Überraschungen soweit das Auge reicht
Müde schlurfte ich aus meinem Zimmer und machte mich auf den Weg in die Küche. Doch als ich im Türrahmen stand und sah, was dort auf dem Tisch stand, drehte ich mich wieder um und machte Anstalten zu gehen.
"Na, na, na, na." Len hielt mich am Arm fest. "Hier geblieben, Madame."
"Len," maulte ich. "ich habe dir doch gesagt, dass ich diesen Tag nicht feiern möchte."
Aber er beachtete meinen Protest nicht und führte mich zum gedeckten Tisch. Dabei hatte ich ihm doch eingebläut, dass mein Geburtstag nichts Besonderes werden sollte.
"Hey," meinte der Alpha nur unbekümmert. "deine Bedingungen waren: keine Geschenke, kein Ständchen, kein Kuchenbacken und keine Feier. Das Verbot, ein Frühstück für dich zu machen, hast du nicht erwähnt."
Misstrauisch blinzelte ich den triumphierend grinsenden Alpha an.
"Na gut, meinetwegen!" rief ich aus, schmiss geschlagen die Arme nach oben und setzte mich, während Len noch stehen blieb.
„Was denn?" fragte ich spöttisch. „Hast du es dir doch anders überlegt?"
„Nein," antwortete mir der Alpha langsam. „aber ich habe noch nicht mein Geburtstagsgeschenk überreicht."
„Dawson, ich gehe gleich." drohte ich.
„Keine Sorge, nichts materielles."
„Aha." Ich zog abwartend eine Augenbraue hoch.
Len beugte sich zu mir hinunter und augenblicklich wusste ich sein Geschenk. Seufzend nahm ich das kribbelnde Gefühl in Empfang, das entstand, als sich unsere Lippen vorsichtig berührten. Der Löwe legte behutsam seine Hände in meinen Nacken und ich vergrub meinerseits die Finger in seinen goldenen Haaren.
Lens Lippen verzogen sich zu einem Lächeln.
"Hey," grummelte ich. "so kann ich nicht küssen."
Jetzt fing der Alpha auch noch an, leise zu lachen. Ich gab es auf und brachte ein wenig Abstand zwischen unsere Gesichter. Stirnrunzelnd musterte ich sein strahlendes Gesicht.
"Was ist los mit dir? Hast du was genommen?" fragte ich misstrauisch.
Len kicherte und schüttelte den Kopf.
"Nein, ich fühle mich einfach nur so beschwingt. Du machst mich glücklich."
Ich starrte ihn an und versuchte, meinen Körper unter Kontrolle zu halten. Für den Alpha mochten das vielleicht nur zwei einfache Sätze gewesen sein, doch in mir löste es hysterisches, inneres Kreischen und das Gefühl, als würde ein ganzer Schmetterlingsschwarm in meiner Magengegend Polka tanzen, aus.
"Habe ich irgendetwas im Gesicht?" erkundigte sich mein Artgenosse verunsichert, da ich ihn immer noch anstarrte. Ich schüttelte einmal den Kopf und lächelte dann.
"Nein, alles in Ordnung."
"Na dann," Len gab mir einen Kuss auf die Wange und richtete sich wieder auf. "guten Appetit."
"Gleichfalls."
Wir aßen größtenteils schweigend und wuschen am Ende des Essens auch genauso still ab. Danach bat ich Len, mich für eine Weile allein zu lassen, da ich noch ein paar Aufgaben zu erledigen hatte.
Ich war gerade dabei, die letzten Stichpunkte für einen Aufsatz aus meinem Fabelkundebuch zu schreiben, als mein Handyklingelton mich aus meinem Arbeiten riss.
"Hey Mum." nahm ich den Anruf entgegen und klemmte mir das Smartphone zwischen Schulter und Ohr.
"Schätzchen, alles Liebe und Gute zu deinem Geburtstag. Mögen alle deine Wünsche und Träume in Erfüllung gehen. Ich kann es kaum fassen, dass du schon siebzehn wirst! Fühle dich ganz fest gedrückt. Dad und ich denken schon den ganzen Tag an dich, aber hatten bis jetzt noch keine Möglichkeit anzurufen. Wir vermissen dich wie verrückt!"
"Ist schon gut, Mum." beruhigte ich sie lächelnd und kritzelte währenddessen kleine Tornados auf den Rand meines Blattes. "Danke für die Glückwünsche und ich vermisse euch auch."
"Süße, es tut mir so leid, dass wir nicht zusammen feiern können, aber diese Meetings und Präsentationen sind sehr wichtig für die Firma." Dann fügte sie im Flüsterton hinzu. "Aber ich muss gestehen, die Leute hier machen mir ein wenig Angst."
Ich lachte.
"Keine Sorge, wir werden das nachholen." versprach meine Mutter und ich merkte, wie meine Mundwinkel schon wieder zu zucken begannen.
"Ich weiß. Ich freue mich schon darauf." sagte ich leise.
"Ich mich auch." Eine kurze Pause entstand. "Hast du eigentlich schon in dein Geschenk geschaut?" platze es dann plötzlich aus ihr heraus.
"Oh!" rief ich überrascht aus. "Nein, das habe ich vergessen."
"Dann mach das mal schnell und sage mich, ob es dir gefällt und auch passt." drängte Mum mich aufgeregt. "Rufe mich dann am besten heute Abend an, in Ordnung? Ich muss gleich in eine Besprechung."
"Ja, geht klar. Bis heute Abend und viele Grüße an Dad!"
"Richte ich aus. Hab dich lieb."
"Ich dich auch. Bye."
"Bye."
Ich legte auf.
Ein breites Grinsen stahl sich in mein Gesicht und ich sprang auf. Aufgeregt steuerte ich auf meinen Schrank zu, zog den silbernen Kleidersack hervor und legte ihn dann vorsichtig auf mein Bett.
Langsam zog ich an dem Reißverschluss und als erstes stach mir ein Zettel ins Auge, auf dem stand:
Ich bin sicher, du wirst umwerfend darin aussehen und deinem lieben Mitbewohner gehörig den Kopf verdrehen ;) Schicke mir unbedingt ein Foto (natürlich mit Len)!!!
Alles Liebe zum Geburtstag <3
-Mum&Dad
Ergebend seufzend legte ich das Papier beiseite und richtete meinen Blick auf den Inhalt des Sackes. Mir fielen fast die Augen aus dem Kopf, als ich den dunklen, weinroten Stoff betrachtete.
Vorsichtig hob ich das Kleid aus seinem Schutzmantel und hielt es an meinen Körper. Es war bodenlang, aus feinster Seide und besaß in der Mitte auf Bauchhöhe eine Art silberne, längliche Brosche, um einige quergelegte Stofflagen, die die Taille betonten, zusammenzuhalten,
Verträumt strich ich über den Stoff. Also Sorgen um meine Ballkleid, brauchte ich mir jetzt nicht mehr zu machen.
Ob mir es passt?
Eilig verbarrikadierte ich mich im Bad und ließ meine Klamotten achtlos auf den Boden fallen, bevor ich in den weichen Stoff stieg.
Es passte.
Es passte wie angegossen. Wortwörtlich.
Das konnte doch nicht bloß Seide sein. Meine Mum hatte bestimmt irgendetwas mit diesem Kleid gemacht. Es floss meinen Körper hinab, als wäre es eine zweite Haut. Leicht, kaum spürbar.
Es betonte genau das, was zu betonen war und ließ sogar so manch unerwünschte Rundung verschwinden.
Als ich mich so im Spiegel sah, beschlich mich ein drückendes Gefühl und ich kämpfte gegen aufsteigende Tränen.
Was war denn jetzt schon wieder?
Schniefend wischte ich mir mit dem Handrücken über die Augen.
"Hör auf, zu weinen." ermahnte ich mich selbst und starrte mein Spiegelbild böse an. "Du bist unerträglich."
Nach ein paar tiefen Luftzügen hatte ich mich wieder beruhigt und stieg schnell aus dem weinroten Traum. Nicht, dass ich es noch aus Versehen kaputt machte oder beschmutzte.
Ich lief zurück in mein Zimmer, verstaute das Kleid wieder vorsichtig in dem silbernen Beutel und hängte es zurück in den Schrank. Dann setzte ich mich an meinen Schreibtisch, klappte mein Fabelkundebuch zu und holte meinen Laptop.
Ich brauchte unbedingt passende Schuhe.
◆◇◆◇◆◇◆◇◆◇◆
"Len, das WLAN funktioniert nicht mehr." beschwerte ich mich und polterte die Treppe hinunter. Mein Mitbewohner saß auf der Couch und hatte sein Handy in der Hand.
"Was du nicht sagst." Entnervt feuerte er es neben sich auf ein Kissen. "Sylvia hat mir gerade eine Mail geschickt, aber ich kann sie nicht öffnen."
Ich ließ mich seufzend neben ihn nieder.
"Und was machen wir jetzt?"
Er zuckte die Schultern.
"Erstmal nichts. Sylvia kommt erst Anfang Januar wieder. Dann werde ich sie darüber in Kenntnis setzen."
"Na gut." seufzte ich. "Sag mal," Ich legte meinen Kopf auf Lens Schulter. "wo muss sie denn eigentlich immer hin?"
"Oh, das ist ganz unterschiedlich." meinte er. "Meistens sind es Besprechungen im obersten Gremium oder Zusammentreffen mit anderen Alphas, die ihre Anwesenheit fordern. Doch manchmal auch einfache Fortbildungen oder Freundschaftsbesuche in anderen Akademien oder Schulen."
"Aha." machte ich beeindruckt. Ich hatte ja gar nicht gewusst, wie viel meine Schulleiterin unterwegs war.
"Was hältst du von einer Trainingsstunde?" fragte Len plötzlich und ich verzog den Mund.
"Jetzt?"
"Wieso nicht?" Er erhob sich.
"Es ist noch zu früh."
"Sarina, es ist halb zwei am Nachmittag."
"Siehst du. Manchmal stehe ich da erst auf."
Len begann zu grinsen.
"Du willst wirklich auf eine Trainingsstunde mit deinem Freund verzichten?"
Ein Adrenalinstoß durchfuhr meinen Körper.
Freund.
Es war das erste Mal, dass es so ausgesprochen wurde. Einerseits war es ungewohnt und seltsam, Len so zu bezeichnen, doch andererseits machte es mich wahnsinnig glücklich.
"Na wenn du das so sagst." brummte ich und stand ebenfalls auf. Dabei ignorierte ich das breite, idiotische Grinsen des Alphas.
Gemeinsam liefen wir in den Flur und zogen uns unsere Wintersachen über.
"Len?" sagte ich, als wir vor der Haustür standen.
"Hm?" machte er abwesend, schloss ab und stopfte den Schlüssel in seine Jackentasche.
"Komm mal kurz her." Er machte ein paar Schritte auf mich zu, bis er vor mir aufragte.
"Ja?"
"Näher." lockte ich ihn und bedeutete ihn mir einer Handbewegung, sein Gesicht auf meine Höhe zu senken. "Ich muss dir etwas sagen."
"Und was?"
Er folgte meinen Anweisungen und sah mir nun direkt in die Augen.
"Ich würde liebend gern mit meinem Freund trainieren." flüsterte ich und gab ihm einen langen, zärtlichen Kuss, den Len nach einer kurzen Phase der Realisierung erwiderte. Die Kälte nahmen wir dabei kaum wahr.
"Weißt du was," keuchte mein Artgenosse, als wir uns voneinander gelöst hatten. "eigentlich könnten wir das mit dem Training auch auf morgen verschieben."
"Kommt nicht in Frage." verkündete ich hochmotiviert und stieß meine Faust in die Luft. "Ich muss an meinen Verwandlungen üben."
Len schüttelte lachend den Kopf, trat neben mich und gab mir einen Kuss auf den Scheitel.
"Na dann zeig mal, was du außer der Löwin und der Eule noch so drauf hast." forderte er mich heraus. "Ich habe mich neulich erst an einem Eisbären versucht. Das war nicht so schwer. Wie wäre es damit?"
Ich nickte zustimmend.
"Soll ich mich verwandeln, damit du ein besseres Bild von ihm hast? Oder schaffst du das so?"
"Ich versuche es erst einmal so." antwortete ich und entspannte meine Muskeln. Vor meinem inneren Auge entstand das Bild eines riesigen, schneeweißen Polarbären. Ich sah sein dichtes Fell, die großen Tatzen und die schwarze Nase. In meinem Magen begann es zu ziehen und ich versuchte so gut es ging, den aufkommenden Schmerz zu unterdrücken. Ich spürte, wie das Fell durch meine Haut schoss, meine Nase und mein Kiefer sich verformten, hörte, wie meine Wirbel knackten. Dann war es vorbei.
Ich war erstaunt. Es ging einfacher als erwartet und nicht einmal meine Beine zitterten.
Ein erfreuter Laut entwich meinem Maul.
"Du wirst immer besser." sagte Len anerkennend und strich mir sanft über mein fellbedecktes Schulterblatt. Vergnügt stupste ich ihn in die Seite und hätte ihn somit beinahe auf den Boden geschleudert.
"Ups. Entschuldige."
Prustend versuchte der Alpha sein Gleichgewicht wiederzufinden. "Alles in Ordnung. Ich schätze, ich sollte mich schnell verwandeln, bevor du noch auf die Idee kommst, mich umarmen zu wollen."
Ich warf ihm meinen Ist-das-dein-Ernst?-Blick zu, der selbst als riesiger, tapsiger Eisbär ausgezeichnet funktionierte. Abwehrend hob Len die Hände.
"Was weiß ich denn?"
Nur ein paar Augenblicke später stapften wir beide als weiße Bären durch den tiefen Schnee. Durch das dicke Fell an meinem Körper war mir nicht kalt, was den Weg zur Trainingshalle angenehmer gestaltete, als ich zuvor gedacht hatte.
Und als wir endlich im Warmen standen, musste ich mich schon fast überwinden, meine Menschengestalt wieder einzunehmen.
"Also, was möchtest du üben?" erkundigte sich Len, während er sich ein paar Wassertropfen aus den Haaren rubbelte. Ich überlegte.
"Mm, ich würde gerne mehr daran arbeiten, aus dem Rennen oder Fallen mich zu verwandeln. Mrs. Roberts sagte, ich solle daran mehr arbeiten."
"Okay, welche Gestalt?" Len machte sich auf den zum Geräteraum. Ich folgte ihm.
"Wie wäre es im Rennen mit einem Geparden und im Fallen mit der Schleiereule?" schlug ich vor.
"Ich glaube, für einen Geparden wäre die Arena zu klein. Was ist mit einem Luchs?" Er hob schwerfällig eine Matte vom Boden auf. "Fass mal kurz mit an."
"Klar." Ich eilte an seine Seite. "Ja, Luchs ist gut."
Wir brachten die Matte in die hintere rechte Ecke der Halle, wo ein paar Stangen vom Boden bis in die Decke befestigt worden waren. Eine kleine Plattform verband das Ganze. Es war ein Leichtes, dort hinaufzuklettern und sich von der Ebene zu stoßen, um einen freien Fall zu imitieren.
"Hier." Len hielt mir eine Schale voll Kreide hin, damit meine Hände beim Klettern nicht anfingen zu schwitzen und ich abrutschte. Ich nahm mir eine Hand voll und zerrieb das Pulver zwischen meinen Händen.
Dann trat ich an die Stange und begann den ersten Zug. Meine Beine schlangen sich um das kalte Metall und drückten mich weiter nach oben.
Ich spürte Lens Blick auf mir. Jedoch hatte ich ein schlechtes Gefühl dabei. Sein Blick wirkte nicht interessiert oder sorgfältig beobachtend, sowie bei ähnlichen Situationen. Er war brennend und schon fast angsterfüllt.
Ich konnte deutlich spüren, dass Len meine Aktion nicht geheuer war.
Aber ich zwang mich, nicht weiter darüber nachzudenken und hob mich letztendlich auf die Plattform. Unten konnte ich den Alpha erleichtert aufatmen hören.
Ich sah über die Plattform.
"Alles gut. Ich kann jetzt-" Die Worte blieben mir im Hals stecken, als ich in die sorgenvoll aufgerissenen Augen Lens sah. Es war so, als würden sie mich in sich aufsaugen wollen. Sie hypnotisierten mich und versetzten meinen Körper in eine Art Stockstarre. Mir wurde schwindelig.
"Sarina!" Der gebrüllte Ruf meines Namens nahm ich kaum noch wahr, als ich in dem Strudel aus smaragdgrünen Augen versank.
Meine schlanken Hände umklammerten haltsuchend die eiserne Kletterstange in der Halle und ich sah über meine Schulter zu Sylvia hinüber, die mir ermutigend zunickte.
"Na los. Du schaffst das, Len."
Ich atmete tief durch und entdeckte mein Spiegelbild in einem der Fenster der Trainingshalle. Meine blonden Haare waren schon etwas zu lang und hingen mir ein wenig in die Stirn. Sylvia hatte mir sogar heute Morgen noch eröffnet, dass sie sie mir bald wieder schneiden musste. Wache grüne Augen blitzten mich entschlossen an und ich straffte meine schmalen Schultern.
Also gut, reiß dich zusammen!
Verbissen zog ich mich hoch. Es war überraschend leicht. Ich holte meine Beine nach. Begeistert erklomm ich die nächsten Zentimeter, Meter.
"Durchhalten, Len!" feuerte mich meine Tante von unten an. "Du hast es fast geschafft."
Ich legte den Kopf in den Nacken.
Das stimmt gar nicht.
Meine Arme wurden schwächer.
"Nicht nach oben schauen!"
Meine Hände begannen zu schwitzen und Panik überkam mich, als die Kraft aus Armen und Beinen schwand. Verzweifelt versuchte ich mich weiterhochzuarbeiten, doch ich kam nur ein paar Zentimeter weit. Ich keuchte erschrocken auf, als ich nach unten rutschte.
"Len, bleib ruhig. Konzentriere dich."
Selbst der Doppelklang in der Stimme meiner Tante konnte mich nicht beruhigen. Mein Atem war flach, die Muskeln erschöpft. Ich presste die Zähne aufeinander.
"Ruhig atmen. Sammle deine Kraft."
Ich nahm Sylvias beruhigende Stimme wahr und konnte mir somit mehr Ruhe zusprechen. Ich nahm noch einmal all meine Kräfte zusammen und erklomm tapfer das letzte Stück. Doch nun musste ich eine Hand von der Stange lösen, um mich auf die hölzerne Ebene zu hieven.
Unsicher ließ ich das kalte Metall los und tastete nach Halt.
"Ja, gut so!" rief Sylvia und ich schaute zu ihr nach unten.
Dass ich das lieber hätte sein lassen sollen, fiel mir erst ein, als es zu spät war. Sofort verlor ich mein Gleichgewicht.
Ich ruderte noch für einen kurzen Augenblick mit den Armen in der Luft herum, bevor ich schreiend in die Tiefe stürzte.
"Sarina!" Len hockte neben mir und hatte mich an meinen zitternden Armen gepackt. Meine Augen waren weit aufgerissen, doch ich konnte erst wieder klar sehen, als in meinem Kopf kein Wirbel aus Gedanken tobte.
"Oh," keuchte mein Artgenosse erleichtert auf. "Gott sei Dank! Geht's dir gut?"
"Hm." machte ich nur unbestimmt und versuchte meine Stimme in der gewohnten Tonlage zu halten.
"Was war das gerade? Hattest du eine Panikattacke?"
Ich schüttelte den Kopf und atmete tief durch.
"Was denn dann? Was war das eben?"
"Mann Len!" fauchte ich aus plötzlicher Wut. "Verstehst du nicht? Ich bin mal wieder gesprungen."
"Was?" Fassungslos starrte er mich an. "Du meinst, in der Zeit?"
"Ja." sagte ich nur beherrscht und rückte weiter nach hinten an die Wand.
Wow, von hier oben hatte man einen echt guten Ausblick.
"U-und was war es diesmal?"
Ich schwieg betreten. Es war mir unangenehm, dass ich mich in Lens Körper befunden hatte. Na ja, eigentlich ja nur in seinem Kopf, von wo ich das ganze Geschehen aus seiner Perspektive betrachtet hatte.
"Hey," mein Freund legte einen Arm um meine Schultern. "bitte erzähl es mir. Ich kann dir vielleicht helfen."
Ich blieb stumm.
"Bitte."
"Du hattest Angst, ich könnte von der Stange abrutschen, oder?" sagte ich anstatt einer Erwiderung.
Der Alpha schwieg.
"Genau wie du damals." fuhr ich leise fort.
"Das ist es, was du gesehen hast?"
Ich nickte, schüttelte aber gleich daraufhin den Kopf.
"Ich habe es nicht nur gesehen, Len." Erschöpft lehnte ich meinen Kopf an die kalte Steinwand hinter mir."Ich habe es mitgefühlt, miterlebt." Meine Stimme war nur noch ein einziges Flüstern. "Es war grauenvoll."
Mein Artgenosse nickte langsam und seufzte.
"Ich hatte mir nach diesem Sturz zwei Rippen geprellt und mein Handgelenk verstaucht. Sylvia sagte damals, ich hätte noch einmal Glück gehabt, dass die alte, harte Matte, die wir damals noch hier benutzten, mein Gewicht einigermaßen abgefedert hat."
Ich schüttelte weiterhin den Kopf.
"Aber wie ist das möglich?" hauchte ich bestürzt. "Ich habe dich doch gar nicht berührt."
Len überlegte einen Moment.
"Du hast mir genau in die Augen gesehen, bevor du in diese Schockstarre verfallen bist." Ein Schaudern überlief seinen Körper. "Oh Himmel, Sarina, du hast mich zu Tode erschreckt. Ich dachte, du würdest von der Plattform kippen."
"Wie lange war ich denn . . . weg?"
"Ich glaube so ungefähr fünfzehn Sekunden?" antwortete Len.
"Das ist länger als bei Ruby." stellte ich fest. "Glaubst du, es gibt da irgendeinen Zusammenhang?"
Der junge Alpha zuckte die Achseln.
"Können wir uns darüber bitte erst zu Hause Gedanken machen? Ich will bloß noch von dieser Platte hier herunter. Und das mit dem Training heute können wir auch vergessen, da ich glaube, dass du dich jetzt kaum noch konzentrieren kannst."
"Ja, du hast recht. Ich will auch gar nicht mehr."
Wir standen beide auf und ich holte noch einmal tief Luft, bevor ich die Stange wieder hinunterrutschte. Für meine Verwandlung zur Schleiereule hatte ich keinen Nerv mehr.
Len tat es mir gleich und so räumten wir nur noch die Matte zurück in den Geräteraum.
Zurück im Haus, ging ich schnurstracks in mein Zimmer und ließ mich auf mein Bett fallen. Ich musste erst einmal in Ruhe über das Geschehnis von heute nachdenken.
Len kam später vorbei und bot an, Abendessen zu machen, jedoch lehnte ich ab. Daraufhin kam er zu mir hinüber und legte sich neben mich. Seitdem waren vier Stunden vergangen.
Mein Freund schlief mittlerweile und ich lag da und lauschte seinem Atem.
Ich war mittlerweile zu dem Schluss gekommen, dass ich, wenn ich eine besonders starke Bindung zu einer Person hatte, wie zum Beispiel bei Len, ich nicht einmal eine Berührung brauchte, um in sein Vergangenheits-Ich zu springen. Ein Blick reicht da völlig aus.
Hatte ich eine weniger starke Bindung zu einer Person, in dem Fall Ruby, kann nur durch Berührung meine Fähigkeit aktiviert werden. Jedoch fehlten mir weitere Beweise, um das fest behaupten zu können. Außerdem möchte ich meinen, dass ich und Ruby eine ziemlich starke Freundschaft führten. Die Theorie zu der starken oder weniger starken Bindung wäre also so nicht wirklich wahr.
Len seufzte einmal neben mir auf und ich musste unwillkürlich lächeln. Ich drehte mich auf die Seite und musterte sein entspanntes Gesicht. Die gerade Nase, die geschwungenen Augenbrauen, die langen Wimpern, die (wirklich sehr gut küssbaren) Lippen . . .
Kaum zu glauben, dass ich jetzt so hier mit ihm lag. Vor ein paar Monaten hatte das noch ganz anders ausgesehen.
Doch, so vertraut wir auch miteinander waren, der Alpha hatte immer noch Geheimnisse vor mir. Da war zum Beispiel seine Fähigkeit als Alpha. Wieso wollte er nicht, dass ich davon erfuhr?
Das war die Frage, die mir nun am meisten auf dem Herzen lag, seitdem das Rätsel um seine Kindheit gelüftet war. Aber ich ließ ihm Zeit.
Ich hatte gelernt, dass ich bei Len geduldig sein musste. Mit Drängen und Betteln erreichte man gar nichts bei ihm. Früher oder später, würde er sich öffnen.
Da war ich mir sicher.
◆◇◆◇◆◇◆◇◆◇◆
"Hey, Sarina, kommst du? Sylvia hält gleich die Willkommensrede zum neuen Schuljahr und sie sagte, sie hat noch eine Überraschung für uns." rief Len mir durch die Tür zu und ich angelte noch kurz meinen Schal vom Schreibtischstuhl, bevor ich aus dem Zimmer stürmte und die Treppe hinunterpolterte.
Es war Mitte Januar und kälter als je zuvor.
Len und ich verbrachten jetzt fast jeden Nachmittag damit, den frisch gefallenen Schnee von unserem Weg zu schippen, damit wir nicht innerhalb von zwei Tagen komplett eingeschneit wurden.
Silvester hatten wir beide mehr oder weniger ausfallen lassen. Wir hatten nur ein paar Wunderkerzen angezündet, Blei gegossen und einen kitschigen Neujahrskuss (oder auch mehrere) zwischen uns ausgetauscht. Und das war es dann auch gewesen. Ziemlich unspektakulär.
"Was glaubst du, ist das für eine Überraschung?" fragte mich Len nachdenklich, als wir nebeneinander über das Gelände stapften. Ich antwortete nicht, da ich bereits ahnte, was für eine Überraschung Mrs. Roberts für uns bereithielt. Ob sich Len aber darüber freuen würde, stand in den Sternen.
Ich wurde immer nervöser, je näher wir der Akademie kamen. Zum Glück bemerkte es Len nicht, da schon einige Schüler auf uns gestoßen waren und uns nach unseren Ferien fragten.
"Sarina!" quietschte es plötzlich, während ich gerade dabei war, die Treppenstufen zu erklimmen und fast von einem energiegeladenen Körper umgeworfen wurde.
"Hey, Ruby." grinste ich meine beste Freundin an und schloss sie in eine Umarmung.
"Na Alter, alles klar?" brummte Cody neben uns und schlug mit Len ein.
Ich fühlte mich gleich viel besser, als ich meine Freunde ansah.
"Der Rest sollte bald kommen." sagte Ruby zu uns in die Runde. "Ich habe Aria und Paul versprochen, dass wir in der Eingangshalle auf sie warten."
"In Ordnung." stimmte Len ihr zu. "Wollen wir dann nicht lieber reingehen, anstatt hier weiter in der Kälte zu stehen?"
"Zu Befehl, Sir." alberte meine Freundin schon herum und verstrickte sich so in eine heftige Kabbelei mit Len, dem dieser Ton nicht ganz passte. Cody und ich schauten uns nur grinsend an und folgten den beiden schulterzuckend ins Innere der Akademie.
Wir ließen uns in die Nähe der Treppen, die in den zweiten Stock führten, nieder, von wo wir auch gleichzeitig die Tür gut im Auge behalten konnten. Nach einiger Zeit entdeckten uns dann auch Seth, Scarlet, David, Aria, Paul, Emily, Grace und sogar Tai und Goldlöckchen sagten einmal kurz Hallo, bevor sie sich von unserer Truppe lösten, um sich einen guten Platz im großen Saal zu ergattern.
Meine Freunde redeten die ganze Zeit von nichts anderem, als von der besonderen Überraschung. Ich hielt mich währenddessen stets im Hintergrund und versuchte Fragen wie: "Was denkst du darüber?" oder "Was glaubst du ist es?" geschickt auszuweichen.
Doch letztendlich trieb es uns alle in den Saal.
Schon vom Weiten sah ich den schneeweißen Hinterkopf des unbekanntes Schülers, der sich am Lehrertisch mit Mrs. Roberts unterhielt. Meine Freunde hatten ihn auch bemerkt und warfen sich untereinander verschwörerische Blicke zu, bevor jeder von ihnen sich zu seinen Mitbewohnern setzte und ich und Len uns nebenaneinander an dem Alphatisch niederließen.
"Wer ist das?" Mein Artgenosse beäugte skeptisch die schlanke Gestalt des Jungen, die mir irgendwie bekannt vorkam.
"Woher soll ich das denn wissen." raunte ich genervt zurück.
Mrs. Roberts klatschte in die Hände und augenblicklich verstummte das Stimmengewirr der Schüler. Der Junge drehte sich um und richtete seine Augen auf die Schülerschaft, die ihn neugierig musterte. Er betrachtete jeden einzelnen Tisch und seine Besetzung, bis er schließlich bei unserem endete.
Ich schnappte augenblicklich nach Luft, als der eisblaue Blick mich streifte.
Ach du heiliger Goldfisch, das ist doch nicht möglich!
_____________________________
Woah, geschafft xD
Hey ho, Leute!
Ich bin's wieder :)
Dieses Kapitel ist echt lang geworden und ich hatte auch zwischenzeitlich überlegt, einen Cut dazwischen zu setzen, aber dann dachte ich mir, dass diese Variante hier besser ist xD (und ich glaube auch, ein wenig gemeiner ;))
Aber ganz vorab, "Mein neues Ich" wurde für einen Award nominiert.
Und zwar beim "All about your book-Award 2017" in der Kategorie YourTurn.
Ich glaube, die Bewertungsphase dort ist von Juni bis September. Sonstige Informationen findet ihr in dem Buch von storyworld16 Ich würde mich freuen, wenn ihr für meine Story Voten würdet ;)
So, fangen wir mal von vorne an.
Hat jemand von euch vermutet, dass in dem silbernen Sack ihr Ballkleid verstaut ist? Bestimmt, oder?
Da es sich die meisten ja gewünscht haben (noch einmal danke für den Hinweis), hat sich Sarina diesmal nicht in die Löwin oder die Eule verwandelt, sondern hat mal ein neues Tier ausprobiert.
Apropos, habt ihr Vorschläge. in welche Tiere Len und Sarina sich einmal verwandeln sollen?
Was denkt ihr über Sarinas fortgeschrittene Fähigkeiten? Und was denkt ihr, kann sie noch, da ihre Gabe ja noch nicht ganz ausgereift zu sein scheint? ;)
Und zum letzten Punkt:
Ihr wisst es bestimmt eh schon längst, aber, wer denkt ihr ist der neue Schüler? ^^ Aber ich denke, es ist unnötig, das zu fragen. Hab ich recht? ;)
Soo, dann hoffe ich, euch hat das Kapitel gefallen. Wenn ihr Rechtschreibfehler findet, dann nur nicht scheuen und verbessern, da ich die Hälfte dieses Kapitels in der Nacht geschrieben habe und mein Kopf da nicht mehr ganz so klar war xD
Meinungen, Kritik, Wünsche, Verbesserungsvorschläge etc. sind immer erwünscht.
LG
Eure Cherry <3
PS: Leute, zum Thema "Shadowhunters" Staffel 2b . . . ehrlich, ich kann nicht mehr xD Was stellen die Produzenten mit meinem (speziell meinem Malec-) Herz an?
PPS: Ich habe jetzt über 4000 Wörter geschrieben. Wow.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro