III
Es war bereits später Nachmittag, als ich endlich wieder den Weg nach Hause fand. Unglaubliche Erleichterung machte sich in mir breit, als ich die Gebäude unseres kleinen Bauernhofs sah. Die Sonne schien auf das Korn und ließ es schon fast golden Schimmern. Schon von weitem erkannte ich den jungen Mann, der gestresst auf und ab lief.
Meine Schritte beschleunigten sich bei seinem Anblick immer weiter und sofort bekam ich ein schlechtes Gewissen. Er musste sich tierische Sorgen gemacht haben, vor Allem weil ich gesagt hatte, dass ich bis zum Mittagessen wieder da sein würde.
Als ich nicht mehr weit entfernt war, bemerkte er mich endlich auch und man konnte die Erleichterung in seinen sonnengebräunten Zügen sehen. Er kam mir nun ebenfalls entgegengerannt und als wir uns trafen, nahm er mich in seine starken Arme, hob mich hoch und wirbelte mich stürmisch herum, als würde ich nichts wiegen. Erschrocken quiekte ich, lachte dann aber und er stimmte mit ein.
"Wo warst du die ganze Zeit?", fragte er, kaum hatte ich wieder festen Boden unter den Füßen, "Hast du eine Ahnung, was für Sorgen ich mir gemacht hatte?" Seine Miene war wieder ernst und er klang ziemlich aufgebracht. Sofort war das schlechte Gewissen wieder da.
"Entspannt dich Ty, jetzt bin ich wieder da. Du machst dir immer zu viele Sorgen", antwortete ich mit einer heiteren Tonlage, um mein schlechtes Gewissen zu überspielen.
"Ich bin dein großer Bruder. Ich darf mir Sorgen machen!", erwiderte er nur und seine bernsteinfarbenen Augen, die in der Sommersonne noch intensiver schienen, funkelten mich an.
"Ich erzähl's dir gleich, direkt nachdem ich was gegessen habe", meinte ich nur und ging an ihm vorbei. Zu meiner Linken befanden sich die Ställe, geradeaus ragte die hohe Scheune auf, die momentan allerdings ziemlich leer war. Ich erinnerte mich noch daran, wie Ty und ich manchmal auf dem Heuboden gespielt. Ich zog mich noch heute an diesen Ort zurück, in dem es immer nach trockenem Gras und Leder roch, in dem man die Vögel, die ihre Nester zwischen den Balken gebaut hatten hören konnte und man den Staub schon fast auf der Zunge schmecken konnte.
Ich riss mich aus den Gedanken und schlug den Weg rechts von mir ein, der zu unserem Wohnhaus führte.
Sobald man das kleine, aus Holz und Stein gebaute Haus durch die Holztür betrat, landete man direkt in der Küche.
Kaum war ich durch die Tür getreten, traf mich eine Welle aus den verschiedensten Gerüchen. Ich roch verschiedensten Kräuter, unter anderem Basilikum, Fenchel, Lavendel und Schnittlauch, dessen zwiebelartige Note ich fast auf der Zunge schmecken konnte. Unter den Geruch der Kräuter mischten sich auch Gewürze. Sowohl heimische oder sehr bekannte wie Pfeffer, Kümmel und Koriander, aber auch etwas Exotisches mischte sich darunter, wie Wacholder aus Veralia oder Sternanis aus Brytnia, von denen wir nur sehr wenig auf Lager hatten.
Ein paar Tonschalen standen auf dem Holztisch, der in der Mitte des Raumes stand. An der hinteren Wand befand sich auf einer steinernen Erhöhung eine erloschene Feuerstelle. An der Wand darüber hingen an einem Regal befestigt Pfannen und auf dem Regal standen weitere Behälter mit Gewürzen. Über dem Holztisch, der hauptsächlich als Arbeitsplatte diente, hing ein Metallgestell, von dem einige Kräuter herabbaumelten.
Es war immer eine Explosion von Gerüchen, wenn man unsere Küche betrat, aber genau das liebte ich an dem kleinen Raum, den Ma immer ihr Eigen genannt hat. Sie liebte es, mit Gewürzen zu experimentieren oder neue Kräutermischungen zu erforschen.
Ich ertappte mich dabei, wie ich schon nach ihrer zarten Gestalt in der Küche Ausschau halten wollte. Wieder machte sich das bedrückende Gefühl der Trauer in mir breit und ich versuchte gegen die Tränen anzukämpfen, wie ich es in letzter Zeit so oft tat.
Ich gab mir immer noch die Schuld daran, dass Ma nie mehr mit den Kräutern hantierte, dass sie nie mehr eines ihrer Lieder summte, dass ich nie mehr ihren Erzählungen über Drachen lauschen konnte...
Das beklemmende Gefühl der Schuld lastete seit dem Tag auf meinen Schultern und drohte mich jede Sekunde zu erdrücken.
Ich schüttelte meinen Kopf, um meine Gedanken zu sortieren. Und doch blieben die Bilder im Kopf, die sich mir vor einigen Wochen ins Gedächtnis gebrannt hatten. Ma, wie sie im Bett lag, todkrank. Vater und Ty, die an ihrem Bett hockten und ihr nicht mehr von der Seite wichen. Ich, die mit Kräutern in der Hand daneben stand und versuchte, sie irgendwie zu heilen. Am Ende hatte ich versagt.
Starke Arme schlossen mich plötzlich von hinten in eine Umarmung. Mein Bruder drehte mich zu ihm um und sanft strich er mir über die Wangen. Ich hatte nicht mitbekommen, wie ich angefangen hatte zu weinen.
"Du denkst wieder an Mutter, oder?", fragte er mitfühlend.
Unfähig etwas zu sagen nickte ich nur, woraufhin Ty mich wieder in eine Umarmung schloss. So standen wir dann dort eine Weile und trösteten uns gegenseitig einfach, indem wir für einander da waren. Von außen sah man es vielleicht nicht, aber Ty litt mindestens so sehr wie ich, wenn nicht noch mehr.
"Es ist nicht deine Schuld", murmelte er leise in mein kastanienbraunes Haar. Ich gab keine Reaktion von mir, denn ich wusste es besser. Wenn ich doch nur mehr unternommen hätte. Wenn ich doch nur schlauer gewesen wäre. Wenn ich doch nur...
Ich gab mir einen Ruck und löste mich aus der Umarmung meines Bruders. Sofort war das Gefühl der Geborgenheit verschwunden, dass ich immer in den Armen meines Bruders fühlte und ich drehte mich um, damit er nicht die Tränen bemerkte, die sich schon wieder in meinen Augen sammelten und mich alles nur verschwommen sehen ließen. Schnell versuchte ich sie wegzublinzeln, während ich schon die Treppe links neben der Feuerstelle ansteuerte und mir im Vorbeigehen noch einen Brotlaib und etwas Trockenkäse nahm.
Ohne einen Blick zurückzuwerfen lief ich die knarzende Holztreppe hoch und übersprang dabei immer eine Stufe. Ich wusste, wie Ty gerade dort stand und hätte ich zurückgesehen, hätte ich es nicht ausgehalten. Ich hätte ihn umarmt und wäre nie wieder von seiner Seite gewichen. Mein Verhältnis zu Ma war sehr eng gewesen, doch bei Ty war es so viel stärker. Er litt definitiv mehr als ich, selbst wenn er versuche es zu verbergen.
Meine Beine trugen mich automatisch in meinen Raum.
In die Holzwände waren manchmal kleine Verzierungen eingelassen, die Ty geschnitzt hatte. Er war unglaublich begabt darin, aus einfachen Holzstücken unglaubliche Meisterwerke zu schaffen. Manchmal verschenkte er auch kleine Figürchen an Leute aus dem Dorf. Sein Zimmer war übersäht mit Schnitzereien, überall konnte man kleine Einkerbungen im Holz finden, die entweder ein Muster oder eine Figur darstellten. Bei mir konnte man vermehrt Drachen finden.
Das große Bett stand an der hinteren Wand und in der Lehne aus dunklem Holz waren riesige veralianische Muster geschnitzt - diese stammten von Vater. Mein Zimmer ähnelte insgesamt mehr denen der bärenhaften Krieger aus dem Norden.
Mein Vater stammte aus Veralia und so sehr ich Tenneria auch liebte, klangen seine Geschichten von bärenstarken Kriegern, wikingerartigen, verschneiten Dörfern, Raufereien und Schlachten im veralianischen Eismeer einfach aufregender als das in meinen Augen eintönige Farmerleben.
Als Vater meine Faszination für sein Herkunftsland bemerkte, begann er, mir mehr darüber zu erzählen und er veränderte sogar mein Zimmer. Zuerst verschwand der schlichte, aus hellem Holz gearbeitete Kleiderschrank und ein massiver Schrank aus dunklem Holz nahm seinen Platz in der rechten hinteren Ecke des Zimmers ein.
Die kleine Kommode, die links an der Wand stand, wurde auch durch eine viereckige, massive Truhe ersetzt. An den Wänden hingen schon bald keine aus Messing gearbeiteten Laternen mehr, sondern Fackeln warfen ihr flackerndes Licht in den Raum.
Als nächstes musste ich mich von dem Hochschrank in der linken Ecke verabschieden, der einem breiten, dunklen Schrank wich.
Schließlich stellte Vater das Bett auf und baute noch eine mit dunklem Metall verstärkte Truhe vor das Bett.
Als letztes hing Vater zwei Rundschilde an die Wand. Einer der beiden war in der Mitte mit metallenen Verzierungen versehen und diente wohl eher zur Schau, der zweite Rundschild war himmelblau gestrichen. Beim genaueren Hinsehen erkannte man allerdings, dass sich einige Kratzer im Holz abzeichneten. Ich vermutete schon seit es mir das erste Mal aufgefallen war, dass Vater diesen Schild im Kampf verwendet hatte.
Ich hatte zwischen die beiden Schilde noch mein Schwert samt Scheide an der Wand befestigt.
Ich verstaute den Bogen in der Truhe an der linken Wand und setzte ich mich aufs Bett, dessen Matratze eigentlich nur aus Stroh bestand, über welches ein Lacken gespannt war. Das Kissen war ebenfalls nur ein mit dem trockenen Gras gefüllter Sack.
Es war nicht wirklich weich, aber ich hatte es seit dem ersten Moment geliebt. Der Geruch des Strohs hatte mich schon immer beruhigt und half mit auch beim Einschlafen.
Ich merkte, wie ich in Gedanken versank und ließ es einfach geschehen, während die Tränen auf meinen Wangen trockneten und ich ein Stück des Brotlaibs abriss. Ich schob mir den fluffigen Teig zusammen mit einem Teil des Trockenkäses in den Mund und ich konnte meinen Magen fast hören, wie er danke sagte, da er endlich etwas richtiges zu Essen bekam.
Nachdem nur noch Krümel übrig waren, ließ ich mich einfach nach hinten auf das Bett fallen und ließ meinen Blick über die hölzerne Decke wandern.
Langsam merkte ich, wie meine Augen schwerer wurden und im Geruch des Strohs schlief ich schließlich mit der Frage im Kopf ein, was ich jetzt mit dem Drachen tun würde und ob ich ihm wirklich helfen sollte.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro