch bis zum Rand gefüllte Tasse auf den Tisch und räusperte mich unbehaglich.
Ich wusste nicht, was ich nun tun sollte.
Was, wenn er mich auf meine Müdigkeit ansprach?
"Sarina?"
Ich zuckte zusammen.
Oh Gott, es geht los!
"Hmm?", brachte ich brüchig hervor. Die grünen Augen meines Freundes waren zu misstrauischen Schlitzen zusammengezogen.
"Du verhältst dich komisch. Geht's dir nicht gut?"
Ich legte leicht den Kopf schief und versuchte den Adrenalinstoß zu ignorieren, der durch meinen ganzen Körper jagte.
Sag, du hast . . . Frauenprobleme!
"Ich. . .", setzte ich an, stockte aber kurz darauf. Dann schüttelte ich erschöpft den Kopf. "Entschuldige, wenn ich dir Sorgen mache. Ich bin nur im Moment nicht so gut drauf."
Der junge Alpha erhob sich von seinem Stuhl und umrundete den Tisch. Ich folgte ihm mit meinem Blick und musste den Kopf in den Nacken legen, als er letztendlich vor mir aufragte.
Len streckte die Hände aus.
Verdattert starrte ich sie an.
"Komm her.", sagte er sanft, griff nach meinen Händen und zog mich behutsam auf die Beine. Dann schloss er seine Arme um mich und drückte mich an sich.
Eine kribbelnde Kühle drang langsam durch meine Haut und ich merkte, wie die Anspannung aus meinem Körper wich und meine innere Unruhe schwand. Fest schmiegte ich meinen Kopf an Lens Brust und atmete tief ein und aus.
"Besser?"
"Hmm.", bejahte ich und er gab mir einen Kuss auf den Scheitel.
"Ich kann verstehen, wie du dich fühlst. Die letzten Tage waren einfach viel zu ereignisreich und aufregend, um gesund für uns alle zu sein."
Die Sanftheit seiner Stimme bildete einen Kloß in meinem Hals und ich presste fest die Augen zusammen.
Womit hatte ich ihn nur verdient?
Schniefend löste ich mich von meinem Freund.
"Danke. Es ist lieb von dir, dass du das verstehst."
Er legte zwei Finger unter mein Kinn, hob es an, sodass ich ihm in die Augen sehen musste, und studierte sorgsam mein Gesicht.
"Du weißt, dass du immer mit mir reden kannst, wenn dich etwas bedrückt. Und ich werde auch immer mein Bestes tun, um dir zu helfen."
Ich nickte schluckend und wich seinem brennenden Blick aus.
Ahnt er etwas?
"Gut." Len seufzte und ließ mein Gesicht los. "Ich gehe eine Runde trainieren. Du findest mich in der Halle, wenn du etwas brauchst."
"Okay.", sagte ich nur und ließ mich wieder erschöpft auf meinen Stuhl fallen, wo ich den Riss weiter in Augenschein nahm.
Dabei merkte ich nicht, wie Len mich noch kurz mit einem undefinierbaren Blick betrachtete, dann den Kiefer zusammenpresste und sich enttäuscht abwandte.
◆◇◆◇◆◇◆◇◆◇◆
Was soll ich tun? Was soll ich tun? Was soll ich tun?
Wie eine eingesperrte Löwin tigerte ich durch mein Zimmer und zermarterte mir das Hirn, welchen Schritt ich nun als nächstes tun musste. Welche Entscheidung war moralisch, aber auch aus der Sicht meiner Verpflichtung als Alpha, die Akademie und deren Schüler zu schützen, die richtige?
Schließlich hatte ich Nevis versprochen, Len nichts von der Werwolf-Sache zu erzählen. Jedoch darf ich auch nicht die Sicherheit der Schule in Gefahr bringen, indem ich zulasse, dass ein Werwolf, der sich erst seit kurzem verwandelt, auf dem Gelände herumläuft.
Frustriert raufte ich mir die Haare und fuhr mir über's Gesicht.
Das kann doch nicht so schwer sein!
Da ohnehin feststand, dass ich die Angelegenheit jemandem erzählen musste, überlegte ich nun fieberhaft, wer denn -außer Len- mir noch weiterhelfen könnte.
Es kam nicht in Frage, Ruby oder Aria einzuweihen. Die beiden würden sich nur verrückt machen. Doch ich stellte es auch in Frage, Seth oder Emily in die Sache mit hineinzuziehen. Immerhin war das Ganze nicht wirklich etwas, was ich mit ihnen (oder generell meinen Freunden) bereden konnte.
Wie schwer es mir auch fiel, aber ich musste zugeben, dass das ein Problem war, das nur Alphas etwas anging.
Dann traf mich mit einem Mal der Schlag und ich hielt abrupt in meiner Bewegung inne.
Natürlich. . .
Ein Problem, dass nur Alphas etwas anging. Und das beinhaltete mich, Len und . . . Mrs. Roberts.
Hektisch griff ich mir meinen Wollschal, der über der Lehne meines Schreibtischstuhles hing und stürmte aus dem Zimmer, die Treppe hinunter und zur Garderobe.
Die Schulleiterin hatte Nevis schließlich hierher in die Akademie gebracht und wenn ich ihren Worten und denen des Austauschschülers trauen durfte, so kannten sich Mrs. Roberts und sein Onkel schon seit längerem. Vielleicht hatte er ihr von seiner wahren Herkunft erzählt und sie wusste darüber bescheid?
Zusätzlich hatte mir meine Mentorin in dem Gespräch über Nevis geraten, ein wenig Acht auf ihn zu haben. Damals hatte ich wahrscheinlich diesen Hinweis als nichtig gehalten und nicht weiter darüber nachgedacht.
Doch vielleicht steckte hinter diesen Worten viel mehr, als vorher angenommen?
Und genau das musste ich nun in Erfahrung bringen!
In meiner Eile dachte ich nicht einmal daran, Len eine Nachricht zu hinterlassen, sondern warf mir schnell meine Winterklamotten über und verließ Hals über Kopf das Haus.
Ich verwandelte mich in die Schneeeule, da ich das Getratsche vermeiden wollte, das entstehen würde, wenn einige Schüler einen riesigen Polarbären im Spurt über's Gelände rennen sahen (ach ja, und mir wollte ich die Kälte als Löwin und die Schmerzen einer Verwandlung in ein ungeübtes, kleineres, im Schnee lebendes Tier ersparen).
Es dauerte nur wenige Minuten, bis ich auf der obersten Stufe der Treppe landete, die in die Eingangshalle führte. Geschmeidig erhob ich mich in meiner menschlichen Gestalt und glitt durch die riesige Tür der Akademie.
Da Sonntag war, herrschte im Inneren der Schule nur wenig Betrieb, sodass ich ungehindert die Treppe zum Ostflügel hinaufsteigen konnte, wo das Büro der Direktorin lag.
In meinem Kopf wirbelten die Gedanken nur so umher und ich versuchte verzweifelt, sie in logische, zusammenhängende Sätze und Fragen zu formulieren. Vergeblich.
Jetzt konzentriere dich, Sarina!
Am besten du fängst erst einmal ganz zurückhaltend an und arbeitest dich dann weiter vor.
Ich war zwar nicht hundertprozentig von diesem Plan überzeugt, kam aber im Endeffekt zu dem Schluss, dass er wohl besser war, als stotternd irgendwelche Vorwürfe gegen Mrs. Roberts auszusprechen und dabei auch noch den letzten restlichen Verstand zu verlieren, der mir in den vergangenen Tagen immer mehr abhanden gekommen war.
Schließlich kam ich vor der Bürotür zum Stehen.
Mein Herz klopfte schnell und unregelmäßig in meiner Brust und leise Zweifel stiegen in mir hoch.
Was, wenn sie es gar nicht wusste und ich nun mit meiner Aktion Nevis ins Verderben stürzte?
Verärgert gab ich mir zwei Klapse auf meine Wangen und straffte streng die Schultern.
Hör auf, so zu denken!
Dann holte ich Luft und klopfte.
"Herein.", ertönte es auf der anderen Seite sofort und ich drückte zögernd die Klinke nach unten.
"Oh, hallo Sarina" Meine Mentorin blickte erfreut von ihrem Computerbildschirm auf, als ich eintrat. "was machst du hier?"
"Hallo", murmelte ich verlegen und begab mich zu den schwarzen Lehnstühlen vor dem Schreibtisch.
"Ich wollte mit Ihnen reden."
Mrs. Roberts löste jetzt endgültig den Blick vom Computer, schob die Maus beiseite und lehnte sich ein wenig nach vorn. Ich sah, wie sich auf ihrem Gesicht leichte Sorgenfalten bildeten.
"Ist alles in Ordnung?"
Ich zuckte die Schultern und sah zu Boden. In meinem Kopf ratterte es, da ich nach einem Anfang für das Gespräch suchte.
"Willst du etwas trinken? Ich habe Kaffee, aber auch Früchte- oder Schwarztee."
Die Schulleiterin war mittlerweile aufgestanden und auf meine Seite des Schreibtisches gekommen. Die fast mütterliche Fürsorge in ihrer Stimme ließ mich schlucken, erinnerte mich aber gleichzeitig daran, dass genau diese Art meiner Mentorin mich dazu verleitet hatte, mit dem Problem zu ihr zu kommen (mal von der Alpha-Sache abgesehen). Sie war zwar nicht meine beste Freundin, aber eine meiner engsten Vertrauten und ich wusste genau in diesem Moment, dass ich die richtige Entscheidung getroffen hatte.
"Wissen Sie, was letzte Nacht für ein Wetter war?", erkundigte ich mich leise und starrte auf meine Hände. Kurz herrschte überraschtes Schweigen.
"Äh, ich denke-"
"Wolkenlos und sehr kalt.", unterbrach ich sie, immer noch mit gedämpfter Stimme. "Der Mond war sehr hell."
Ich schaute auf und sah den emotionslosen Gesichtsausdruck der Schulleiterin.
"Manche Leute können bei solch hellem Licht nicht richtig schlafen. Vor allem, wenn es dazu noch ein Vollmond ist.", fügte ich hinzu und lehnte mich mit verschränkten Armen zurück. Mrs. Roberts' Gesicht wurde kalkweiß.
Bingo.
"Sie wussten es.", sprach ich meine Gedanken aus und war selbst ein wenig überrascht von dem Unglauben, der in meinen Worten mitschwang. Ich kniff die Augen zusammen.
"Sie wussten, dass Nevis ein Werwolf ist, oder?"
Meine Mentorin senkte den Kopf und wandte sich ab.
"Natürlich wusste ich es.", antwortete sie und rieb sich ihren Nacken. "Ich bin ehrlich gesagt ein wenig überrascht, dass du erst jetzt damit zu mir kommst."
Entrüstet blähte ich die Wangen und grummelte leise: "Was soll das denn heißen? Schließlich geht man ja nicht sofort davon aus, dass sein Mitbewohner zur Rasse der eigenen Feinde gehört, wenn dieser sich vor Vollmond seltsam verhält. Außerdem haben Sie ihn auf die Akademie geholt und man müsste doch meinen, dass Sie um das Wohl von uns als Schüler besorgt sind."
Mrs. Roberts seufzte schwer.
"Natürlich bin ich besorgt und lasse auch nicht zu, dass Nevis mir da in diesem Punkt einen Strich durch die Rechnung macht. Ich habe bereits Vorkehrungen getroffen, die ihn und die Schüler während einer Verwandlung schützen und von einander fernhalten. Mach' dir darüber keine Gedanken. Mit Nevis und seinem Onkel ist darüber bereits alles abgeklärt."
Sie drehte sich zu mir um und ich bemerkte wieder einmal, wie geschafft sie aussah. Die kastanienbraunen Locken waren provisorisch in einem Knoten zusammengebunden und es hingen einige lose Strähnen in das müde Gesicht der Schulleiterin. Das goldene Armband schlackerte an dem dünnen Handgelenk hin und her, als sie nach einem Aktenordner griff und begann, darin herumzublättern. Ich beugte mich besorgt vor, da mir zum ersten Mal ihre viel zu schlanke Figur auffiel.
"Hier," Mrs. Roberts reichte mir ein Formular. "das ist ein Vertrag zwischen mir und SomC, einem magischen Bauunternehmen aus Schweden. Ich habe im Nordwald eine Art unterirdische Kammer für Nevis errichten lassen, in die er zur Vollmondnacht flüchten kann."
"SomC?" Verwirrt schaute ich auf das Schreiben. "Wofür steht das?"
"Safety of magical Creatures."
Ich schnaubte.
"Na, das ist doch praktisch. Vor allem, wenn unser lieber Werwolf gar nicht in diese Zelle geht."
Mrs. Roberts runzelte die Stirn.
"Was meinst du?"
Überrascht hob ich die Augenbrauen.
"Na ja, ich meine damit, dass sich Nevis letzte Nacht definitiv nicht dort verwandelt hat. Sondern im Wald. Im Wald hinter unserem Haus."
Lens Tante stöhnte auf, ließ sich auf ihren Stuhl fallen und stützte das Gesicht in ihre Hände.
"Das gibt es doch nicht. Muss ich denn hier alles kontrollieren? Soll ich jetzt auch noch einen persönlichen Bodyguard für ihn organisieren? Ich dachte, in diesem Punkt wäre auf ihn Verlass."
Unbehaglich rutschte ich auf meinem Lederstuhl herum.
Ich habe das Gefühl, dass ich das hätte nicht sagen sollen . . .
"Das kann gefährlich werde. Das kann wirklich richtig gefährlich werden.", murmelte die Direktorin vor sich hin und fuhr sich über das Gesicht.
Ich überlegte.
"Was spricht denn dagegen, wenn ich ihn vor jeder Verwandlung in den Wald bringe und danach wieder zurück?"
Mrs. Roberts lugte mich misstrauisch zwischen ihren Finger hindurch an und musterte mich mit ihren bernsteinfarbenen Augen überrascht.
"Würdest du das tun?"
Als Antwort darauf zuckte ich nur die Schulter.
"Ich denke, es wäre keine große Sache. Solange es noch nicht Nacht ist, ist Nevis kein Problem. Ich hätte ihn sogar mit meiner Willensübertragung unter Kontrolle, falls irgendetwas schief gehen würde."
Meine Mentorin seufzte erleichtert.
"Sarina, das wäre eine große Hilfe. Zwar werde ich noch einmal genauer darüber nachdenken und auch Nevis zur Rede stellen, wie er sich das letzte Nacht vorgestellt hat, denn ich denke nicht, dass ein Junge in seinem Alter noch einen Babysitter braucht." Sie stockte kurz. "Aber wenn es dazu kommen sollte, möchte ich, dass du das nicht allein machst. Du kannst meinetwegen Len von dem Plan erzählen, damit er dir in dieser Angelegenheit behilflich ist. Ich denke, er würde selbst ein wenig beruhigter sein, wenn er bei dieser Aktion dabei wäre und seine Freundin nicht allein mit einem jungen Werwolf lässt."
Ich knetete meine Finger.
"Ja, also, was die Sache mit Len betrifft . . ."
"Was?" Die Direktorin schaute auf. "Ihr habt euch doch nicht etwa getrennt?"
Abwehrend hob ich die Hände und schüttelte den Kopf.
"Ach du heiliger Goldfisch, nein! Aber," Nervös sah ich zur Seite. "ich habe ihm nichts davon erzählt."
"Oh", sagte sie sorglos und fischte einen Bonbon aus einer Schüssel auf ihrem Schreibtisch. "das ist kein Problem. Len weiß darüber doch schon bescheid."
Mein Herz machte einen Sprung.
"Auch einen Bonbon?"
Sie hielt mir die Schüssel hin. Paralysiert starrte ich sie an und schaffte es gerade noch, mit dem Kopf zu schütteln.
"Er . . . weiß darüber bescheid?"
"Ja, er kam heute morgen um sechs bei mir vorbei und hat mich ähnlich wie du zur Rede gestellt. Deswegen sagte ich vorhin, dass ich überrascht war, dass du erst jetzt damit zu mir kommst. Ich hatte angenommen, dass du dich noch innerhalb des Morgens empört bei mir beschweren würdest, dass Len der erste war, der von der Werwolf-Sache wusste." Sie zuckte die Schultern. "Na ja, du kannst ihn ja heute Abend darauf ansprechen. Ich bin sicher, er hat einen triftigen Grund, warum er es dir verschwiegen hat."
Ich hörte nur noch mit halben Ohr zu. Mein Körper war immer noch wie betäubt, weswegen ich auch zusammenschreckte, als plötzlich das Telefon klingelte. Meine Direktorin verdrehte die Augen und griff nach dem Hörer.
"Phoenix-Akademie, Schulleiterin Mrs. Roberts hier, was kann ich für Sie tun?"
Gleichzeitig bedeutete sie mir mit aufscheuchenden Handbewegungen, das Büro zu verlassen. Wie in Trance erhob ich mich.
"Was?!"
Ich war schon fast an der Tür angekommen, da ließ mich der Ausruf erstarren. Ich blickte über meine Schulter.
Meine Mentorin griff sich gerade mit weit aufgerissenen Augen einen Kugelschreiber und einen Schreibblock.
"Ja, ich höre. Bitte, bewahren Sie Ruhe und erzählen Sie von vorn." Als sie merkte, dass ich immer noch im Raum war sagte sie schnell ins Telefon: "Bitte, warten Sie einen Moment." und presste es sich dann an die Brust.
"Würdest du bitte gehen, Sarina? Das ist ein Notfall."
Da war er wieder. Dieser gehetzte Ausdruck, die Erschöpfung und die Sorge.
Es war, als würde sich mein Herz bei dem Anblick meiner Schulleiterin verklumpen.
"Kann ich nicht irgendwie-"
"Bitte, Sarina."
Die glühenden Bernsteine sahen mich flehend an. Ich senkte den Kopf.
"Natürlich."
"Danke." Sie nahm den Hörer wieder auf. "Ja, ich bin wieder da."
Niedergeschlagen trat ich den Rücktritt an und hörte nur noch: "Wo? In Salena?", dann schloss ich die schwere Tür hinter mir.
Was ist denn nun schon wieder passiert?
◆◇◆◇◆◇◆◇◆◇◆
Schweren Herzens machte ich mich auf den Heimweg.
Len wusste bescheid.
Deswegen war er heute morgen so anders, so komisch überfürsorglich. Diese Andeutungen von wegen, wir können über alles reden . . .
Ich war wütend.
Ich war wütend auf mich selbst.
Ich war wütend, weil ich Lens Vertrauen missbraucht und ihn gleichzeitig auch noch angelogen hatte. Und er wusste es.
Oh Gott, wie enttäuscht und verletzt er sein muss . . .
Eine Welle Scham überrollte mich. Weinerlich kniff ich die Augen zusammen und schüttelte mich. Ich konnte diese ganzen Emotionen jetzt nicht gebrauchen.
Frustriert stapfte ich weiter durch den Schnee.
Wieso musste ich immer alles vermasseln?
Ich wollte nicht einmal die Schuld bei meinem Freund suchen. Es stimmte zwar, dass er mir ebenso gut davon hätte erzählen können, doch so wie ich ihn kannte, war er mal wieder um mich besorgt gewesen. Er hatte bestimmt gedacht, ich würde . . . ja, was würde ich?
Mir fiel kein Grund ein.
Argh!
Wütend stampfte ich in den Schnee und ließ mich dann einfach fallen.
Meine Knie trafen zwar etwas härter als gedacht auf, doch das nahm ich in Kauf. Irgendetwas musste mich ja wieder auf den Boden der Tatsachen zurückbringen.
Die Kälte durchdrang meine Jeans.
Ich fröstelte.
Mindestens fünf Minuten hockte ich dort wie ein Häufchen Elend im Schnee und dachte über die Situation nach, die nach meiner Ankunft im Haus entstehen würde.
Wie sollte ich das Thema anschneiden?
Mir fiel beim besten Willen nichts ein.
Ich wusste nicht genau, wie ich wieder aus dem Schnee aufgestanden war und wie ich es geschafft hatte weiterzulaufen, aber nun saß ich in Lens Zimmer auf seinem Bett und wartete wie auf heißen Kohlen, dass er zurück aus der Trainingshalle kam.
Es waren bestimmt schon vierzig Minuten vergangen, da hörte ich die Haustür aufgehen.
Mit gesenktem Kopf lauschte ich den Schritten, die schwerfällig die Treppe hinaufkamen und . . . dann an Lens Zimmertür vorbeiliefen.
Nevis.
Stöhnend ließ ich mich nach hinten auf die Decke fallen.
Wo bleibt der Kerl?
Nach einer geschlagenen Stunde regte sich unten wieder etwas. Mittlerweile war es draußen schon stockfinster und ich war in der Zwischenzeit durch die weiche Matratze ein wenig weggedöst, doch durch das Geräusch der zuschlagenden Haustür, schreckte ich hoch.
Schnell richtete ich mich auf und zupfte meine zerzausten Haare zurecht.
Dann atmete ich tief durch.
Du schaffst das!
Die Zimmertür öffnete sich und mein Freund trat ein.
Verdutzt hielt er in der Bewegung inne, als er mich auf seinem Bett entdeckte.
"Hey", sagte ich schwach und lächelte zittrig.
"Hallo", brummte er und schloss die Tür hinter sich.
Ich runzelte die Stirn.
"Warst du gar nicht trainieren?"
Len sah nicht wirklich so aus, als hätte er stundenlag in einer Sandarena auf einen Sandsack eingeschlagen. Sein Gesicht war nicht rot oder schweißüberströmt, sondern ebenmäßig und perfekt wie immer. Er war nicht wirklich außer Atem und goss sich auch nicht aller fünf Sekunden eine halbe Flasche Wasser über den Nacken und das Gesicht, wie es normalerweise nach einer harten Trainingsstunde der Fall war.
"Ne, ich war bei Cody. Hatte dann doch keine Lust mehr."
Cody, Reptilienhaus.
Blondie.
Ich schluckte.
Sarina, aus! Hör' auf, darüber nachzudenken!
"Okay", sagte ich und beobachtete den Alpha dabei, wie er sich gegen die Kante seines Schreibtisches lehnte.
"Möchtest du irgendetwas?", fragte er.
Ich sah wieder auf meine Hände und suchte nach den richtigen Worten.
"Ich-"
"Hey Leute," Die Tür wurde geöffnet und Eisauge steckte seinen Kopf ins Zimmer. "ich bin noch einmal weg. Ihr braucht auch kein Essen für mich mitmachen. Wahrscheinlich esse ich in der Akademie. Bis dann."
"In Ordnung, bis dann.", antwortete Len in seine Richtung, während ich nur stumm da saß und abwesend nickte.
Die Tür schloss sich wieder und kurz darauf war es still im Haus.
Wir waren allein.
"Also", begann mein Artgenosse wieder. "du wolltest etwas sagen."
"Ja, ich, also . . . ich war. . .", stotterte ich und spürte schon wie meine Ohren zu glühen begannen. "Wegen Nevis, ich wollte dir . . ."
"Nevis ist ein Werwolf.", sagte Len geradeheraus und verschränkte die Arme. "Ich weiß."
"Du weißt es.", hauchte ich und meine letzte Hoffnung verpuffte. Die Hoffnung, dass alles Gesagte meiner Schulleiterin nur ein schlechter Scherz gewesen war und Len immer noch keine Ahnung hatte.
Ein heißes Glühen machte sich in meinem Körper breit.
Wut.
"Ich hatte schon vom ersten Tag an die Vermutung, aber es hat sich erst bestätigt, als ich dich heute Nacht aus dem Haus habe rennen sehen. Ach ja, und das Wolfsgeheul nicht zu vergessen, dass man nur wenige Minuten, bevor du vollkommen außer Atem in dein Zimmer geflüchtet bist, auf dem gesamten Campus hören konnte."
Der scharfe Ton in Lens Stimme ließ mich in mich zusammensinken.
"Als ich erst geschnallt hatte, was da eigentlich passiert ist, war es zu spät und ich habe darauf gewartet, dass du sofort zu mir kommst und mir alles erzählst. Ich wollte dir noch ein wenig Zeit geben, um deine Gedanken zu ordnen, also habe ich gewartet. Doch leider bist du nicht gekommen."
Ich runzelte verärgert die Stirn.
"Warum bist DU dann nicht einfach in mein Zimmer gegangen und hast mich gefragt, wenn du schon alles wissen wolltest?"
Len schnaubte.
"Wenn ich dich daran erinnern darf, es war mitten in der Nacht und ich bin aus meiner Tiefschlafphase gerissen worden. Da kann es schon mal vorkommen, dass man nach einer Wartezeit von zwanzig Minuten wieder einschläft. Außerdem hatte ich darauf vertraut, dass du zu mir kommst. Du fühlst dich ja immer recht schnell in die Enge gedrängt, wenn man zu früh auf dich zu geht."
Ein spöttisches Lachen entfloh mir und ich schüttelte den Kopf.
"Ja, natürlich. Der Prinz braucht ja seinen Schönheitsschlaf. Und was heißt das bitte? In die Enge gedrängt?" Ich schüttelte meinen Kopf. "Ich verstehe nicht wirklich, was du dir darunter vorstellst."
Ich merkte, dass die Unterhaltung schon wieder in die falsche Richtung ging. Ich respektierte Lens Argument, mir erst in wenig Freiraum zu gewähren und eigentlich war ich auch ziemlich dankbar dafür. Ich sah sogar selbst ein, dass es schwer war, nach so einem abrupten Aufwachen nicht wieder einzuschlafen (wahrscheinlich wäre mir das gleiche passiert), aber es lag nun einmal in meiner Natur die Dinge von mir zu weisen und anderen die Schuld zu geben. Selbst, wenn ich alles zu verantworten hatte.
"Du hättest mir vertrauen sollen, Sarina!"
Der Löwe stieß sich wütend vom Schreibtisch ab und kam auf mich zu.
"Als ich dich heute morgen darauf hingewiesen habe, dass wir doch miteinander reden können, wäre das die Chance gewesen. Ich habe darauf gewartet, dass du das Thema von allein ansprichst." Enttäuschung lag in den grünen Augen. "Aber du hast einfach so getan, als wäre alles in Ordnung."
Ich biss mir auf die Lippe und zog trotzig die Augenbrauen zusammen.
"Aber du hättest-"
"Wieso denn immer ich!?", rief Len aus und breitete die Arme aus. "Warum muss ich immer derjenige sein, der auf dich zukommt? Weißt du", traurig senkte er seine Schultern. "in einer guten Beziehung, egal ob als Paar oder als Freunde, sollte der Wille und das Vertrauen von beiden Seiten kommen."
Gequält wandte ich den Kopf ab.
"Das sagst du", murmelte ich bissig. "ich bin nicht die einzige, die hier etwas verschweigt."
Oh nein, Sarina, lass' das! Das wird nicht gut enden!
Len stöhnte.
"Was ist es denn diesmal?"
Aufgebracht riss ich meinen Kopf wieder herum und funkelte den jungen Alpha mit wütenden Saphiraugen an.
"Das Gespräch mit Diana!", fauchte ich. "Ich weiß immer noch nicht, worüber ihr geredet habt! Und ja, verdreh ruhig die Augen, aber mir macht es etwas aus, wenn mein Freund allein mit einem Mädchen ist, das auf ihn steht und gleichzeitig auch noch so besitzergreifend ist, dass ich jedes Mal aufpassen muss, dass mir nicht ein Messer im Rücken steckt, wenn sie hinter mir vorbeiläuft!"
Len starrte mich sprachlos an.
"Und dann verschwindest du einfach zum 'Trainieren' , obwohl du in Wahrheit zu Cody gehst, der auch zufällig im selben Haus wohnt wie diese Schlange!", spuckte ich ihm vor die Füße und erhob mich angespannt vom Bett.
Ich wusste immer noch, dass die Unterhaltung in eine völlig falsche Richtung ging und ich mal wieder anderen -anstatt mir- die Schuld gab. Dabei lenkte ich sogar das Gespräch in eine ganz andere Richtung, um das eigentliche Thema zu umschiffen.
Aber es schien zu funktionieren.
"Unterstellst du mir gerade, dass ich fremdgehe?!"
Voller Entsetzen starrte mich Len an und ich hörte förmlich den entstehenden Riss in seinem Herzen.
Und genau ab diesem Zeitpunkt wusste ich, dass ich es zu weit getrieben hatte.
"Nein, Len.", hauchte ich fassungslos.
Ich trat einen Schritt auf ihn zu und streckte meine Hand nach seiner Wange aus.
Er wich zurück.
Ich ließ meine Hand wieder sinken.
"Nur damit du es weißt", sagte er leise. "Diana hat mich gefragt, ob ich mit ihr zum Ball gehen möchte. Und ich habe Nein gesagt, weil du das Mädchen bist, in das ich verliebt bin. Du bist meine Freundin. Das habe ich auch Diana gesagt. Ich hoffe, das war kein Fehler."
Mir stiegen die Tränen in die Augen und soweit ich es durch den Tränenschleier erkennen konnte, röteten sich die Augen meines Artgenossen auch gefährlich.
"Könntest du bitte gehen? Ich möchte eine Weile allein sein.", presste er noch hervor und wandte sich dann ab.
Zum zweiten Mal an diesem Tag befand sich mein Körper in einer Art Trance.
Geräuschlos lief ich zur Tür und öffnete sie. Kurz entschlossen drehte ich mich wieder um. Len fuhr sich gerade mit dem Handrücken über die Augen.
"Len-"
Er drehte sich um und der Schmerz in seinem Gesicht zerriss fast mein Herz. Ich wollte auf ihn zugehen, ihn umarmen und mich tausendmal auf allen Sprachen der Welt bei ihm entschuldigen. Ich wollte ihm erklären, was ich für ein verkorkster Mensch ich doch war, dass ich doch weiß, dass alles meine Schuld war.
Ich wollte, dass alles wieder gut ist.
"Weißt du was?", fragte er schwach und schluckte einmal schwer. "Ich wollte dich vorhin eigentlich fragen, ob du nicht meine Ballbegleitung sein möchtest, doch ich bin mir jetzt nicht mehr so sicher, ob du das möchtest. Schließlich bist du ja der Meinung, dass ich mich mit Diana heimlich vergnüge."
Er kam auf mich zu.
"Es tut mir leid, Len.", schluchzte ich und verbarg mein Gesicht hinter meinen Händen. "Es tut mir-"
"Gute Nacht, Sarina."
Er küsste mich sanft auf die Stirn.
Stockstarr stand ich da und schloss für einen Moment die Augen. Ich spürte die Wärme der Berührung, atmete tief Lens Duft ein, nur zur Sicherheit, falls ich ihn vergaß. Denn ich befürchtete, ihn sobald nicht mehr um mich zu haben.
Die warmen Hände des jungen Alphas fassten mich behutsam an den Oberarmen. Ich sah auf und wollte schauen, was er vorhatte, doch da hatte Len mich schon sanft aus dem Zimmer geschoben.
Die Tür schloss sich.
Und die erste Träne fiel auf meine Füße.
_____________________________
*schniff*
Hey ho, Leute, ich bin wieder da! Pünktlich zum Ende des Jahres 2017 und zum Beginn 2018!!!!
Das 60. Kapitel ist geschafft! Überlegt euch das Mal . . . (bin überrascht, dass mir immer wieder neue Kapitelnamen einfallenxD)
Ich wollte mich mal an dieser Stelle kurz bei euch bedanken. Für die ganzen Votes und Kommis, die mich jedes Mal zum Grinsen bringen. . . Und auch ein liebes Danke an alle etwas stilleren Leser!
Mir bedeutet das sehr viel, dass ihr immer wieder auf's Neue die langen Wartezeiten zwischen den Kapiteln über euch ergehen lasst, weil euch die Geschichte so gut gefällt.
Dankeschön!
Aber jetzt erst einmal, wer verabscheut mich nun zutiefst xD?
Keine Ahnung, ich hatte das Kapitel irgendwie anders geplant, aber irgendwie fand ich, dass Sarina ihre Abrechnung auch einmal verdient hat. Ich meine, es geht ja nicht, dass sie immer sauer auf Len ist xD
Und ich finde dieses Eifersuchtsgeplänkel schon ziemlich passend zu ihrem Charakter . . .
Immerhin ist Len ihr erster Freund (ein überaus gutaussehender Freund, wenn ich hinzufügen darf;))
Und Blondie geht mir übrigens ähnlich auf die Nerven, wie Sarina . . . Ich glaube, ich würde ähnlich reagieren xD (ähnlich, nicht gleich)
Alsooo,
erst einmal vorweg: Keine Sorge, bis zum Ball hat sich das wieder eingerenkt und das ist, glaube ich, noch ein oder zwei Kapitel entfernt.
Und wahrscheinlich wird eines der beiden aus Lens Sicht geschrieben sein . . . Mal sehen, vielleicht auch nicht ;) Oh Mann, seht euch meine Planung an. . . xD
Nun zu meinen Fragen:
Wer hat vermutet, dass Sarina zu Mrs. Roberts geht? Und wenn nicht, zu wem hättet ihr gedacht?
Was haltet ihr von der Idee mit der Kammer für Nevis und wer könnte zu seinem Bodyguard gemacht werden?
Was hat es mit dem Anruf auf sich? Vermutungen?
Kommen wir jetzt zum etwas heiklerem Part:
Hat Len das Recht, sauer auf sie zu sein?
Immerhin hätte er wirklich zu ihr kommen und sie über Nevis ausfragen können. . .
Was haltet ihr-
Boar, diese sche*ß Böller da draußen *inGedankendasFensteröffnend* "Ey, hört auf, die Luft zu verpesten und meine armen Ohren zu belästigen!" . . . Ich hasse Silvester, das einzige gute ist das Essen . . . egal, wo war ich?
Was haltet ihr von Sarinas Erwiderung? Ist es fair, dass sie plötzlich mit Diana anfängt?
Konstruktive Kritik, Meinungen, Wünsche, Verbesserungsvorschläge etc. sind immer willkommen
Soooo, dann wünsche ich euch einen guten Start ins neue Jahr!
Viel Gesundheit und Glück und blablabla. . . ihr wisst schon xD
LG<3
Eure (über die Raketen und Böller tobende) Cherry
PS: Passt bloß auf eure Finger auf. Ich habe gehört, die sind schnell mal weg, wenn man mit Raketen spielt^^'
PPS: Hat jemand hier Neujahrsvorsätze?
Also ich nicht xD Ich mache mir nicht einmal die Mühe, da ich schon von vornherein weiß, dass ich es nicht schaffen werde, sie einzuhalten xD
PPPS: Nein, #Lerina sind noch zusammen, keine Sorge. Sie stecken nur in einer Krise ;)
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