Des Mondes Kind
Ich hatte weder eine Ahnung, in welche Richtung Nevis gegangen war, noch, was er vorhatte. Mir blieb nur übrig, angestrengt suchend im Schnee herumzustiefeln und Ausschau nach einer Spur zu halten, die er hinterlassen haben könnte. Leider war seit drei Tagen kein Neuschnee mehr gefallen, sodass sie vielen Fußabdrücke, die vor dem Haus in alle Richtungen verliefen, mich eher in die Irre führten, anstatt mich weiterzubringen. Und das schummrige, gelbliche Licht der Laternen links und rechts trugen auch nicht wirklich dazu bei, mir erfolgreich aus dieser misslichen Lage herauszuhelfen.
Ein frustriertes Stöhnen entfuhr mir.
Wieso musste sich Eisauge auch mitten in der Nacht dazu entscheiden, einen Spaziergang (oder was immer er auch vorhatte) zu machen?
Da es im Moment danach aussah, als würde es eine reine Glückssache werden, in welcher Richtung ich den Austauschschüler fand, entschied ich mich intuitiv dazu, jenseits des Gartens nach ihm zu suchen.
Der Schnee knirschte unter meinen Sohlen und ich fröstelte, während ich durch die eisige Masse stapfte.
Was denkt sich Nevis bloß dabei, ohne Schuhe und Jacke rauszugehen?!
Ich hielt ruckartig an. Eine Schneespur kristallisierte sich langsam aus dem Wirrwarr von Abdrücken heraus.
Die Fußstapfen waren in ziemlich unregelmäßigen Abständen voneinander gesetzt worden und verliefen ein wenig abseits des restlichen plattgetretenen Schnees.
Hastig setzte ich mich wieder in Bewegung und umrundete das Haus, immer den einzelnen Abdrücken nach.
Das silberne Licht des Mondes beschien nun den Garten und tauchte ihn in kaltes, ein wenig romantisches, aber auch unheimliches Licht. Dank ihm erkannte ich, dass die Spur zum speerangelweit geöffneten Gartentor führte. Und soweit ich es erkennen konnte, weiter in den angrenzenden Wald. In Richtung Vollmond.
Ein leiser Verdacht beschlich mich und ein unbehagliches Gefühl breitete sich in meiner Magengegend aus.
Konnte es sein?
Während mein Kopf noch versuchte, die wirren Gedanken zu ordnen, hatte mein Körper schon längst reagiert. Ich stürmte vorwärts, die Sachen in meiner Hand fest umklammert, und trat dabei in Nevis' Fußstapfen, um mich nicht elendig abzumühen und mir erst selbst einen Weg durch den Schnee zu bahnen.
Ich erreichte die Waldgrenze und hielt erst einmal zögernd inne.
War es wirklich so schlau, dort alleine hineinzugehen, wenn mein Verdacht, nun ja, . . . wahr wäre?
Aber es blieb mir nicht viel Zeit, darüber nachzudenken, da ein zutiefst schmerzerfüllter Schrei mich aus meinen Überlegungen riss.
Ohne mir weiter darüber Gedanken zu machen, stolperte ich weiter in den Wald. Einerseits war ich froh, dass der Vollmond schien und mir Licht spendete, andererseits brachte er mich eventuell gerade in diese unangenehme Lage.
Also, in der Nacht, in notdürftigen Klamotten, mit einer Jacke meines Freundes und einem Paar Schuhen, in einem Wald herumzustreichen, um einen halbnackten, vermutlichen Werwolf aufzugabeln, der durch einen Austausch, den die Schulleiterin organisiert hat, hier in die Akademie eingeschleust worden war.
Ja, ich finde das trifft es ziemlich genau. Unangenehm.
Mittlerweile wurde es um mich herum immer finsterer, da der Wald dichter wurde. Ich überlegte schon, mich zu verwandeln, da stutzte ich.
Etwas Dunkles hatte sich mit dem Schnee zu meinen Füßen vermischt und als ich mich hinhockte, um zu sehen, was es war, schreckte ich automatisch vor dem metallischen Geruch zurück, der mir in die Nase stieg.
Blut.
"Nevis?" fragte ich unsicher in den Wald hinein, doch erhielt natürlich keine Antwort.
"Nevis!" rief ich deshalb lauter.
Du heiliger Goldfisch, lass' es ihm bitte gut gehen.
Ich hastete weiter, bis ich plötzlich auf eine Weggabelung stieß. Eine riesige Tanne stand in der Mitte der Kreuzung und die ausladenden, schneebedeckten Äste streiften knapp den Boden.
Eine Gestalt kauerte zusammengesunken vor dem Baum. Es schien, als hätte sie unter den Zweigen Schutz suchen wollen, es aber nicht so weit geschafft.
"Nevis."
Ich war nicht einmal laut gewesen und da ich noch um die hundert Meter von dem Eiskönig entfernt war, hätte er seinen Namen eigentlich nicht hören sollen. Doch er riss seinen Kopf herum, als würde ich direkt neben im stehen und ihm ins Ohr brüllen.
"Sarina, w-was machst d-du hier?" keuchte er leise, doch ich konnte ihn trotzdem perfekt verstehen.
"Oh Gott!" Ich versuchte so gut es ging, mich weitervorzukämpfen. "Bleib da bloß liegen, du blutest irgendwo."
Aber der Austauschschüler hörte nicht auf mich.
"Komm' bloß nicht näher." stieß er hervor. "Sonst-"
Irgendetwas knackte.
Nach wenigen Augenblicken wurde mir klar, dass das Knacken von Nevis gekommen war.
"Hey, ist alles in Ordnung?" fragte ich zögernd und blieb auf halben Wege stehen.
"D-dreh' dich u-um und l-lauf so schnell weg wie du kannst. Ich k-kann mich n-nicht kontrollieren, w-wenn es pas-siert." Die abgehackten Worte waren zwar leise, doch hatten eine umso stärkere Wirkung auf mich. Ich setzte meinen Fuß wieder zurück.
"Nevi-"
"Los!" brüllte er und riss den Kopf herum. Erschrocken stolperte ich nach hinten. Die eisblauen Augen fixierten mich wild, doch ich meinte, noch einen flehenden Schimmer in ihnen zu erkennen. Der Mund des Austauschschülers war zu einer Art Schnauze verformt und scharfe Zähne blitzten hinter den Lefzen hervor.
Ich wollte wegrennen. Wirklich.
Aber ich konnte nicht.
Ich war wie festgewachsen und schaute hilflos dabei zu, wie Nevis' Körper immer animalischere Züge annahm und Fell, so weiß wie der Schnee zu meinen Füßen, den Körper des Jungen bedeckte. Ein langer Schweif brach mit einem lauten, brechenden Geräusch aus seinem Steißbein hervor, die Hände und Füße wurden zu Klauen mit langen, schwarzen Krallen und Ohren schossen seitlich aus dem Kopf, der sich wiederum ebenfalls verformte, bis er dem Schädel eines Wolfes glich. Ein letztes Mal stieß Nevis einen langgezogenen, schmerzerfüllten Schrei aus, als seine Wirbelsäule sich verdrehte und dehnte, bis sie die ideale Größe erreicht hatte und zum Rest des Körpers passte.
Dann war es vorbei.
Versteinert und mit wild klopfendem Herzen stand ich da und wagte nicht, mich zu bewegen.
Nevis war zitternd in sich zusammengesunken und ich konnte ihn trotz der Entfernung kontrolliert Ein-und Ausatmen sehen. Angestrengt überlegte ich, was ich jetzt tun sollte. Mich bewegen und wegrennen kam nicht in Frage. Ich wusste, dass ich gegen diese Kreatur keine Chance hatte.
Die einzige Möglichkeit war, mich in irgendein Tier zu verwandeln, das entweder schnell genug war, um vor einem Werwolf zu fliehen oder fliegen konnte.
Zum ersten Mal war ich wirklich froh, dass ich ein Alpha war und mir diese Option zur Verfügung stand. Und, dass Mrs. Roberts relativ früh angefangen hatte, mir allerlei Vogelarten ans Herz zu legen, obwohl ich sie anfangs nicht für nötig gehalten hatte.
Ohne groß zu überlegen hatte ich schon das Bild einer Schneeeule vor mir und wollte gerade anfangen, ruhig durchzuatmen und mich zu sammeln, damit meine Verwandlung nicht ein einziger Reinfall wurde, da hörte ich ein angestrengtes Schnaufen.
Augenblicklich riss ich den Kopf herum.
Nevis hatte sich erhoben und schüttelte sein schneeweißes Fell.
Oje.
Verbissen zwang ich mich zur Konzentration, solange der Werwolf noch mit sich selbst beschäftigt war und atmete langsam ein und aus.
Das Kribbeln der Verwandlung breitete sich über mein Rückgrat aus und ich unterdrückte das Schluchzen, das vor Erleichterung beinahe aus meinem Mund brach. Jedoch blieb das Geräusch nicht vollends verschluckt.
Eine Art Wimmern entfuhr mir stattdessen und veranlasste den Wolf dazu, mit gebleckten Zähnen zu mir herumzufahren. Die Pupillen der eisigen Augen wurden schmal, als sie meine Gestalt in Augenschein nahmen. Drohendes Knurren. Eisauge begann, sich zu bewegen.
Schneeeule, Schneeeule, Schneeeule!
Oh, du heiliger Goldfisch, der ist ja viel größer als ich gedacht habe.
Schneeeule!
Ich kniff verzweifelt die Augen zusammen, während der Werwolf immer näher kam.
Endlich spürte ich, wie ich schrumpfte und die Federn aus meiner Haut schossen. Schnabel und Krallen bildeten sich aus und endlich saß ich in meiner endgültigen Form im Schnee.
Für einen kurzen Moment schien das Tier verwirrt, doch als es sah, wie ich Anstalten machte, mit den Flügeln zu schwingen, schien es meinen Plan zu begreifen.
Der Werwolf stürmte los.
Da er nicht einmal dreißig Meter von mir entfernt war, wusste ich, dass es keine zehn Sekunden dauern würde, bis ich mich die Kreatur zwischen ihren scharfen Zähnen zu Eulenhackfleisch zermalmen würde.
Ich nahm also all meine Kraft zusammen, breitete meine Schwingen aus und stieß mich dann vom Boden ab. Blöderweise war ich im Bodenstart noch nicht so gut und prallte deshalb noch ein-, zweimal auf ihm auf.
Auf und ab! Breite die Flügel aus!
Ich stieg höher und versuchte das Gefühl von heißem Wolfsatem im Nacken zu ignorieren. Noch hatte er mich nicht erreicht.
Mein Gleichgewicht suchend kämpfte ich weiter und versuchte auf eine Höhe zu kommen, die das Raubtier selbst springend nicht erreichen konnte.
Das Knirschen von Schnee lenkte meine Aufmerksamkeit nur für den Bruchteil einer Sekunde zur Erde und ich musste mit Entsetzen feststellen, das Nevis genau in diesem Moment seine Hinterläufe anspannte und dann absprang, um nach mir zu schnappen.
Voller Panik vollführte ich einen leichten Schwenk zur Seite, zog meine Klauen ein und . . . entwischte nur um Millimeter der heißen Schnauze des Wolfes.
Ein spitzer Schrei entfuhr mir.
Das war knapp.
Der Werwolf zum meinen Füßen stieß ein langgezogenes, lautes Heulen aus, das von der Tiefe des Wald weitergetragen wurde. Ich war mir sicher, dass es mindestens der halbe Campus gehört hatte.
Ein Zittern überlief mich.
Mit der Zeit bemerkte ich erleichtert, dass meine Bewegungen immer regelmäßiger wurden und ich mein Gleichgewicht fand.
Ich riskierte einen kurzen Blick zurück.
Der Wolf war nichts weiter mehr, als ein kleiner Punkt zwischen den gigantischen Tannen des Waldes.
Ich wusste, dass mich das eigentlich hätte beruhigen müssen.
Aber das tat es nicht.
Denn noch immer konnte ich seinen Blick auf mir spüren, während ich weiter in die tiefe Nacht flog, den Vollmond im Nacken und versuchte, nicht darüber nachzudenken, was für Konsequenzen diese Nacht für Nevis bringen würde.
◆◇◆◇◆◇◆◇◆◇◆
Es war 4:07 Uhr, als unten die Haustür ins Schloss fiel.
In den vergangenen Stunden war ich zu einem reinen Nervenbündel, das kurz vor dem Zusammenbruch stand, mutiert und hatte mindestens die Hälfte meines Kleider- und Bücherschrankes umgeräumt.
Wie sehr ich es auch versucht hatte, an Schlaf war nicht zu denken und deshalb hatte ich entschlossen, auf den jungen Werwolf zu warten.
Werwolf.
Nur bei dem Gedanken daran überlief mich ein Schaudern.
Ich hörte die schweren Schritte von Nevis auf der Treppe, wie er an meinem Zimmer vorbeilief und dann schließlich das leise Schließen seiner eigenen Tür.
Okay, okay. Bleib locker.
Es kostete mich eine weitere Viertelstunde, bevor ich selber auf den Gang hinaustrat und zur Zimmertür des Austauschschülers hinüberstarrte. Einerseits wollte ich Nevis die Gelegenheit geben, sich eventuell zu duschen, bevor er mit mir sprach, da ich wusste, dass er damit rechnen würde, mir die Sache nach seiner Heimkehr erklären zu müssen.
Andererseits brauchte ich eine Weile, um mich auf genau diese Erklärung (wenigstens mental) vorzubereiten.
Meine Hand fuhr noch ein letztes Mal zu der Kette an meinem Hals, die ich von Len zu Weihnachten geschenkt bekommen hatte, bevor ich den Flur zu Eisauges Zimmer hinunterschlich.
Durchatmen.
Entschlossen straffte ich die Schultern, hob die Hand und klopfte leise.
"Komm rein.", ertönte Nevis' müde Stimme.
Ich öffnete die Tür und schlüpfte ins Zimmer.
Der Eiskönig stand mit hochgezogenen Schultern am sperrangelweitgeöffneten Fenster, hatte die Kapuze seines schwarzen Pullovers über den Kopf gezogen und bewegte sich nicht.
"Hey", sagte ich zögernd.
"Hallo", kam es neutral zurück und Nevis trat einen Schritt zur Seite, um das Fenster zu schließen. Dann wandte er sich zu mir zu und setzte die Kapuze ab.
Seine Haare waren nass.
"Du wirst heute nicht mehr ins Bett gehen, bevor ich es dir erklärt habe, oder?", fragte er und verzog dabei gequält den Mund.
"Ganz richtig.", sagte ich bestimmt und lief zu seinem Bett hinüber, um mich darauf niederzulassen. "Du musst mir auch alle meine Fragen beantworten. Vorher passiert hier gar nichts."
"In Ordnung.", nickte Nevis und setzte sich mit etwas Sicherheitsabstand zu mir auf die Matratze. "Wir fangen mit dir an. Was möchtest du wissen?"
Ein wenig perplex starrte ich ihn für einen Moment an, weil ich nicht erwartet hatte, dass er so schnell darauf einging.
"Hm, na gut. Als allererstes, du bist ein Werwolf?"
Ich konnte es nicht verhindern, aber die Ungläubigkeit übernahm wieder die Oberhand in meinem Kopf, sodass es schwer war, einen weiteren vernünftigen Gedanken zu fassen.
Eisauge kratzte sein Kinn.
"Ja, so könnte man es nennen."
Ich runzelte die Stirn.
"Wieso könnte?"
"Ich, oder besser gesagt meine Familie, wir bezeichnen uns lieber als Kinder des Mondes. Klingt irgendwie . . ." Er blinzelte kurz in meine Richtung und zuckte dann mit den Schultern. "harmloser?"
"Deine Familie?"
"Ja, mein Rudel." Nevis räusperte sich. "Na ja, mein ehemaliges Rudel, um genau zu sein."
Ich machte große Augen.
"Ehemalig?"
"Ja, mein Onkel fand es besser für mich, nicht länger bei ihnen zu sein.", erklärte er.
"Was?", entfuhr es mir. "Aber warum?"
Der Austauschschüler zuckte mit den Schultern.
"In den letzten Monaten hat sich viel verändert. Alle wurden immer seltsamer und verschwanden, ohne irgendetwas zu sagen, immer häufiger von der Bildfläche, nur um Tage später vollkommen verändert zurückzukommen. Ich bin zu der Zeit zwar noch nicht lange bei ihnen im Rudel gewesen, aber ich konnte zu hundert Prozent sagen, dass das kein normales Verhalten war. Anscheinend machte das meinem Onkel Sorgen und er verhalf mir zur Flucht. Na ja, den Rest kennst du ja."
"Du sagtest, du bist noch nicht lange bei ihnen gewesen?", fragte ich nach und zog die Beine an meinen Körper. "Habt ihr euch ein neues Rudel gesucht, als ihr hierher gezogen seid?"
Nevis nickte.
"Glaub mir, es gibt nur wenige Sachen, die noch schlimmer für einen Werwolf sind, als kein Mitglied eines Rudels zu sein. Wir brauchen die Gemeinschaft, um zu überleben."
Ich überlegte kurz.
"Du sagtest einmal, du bist wegen Problemen in deiner Familie aus Schweden fortgegangen. Meintest du da wirklich deine blutsverwandte Familie oder dein Rudel?"
Schweigen.
Fettnäpfchen. Mist.
Ganz offensichtlich wollte er nicht darüber sprechen.
Ich schüttelte den Kopf.
"Okay, entschuldige. Anderes Thema. Inwiefern schienen denn deine neuen Rudelmitglieder verändert?"
Eisauge stutzte kurz, da er mit einem so abrupten Themenwechsel nicht gerechnet hatte. Doch ich sah, wie froh er darüber war, über etwas anderes reden zu können, denn er entspannte seine verkrampften Fäuste und räusperte sich einmal.
"Ach, ich weiß auch nicht. Die meisten waren viel träger als sonst. Müde, wie in Trance." Er schüttelte sich. "Unheimlich, glaub mir. Ich war zum Teil froh, dass Nil mich aus diesem Nest geholt hat."
"Hm.", machte ich nur.
Da ich mich in diesem Gebiet nicht sonderlich gut auskannte, blieb mir auch nichts weiteres übrig. Deshalb kam ich zu meinen eigentlichen Fragen zurück.
"Darf ich fragen, wie lange du schon ein . . . "Ich schluckte schwer. "Werwolf bist?"
Ich sah, dass sich der Kiefer des Eiskönigs hervortrat. Anscheinend hatte ich einen gefährlichen Punkt getroffen.
"Ich kann dir eines sagen: Noch nicht lange. Überhaupt nicht lange." Er schwieg kurz. "Wenn ich es mir recht überlege, dann ist es aufgerundet erst knapp ein halbes Jahr her, dass ich das erste Mal zu . . . diesem Ding wurde."
Ich erschrak über die Verachtung, mit der Nevis das Wort 'Ding' betonte. Man merkte nur allzu deutlich, dass er es hasste. Es hasste, ein Werwolf zu sein.
Und ich konnte ihn verstehen.
"Tut mir leid.", sagte ich, doch der Austauschschüler winkte verbittert ab.
"Ach was, du kannst ja nichts dafür."
"Trotzdem.", verstärkte ich meine Aussage und legte eine Hand auf seine Schulter. "Weißt du, das würde jedenfalls erklären, wieso du, als ich dich das erste Mal getroffen habe, schwarze Haare hattest. Deine Verwandlung zum Wolf hat das bei dir verursacht, oder? Wie bei Metamorphen?"
Nevis seufzte tief.
"Ja, das ist richtig."
Ich nahm meine Hand wieder von seiner Schulter und rieb mir verlegen meine rechte Seite.
"Aber du warst doch vorher nie . . . Ich meine, du bist doch vorher nie ein . . ."
"Ein Metamorph gewesen?", vollendete Nevis den Satz und lachte einmal hart auf. "Nein, nein. Das war ich nicht."
Er verstummte.
Gespannt wartete ich, dass er eine Erklärung dahinter setzte, doch er blieb still.
"Entschuldige.", sagte ich sanft. "Aber ich versuche nur herauszufinden, ob du für uns eine Bedrohung darstellst. Ich meine, du bist immerhin unser natürlicher Feind. Eigentlich müsste ich dich augenblicklich bei Mrs. Roberts melden."
Der Austauschschüler zuckte bei meinen Worte kaum merklich zusammen.
"Ich verstehe das" ,murmelte er. "Tu dir bloß keinen Zwang an. Ich werde schon irgendwie zurecht kommen."
Dass für Nevis gar keine Notwendigkeit mehr bestand, irgendwie zurecht kommen zu müssen, wenn ich seine wirkliche Existenz verraten würde, verschwieg ich. Er würde danach überhaupt nur noch wenig Möglichkeit haben, irgendetwas tun zu können.
"Da wir schon mal bei Entschuldigungen sind . . .", unterbrach er meine Gedanken und wandte sich in meine Richtung. Seine eisblauen Augen sahen reumütig an. "Es tut mir leid, was da vorhin im Wald passiert ist. Ich bin noch in der Lernphase."
Er steckte seine rechte Hand in die Tasche seines Pullovers und holte den Stein hervor, der neulich mit der Post gekommen war.
"Da hilft mir der hier auch noch nicht viel." Als er meinen fragenden Blick bemerkte, erklärte er: "Das ist Mondgestein. Ich brauche ihn, um mich besser konzentrieren zu können, damit meine Verwandlung nicht in einem völligen Desaster endet."
Ich nickte verständnisvoll.
"Du solltest gut darauf Acht geben.", riet ich ihm. "Sonst haben wir hier einen wilden Werwolf im Hau-"
Plötzlich stoppte ich.
"Du hast doch aber noch nie jemandem etwas angetan, oder?"
"Sarina," Der Austauschschüler hielt meinen unsicheren Blick mit seinen Augen fest im Griff. "du musst mir glauben. Das würde ich nie tun. Du wirst mir jetzt vielleicht die Situation im Wald vorhalten, aber ich meine," Er prustete leicht. "du warst ein Vogel. Und ich ein Raubtier. Dein ständiges Rumgeflattere hat mich wahnsinnig gemacht. Wenn du noch ein Mensch gewesen wärst, wäre es mir wahrscheinlich viel leichter gefallen, einen Bogen um dich zu machen."
Ich runzelte die Stirn.
"Da bin ich aber anders informiert."
Nevis verdrehte die Augen.
"Ich weiß, dass ich nicht ungefährlich bin. Denn ich würde dir, selbst wenn ich für einen Neuling ziemlich gut in Selbstkontrolle bin, nicht raten, dich bei Vollmond in meiner Nähe aufzuhalten." Er zuckte die Schultern und stand auf. "Doch ich falle keine anderen Leute an."
Mit einem zweifelnden Gesichtsausdruck beobachtete ich ihn dabei, wie er wieder zum Fenster lief und sich an der darunterliegenden Heizung hinabgleiten ließ. Währenddessen studierte er mein Gesicht sehr genau.
"Kleines, schau nicht so grimmig. Das macht Falten."
Ich vergrub mein Gesicht in den Händen und musste ungewollt lachen.
"Ich frage mich einfach nur, was ich jetzt mit dir machen soll.", antwortete ich dumpf auf seine Äußerung.
"Du kannst mit mir machen, was du willst." Er zuckte teilnahmslos die Schultern. "Echt jetzt, ich würde es dir nicht übel nehmen, wenn du mich verpfeifst."
"Lass mich einfach in Ruhe darüber nachdenken, in Ordnung?"
"Gerne doch." entgegnete Eisauge. "Ich habe Zeit."
Für einige Minuten war es stillt.
"Sag mal, wäre es schlimm, wenn ich ein paar aus unserer Truppe einweihen würde? Leute wie Paul, Emily oder Seth?"
"Was ist mit deiner kleinen besten Freundin Ruby?"
Ich verzog das Gesicht.
"Na ja, sie hat doch gerade erst erfahren, dass du-" Ich sah ihn bedeutungsvoll an und hoffte, dass er meinen Satz zu Ende denken würde.
"Ah."
"Hmm.", machte ich.
Und wieder umhüllte uns Schweigen.
"Was ist mit Tai?", erkundigte sich Nevis plötzlich und ich runzelte verwundert die Stirn. "Willst du ihn auch vielleicht einweihen?"
"Tai?"
"Ja", nickte der Eiskönig eifrig. "Du weißt schon. Der süße Asiate mit den hellbraunen Augen."
Ich starrte ihn für ein paar Sekunden nur sprachlos an.
Dann fiel bei mir der Haken.
"Du bist schwul!" rief ich aus. "Ist doch so, oder?"
"Ich bin bi." korrigierte Nevis mich grinsend mit erhobenen Zeigefinger. "Das ist ein entscheidender Unterschied. Ich stehe auf-"
"Ich weiß, was das bedeutet." unterbrach ich ihn gereizt und ließ meine Arme schlaff an die Seite fallen. "Ein bisexueller Werwolf. Klar", lachte ich sarkastisch auf. "was denn auch sonst."
Nevis gluckste fröhlich vor sich hin und ich schüttelte nur den Kopf.
"Daher die Spitznamen. Jetzt verstehe ich das."
"Tut mir leid, aber Len sieht immer so verbissen aus, wenn ich dich so nenne.", grinste der Austauschschüler hinterhältig. "Ich finde es ziemlich witzig."
"Du bist hinterhältig, Larsson. Hat dir das schon einmal jemand gesagt?", sagte ich und schmiss ihm ein Kissen an den Kopf.
"Nein, du bist die erste. Dankeschön."
Nevis blinzelte mich unter halb geschlossenen Augenlidern an und verzog seinen Mund zu einem spitzbübischen Lächeln.
Ich seufzte, bevor ich aufstand und mir müde übers Gesicht rieb.
"Na gut, ich gehe ins Bett. Morgen mache ich mir dann mehr Gedanken darüber, was wir als nächstes tun werden."
"Okay." Der Werwolf erhob sich ebenfalls. "Achso, bevor ich es vergesse, danke für die Schuhe und Lens Jacke. Ich habe sie unten wieder an den Haken gehängt, bevor du dich fragst, ob sie vielleicht noch irgendwo im Wald liegt."
Ich nickte.
"Gern geschehen. Das nächste Mal denkst du eventuell lieber dran." Eisauge verzog das Gesicht, gab eine Mischung aus Schnauben und Brummen von sich und begleitete mich zur Tür. Dort lehnte er sich noch einmal gegen den hölzernen Rahmen. Die Miene war ernst.
"Hey, Sarina", flüsterte er und ich meinte, eine Spur Sorge in seiner Stimme zu hören. "apropos Len. Wirst du ihm davon erzählen?"
Nachdenklich mustert ich sein Gesicht. Hoffnung, Neugierde, Reue, Unsicherheit und . . . war das Angst?
All diese Emotionen lagen in Nevis' Mimik und schnürten mir die Kehle.
Ich war zwar kein Werwolf, doch ich konnte teilweise verstehen, in welcher Lage sich mein Mitbewohner befand. Er war in den letzten Wochen zu einem echten Freund für mich geworden und dementsprechend wollte ich nicht, dass ihm etwas zustieß.
Aber ich konnte auch auf keinen Fall nichts tun. Dieser Vorfall musste unbedingt gemeldet werden. Und mit wem konnte ich mich da besser beraten, als mit Len?
Ich holte tief Luft.
"Nein, das werde ich nicht."
Nevis atmete erleichtert auf.
"Aber-" Ich hob einen Zeigefinger, sodass er vor seiner Nase schwebte. "irgendjemand muss noch davon erfahren. Ich werde sonst platzen."
Eisauge nickte lächelnd.
"In Ordnung. Gute Nacht."
"Gute Nacht, Nevis."
Ich wollte mich schon umdrehen, da fiel mir noch etwas ein.
"Ach, du, es wäre toll, wenn du damit aufhören könntest, mir Spitznamen zu geben. Mindestens vor Len."
Er schürzte enttäuscht die Lippen.
"Aber das ist doch lustig."
"Ach komm schon. Nicht nur Len vermutet so, dass du mit mir flirtest." Ich stemmte amüsiert die Hände in die Hüften. "Dabei bist du nicht einmal an mir interessiert, sondern an Tai."
"Ja, aber das weiß Len doch nicht.", grinste Nevis. "Gute Nacht, Ms. McAllen."
Damit fiel leise die Tür ins Schloss.
◆◇◆◇◆◇◆◇◆◇◆
Als ich später im Bett lag und die vergangene Stunde noch einmal Revue passieren ließ, um noch einmal nach Einzelheiten zu suchen, die mir möglicherweise zur Lösung dieser verzwickten Situation verhelfen könnten, fiel mir auf, wie wenig wir am Ende über diese ganze Werwolf-Sache gesprochen hatten. Es schien mir geradezu so, als hätte Nevis die meisten der (jedenfalls für mich) relevanten Fragen einfach geschickt umschifft, ohne dass ich es mitbekommen hatte.
Und das machte mich misstrauisch.
Denn wenn ich jetzt darüber nachdachte, merkte ich ganz genau, dass etwas in seiner Erzählung nicht stimmte.
Wenn er sich das erste Mal erst vor einem halben Jahr verwandelt hatte, wieso hatte er in Schweden dann ein Rudel gehabt? Oder hatte ich sein Schweigen vorhin einfach falsch interpretiert?
Wenn er gar kein Metamorph früher gewesen ist, wieso ist der dann auf die Skogand School gegangen?
Solche Fragen wiederholten sich immer wieder in meinem Kopf, doch ich konnte sie bei bestem Willen nicht beantworten, vor allem da ich auch zunehmend müder wurde.
Irgendwann gegen halb sechs schlief ich endlich ein.
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Hey ho, Leute!
Ich bin wieder da^^
Na, wen hat diese Offenbarung (oder besser gesagt Offenbarungen xD) eigentlich noch überrascht?
Ich habe mich neulich schon gefragt, ob ich es nicht zu offensichtlich gemacht habe . . . Na ja, jetzt ist es offiziell ^^
Unser lieber Nevis ist ein Werwolf ^^
Okay, kommen wir zum Kapitel:
Hätte Sarina sich noch in ein anderes Tier verwandeln können, das Nevis gewachsen sein könnte? Was denkt ihr?
So, kommen wir zu etwas, wo ich mir ein wenig unsicher bin. . . und ich wäre froh, wenn ihr mir da eure Meinung sagt:
Ich denke, dass Sarinas Reaktion auf Nevis' Verwandlung und seine Geschichte vielleicht ein wenig zu . . . naja, lasch ist. Also, dass es ihr anscheinend nicht viel ausmacht und es in ihren Augen nicht soooooo schlimm zu sein scheint. Dabei ist das eigentlich eine Riesensache, wenn plötzlich der eigene Feind mit unter einem Dach lebt.
Soll ich es trotzdem so lassen?
Weil, schon als ich angefangen habe dieses Buch zu schreiben, habe ich mir diese Szene genauso vorgestellt, wie ich sie jetzt gerade beschrieben habe... Nur mittlerweile hat sich mein Blickwinkel ein wenig verändert und denke, dass Sarina als Alpha anders handeln sollte. Doch andererseits ist da immer noch die Loyalität ihren Freunden gegenüber, zu denen Nevis ja zählt.
Was denkt ihr darüber? Scheut bloß nicht, eure persönliche Meinung zu schreiben.
Wem denkt ihr, wird Sarina Nevis' Geheimnis anvertrauen?
Habt ihr noch andere Fragen, die Sarina Nevis über sein Werwolf-Leben stellen soll?
Bin gespannt auf eure Antworten :)
Dann wie immer: Konstruktive Kritik, Meinungen, Verbesserungsvorschläge etc. sind immer erwünscht!
Ich wünsche euch noch einen schönen Abend
LG
Eure Cherry <3
PS: Schneeeule . . . DIESE DREI E's HABEN MICH VERRÜCKT GEMACHT XD!!!!
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