Mein Krankenhausaufenthalt
Perry seufzte und legte das Stethoskop beiseite. J.D. hatte sich das T-Shirt wieder übergezogen und hockte nun mit angezogenen Knien neben dem Esstisch auf dem Boden. Cox war nicht der Typ zum Trösten oder Zuhören, aber irgendetwas hatte der junge Arzt in ihm verändert. Irgendwas, dass auch der Oberarzt noch nicht genau ergründen konnte. Er ging auf J.D. zu und hockte sich vor ihn. Dieser sah ihn nicht an. Er starrte abwesend in die Ferne.
»Tut mir leid«, sagte Cox so sanft, wie selten und er bekam die gewünschte Reaktion. J.D. sah auf.
»Hör zu Flachzange, ich wollte nicht laut werden. I-Ich hab mich nur erschrocken. Ich will dir helfen und das meine ich wirklich so. Du sagtest, dass ich dich nicht mögen wurde, es noch nie tat. Das stimmt nicht. Ja, du bist so ziemlich der nervigste Mensch in meinem Leben, aber irgendwie ist es doch ganz angenehm hin und wieder. Und Clara, wenn du jemandem sagst, dass ich das gerade gesagt habe, muss ich dich leider töten«, ein Lächeln huschte über Perrys Gesicht. J.D. mochte das schiefe Grinsen seines Mentors und lächelte nun auch.
»W-was machen wir jetzt?«, wollte er wissen.
»Wir fahren in die Klinik. Meine Schicht beginnt ohnehin in zwei Stunden und ich will dich dort weiter untersuchen«, sagte der Oberarzt.
»A-Aber ich habe auch Dienst und mir geht es wirklich gut«, wehrte sich J.D.
»Stopp, dir geht es ganz und gar nicht gut. Du bist gefährlich untergewichtig und deine Lunge hört sich an, als rauchst du Kette. Mach mir und dir nichts vor. Und es hihihihilft gar nichts, wenn du mich mit deinem Dackelblick ansiehst. So und nun zieh dich an und dann fahren wir«, sagte Perry in einem Ton, der keinen Widerspruch zuließ.
Eine Stunde später parkte Perry seinen Porsche vor dem Krankenhaus. Mit gesenktem Kopf lief J.D. hinter dem Älteren durch die Flure der Klinik. In diesem Moment war er froh, dass weder Carla, Turk oder Elliot bereits da waren. Ohne groß zu überlegen, führte Cox ihn in eines der Behandlungszimmer.
»Mach den Arm frei, ich will dir Blut abnehmen«, sagte Cox unzeremoniell und holte die nötigen Utensilien aus dem Schrank. Zögernd ging J.D. zur Behandlungsliege und schob den Ärmel seines Shirts nach oben.
Perry band den Arm ab und desinfizierte die Stelle, ehe er die Kanüle ansetzte. Die drei Reagenzgläser füllten sich eher langsam mit Blut. Als er fertig war, schüttelte er den Kopf, etikettierte die Proben und legte sie in eine Schale.
J.D. ging es indessen weniger gut. Ihm war etwas schwindlig. Nur gedämpft bekam er mit, dass Dr. Cox mit ihm sprach. Er versuchte, sich auf den Oberarzt zu fokussieren, aber es gelang nicht wirklich. Plötzlich wurde ihm schwarz vor Augen und er kippte nach vorne. Das Letzte, was er spürte, waren Arme, die ihn fingen und den Geruch von Aftershave.
»Wie konnte es uns entgehen?«, Carlas besorgte Stimme weckte J.D.. Er lag in einem Krankenhausbett. Er hatte Kopfschmerzen und blinzelte einige Male.
»Bambi, du bist wach!«, die Erleichterung in Carlas Stimme war kaum zu überhören. J.D. setzte sich etwas auf und rieb sich die Augen. Die Puertoricanerin stopfte ihm sein Kissen hinter den Rücken.
»Du siehst echt schlimm aus«, kam es nun von Elliot, die auf der anderen Seite des Bettes stand.
»W-was ist passiert?«, wollte der junge Arzt wissen.
»Du bist kollabiert, als Dr. Cox dir Blut abgenommen hat«, antwortete Carla und hielt J.D. ein Glas Wasser an die Lippen.
»Wo ist er?«, wollte dieser wissen, nachdem er getrunken hatte.
»Er holt deine Blutergebnisse«, sagte Elliot.
»Turk ist im OP, er kommt sofort danach hierher«, sagte Carla.
»Wie lange war ich weg?«, Carla und Elliot sahen sich kurz an.
»Also circa eine Stunde. Als wir zur Arbeit kamen, da kam uns Dr. Cox mit dir auf dem Arm entgegen. Er hat dich dann hier in das Zimmer gebracht und dir einen Zugang gelegt«, erläuterte Carla. J.D. schloss stöhnend die Augen. Die Infusion in seinem Arm hatte er erst gar nicht bemerkt. Schlimmer aber war, dass sein Mentor ihn durch die Klinik getragen hatte.
»H-hat er noch was gesagt?«, wollte J.D. zögernd wissen. Wieder tauschten die Frauen besorgte Blicke und nickten dann.
»J.D. warum hast du uns nichts erzählt? Wir hätten dir geholfen!« Carla strich dem Dunkelhaarigen über den Unterarm. Dieser schüttelte den Kopf.
»Ich wollte Euch da nicht mit reinziehen. Diese Typen s-sie sind gefährlich. Es reicht doch, wenn ich mich mit den rumschlagen muss«, versuchte J.D. sich zu erklären.
Plötzlich ging die Tür auf und Perry Cox kam herein. Inzwischen trug er seinen Kittel und in der Hand hatte er eine Akte. J.D. sah auf und sah deutlich Erleichterung im Blick des Arztes. Etwas, was den ihn verwirrte.
»Wie ich sehe, ist Schneewittchen wieder wach«, sagte er und trat an das Bett. Er holte eine kleine Lampe aus der Brusttasche und leuchtete J.D. damit in die Augen.
»Kopfschmerzen?«, fragte er.
»Etwas«, sagte der Arzt kleinlaut.
»Kein Wunder. Deine Blutwerte sind die eines Magersüchtigen«, Perry klappte die Akte auf und las: »Thrombozyten und Leukozyten vermindert. Hämoglobin vermindert. Hämatokrit vermindert, Triglyzeride stark vermindert, genau wie Cholesterin. Kalzium, Kalium und Phosphor am unteren Ende. Von deinen Leberwerten reden wir erst gar nicht.«
»Das heißt?«, wollte Carla wissen.
»Sag es ihr, Flachzange. Sofern ich weiß, bist du Ärztin.«
»Heißt, ich muss langsam zunehmen und brauche für die erste Zeit noch Infusionen«, erklärte J.D..
»Heißt auch, dass Flachzange die nächsten drei Tage hierbleibt, und tut, was man ihm sagt«, sagte Cox streng.
»So und nun entschuldigen die Damen mich bitte. Ich habe noch andere Menschen zu versorgen«, sagte der Oberarzt und rauschte aus dem Raum.
»Nimm's ihm nicht übel, aber ich glaube, er hat sich echt Sorgen gemacht«, sagte Carla und blickte zur Tür, durch die Perry gerade eben verschwunden war.
»Meinst du?«, fragte J.D. und folgte dem Blick der Schwester.
»Total!«, bestätigte nun Elliot, Carlas Aussage.
»Er war ziemlich durch den Wind, nachdem du das Bewusstsein verloren hattest. Hat jeden angeschrien und den Zugang dann schließlich selbst gelegt«, sagte Carla. In diesem Moment ging wieder die Tür auf und Turk kam mit einem Tablett ins Zimmer.
»Hey Alter, was machst du denn für Sachen«, sagte er und stellte das Tablett vor seinem besten Freund ab.
»Hey Schokobär, mir geht's gut!«, sagte J.D. und ließ sich von Turk umarmen.
»Mach so einen Scheiß nie wieder, hörst du? Wir können dir doch helfen, auch was das Geld angeht«, sagte der Dunkelhäutige.
»Nein Turk, das will ich nicht. Diese Typen sind gefährlich, ich will Euch da alle nicht mit reinziehen. Mit denen werd ich fertig«, sagte J.D. und er glaubte sich selber dabei nicht.
»Ja, genau sieht man ja. Alter diese Typen sind schuld, dass du obdachlos bist«, sagte Turk und zog sich nun auch einen Stuhl an das Bett.
»Okay, also lassen wir das. Du kannst natürlich wieder bei uns wohnen«, sagte Carla und legte Turk beschwichtigend eine Hand auf die Schulter.
»Ja natürlich!« Sagte dieser.
»Oder bei mir und Sean«, sagte Elliot schnell. J.D. schüttelte den Kopf. Er wusste, dass sie es alle gut meinten, aber er konnte nicht aus seiner Haut.
»Das ist echt nett Leute, aber Dr. Cox, er hat mir angeboten, dass ich bei ihm wohnen kann.«
»Dein Ernst?«, wollte Turk ungläubig wissen. Zögerns nickte J.D.. Ja, er meinte es Ernst, oder doch nicht? Irgendwie war alles etwas verschwommen. Hatte Cox es ihm tatsächlich angeboten oder hatte er es sich eingebildet?
»Ähm ... ja, das hat er auf jeden Fall gesagt. I-ich hab schon letzte Nacht da geschlafen«, sagte er nun kleinlaut und grübelte, ob er das nicht doch geträumt hatte.
»Na schön, wie du meinst, aber wie gesagt, du kannst gerne zu uns«, sagte Clara zweifelnd.
»Ich danke euch«, sagte J.D..
»Und überleg dir das mit dem Geld. Wir helfen dir wirklich gerne«, sagte Elliot.
»Danke Elliot, aber ich kriege das hin«, J.D. lächelte, doch er wusste tief im Innern, das es schwer werden würde, die letzten 11000 Dollar aufzutreiben.
Als Perry sich am Abend auf den Weg nach Hause machte, da lag noch immer ein großer Stein auf seinem Herzen und er wusste nicht einmal warum genau. Konnte es wirklich Flachzange sein, der ihn so grübeln ließ? Aber warum jetzt? Der Junge hatte etwas in ihm ausgelöst, was wahrscheinlich irgendwie schon immer da war. Kopfschüttelnd parkte er den Porsche und sah hinauf zu seiner Wohnung, es brannte Licht. Entnervt verdrehte er die Augen, warf die Autotür ins Schloss und ging ins Haus.
Als er das Wohnzimmer betrat, saß Jordan auf der Couch und sah ihn erwartungsvoll an.
»Jordan, zum letzten Mal komm nicht einfach unangemeldet, oder ich kassiere den Schlüssel ein«, Perry wusste, dass er es sicher nicht tun würde, ihn verband viel mit seiner Ex-Frau und auch wenn, er es jederzeit bestreiten würde, so mochte er es, wenn sie zu Besuch kam.
»Ach Perry hattest du Angst, ich störe dich und deinen Lover?«, fragte sie und rutschte etwas zu Seite. Perry griff nach der Flasche Scotch, die bereits auf dem Tisch stand und goss sich ein.
»Welcher Lover?«, wollte er wissen.
»Sag du es mir, als ich herkam, standen zwei Teller in der Spüle und Kissen und Decke lagen auf der Couch!«
»Mhm...«, machte Perry und leerte sein Glas.
»Also?«, auffordernd sah seine Ex-Frau ihn an.
»Es geht dich zwar überhaupt nichts an, aber schön. Flachzange hat hier übernachtete«, sagte er knapp, stand auf und ging zum Kühlschrank, um sich ein Bier zu holen.
»Moment Flachzange? Dein kleiner Protegé?«, fragte Jordan und grinste.
»Hör auf, dass zu sagen. Er ist nicht und ich betone es noch mal, nicht mein Protegé!«, sagte Perry und ließ sich wieder aufs Sofa fallen. Warum fühlte er sich ertappt? Warum störte es ihn, dass Jordan das sagte? Er sah zu ihr und verdrehte die Augen. Sie hatte diese Gabe in Menschen hineinzusehen und genau das tat seie gerade, da war Perry sich sicher.
»Schau nicht so. Was immer du dir in deinem Hirn zusammenreimst, es war nicht so. Er hat hier übernachtet, weil er obdachlos ist«, sagte er knapp.
»Obdachlos? So schlecht zahlt die Klinik doch wohl nicht?« Perry seufzte und fasste die Ereignisse der letzten 24 Stunden für Jordan kurz zusammen. Als er fertig war, sah Jordan nachdenklich aus. Sie sagte nichts und sah ihren Ex-Mann lange an.
»Was in Gottes Namen ist?«, wollte Perry nach einer Weile wissen.
»Dir liegt wirklich was an ihm, nicht wahr?«, sagte sie. Perry verengte die Augen zu Schlitzen. Er wollte sofort sagen: »Nein!«, aber er bekam es nicht über die Lippen. Es stimmte. Alles, was Jordan sagte, stimmte und die Erkenntnis traf ihn wie ein Hammerschlag.
»Perry, ich kenne dich lange genug. Du bist nicht beziehungsfähig, das weiß ich. Aber eines weiß ich auch, du gehst seit vier Jahren nicht mehr zur Therapie und nun frag ich dich, seit wann ist D.J. in der Klinik beschäftigt?«, fragte sie und legte dem Mann eine Hand auf den Oberschenkel.
»Seit vier Jahren ...«, sagte Perry tonlos. Er hatte nie darüber nachgedacht. Irgendwann war er nicht mehr zur Therapie gegangen. Er brauchte es nicht mehr, aber nach dem warum, hatte er nie gefragt. Er stand auf und ging im Raum auf und ab. Besorgt beobachtet von Jordan.
»Hör zu Perry, ich wollte keine schlafenden Hunde wecken. Es tut mir leid, aber ...«
»Schon gut!«, fiel der Oberarzt ihr ins Wort.
»W-wie geht's Kevin?«, wechselte er das Thema.
»Ähm, gut, ja es geht ihm gut. Er lässt dich grüßen«, sagte Jordan und lächelte nun.
»Mhm, danke«, war alles, was Perry antwortete. Jordans Mann war ihm sympathisch, auch wenn er ihn nur selten sah. Er arbeitet als Polizist und ihm zuliebe, war Jordan vor zwei Jahren, 100 Meilen weit weggezogen.
»Perry? Wer in der Klinik weiß, dass du schwul bist?«, überrascht sah der Arzt seine Ex-Frau an. Mit dieser Frage hatte er nicht gerechnet. Er ging wieder zu Couch und setzte sich.
»Niemand Jordan! Und ich möchte auch, dass das so bleibt«, sagte er eindringlich.
»Warum versteckst du dich?«
»Ich verstecke mich nicht. Ich möchte nur nicht jeden erklären müssen, warum ich als Schwuler eine Ex-Frau habe und außerdem, geht es niemanden etwas an!«
»Na schön, ist ja dein Leben. Wie geht's jetzt weiter mit deinem ... mit J.D.?«, wollte sie wissen.
»Er wird hier erst mal wohnen bleiben und diese Typen knöpfe ich mir vor«, sagte Perry.
»Okay, ganz langsam. Diese Typen sind offenbar gefährlich und auch wenn du Flachzange, als kleines Mädchen ohne Rückgrat darstellst, müssen die ihm so viel Angst gemacht haben, dass er lieber verhungert, als zu Polizei zu gehen. Ich weiß nicht, ob es so eine tolle Idee ist, sich mit denen anzulegen«, gab Jordan zu bedenken. Perry sah sie an und wusste, dass sie recht hatte. Natürlich waren sie gefährlich, es musste so sein. So weinerlich Flachzange auch war, aber diese Typen hatten ihn gebrochen. Er vergrub das Gesicht in den Händen und stöhnte.
»Was soll ich also deiner Meinung nach tun?«, wollte er wissen.
»Mhm ... du hast Geld, oder? Viel Geld, Geld, das du nicht willst, und das seit Jahren auf einem Konto verrottet. Gib es ihm«, sagte sie.
»Das wird er nicht annehmen. Nie im Leben!«, sagte er kopfschüttelnd. Jordan stand auf und griff nach ihrem Mantel, der über der Lehne des Sessels lag.
»Er wird es tun, vertrau mir und tu mir einen Gefallen versau es dir mit dem Kleinen nicht. Du weißt es vielleicht noch nicht, aber ihr braucht euch«, sagte sie, trat auf ihren Ex-Mann zu und gab ihm einen Kuss auf die Stirn.
»Ruf mich an. Ich bin noch drei Tage in der Stadt und wohne im Sunshine Inn!«, mit diesen Worten verließ sie die Wohnung, ehe Perry noch etwas sagen konnte. Sein Blick fiel auf die ordentlich zusammengelegten Schlafsachen, die auf einem der Esstischstühle lagen. Er trat darauf zu und nahm das Shirt, welches J.D. getragen hatte, in die Hand. Nur kurz, dann wendete er sich ab und stöhnte: »Jordan, du Hexe!«
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro