36 - Fallwinde
‚Oh Gott. Hoffentlich trägt der Stuhl uns beide. Das wäre echt peinlich, wenn dieser jetzt unter Flo und mir zusammenbricht. Wann kommen die anderen? Ich bin voll durch und dabei haben sie keinen blöden Spruch gemacht. Vielleicht bin ich deswegen so durch? Saskia war sogar sowas wie nett. Ich träume. Das ist es', dachte sie und kniff sich in den Arm.
‚Autsch. Ich bin definitiv wach. Spart sie ihre Kräfte auf?', fragte sie sich und hörte mit einem Ohr dem Gespräch der anderen zu, die sich darüber austauschten, was es Neues gab.
Sie beobachtete, wie Saskia tatsächlich drei Löffel Zucker in ihren Kaffee rührte und einen zufriedenen Schluck nahm, ohne das Gesicht zu verziehen. Das war also nicht nur so ein Spruch gewesen, dachte sie und nahm einen Zug von ihrer Kippe. Sie hatte sich den Zucker in Heißgetränken abgewöhnt. Waren wieder ein paar gesparte Kalorien, die nicht an ihr klebenblieben. Wobei sie da auch auf den Bissen Schokolade hätte verzichten müssen, den sie sich im Bully als Nervennahrung genehmigt hatte. Aber es war Zartbitterschoki. Die hatte weniger Brennwert.
„Du machst eine Ausbildung, oder?", fragte Erik plötzlich und sie brauchte einen Moment, um zu antworten.
„Hm, ja. Groß- und Außenhandelskauffrau", erwiderte sie und Flos Kumpel nickte.
„Cool. Und? Gefällt's dir?", erkundigte sich Saskia nun und sie musste sich zusammenreißen, diese nicht wieder wie ein Mondkalb anzusehen.
‚Was ist mir der los? Und was soll ich darauf antworten?', fragte sie sich und erklärte: „Ja, ist ok. Büroarbeit einfach. Entweder man mag sie oder eben nicht."
„Da hast du Recht. Für mich wär's nichts. Mir reichen schon immer die Theorievorlesungen im Studium...", erwiderte Erik lächelnd und sie fing Flos bestätigendes Nicken auf.
„Geht mir auch so", sagte ihr Freund und sie hoffte, dass sie aus dem Schneider war.
Da die anderen drei sich über ihre Studiengänge austauschten, drifteten ihre Gedanken zur Arbeit ab. Nächste Woche musste sie wieder antreten. Wenn sie darüber nachdachte, wurde ihr jetzt schon flau. Sie würde dann zwangsläufig herausfinden, wie ihre Kollegen über ihre Zwangsauszeit dachten. Sie hatte die vage Befürchtung, dass diese sie dafür büßen lassen würden. Aber sie hatte noch ein paar Tage Schonzeit. Und die würde sie nicht verschwenden, schimpfte sie sich im Stillen und schob die Überlegungen bestimmt beiseite.
„Cool, das Ding. Und schläft man darin gut?", erkundigte sich Erik wieder und sie brauchte einen Moment, bis sie registrierte, dass Flos Kumpel sie gefragt hatte und er den Bully meinte.
Sie räusperte sich hastig und erwiderte: „Ja, ist ganz bequem. Geräumiger, als es wirkt. Für zwei vollkommen ausreichend."
„Darf ich mal hineinsehen?", fragte Erik und sie nickte schulterzuckend.
Woraufhin er Saskia bedächtig von seinem Schoß schob und sie beobachtete, wie er hineinsah und bemerkte, dass dieser echt mehr Platz bot, als man von außen sah. Im Augenwinkel registrierte sie, wie Saskia sie musterte. Gleich würde sie einen Spruch machen. Ob Flo darin nicht ersticke, wenn sie zusammen drin waren oder so. Doch dann fiel deren Blick in die Kaffeetasse vor ihr, als würde sie über irgendwas nachdenken.
Ihre Aufmerksamkeit wurde von Erik zurückgefordert, als dieser feststellte: „Honey, irgendwann müssen wir uns auch so ein Ding mieten und durch die Gegend heizen. Vielleicht im Norden, von der Nordsee zur Ostsee. Alternativ dazu gleich in Spanien oder Portugal. Was hältst du davon?"
„Ja, wieso nicht? In den Semesterferien im Sommer? Wär doch ein Plan. So ein kleiner Roadtrip zur Entspannung an einer Küste entlang. Klingt gut", entschied Saskia und lehnte sich im Stuhl zurück.
„Ich dachte, du wärst eher so die Fünfsternehotel-Lady", zog Flo seine Ex auf und Saskia sah ihn lange an und zuckte mit den Schultern.
„Du hast viel gedacht, was nicht stimmt, als wir noch zusammen waren. Ist ok. Ich bin dir nicht mehr böse. Aber ein Roadtrip ist mir bei Weitem lieber als das gestelzte Getue in einem Nobelhotel. Davon abgesehen: Welcher Student hätte für sowas Kohle? Ich meine, falls er nicht gesponsert wird von Mami und Papi? Was ich nicht werde. Auf eigenen Wunsch", erwiderte diese gelassen und sie hörte, wie Erik eine Bestätigung murmelte.
„Saskia bastelt gerade an ihrer Eigenständigkeit. Ich finde, das steht ihr. Bei allem Respekt, aber ihre Eltern sind schon ... speziell. Ich hab die einzig Normale aus der Familie abbekommen, denke ich", erklärte Flos Kumpel und sie fragte sich, was wohl in dessen Universum als Maßstab für Normalität galt.
„Nett, dass du das sagst. Sie sind daneben. Komplett. Aber was soll's. Das ist ein anderes Thema", entschied Flos Ex und warf ihr einen komischen Blick zu, den sie nicht deuten konnte.
„Gefällt euch euer Studium? Du studierst Sport, Erik, oder? Und du, Saskia, was machst du nochmal?", erkundigte sie sich, um das Gespräch fix wieder in geordnete Bahnen zu lenken.
Sie sah, wie Erik nickte und dessen Freundin mit den Schultern zuckte und erwiderte: „Ich studiere Kunstgeschichte. Obwohl meine Eltern sich etwas anderes gewünscht hätten. Das war das Erste, worin ich mich durchgesetzt hab. Immerhin muss ich mit dem Job leben, oder?"
„Hm, ja. Definitiv. Was hatten sich deine Eltern denn vorgestellt?", fragte sie automatisch und bemerkte, wie Saskia die unsichtbaren Krümel auf dem Tisch zusammentrug, ehe diese seufzte.
Sie sah ihr direkt in die Augen und sagte: „Ernährungs- und Sportwissenschaften. Das sollte ich machen."
‚Jetzt kommt's', dachte sie und machte: „Aha."
„Ja, hm, darauf hatte ich keinen Bock. In meinem Erwachsenenleben wollte ich mich nicht mehr Rund-um-die-Uhr damit beschäftigen", erwiderte Saskia und Anna starrte sie aufs Neue wie ein Alien an.
„Aha", erklärte sie wieder äußert geistreich und registrierte, dass Flo mit der Stirn runzelte.
„Ja. Also, äh, im Zuge dessen muss ich noch etwas sagen...", stellte Flos Ex in dem Moment fest, als sie erleichtert Lari um die Ecke biegen sah.
„Entschuldige, Saskia. Merk dir bitte, was du sagen wolltest. Da kommt Lari, also, äh, Larissa. Meine Freundin", unterbrach sie ihr weibliches Gegenüber und sprang auf die Beine, um ihrer engsten Vertrauten entgegenzueilen.
Sie fing noch das Nicken ihrer ehemaligen Klassenkameradin auf und fragte sich, wieso Saskia enttäuscht wirkte. Doch dann war der Gedanke wieder weg, weil Lari breit grinste und anfing, auf sie zuzulaufen. Anna fiel ihrer Freundin in die Arme und sie lachte leise.
„Oje. So schlimm? Ist das die Zicke?", fragte Larissa und sie nickte.
„Nur, dass sie nicht zickig ist. Ich bin total verwirrt. Und überfordert", gab sie zu und Lari grinste.
„Das, liebes Mäusle, ist bei dir ja Grundzustand. Na los, ich guck sie mir an. Oh, ach so. Darf Massimo reinfahren, zum Ausladen? Sag ja, sonst schleppen wir uns einen Ast ab, weil sowohl Auto als auch Hänger voll sind. Ich sag dir, ich will Bier. Wirklich. Ich hab geschwitzt wie ein Schwein, als wir eingeladen haben... Wow ... ist das schön hier... Du hast echt Geschmack, Mäusle...", plapperte Lari los und sie sah ihre Freundin verwirrt an.
„Anhänger?", wiederholte sie überfordert, während sie neben Larissa herlief und ihre Freundin grinste.
„Klar. Denkst du so viele Stühle, ein großer Tisch, die Getränke und der Kühlschrank passen in den Kombi? Wäre vielleicht gegangen, allerdings müssten wir dann nackt herumlaufen und nachts frieren, weil die Taschen und Schlafsäcke nicht mehr hineingepasst hätten. Das mit dem Frieren wäre vielleicht noch auszuhebeln gewesen, weil es ja erstens heiß ist wie Seuche und zweitens ist Massimo genauso heiß wie die Sonne und so den größten Raum aufheizt. Das mit dem nackt herumlaufen hätte sich fix herumgesprochen und wir würden wegen Erregung öffentlicher Ärgernisse des Platzes verwiesen werden. Ich denke, darauf können wir getrost verzichten. Außerdem hätten wir den Kühlschrank kippen müssen und das hätte bedeutet, dass wir ihn heute nicht mehr anschließen können, also dachten wir, ein Anhänger wäre für den Transport praktischer. Hi. Ich bin Larissa. Wenn ihr nett seid, dürft ihr Lari sagen", erklärte ihre Freundin und sie sah, wie Flo sich ein Grinsen verkniff, weil ihre Gäste Annas Freundin verdattert ansahen.
„Äh, ja, also das sind Saskia und Erik, äh, Flos Freunde und Ex-Klassenkameraden", stellte sie diese pflichtbewusst vor und Lari schmunzelte.
„Schön. So trifft sich Vergangenheit mit der Gegenwart. Ich hoffe, ihr habt Hunger. Thomaso und Ela haben den Fleischer ausgeraubt. Die kommen etwas später. Ela hatte noch eine Vorlesung. Egal. Wo war ich? Ach ja: Praktisch, dass die Familie des Freundes ein Restaurant hat. Irgendwann, wenn wir heiraten, müssen wir uns jedenfalls um Essen keine Gedanken machen. Also falls wir heiraten, ich geh damit momentan ja nicht konform und Massimo hat noch nicht gefragt, obwohl seine Mamma langsam drängelt, er solle Nägel mit Köpfen machen. Erst mal zusammenziehen und so weiter und so. Wie auch immer. Oh, ich quatsch hier und dabei wartet meine grande amore darauf, dass ich ihn anrufe, ob er auf den Platz fahren darf. Ich muss ihm mal kurz Bescheid geben", stellte Larissa fest und sie musste grinsen, als IHR Telefon klingelte und Massimos Name auf dem Display stand.
„Hey, Bellezza. Cara mia hat sich festgequatscht, oder?", begrüßte er sie und sie musste kichern.
„Volltreffer. Sie wollte dich gerade anrufen. Fahr rein. Hier sind Ausräumhelfer", stellte sie fest und hörte Massimo leise lachen.
„Ok. Danke. Wie ich diese Frau liebe. Bis gleich, Bellezza", verabschiedete sich dieser und nachdem sie das erwidert hatte, klickte es in der Leitung.
„Was heißt Bellezza? So hat Massimo mich gerade genannt", fragte sie automatisch und sofort grinste Lari wieder breit.
Ihre Freundin legte ihr den Arm um ihre Taille und übersetzte: „Schönheit. Bellezza bedeutet Schönheit, Mäusle."
„Oh. Aha. Du wolltest Bier. Ich hol das mal", entschied sie, machte sich eilig los und flüchtete in den Bully.
*
Eine halbe Stunde später hatten sie zu dritt im Schatten des Vordaches des Bullys gesessen und hatten die Männer dabei beobachtet, wie sie das Zelt aufgebaut hatten. Sie hatten sich prächtig dabei amüsiert und sie musste zugeben, dass sie die Aussicht genossen hatte, während Saskia und Lari locker geplaudert hatten. Flos muskulöser Oberkörper war einfach sexy. Sie war auch nur eine Frau. Die offenbar Hormonstau hatte. Aber sie bezweifelte, dass dieser so bald behoben werden würde. Denn Flo war sauer und hielt Abstand.
Er saß auf der anderen Seite der Feuerschale, die Thomaso und Ela mitgebracht hatten. Sie musste zugeben, dass die Gruppe gut harmonierte. Saskia und Erik kamen bestens mit den Stuttgartern klar und umgedreht. Das war gut. Aber sie wollte sich eigentlich nur verstecken. Weil Flos Blick immer wieder missmutig zu ihr flog und sie nicht wusste, wie sie sich verhalten sollte. Sie hätte die Klappe halten sollen.
Doch wie von selbst waren diese Dinge über ihre Lippen gekommen. Als die Jungs nach dem Zeltabbau auf sie zugekommen waren und sich ihre jeweilige Freundin geschnappt hatten, um mit ihnen ins Wasser zu laufen. Sie hatte erklärt, dass Flo sich irgendwann einen Bruch hebe. Das hatte ihn schon gestört. Er hatte ihr gesagt, er sei wie eine Ameise. Woraufhin sie ihn angefaucht hatte, dass es dann doch nicht so schlimm war, dass sie das Vierfache von ihm auf die Waage bringe. Er hatte sie angesehen, als wäre sie nicht ganz dicht. Jedenfalls war seit da der Wurm drin.
Denn nachdem sie wieder aus dem Wasser gekommen und sie umgezogen waren, hatte Erik sie geneckt, ob sie keine Unterwäsche getragen hätte, da sie diese nicht nach draußen zum Trocknen gehängt hatte. Sie hatte ihn dann gefragt, ob er den Film „Roadtrip" kenne und als dieser genickt hatte, hatte sie fallenlassen, dass niemand abgesehen von ihrem Freund die Zelte sehen würde, die sie darunter trug. Sie hatte das als Scherz gemeint, aber Flo war richtig sauer geworden. Empört hatte er sie angeblitzt und sie angeblafft, wieso sie solchen Scheiß absonderte. Sie hatte gar nicht gewusst, wie sie darauf reagieren sollte. Dazumal sogar Saskia sie angesehen hatte, als habe sie nicht alle Tassen im Schrank.
Ab da war Flo in dumpfes Brüten verfallen und sie hatte nicht mehr gewusst, wie sie das mit ihm klären sollte, wenn so viele Ohren in der Nähe waren. Also hatte sie sich ein bisschen zurückgezogen und im Vorzelt des Monstrums herumgewerkelt, dass die anderen beherbergen würde. Da in der Zwischenzeit dann auch Thomaso und Ela angekommen waren, hatte sie die Massen an Fleisch und Würstchen in den Kühlschrank verstaut, während die Jungs einen weiteren aufgestellt hatten, der nun für kalte Getränke sorgte. Sie hatte noch nie gehört, dass man mit zwei von diesen Geräten campte. Aber na ja, bei ihr lief sowieso immer alles anders ab. Sie hatten so viel Essen, sie konnten den ganzen Campingplatz mitversorgen. Aber gut. Die Reste würden sie aufteilen unter denen, die sie mitgebracht hatten. Sie würde jedenfalls keinen weiteren Cent für Lebensmittel brauchen.
Sie hatte die vage Befürchtung, dass die Gäste mehr Geld ausgegeben hatten als sie. Das war so nicht gedacht gewesen, aber es freute sie trotzdem. Weil es zeigte, dass alle sich wünschten, das würde ein gelungener Trip werden. Auch falls es im Moment zumindest für sie nicht so doll aussah. Denn beim Abendessen hatte sie vor ihrem Halsnacken gesessen und kaum einen Bissen hineinbekommen.
Sie hatte vergessen, dass sie neben Saskia und Erik essen musste, wenn sie die beiden einlud, mehrere Tage mit ihnen zu verbringen. Da hatte sie ihren Mut deutlich überschätzt. Ihre Kehle war wie zugeschnürt gewesen, was nicht nur Lari und ihre Clique, sondern eben auch Saskia und Erik bemerkt hatten. Flos Ex hatte sich sofort erkundigt, ob ihr Kartoffelsalat nicht genießbar sei. Sie hatte gemurmelt, dass er extrem gut war. Das stimmte. Er war wirklich gut. Wenn sie besser klarkämen, würde sie ihre Ex-Klassenkameradin nach dem Rezept fragen.
Aber so hatte sie nur darin herumgestochert und sich gezwungen, wenigstens ein paar Bissen zu schlucken, um ihren knurrenden Magen zu besänftigen. Währenddessen hatten Flos finstere Blicke auf ihr geruht, was ihr die Nahrungsaufnahme inmitten von anderen zusätzlich erschwert hatte. Er hasste es, wenn ihr Bauch so laut rumorte.
Weil es ihn an den ersten Abend erinnerte, an dem er bei ihr zuhause gewesen war. Da waren sie zu spät gekommen, um noch Abendessen zu bekommen. Wie sie sich damals geschämt hatte. Wie betroffen es ihn gemacht hatte. Nach einer Weile hatte sie jedenfalls kapituliert und ihm ihren fast vollen Teller zugeschoben. Als Lari gefragt hatte, ob das alles sei, was sie essen wolle, hatte sie gesagt, sie hätte ja genug Reserven, an die ihr Körper gehen könne.
Da Flos Gesicht noch finsterer geworden war, hatte sie die Situation mit einem Scherz auflockern wollen, indem sie ironisch verkündete, sie solle ja auch nicht fett werden, sondern nur überleben. Dazu bräuchte sie wegen der Reserven nicht viel. Das war nach hinten losgegangen. Volle Kanne.
Ihr Freund hatte sie angeschnauzt, was der Scheiß soll und sie hatte ihm gesagt, das sei ein Witz gewesen. Doch das hatte nicht gewirkt. Stattdessen hatte er gefaucht, das wäre genauso witzig wie die Feststellung, dass er einen Wal ficke, der Zelte als Unterwäsche trage. Daraufhin hatte sich Saskia verschluckt und Lari hatte sie ungläubig angesehen. Sie war aufgestanden und gegangen. Sie hatte ohnehin aufs Klo gemusst.
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